Die Retterin der Meere
forum-Interview mit Marcella Hansch
Kann Architektur die Meere reinigen? Marcella Hansch erklärt im Interview mit
forum Redakteurin Sabine Kirchner ihren visionären Lösungsansatz zur Reinigung
der Weltmeere.
Frau Hansch, wie kam es zur Idee, das Meer zu säubern?
Auf der Suche nach einem Thema für meine Abschlussarbeit bin ich auf das größte
Umweltproblem unserer Zeit aufmerksam geworden. Eines der weltweit größten
Umweltprobleme unserer Zeit ist die Verschmutzung der Weltmeere durch
Plastikabfälle. Über die Meeresströmungen landen diese in fünf sogenannten
Müllstrudeln. Dort wabern riesige Müllteppiche unterhalb der Wasseroberfläche.
Der größte befindet sich im Nordpazifik. Er ist etwa so groß wie Mitteleuropa
und besteht aus ungefähr 100 Millionen Tonnen Müll. Neunzig Prozent dieser
Abfälle bestehen aus Plastik, sind nicht abbaubar und bedrohen das marine Leben
immens.
Warum sammelt sich das Plastik in Strudeln?
Kunststoffe haben verschiedene Dichten. Diejenigen, die eine höhere Dichte als
Wasser aufweisen, sinken in Flüssen und in Küstennähe auf den Grund. Diejenigen,
die eine geringere Dichte als Meerwasser haben, sammeln sich strömungsbedingt in
besagten Müllstrudeln. Spätestens dort werden die Kunststoffteile durch Erosion,
Salzwasser, Meeresströmungen und Sonneneinstrahlung zu Mikropartikeln
zerkleinert. Sie wabern in den obersten 30 Metern der Wassersäule, werden von
Meerestieren mit der Nahrung aufgenommen und gelangen somit in die marine
Nahrungskette. Am Ende derselben steht der Mensch und damit fällt die
Verschmutzung der Meere wieder auf uns Menschen zurück.
Wie lautet Ihre Lösung?
Der erste Impuls wäre natürlich, das Zeug „einfach" herauszufischen. Aber eine
Filterung mit 30 Meter tiefen Netzen ist statisch nicht machbar, da diese dem
Wasserdruck nicht standhalten. Außerdem würde man Fische und Plankton mit
herausfiltern. Mein Lösungsvorschlag lautet deshalb: „Pacific Garbage Screening
(PGS)". PGS war ursprünglich die Abschlussarbeit meines Architekturstudiums. Ich
wollte eine Architektur auf dem Wasser entwickeln, die zur Rettung der Weltmeere
beitragen kann. Interdisziplinär zu planen und über die Grenzen hinaus zu
denken, war mein Anspruch an dieses Projekt.
Mit Architektur die Meere reinigen – wie funktioniert das?
„PGS" ist eine 400 mal 400 Meter große Plattform, die Plastikpartikel passiv
aus den Meeren filtert und weiterverarbeitet. Sie wird innerhalb der Müllstrudel
am Meeresboden verankert und reicht bis 35 Meter unter die Wasseroberfläche.
Durch ihre architektonische Form wird die Strömung beruhigt und verlangsamt.
Zusätzliche horizontale Unterteilungen unterstützen die Beruhigung und schaffen
eine Art Kanalsystem unter Wasser, das die Plastikpartikel passiv, also durch
ihren eigenen Auftrieb, an die Wasseroberfläche befördert, wo sie als
„Umkehr-Sedimentierung" abgeschöpft werden. Fische und andere Meeresbewohner
können einfach durch die Kanäle hindurchschwimmen und bleiben nicht in Netzen
oder Ähnlichem hängen.
Was passiert mit den Plastikpartikeln?
Aufgrund von Erosion, Salzwasser und Sonne sind die Polymerketten der Partikel
so kurz, dass ein sinnvolles Recycling nicht mehr möglich ist. Stattdessen
werden die Kunststoffe auf der Plattform durch eine Plasmavergasung verwertet.
Dabei entsteht ein synthetisches Gas, bestehend aus Wasserstoff und CO2.
Der Wasserstoff wird in Brennstoffzellen geleitet, die die Plattform energetisch
versorgen. Mit dem CO2 werden Algenkulturen genährt, die in Säcken zwischen den
Streben auf der Wasseroberfläche schwimmen. Entzieht man den Algen in ihrer
Wachstumsphase Schwefel, produzieren sie nicht wie in der Natur Sauerstoff,
sondern Wasserstoff.
Aus der Biomasse der Algen wird im Anschluss Algenkunststoff erzeugt, der
biologisch abbaubar ist. Das Ergebnis ist somit ein Gebilde, das autark und
CO2-neutral den Plastikmüll aus den Meeren herausfiltert und zu neuem,
biologisch abbaubarem Kunststoff umwandelt.
Können Sie uns die Plattform genauer beschreiben?
Die Form habe ich anhand einer Strömungsanalyse generiert. Durch die
strömungsoptimierte Form gibt es keinen Druck, der auf die Plattform wirkt. Die
Verankerung über Zugsysteme sollte damit, ähnlich wie bei Bohrplattformen, bis
in 4.000 Meter Tiefe möglich sein. Auf der unteren Ebene befindet sich der
Maschinenraum. Hier laufen sämtliche Prozesse ab – vom Abschöpfen des Plastiks
von der Wasseroberfläche über die Plasmavergasung bis hin zur Produktion des
neuen Algenkunststoffs. An den Seiten liegen Anlegestellen für Schiffe, die mit
Wasserstoffbrennstoffzellen aus eigener Produktion betrieben werden. Auf der
oberen Ebene befinden sich die Räume für die Crew.
Wo ist der größte Unterschied zu The Ocean Cleanup von Boyan Slat?
Bei ihm werden die Plastikabfälle entlang eines Netzes gesammelt und sollen dann
Richtung Plattform getrieben und „an Bord" geholt werden. Sein Ansatz
konzentriert sich auf die Sammlung des Plastiks entlang eines Netzes, nicht auf
einen Gesamtkreislauf.
Im letzten Stand, den ich kenne, ist das Ziel des Projektes, das Plastik
anschließend zum Recyceln zu verkaufen und damit die Plattform zu finanzieren.
Nach meinen Recherchen ist aber mit dieser Methode ein sinnvolles Recycling
nicht möglich, da es sich nicht um große Plastikteile, sondern größtenteils um
Mikroplastik handelt, welches seit Jahrzehnten Sonnenstrahlung, Salzwasser,
Erosion und Strömungen ausgesetzt war und dessen sortenreine Sortierung nicht
möglich ist. Ein Recycling würde somit nur sehr minderwertige und dickwandige
Kunststoffe hervorbringen. Außerdem gibt es neben den Kunststoffen noch anderen
Müll, der zwangsläufig mit aus dem Wasser gefischt wird. Daher habe ich mich für
das Verfahren der Plasmavergasung entschieden. Trotz allem ist sein Projekt
natürlich ein spannender Ansatz! Und da es schon weiter in der Realisierung
fortgeschritten ist, wäre zu hoffen, dass schnell ein erster Schritt getan wird,
um den Müll aus den Meeren zu bekommen.
Wie ist die Resonanz auf Ihr Projekt?
Neben einer Nominierung zum Greentec Award 2014 und Querdenker Award 2014 gab es
viele Veröffentlichungen in Zeitschriften, Internet und Fernsehen. Da das
Projekt viele fachübergreifende und interdisziplinäre Prozesse beinhaltet. Ein
wichtiger nächster Schritt ist die Erstellung einer Machbarkeitsstudie. Darin
sollten die einzelnen Funktionsabschnitte des Konzeptes von Fachleuten geprüft
und bewertet werden. Wünschenswert wäre es, aus meiner Arbeit ein
Forschungsprojekt zu machen, bei dem man die Funktionalität an einem kleinen
Maßstabsmodell testen kann. Dafür bin ich zusammen mit meinem Team auf der Suche
nach Partnern an Universitäten und in der Wirtschaft.
Frau Hansch, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei dieser Suche und beim Säubern
der Weltmeere.
Weitere Informationen:
Marcella Hansch
hat Architektur an RWTH studiert. Ihre Leidenschaft für das Reisen und die
schöne, weite Welt hat sie zu ihrer Abschlussarbeit Pacific Garbage Screening
inspiriert. Gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber Carpus + Partner und Instituten der
RWTH in Aachen sucht sie nach Partnern für ein Forschungsprojekt.
Umwelt | Umweltschutz, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
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