Die Plastikfischer
Sinn und Unsinn von 'The Ocean Cleanup'
Die Verschmutzung der Meere mit Plastikabfällen ist ein dringliches
Umweltproblem. Daher ist grundsätzlich jede Maßnahme von staatlicher oder
nichtstaatlicher Seite, die hilft, dieses Problem einzudämmen, sehr zu begrüßen.
Aber sind kostspielige technische Anlagen wirklich die Lösung des Problems?
Es gibt zwei grundlegende Strategien im Kampf gegen das Plastik im Meer: Das ist
zum einen die Prävention des Neueintrags. Achtzig Prozent des Abfalls in den
Ozeanen stammen von Land, während nur 20 Prozent direkt auf See freigesetzt
werden. Es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten, diese Einträge zu reduzieren,
beispielsweise über Projekte, die helfen, Müllströme zu organisieren und die
Abfallentsorgung zu sichern. In vielen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas
bereitet dies zurzeit noch große Probleme. Die unkontrollierte Entsorgung oder
der ungewollte Export aus schlecht gesicherten Deponien sind weltweit die
größten Quellen für Plastikmüll im Meer. Dabei spielen vor allem Flüsse als
Transportwege eine wichtige Rolle, denn sie verfrachten den Abfall über weite
Strecken aus dem Hinterland in die Ozeane.
Wie holt man den Müll aus dem Meer?
Die andere grundsätzliche Möglichkeit, dem Problem zu begegnen, ist die
Extraktion des bereits im Meer vorhandenen Mülls über Sammelaktionen oder
Fischerei. Dahinter steht der Wunsch, den Schaden, den man bereits angerichtet
hat, wiedergutzumachen. Beide Ansätze sind im Prinzip gut und richtig.
Allerdings sind sich alle Akteure im Meeresschutz einig, dass das zweite Konzept
ohne das erste keinen Sinn macht. Es sei denn, man wollte sich an eine
Sisyphusarbeit machen, die dem Versuch gleicht, „eine Badewanne mit einem
Fingerhut zu leeren, während der Wasserhahn noch voll aufgedreht ist" – so der
Meeresschützer Nick Mallos von Ocean Conservancy.
The Ocean Cleanup – Rettung oder Science-Fiction?
Mit dem Programm The Ocean Cleanup möchte Boyan Slat dem Plastikmüll im Meer zu
Leibe rücken. Was steckt hinter der Idee des Niederländers? Um den im Meer
treibenden Müll zu entfernen, sollen gewaltige Sammelanlagen gebaut werden, die
als autonome, unbemannte Einheiten auf der Hochsee vollautomatisiert den Müll
aus dem Wasser fischen und zum Abtransport mit Schiffen vorbereiten. Dabei
sollen die Anlagen wartungsarm laufen, den gewaltigen Kräften des Ozeans trotzen
und sich durch den Verkauf des gesammelten Mülls zumindest teilweise selbst
finanzieren. Hierzu hat das Team von The Ocean Cleanup eine 500-seitige
Machbarkeitsstudie vorgelegt, die aber trotz ihres Umfangs in vielen technischen
Fragen sehr vage bleibt. Eine einzelne Sammelanlage soll laut den Vorstellungen
der Planer eine Ausdehnung von knapp 100 Kilometern haben und dabei aus zwei
gleichlangen Armen bestehen, die, ausgerichtet wie ein gewaltiges V, den in den
ozeanischen Strömungen treibenden Müll zu einer zentralen Sammelstelle leiten.
Dort soll das Material aufgenommen und getrocknet werden. Verankert werden
müsste die Konstruktion am Tiefseeboden, also in einer Wassertiefe von über
4.000 Metern. Die Kosten für ein solches Modul werden von den Planern auf circa
320 Millionen US-Dollar geschätzt. Es wäre ohne Frage ein gewaltiges maritimes
Bauwerk, aber gleichzeitig in den Weiten des Pazifischen Ozeans kaum
wiederzufinden. Um den Plastikmüll aus allen Ozeanen zu entfernen, bräuchte es
eine sehr große Anzahl solcher Anlagen. Dies ist dann letztendlich auch die
Idee, die Boyan Slat verfolgt: den Bau zahlreicher Großanlagen, die allen
treibenden Plastikmüll aus dem Meer entfernen sollen. Es würde hier zu weit
führen, die vielen noch ungelösten technischen und wirtschaftlichen Probleme
aufzulisten. Sie reichen von der Finanzierung der Anlagen über deren Verankerung
in der Tiefsee bis hin zu den Gefahren, die von ihnen im Falle einer Havarie
ausgehen. Vieles bei The Ocean Cleanup – nicht nur die beeindruckenden
graphischen Animationen in der Machbarkeitsstudie – ist Science Fiction und
meilenweit von einer Umsetzung in die Praxis entfernt. Insgesamt zeichnet sich
das Projekt durch eine tiefe Technikgläubigkeit aus und verfolgt den Gedanken,
dass ein globales Problem mit einer gewaltigen Ingenieursleistung gelöst werden
kann. Damit wirkt das Vorhaben etwas aus der Zeit gefallen und hätte besser zum
Pioniergeist des späten 19. oder zur Technikbegeisterung der 50er- und
60er-Jahre des 20. Jahrhunderts gepasst und auch Jules Verne hätte wohl seine
Freude daran gehabt.
Qualvoller Tod für Quallen?
Etwas ausführlicher sei hier noch hingewiesen auf die möglichen ökologischen
Folgen, die ein solches Großprojekt für das Ökosystem Ozean haben könnte. Das
grundlegende technische Konzept der Sammelanlagen, die Boyan Slat vorschlägt,
ist nicht neu. Sie gleichen gigantischen Ölsperren, die dazu dienen sollen, an
der Wasseroberfläche oder in geringer Wassertiefe treibende Partikel
zurückzuhalten. Aufgrund der Oberflächenströmung sollen diese dann entlang der
V-förmigen Fangarme zur Sammelstation im Zentrum der Anlage gedrückt werden. Die
Hoffnung der Planer ist es, dass alle im Meer treibenden Organismen, die in die
Anlage geraten, unbeschadet unter den Sperren hindurch gelangen. Diese sollen
nämlich nur wenige Meter tief ins Wasser reichen. Dies mag für einige der
Organismen im offenen Ozean auch zutreffen, bestimmt aber nicht für alle. Zum
einen gibt es zahlreiche Meeresorganismen, welche die gleiche Dichte und auch
ein ähnliches ‚Schwimmverhalten‘ aufweisen wie Plastikmüll. Quallen oder Salpen
beispielsweise gehören zu dieser Gruppe. Wie diese den Anlagen entkommen sollen,
während der Müll zurückbleibt, leuchtet nicht ein. Zudem sind diese Lebensformen
sehr fragil, denn sie leben in einer Welt, die keine festen Hindernisse kennt.
Ein Kontakt mit den Sperren könnte sie beschädigen. Zum anderen gibt es im
offenen Ozean Treibgutgemeinschaften, die aus Organismen bestehen, die sich mit
treibenden Großalgen und terrestrischen Pflanzenresten wie Holz assoziieren und
auf diesen Flößen über die Ozeane reisen. Diese Gemeinschaften erfüllen wichtige
ökologische Funktionen, von denen wir viele wahrscheinlich noch nicht einmal
kennen, und sie würden ebenfalls in den großen ozeanischen Müllschluckern
verschwinden. Insgesamt ist die Oberfläche der Ozeane keine sterile Wasserwüste,
sondern ein Ökosystem, das von einer Vielzahl von Organismen besiedelt wird. The
Ocean Cleanup wäre in seiner endgültigen Form, mit einer Vielzahl von
Sammelanlagen in allen Weltmeeren, ein gewaltiger Eingriff in dieses System mit
nicht abschätzbaren Folgen. Würde jemand etwas Vergleichbares für ein
terrestrisches Ökosystem, beispielsweise in Europa, vorschlagen, er hätte wohl
alle Umweltschutzauflagen und alle Naturschutzverbände des Kontinents gegen
sich.
„The Coastal Cleanup"
Kann man trotzdem etwas von The Ocean Cleanup erwarten? Boyan Slat hat ja
bereits die ersten zwei Millionen Euro Spendengelder eingesammelt. Eine
Umsetzung des Konzepts der Sammelanlagen für Flussmündungen oder Buchten ist
durchaus vielversprechend und könnte helfen, das Meeresmüllproblem einzudämmen.
Solche kleinen, küstennahen und technisch leichter umzusetzenden Anlagen würden
den Müll stoppen, bevor er sich auf seine lange Reise durch die Ozeane macht und
bevor er sich mit all den Organismen vermischt, die die Meere bevölkern. The
Ocean Cleanup (oder dann vielleicht besser „The Coastal Cleanup") könnte damit
einen wichtigen Beitrag zu einem großen Maßnahmenpaket leisten, das allerdings
von sehr vielen Staaten und Organisationen geschnürt werden muss. Hierzu gehören
alle Projekte, welche die Müllmenge weltweit reduzieren, die Entsorgung
verbessern und so schließlich den Eintrag von Müll ins Meer verringern. Es gibt
ein lokales Projekt auf den indonesischen Banda-Inseln, bei dem eine kleine
Gruppe von Umweltaktivisten der Marine Conservation Southeast Asia e.V. einer
Kommune mit mehreren tausend Einwohnern dabei geholfen hat, ihre Müllentsorgung
zu organisieren. Dies verhindert, dass der Abfall wie bislang illegal entsorgt
wird und so letztendlich zu einem großen Teil im Meer landet. Die Kosten dafür
belaufen sich auf 2.400 Euro im Jahr und die technischen Voraussetzungen
bestehen aus einem alten Motorrad mit einem Anhänger. Das ist natürlich weniger
medienwirksam als die Anlagen, die The Ocean Cleanup plant. Dafür gibt es keine
Entwicklungskosten, keine Vorstudien und keine gravierenden ökologischen
Bedenken. Das Projekt funktionierte nach kurzer Zeit, wobei besonderer Wert auf
eine umfassende Information der Bürger gelegt wurde. Die ehrenamtlichen Helfer
sind davon überzeugt, dass nur durch die Schaffung eines Umweltbewusstseins in
der Bevölkerung der „Plastik-Wasserhahn" langfristig zugedreht werden kann.
Solche Graswurzelansätze entfalten natürlich nicht die Wucht eines medial gut
aufbereiteten Großprojektes, aber sie leisten wertvolle Beiträge zum
Meeresschutz. Nach Ansicht vieler Aktivisten und Wissenschaftler liegt der
Schlüssel zur Lösung des Meeresmüllproblems daher auch nicht in der Realisierung
phantastisch anmutender Großprojekte, sondern in der Umsetzung vieler lokal
begrenzter Maßnahmen.
Dr. rer. nat. Mark Lenz
ist Meeresbiologe mit einem Arbeitsschwerpunkt in der Meeresökologie am GEOMAR
Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er beschäftigt sich mit verschiedenen
Aspekten des Globalen Wandels und deren Auswirkungen auf Küstenökosysteme
(beispielsweise Biodiversitätsforschung und Invasionsökologie). In den letzten
zwei Jahren hat er sich im Rahmen eines internationalen Forschungsprojektes mit
dem Thema Plastikmüll im Meer befasst.
Umwelt | Umweltschutz, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
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