Moore: Klimakühlung oder Bodenheizung?
Wie Moor-Zertifikate Artenvielfalt sichern
Moore spielen im Klimawandel eine entscheidende Rolle – sowohl als größter
Speicher terrestrischen Kohlenstoffs als auch als Quelle verschiedener
Treibhausgase bei Trockenlegung.
Die Moorwiedervernässung ist ein preiswerter und effizienter Klimaschutz.
Mitten im Wald erscheint eine weite Lichtung wie ein unwirkliches Traumland. Die
ganze Wiese scheint mit Wattebällchen übersät. Hier wächst weißes, flauschiges
Wollgras, das sich sanft im Wind hin- und herwiegt. Schimmernde Libellen und
Schmetterlinge schwirren in der Luft. Läuft man über die Wiese, beginnt der
Boden unter den Füßen zu schwanken. Und spätestens jetzt spürt man, dass es sich
um eine ganz besondere Waldwiese handeln muss. Wir sind in einem Moor, einem
jener seltenen noch naturnahen Oasen, die Rückzugsorte vieler
hochspezialisierter Arten sind. Wasser ist hier der Schlüsselfaktor. Natürliche
Moore sind Feuchtgebiete. Sie enthalten mehr als 95 Prozent Wasser. Die
Wassersättigung sorgt für einen Sauerstoffmangel, sodass die absterbenden
Pflanzen nicht vollständig abgebaut werden. Was übrig bleibt, wird als Torf
abgelagert – es enthält einen Großteil des Kohlenstoffs, den die Pflanzen im
Laufe ihres Lebens als Kohlendioxid aufgenommen haben.
Die Klimaschutzleistung der Moore
Moore findet man überall auf unserem Planeten. Sie entwickeln sich überall dort
auf der Erde, wo es einen ständigen Überschuss an Wasser gibt. Über die
Jahrtausende tragen wachsende Moore dazu bei, Kohlendioxid dem atmosphärischen
Kreislauf zu entziehen und so unser Klima zu kühlen. Mit dem Wachstum der Moore
wurden etwa 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff im Torfboden gebunden. In den
Mooren der Welt liegt damit doppelt so viel Kohlenstoff wie in allen Wäldern
zusammen. Hier zeigt sich der bedeutendste Klimaeffekt der Moore, sie sind so
etwas wie die Kühlakkus unserer Erde.
Diese Bedeutung der Moore für den weltweiten Klimaschutz hatte man lange
übersehen. „Wälder sieht man einfach besser", sagt Hans Joosten, Professor für
Moorkunde und Paläoökologie an der Universität Greifswald. Er spricht von einem
„Cinderella-Syndrom" und setzt sich seit Jahren in den internationalen
Klimakonferenzen dafür ein, das Potenzial der Moore im Klimawandel sichtbarer zu
machen. Mit durchschlagendem Erfolg. Auf dem Weltklimagipfel in Durban erreichte
er, dass Moore den Status von Wäldern in der Klimakonvention erhalten. Länder,
die ihre Moore schützen, werden mit Zertifikaten belohnt, die sie im
Kohlenstoffmarkt handeln können. Deutschland hat diese freiwillige Option
bislang nicht gewählt. Dennoch, der Ritterschlag für Moore kommt zur rechten
Zeit. Denn das gigantische Guthaben auf dem Klimakonto der Menschheit ist hoch
gefährdet.
Gräbt man Mooren das Wasser ab, ist richtig dicke Luft!
In zerstörten Mooren wird der über die Jahrtausende gespeicherte Kohlenstoff
innerhalb weniger Jahrzehnte wieder freigesetzt. Entscheidend ist der
Wasserstand im Moor. Sinkt er, dringt Sauerstoff in den Torf ein. Nun passiert,
was die Wassersättigung bislang verhinderte: Der Torf wird zersetzt. Dabei
werden Kohlendioxid und das noch klimawirksamere Lachgas freigesetzt. Weltweit
sind immer mehr Moore von einem Kohlenstoffspeicher zu einer Treibhausgas-Quelle
geworden. Sie sind bereits jetzt verantwortlich für fünf bis sechs Prozent der
weltweiten anthropogenen Treibhausgasemissionen. Das sind jährlich etwa zwei
Milliarden Tonnen Kohlendioxid, die in die Atmosphäre abgegeben werden.
Emissionen aus entwässerten Mooren sind damit die größte Einzelquelle außerhalb
des Energiesektors und ein Hotspot des Klimawandels. Und dabei sind 80 Prozent
der Moore noch ungestört. Bei der Zerstörung der Moore und damit verbundener
Freisetzung von Treibhausgasen zählt Deutschland nach Indonesien, Russland,
China und den USA zu den Top-Ten.
Situation in Deutschland
Über Jahrhunderte haben die Menschen unter großen Mühen Moore in Deutschland
entwässert und urbar gemacht. Man brauchte Land für Acker und Grünland. Auch
galten Moore lange als Unland, waren vermeintlich voller Gefahren. „O schaurig
ist´s, übers Moor zu gehn" schrieb 1842 noch Annette von Droste-Hülshoff.
Heute sind nahezu alle Moorflächen in Deutschland entwässert. Für den Gemüse-
und Gartenbau werden noch immer jährlich etwa acht Millionen Kubikmeter Torf
abgebaut. Die Emissionen aus den entwässerten Moorflächen Deutschlands sind
vergleichbar mit den jährlichen Emissionen des gesamten deutschen Flugverkehrs.
Neben dem massiven Klimaeffekt verschlechterten sich auch die Bodeneigenschaften
der intensiv genutzten Moorböden so stark, dass Moore begannen abzusacken,
ähnlich wie bei einem Schwamm, aus dem man das Wasser auspresst. Ein
Teufelskreis, der auch andere Länder wie beispielsweise die Niederlande vor
große Herausforderungen stellt. Im vergangenen Jahrtausend wurden dort fast alle
Moore entwässert, die Hälfte des Landes liegt durch die Sackung mittlerweile
unter dem Meeresspiegel. Bis zu zehn Metern an Höhe haben Landstriche teilweise
verloren.
Auch in den moorreichen Ländern Norddeutschlands sind riesige Moorflächen
trockengelegt worden. Entwässerte Moore sind in Mecklenburg-Vorpommern die
weitaus größte Treibhausgasquelle im Bundesland, noch vor den Emissionen durch
den Verkehr, Industrie oder die Haushalte. Im Land Brandenburg stoßen trockene
Moore jährlich etwa so viel Kohlendioxid aus wie der gesamte Straßenverkehr
landesweit.
Weltpremiere: Die Zertifizierung der Klimaschutzleistung von Mooren
Will man das Klima schützen, muss man die Moore berücksichtigen und dazu müssen
Moore zunächst wieder nass werden. Die Wiedervernässung ist sehr effektiv, um
die Emissionen trockener Moore zu verringern. Um zehn Tonnen pro Hektar und Jahr
können die Emissionen reduziert werden. Das ist fast so viel, wie jeder von uns
im Durchschnitt pro Jahr verursacht. Je nach Projekt sind aber auch bis zu 30
Tonnen Emissionsverminderung pro Hektar und Jahr möglich.
Um diese Klimaschutzleistung wiedervernässter Moore zu honorieren, entwickelte
man in Mecklenburg-Vorpommern unter Federführung der Greifswalder Universität
die Idee zu einem Moor-Kohlenstoffzertifikat. So konnten 2011 weltweit erstmalig
Zertifikate angeboten werden, die durch die Wiedervernässung von Mooren
entstehen.
Mittlerweile sind die Zertifikate mit dem Namen MoorFutures® eine
länderübergreifend anerkannte Dachmarke im freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Mit
Brandenburg und Schleswig-Holstein sind zwei weitere moorreiche Länder dem
Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns gefolgt und bieten Kohlenstoffzertifikate auf
Basis von Moorwiedervernässungen an. Anbieter sind dort die Flächenagentur
Brandenburg GmbH beziehungsweise die Ausgleichsagentur Schleswig-Holstein. Beide
haben langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der naturschutzrechtlichen
Kompensationsmaßnahmen und sind Tochterunternehmen gemeinnütziger,
öffentlich-rechtlicher Naturschutzstiftungen. Weitere Bundesländer zeigen sich
interessiert, aber auch auf internationaler Ebene wird die Einführung und
Verwendung der Marke MoorFutures® geprüft.
Der freiwillige Kohlenstoffmarkt …
…ist ein junger, aber sehr dynamischer Markt mit hohen Zuwachsraten.
Untersuchungen des Umweltbundesamtes zeigen: Freiwillige
Treibhausgaskompensation kann als weiteres Klimaschutzinstrument maßgeblich zur
effizienten Vermeidung von Emissionen beitragen. Ähnlich wie bei den
verpflichtenden Märkten auf Basis des Kyoto-Protokolls oder des Europäischen
Handelssystems basiert der freiwillige Markt auf dem Handel von Zertifikaten.
Ein Zertifikat entspricht einer eingesparten Tonne Kohlendioxidäquivalent.
Bislang werden am freiwilligen Kohlenstoffmarkt die meisten Klimaprojekte in
anderen Regionen der Welt durchgeführt, obwohl fast 50 Prozent der Käufer in
Deutschland Zertifikate aus dem Inland bevorzugen würden. Dieser Nachfrage steht
ein Unterangebot an Projekten aus Deutschland gegenüber. Die staatlich
anerkannte Flächenagentur Brandenburg will dies ändern und setzt auf
Erlebbarkeit. Das eigene Klimaschutzprojekt ist hier fast vor der Haustüre und
kann besucht werden. So liegt das Brandenburger Projekt „Rehwiese" 20 Kilometer
vor den Toren Berlins.
Moore als Schatzkammern Biologischer Vielfalt
Nun sind wiedervernässte Moore mehr als reine Klimaschützer. Sie sind
Schatzkammern der Biologischen Vielfalt. Den fleischfressenden Sonnentau oder
den sich in der Paarungszeit blau verfärbenden Moorfrosch findet man nur hier.
Moore sind wahre Reinigungskünstler der Gewässer, indem sie die Schadstoffe
herausfiltern. Außerdem tragen sie zur Grundwasserneubildung bei. Sie sind
Wasserspeicher in Trockenzeiten und dienen bei Hochwasser als Rückhaltepuffer.
Auch können sie das lokale Klima aufgrund der erhöhten Verdunstung kühlen. Um
diese vielfältigen Ökosystemleistungen abzubilden, hat das Bundesamt für
Naturschutz (BfN) das Forschungsprojekt MoorFutures® 2.0 gefördert. Die
Ergebnisse wurden 2013 in einem BfN-Skript veröffentlicht.
Aufgrund ihres Beitrags für die Artenvielfalt sind die Moor-Zertifikate ein
bedeutender Bestandteil im bundesweiten Netzwerk zum Erhalt der Biologischen
Vielfalt. Die Vereinten Nationen haben die Jahre 2011 bis 2020 zur UN-Dekade für
die Biologische Vielfalt erklärt. MoorFutures wurden bereits mehrfach von den
Vereinten Nationen zum Dekade-Projekt „Biologische Vielfalt" gewählt, sind
Preisträger im „Deutschland – Land der Ideen"-Wettbewerb und gelten als
Best-Practice-Beispiel der internationalen TEEB-Studie, die Ökosystemleistungen
monetär bewertet. Aktiv unterstützt werden die Aktivitäten durch das vom
Bundesumweltministerium und von Wirtschafts- und Naturschutzverbänden getragene
Projekt „Unternehmen Biologische Vielfalt 2020".
Wer kauft Moor-Zertifikate?
Immer mehr Menschen wollen, dass die von ihnen verursachten, klimaschädlichen
Emissionen an anderer Stelle vermieden werden. Ein Beispiel sind Kompensationen
für Flugreisen oder die jährlichen Heizungsemissionen. Auch Unternehmen bieten
zunehmend „klimaneutrale" Produkte an oder stellen ihre gesamte
Geschäftstätigkeit klimaneutral dar. Ein Hemmnis ist die Komplexität des Themas
und Moore sind – anders als Wälder – immer noch Außenseiter im Klimaschutz. Die
Anbieter in Brandenburg haben daher einen Kurzfilm entwickelt, um den neuartigen
Zertifikatetyp in drei Minuten auf den Punkt zu bringen. „Wir bieten
Unternehmen, Privatpersonen und Veranstaltern außerdem eigene Emissionsrechner
an. Gerade, um klimafreundliche Tagungen durchzuführen, wird dieses Angebot
gerne genutzt", erklärt Anne Schöps, Geschäftsführerin der Flächenagentur
Brandenburg GmbH. „Jeder kann seine Emissionen mit ein paar Klicks selbst
berechnen und hat die Option, diese mit dem Erwerb von Zertifikaten
auszugleichen."
Eine Investition in die Renaturierung der Moore ist unterm Strich nicht nur ein
Mittel, um die eigene Treibhausgasbilanz auszugleichen, sondern auch ein aktiver
Beitrag zum globalen Klimaschutz und zur Erhaltung einer lebenswerten Welt für
zukünftige Generationen.
So misst man die Emissionen eines Moores
Der mittlere Jahreswasserstand ist die entscheidende Größe für die
Treibhausgasemissionen eines Moorstandortes. Den Wasserstand kann man über die
aufwachsenden Pflanzen erkennen und darüber die Emissionen eines Moores
abschätzen. Wissenschaftler der Universität Greifswald entwickelten daraus den
GEST (TreibhausGas-Emissions-Standort-Typen)-Ansatz. Man erfasst die
Pflanzenzusammensetzung eines Moores und kann darüber die Treibhausgasemissionen
eines Moores vor und nach der Wiedervernässung ableiten. Die Differenz der
Gasemissionen entspricht der „Dienstleistung", die ein wiedervernässtes Moor für
den Klimaschutz erbringt. Für Niedermoore ergeben sich Einsparpotenziale von
zehn bis mehr als 30 Tonnen Kohlendioxidäquivalent pro Hektar und Jahr.
Die Kosten für die Moor-Zertifikate liegen derzeit zwischen 35 und 67 Euro pro
Tonne CO2. Den Treibhausgasemissionen werden dabei die Projektkosten
gegenübergestellt, die bei einer Wiedervernässung anfallen. Diese sind unter
anderem Planungs- und Baukosten sowie Kosten für die Flächensicherung. Darüber
hinaus ergeben sich Kosten für das Monitoring und gegebenenfalls für die
Mindestpflege der Fläche. Aus Emissionsverminderung in Tonnen und Projektkosten
ergibt sich somit die Summe, die zur Vermeidung von einer Tonne
Kohlendioxidäquivalent aufzubringen ist. Verglichen mit dem Anbau von
Biospritpflanzen (173 bis 459 Euro) oder Wasser-und Windkraftanlagen (22 bis 70
Euro) in Deutschland sind diese Klimaprojekte damit durchaus konkurrenzfähig.
Weitere Informationen:
Unser Medientipp:
Die Magie der Moore – www.magiedermoore-derfilm.de
Anita Neunkirchen
ist Diplom-Geoökologin und arbeitet für die Flächenagentur Brandenburg GmbH.
Die staatlich anerkannte Flächenagentur, ein Tochterunternehmen der
öffentlich-rechtlichen Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg, entwickelt seit
über zehn Jahren Naturschutzprojekte in ihren Flächenpools und bietet seit 2012
regionale Moor-Zertifikate an.
Umwelt | Klima, 01.10.2015
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