BIOFACH 2025

Gesundes Büro, gesunde Mitarbeiter

Wandfarbe, die man essen kann

Außer im Schlafzimmer verbringen viele Menschen den größten Teil ihres Tages im Büro, wo sie vielen verschiedenen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Elektrosmog ist einer davon, forum berichtete in der Ausgabe 1/2015 über die Auswirkungen und die Möglichkeiten, sich zu schützen. Was wenig beachtet wird, sind Giftstoffe, die von Teppichen, Möbeln und Wandfarben abgegeben werden und Innenräume und damit die Gesundheit der Mitarbeiter belasten.
 
Stampflehmtresen im hessnatur Konzept-Laden in der Modemetropole Düsseldorf © hessnaturViele Personalverantwortliche und Chefs legen Wert auf Gesundheitsprogramme für Mitarbeiter. Das Spektrum reicht von hochwertigem Bio-Essen in der Kantine, über Körper-Check-ups bis zum Firmen-Yoga. Doch der „dritten Haut" des Menschen – nämlich den Räumen – wird noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Möbel und Bodenbeläge werden meist nur nach Aussehen und Preis gekauft. Nicht anders ist es bei Wandfarben und Putzen: „Wir müssen leider häufig auf preisgünstige Dispersionsfarbe zurückgreifen, um den Preisvorstellungen der Firmenkunden gerecht zu werden", so Judith Felber, Malermeisterin in München. „Bei Ausschreibungen zählt immer noch das billigste Angebot." Doch die Sensibilisierung für natürliche und geprüfte Produkte wächst stetig. Silikatfarben haben bereits größere Marktanteile erobert. Kalk, Lehm und vor allem Ton sind deshalb die neuen Favoriten für gesunde Räume und biologisches Bauen.
 
Lehm, der Baustoff unserer Ahnen
Während Lehm und Stroh früher als Baumaterial der Armen angesehen wurden, erlebten diese Baustoffe – nicht zuletzt durch das Engagement des deutschen Pionierunternehmens Claytec – eine ungeahnte Renaissance. Dank ihrer hohen Aufnahmefähigkeit von Feuchtigkeit und weiteren hervorragenden Produkteigenschaften werden Lehmbaustoffe und vor allem Lehmputze und -farben immer häufiger, gerade auch in modernen, hochgedämmten Bauten eingesetzt. Hauchdünne Edelputze, abgetönt mit Naturpigmenten oder ergänzt um Pflanzenfasern, ergeben hervorragende Möglichkeiten für Wandgestaltungen. Eine andere Möglichkeit, die gesundheitsfördernde Wirkung von Lehm und eine optisch anspruchsvolle Gestaltung zu erzielen, ist die Verwendung von Stampflehm oder Lehmziegeln zum Beispiel als repräsentativer Bestandteil von Ladeneinrichtungen oder für den Innenausbau. Im HUB München wurden in eine große Halle Büro- und Besprechungsräume aus Holz und Lehmziegeln eingebaut und sorgen so für ein angenehmes Klima und individuell gestaltete Räume.
 
Moderner Ladenbau setzt auf Natur
Der Schmuckhersteller Niessing und der Textilanbieter hessnatur haben bei der Gestaltung ihrer Niederlassungen und Verkaufsräume ebenfalls auf Lehm gebaut. Waren es bei dem Schmuckhersteller überwiegend materialästhetische und haptische Aspekte, die zur Nutzung des gleichermaßen archaischen wie modernen Baustoffs führten, so standen für hessnatur darüber hinaus die Aspekte Ökologie und Nachhaltigkeit im Vordergrund.
 
Den ersten Stampflehmtresen errichtete der Lehmbauspezialist Thomas Glück Anfang 2014 im hessnatur Konzept-Laden in Frankfurt. Im Mai 2014 wurde auch der hessnatur Konzept-Laden in der Modemetropole Düsseldorf mit einem solchen ausgestattet. Das Naturmaterial sorgt für ein angenehmes Raumklima und lässt sich zu 100 Prozent wiederverwenden. Im nachhaltigen Ladenbau müssen Schadstoffe einfach Hausverbot haben. Von den Möbeln, über das Visual Merchandising bis hin zur Kommunikation mit den Kunden – alles sollte ökologisch und durchdacht sein.
 
Hast Du noch Töne? Wandfarbe, die man essen kann
Ton und Kalk sind Naturbaustoffe, die für ein hervorragendes Innenraumklima sorgen. © emoton.atDie positiven Auswirkungen auf das Innenraumklima sind von den Lehmbaustoffen her bekannt. Entscheidend für die Wirkung ist das natürliche Bindemittel des Lehms, der Ton: Je höher der Tonanteil, desto besser für das Raumklima. Reiner Ton, auch Heilerde genannt, wird bekanntlich seit Jahrtausenden als Heilmittel sowie zur Schönheitspflege hochgeschätzt. Reiner Ton hat aber auch eine einzigartig positive Wirkung auf das Raumklima, was sowohl die optimale Regulierung der Luftfeuchtigkeit als auch die Schadstoffaufnahme betrifft. Der österreichische Tonputzhersteller Emoton hat das erkannt und entwickelt Putze, Spachtel und Wandfarbe aus reinen Tonen, die in Österreich im Bergwerksbetrieb viele Meter unter der Erdoberfläche gewonnen werden und damit keine organischen Stoffe wie Wurzeln oder Gräser enthalten.
 
In einer Forschungsarbeit der Holzforschung Austria wurde die Absorption von schädlichen flüchtigen, organischen Verbindungen, verursacht durch Teppiche, Klebstoffe, Glasreiniger und anderes, gemessen. Das erstaunliche Resultat: Schon nach 24 Stunden wird die 1.000-fache Giftstoffmenge des Grenzwertes von Formaldehyd durch Tonputz aus der Luft absorbiert, selbst unter Extrembedingungen. Damit übertreffen reine Tonfarben und -putze nochmals die bereits hervorragende Absorptionskapazität von Lehmprodukten. Tone haben eine extrem hohe luftreinigende Wirkung, da eine große Bandbreite von Luftschadstoffen von ihnen aufgenommen werden kann. Der Naturbaustoff hat die am stärksten ausgeprägte Fähigkeit, ein Zuviel an Luftfeuchtigkeit aufzunehmen, zu speichern und bei Bedarf wieder abzugeben, wenn die Raumluft zu trocken wird, und verhindert zudem eine elektrostatische Aufladung der Wandflächen, wodurch die Staubbildung im Raum deutlich verringert wird. Nicht nur von Menschen mit Allergie-Neigung wird das als besonders angenehm empfunden. Anders als bei Lehmprodukten sind in Tonfarben auch keine Pflanzenreste zu finden, wodurch ein Schimmelrisiko nochmals deutlich reduziert wird. Ton bewirkt darüber hinaus eine wohltuende Ionisation der Raumluft, so wie man es von Aufenthalten am Meer oder in den Bergen kennt. Eine gute Ionisation soll bekanntlich die Erholungsfähigkeit und das Wohlbefinden steigern.
 
Last but not least: Ton kann Wärme speichern: Die Wandoberflächen sind in der Heizperiode angenehm warm. Im Sommer hingegen entsteht durch die Verdunstung von Restfeuchte eine angenehme, leicht kühlende Wirkung. Der Vorteil auch für eine nachträgliche Verwendung des Materials bei der Renovierung und Raumgestaltung: Tonputze können in einer dünnen Schicht auf Wände aufzogen werden, Tonfarben sind einfach mit Pinsel oder Rolle aufzutragen. Tonspachtel ermöglicht die Gestaltung von Büros und gewerblichen Räumen in vielen Naturfarben oder ganz schlicht in Weiß mit verschiedenen Oberflächenstrukturen von rustikal-gemütlich bis puristisch-modern. Die Verarbeitung erfordert keine besondere Lehmbau-Erfahrung und kann von jedem Maler, Putzer und auch fachkundigen Laien vorgenommen werden.
 
Wiederentdeckt: Naturkalkfarben
Ton beseitigt Schadstoffe in der Luft, Kalk schützt vor Schimmel. Beide ermöglichen eine harmonische, gesunde Raumgestaltung. © haganatur.de/ParzingerKalkfarben und –putze gehören zu den erfolgreichsten Baustoffen aller Zeiten und erleben in der Wand- und Fassadengestaltung eine Renaissance. Durch Brennen bei 1.000 °C und „Löschen" mit Wasser entsteht Sumpfkalk, durch Trocknen das pulverförmige Kalkhydrat, das durch Anrühren mit Wasser zum Anstrich wird. Für die gewünschte Farbgebung werden rein natürliche Pigmente beigemischt. Das Angebot ist umfangreich, allerdings enthalten billige „Kalkprodukte" oft nur einen verschwindend geringen Kalkanteil. Es werden künstliche, organische Zuschlagstoffe verwendet, die die Verarbeitung vereinfachen sollen, aber – wie im Lebensmittelbereich – die Produkte zum Nachteil der Verbraucher und deren Gesundheit verfälschen. Bevorzugen Sie deshalb bei Ausschreibungen Produkte von Herstellern, die ihre Inhaltsstoffe angeben. So wie Haga, ein kleiner Schweizer Hersteller, der seine Produktzusammensetzung voll deklariert und reinen Naturkalk nach alten Traditionen und Rezepturen verarbeitet. Verwendet wird dabei ausschließlich Kalkstein aus den Schweizer Alpen mit einem hohen Reinheitsgrad (98 Prozent Calciumcarbonat). Aber auch deutsche Naturfarbenhersteller bieten eine hohe Qualität und die Volldeklaration ihrer Inhaltsstoffe.
 
Kalk lässt Schimmel keine Chance
Die gesündeste und wirkungsvollste Art, Schimmel und Bakterien in Wohn- und Arbeitsräumen zu bekämpfen, ist es, die Selbstheilungskräfte der Natur zu nutzen. Naturkalk entzieht Schimmelpilzen den benötigten Nährboden. Das Schimmel-Wachstum wird nämlich stark vom pH-Wert der Oberflächen beeinflusst. Die meisten Schimmelpilze wachsen in einem Bereich zwischen pH 3 und 9. Tapeten und übliche Anstriche weisen beispielsweise oft einen pH-Wert zwischen 5 (z.B. Raufasertapete) und 8 (z.B. Kunstharz-Dispersionsanstrich) auf. Das sind ideale Nährböden für die Schimmelbildung. Naturkalk-Anstriche und –Putze weisen pH-Werte von 11, 12 und mehr auf und sind damit auf natürliche Weise gegen Schimmel resistent. Ähnliches gilt für Bakterien. Darüber hinaus reguliert der dampfdiffusionsoffene Kalkputz durch sein feines Kapillarsystem auf sehr effektive Weise die Luftfeuchtigkeit im Raum. Frische Luft und angenehmes Raumklima sind die Folge. Mit seiner hohen Diffusionsoffenheit und sehr guten Feuchtigkeitsregulation eignet sich Naturkalkputz auch hervorragend für die Fassadengestaltung. Er kann sehr viel Feuchtigkeit aufnehmen und später durch Verdunstung wieder abgeben. So wird Algen und Pilzen die Wachstumsgrundlage entzogen.
 
„Kalk ist ein Material, dem ich mich mit großer Leidenschaft verschrieben habe", erklärt Stefan Anton Pixner, Geschäftsführer der Firma Pixner GmbH in Münsing, ein Unternehmen für die Verarbeitung natürlicher Oberflächen und die Fachplanung von Farb- und Milieugestaltungen. „Wir beschäftigen uns mit der farbpsychologischen Wirkung von Schulen, Gewerbeprojekten, denkmalgeschützten Gebäuden und Bioläden sowie auch privaten Wohnräumen und schätzen dabei Kalk sehr." In seinem Buch, „Kalkfarben, Kalkspachtel", zeigt Pixner einen Querschnitt von Herstellern, Verarbeitern und vielen Praxisbeispielen aus dem gesamten Alpenraum und gibt damit hilfreiche Anregungen für den Umgang mit dem traditionsreichen Baustoff und Farbträger.
 
Weitere Informationen:

Lifestyle | Einrichten & Wohnen, 01.10.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2015 - Ertrinken wir in Plastik? erschienen.
     
        
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