BIOFACH 2025

Die Reise einer Idee

300 Jahre Nachhaltigkeit in Deutschland

1713 baute der Förster Hans Carl von Carlowitz sein Holz "nachhaltig" an. Heute hat der Begriff Hochkonjunktur, was viele nervt. Denn was genau steckt hinter dem Konzept, das Politik und Wirtschaft so gern verwenden?

Ich hielt Euch Jäger für sehr gemeine Menschen, deren Taten sich über das Töten des Wildes nicht erheben. - Aber ihr seid groß. - Ihr wirket unbekannt, unbelohnet, frei von des Egoismus Tyrannei - und Eures stillen Fleißes Früchte reifen der späteren Nachwelt noch. Friedrich Schiller © © Hendrik G. Vogel/ pixelio.de"Baum fällt!" - warnte Förster Hans seine Kollegen Anfang des 18. Jahrhunderts in Freiberg nahe Dresden. Dieser Ausruf dürfte auch heutigen Förstern geläufig sein. Und doch: Hans war anders. Denn er warnte auch vor den langfristigen Folgen des Bäumefällens. Er war derjenige, der uns die "Nachhaltigkeit" bescherte - und damit eine Menge Deutungsarbeit.

Denn was bedeutet Nachhaltigkeit? Darin steckt Dauerhaftigkeit, Zukunftsbeständigkeit, Tragfähigkeit, Sustainability: Statt einer klaren Definition nährt die Idee der Nachhaltigkeit das Konsensfähige und damit das Vage. Der Begriff "Nachhaltigkeit" gilt seinen Kritikern als Leerformel, die alles, was irgendwie gut, fair und umweltverträglich ist, beinhaltet. Für andere beheimatet das Konzept der Nachhaltigkeit die Hoffnung, eine Verbindung von Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung, gleich einem kategorischen Imperativ für die Nachhaltigkeit, zu schaffen. Doch wie ist Nachhaltigkeit in unseren Wortschatz geraten?

Schon im 18. Jahrhundert ist klar: Endliche Ressourcen lieber zurückbehalten

Im Jahr 1713 taucht der Begriff "nachhaltend" (von Nachhalt: "Rückhalt, was man zurückbehält") zum ersten Mal im deutschen Sprachgebrauch auf. Der Freiberger Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz gebrauchte ihn, um zu beschreiben, wie man Holz richtig anbaut. Es müsse eine "continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung" geben "ohne den Fortbestand des Landes" zu gefährden. Der Kern des deutschen Begriffs "Nachhaltigkeit" enthält also den Gedanken langfristiger Planung und das Aufsparen von Ressourcen für bessere Zeiten. Carlowitz ist einer der ersten, der das Konzept der Nachhaltigkeit operationalisiert hat, denn schon damals musste man mit knappen Ressourcen wirtschaften. Zu Lebzeiten leitete er den erzgebirgischen Silberbergbau und brauchte Lösungen, um Holzengpässe zu vermeiden. Er forderte, die Hauswärmedämmung zu verbessern und energiesparende Schmelzöfen zu verwenden, um Holz zu sparen. Eine wahre Effizienzrevolution. Für die Forstwirtschaft sah er die planmäßige Aufforstung durch das "Säen und Pflantzen von Bäumen" vor, sowie die Suche nach "Surrogata" (Substitutionen) von Holz durch fossile Brennstoffe. Seine Forderungen erinnern an die Diskussionen um die Energiewende: Sparen, die Effizienz vorantreiben und nach Alternativen - wie Erneuerbare Energien - suchen.

Neben einer ökologischen Wirtschaftsweise vermittelte Carlowitz auch sozialethische Grundsätze: Nahrung und Unterhalt stünden jedem zu, auch den "armen Unterthanen" und der "lieben Posterität" (damit sind die Nachkommen gemeint) - das sind bereits Anklänge einer intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit aus Sicht der heutigen Nachhaltigkeitsethik.

Die Menschen wollen nicht mehr schneller! besser! billiger!
Dass Carlowitz mit seiner Philosophie nicht an Aktualität verloren hat, zeigen diese Zahlen. Etwa 13 Millionen Hektar Naturwald gehen jedes Jahr verloren - was etwa zwölf bis 15 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen verursacht. Der Begriff der Nachhaltigkeit mag mit 300 Jahren im Greisenalter sein, seine Bedeutung ist topaktuell. Das exponentielle Wirtschaftswachstum braucht immer mehr Rohstoffe und feuert den Kampf darum an - weltweit steigt die Zahl der sozialen Krisenherde. "Die Kriege von morgen werden zweifellos um Ressourcen geführt", betont auch Prof. Dr. Klaus Töpfer, früherer Umweltminister und Generalsekretär des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Vor diesem Hintergrund wird seit Mitte der 1970er Jahre die Diskussion um die Linien einer dauerhaften Daseinssicherung geführt.

Durch die Ölkrise und die aufkommende Umweltbewegung der jungen BRD traten die "Grenzen des Wachstums" - bekannt durch das gleichnamige Buch des Club of Rome 1972 - ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Mit dem 1987 vorgelegten Brundtland-Bericht "Our common future" der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung erlangte das Konzept "sustainable development" internationale Aufmerksamkeit. Auf der UN-Vollversammlung 1992 in Rio de Janeiro verpflichteten sich 127 Staaten, nachhaltige Entwicklung als Leitbild anzunehmen und auf nationaler Ebene zu implementieren. Über den "richtigen" Umgang mit Ressourcen strebt Nachhaltigkeit gleichzeitig ökonomische Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit an. Zwar kann die Entwicklung zu einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft nicht mehr zurückgedreht werden. Doch immer mehr Menschen hinterfragen, ob sie mit schneller! besser! billiger! weitermachen wollen. Derzeit findet ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft der Industrieländer und ihren Institutionen statt. Wir erleben eine Neuorientierung von quantitativem zu qualitativem Wachstum. Im Vordergrund steht eine verbesserte Lebensqualität durch Regionalisierung (weniger Transportemissionen und Standortstärkung), Entschleunigung (z.B. Slow Food statt Fast Food) und bewussten Konsum (z.B. weniger, dafür gutes Fleisch essen).

Unternehmen bekennen sich zur Corporate Social Responsibility
Auch Unternehmen haben erkannt, dass sie den Planeten in ihrem eigenen Interesse vor Ausbeutung schützen sollten. Sie sind als gesellschaftliche Akteure, als "Bürger" (Corporate Citizen) in die Weltgemeinschaft eingebettet. Viele international tätige Unternehmen bekennen sich zur ihrer Verantwortung durch die Teilnahme am Global Compact der Vereinten Nationen. Darin verpflichten sie sich freiwillig, z.B. die Menschenrechte zu respektieren oder umweltfreundliche Technologien zu entwickeln und zu verbreiten. Prinzipiell interpretieren Unternehmen ihre Rolle für eine nachhaltige Entwicklung unterschiedlich: Bei der Corporate Social Responsibility (CSR) übernehmen sie freiwillig Verantwortung für Produkte, Herstellung und Lieferkette im Sinne ihrer Anspruchsgruppen, den sogenannten Stakeholdern (siehe S. 75 in dieser Ausgabe). Das Sustainability Management analysiert und bearbeitet die Umwelt- und Sozialthemen des wirtschaftlichen Handelns systematisch und strebt einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess an - z.B. über ein Umweltmanagementsystem wie die ISO 14.001 oder das European Eco-Management and Audit Scheme (EMAS). Unter CSR fallen auch das Corporate Giving - das Spenden an die Gemeinschaft - und das Corporate Volunteering, die freiwillige Mithilfe der Mitarbeiter in gemeinnützigen Projekten und Organisationen. So sorgen Firmen nicht nur für wirtschaftliche Wertschöpfung, sondern auch für "Social Value".

Neue Wirtschaftsmodelle wie Social Entrepreneurship sprießen
Junge Vorreiter aber auch etablierte und mutige Unternehmer setzen auf ein gänzlich neues Wirtschaftsdenken. Was, wenn mein Unternehmen nicht in erster Linie Profit erzielt, sondern ein soziales Problem löst? Tausende Unternehmer weltweit haben u.a. angeregt von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus in den vergangenen Jahren ein Social Business gegründet. Und sie sind damit erfolgreich, wie die Beispiele der öko-sozialen Bekleidungshersteller manomama oder des Ökostromanbieters Polarstern zeigen. Was, wenn wir in unsere Bilanzen nicht nur Finanzkennzahlen einbinden, sondern auch unseren Einfluss auf Gesellschaft und Umwelt? Die wachsende internationale Unterstützerzahl der Gemeinwohlökonomie macht aus dieser Idee Wirklichkeit, forum berichtete in Ausgabe 3/2012: Die Gemeinwohlbilanz bezieht in ihre Punktwertung auch Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Produkts, den Arbeitsbedingungen oder auch der Verteilung der Erträge ein.

Die neue Konsumentengeneration teilt lieber statt zu besitzen
Dass ein Bewusstseinswandel eingesetzt hat, erkennt man auch an den neuen Konsumformen. Zahlreiche Sharing Modelle fördern den gemeinschaftlichen Konsum von Produkten und Dienstleistungen mit großem Erfolg. Nutzen ist der neuen Generation von Konsumenten wichtiger als Besitzen; sie teilen ihr Auto, ihre Bohrmaschine, ja sogar ihre Wohnung, neuerdings auch das Taxi und sparen so Geld und Ressourcen. Die Genossenschaft erlebt ein Comeback und gibt auch anderen neuen Gesellschaftsformen Auftrieb. Jeder Anteilseigner kann dort unabhängig von der Höhe seiner Einlage aktiv an den gemeinschaftlichen Zielen mitarbeiten. Über 600 Kooperativen wurden in den letzten drei Jahren in Deutschland neu gegründet; insgesamt sind es 7.500, die hierzulande 800.000 Menschen Arbeit bieten.

Wer die Zukunft nicht mitgestaltet, der wird selbst gestaltet. Das gilt für Konsumenten wie für Unternehmen. 300 Jahre nachdem sich Hans Carl von Carlowitz Gedanken über langfristigen Holzanbau gemacht hat, stehen wir an einem Scheidepunkt. Jetzt gilt es, die Nachhaltigkeitsidee mit Leben zu füllen: Mit grünen Innovationen, ausgefallenen Geschäftsideen und Produkten, die nicht nach einem Jahr kaputt gehen.

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 14.01.2014

     
        
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