Geduld
Auch das wusste Goethe: Geduld passt nicht in eine Welt, die Zeit zu einer Ware macht
„Fluch vor allem der Geduld!" – spricht der Teufel, genauer Mephisto. So jedenfalls lässt Goethe ihn reden und entlarvt damit das Teuflische einer Gesinnung, für die er eigens ein Wort schuf: das Veluziferische. Es setzt sich zusammen aus velocitas (Geschwindigkeit) und Luzifer (Teufel) – und es markiert in Goethes Augen die Grundsignatur einer Epoche, deren Entstehung er mit Sorge verfolgte.
Heute, 200 Jahre nach Goethe, wird augenscheinlich, wozu der Fluch der Geduld geführt hat: zu einer umfassenden Beschleunigung des Lebens, in deren Folge man schwerlich jemanden trifft, der nicht über Zeitmangel klagte; zu einer Neigung zur Übereilung, die gegenwärtig in der Politik fragwürdige Blüten treibt (Syrieneinsatz); zu einer tiefsitzenden Angst, man könne etwas verpassen und der damit einhergehenden Unfähigkeit, einem Menschen oder einer Sache treu zu bleiben. Und warum?
Auch das wusste Goethe: Geduld passt nicht in eine Welt, die Zeit zu einer Ware macht. Wenn Zeit gleich Geld ist, hat Geduld keinen Wert mehr. Aber das tut uns nicht gut. Es entfremdet uns vom Leben. Geduld wurzelt in der Natur. Es reicht ein flüchtiger Blick in ihr Reich, um zu erkennen: Alles wächst nach seiner Zeit. Übereilung führt unweigerlich zu Schwäche und Verderben. Die Natur zu ignorieren heißt immer: in der Unwahrheit leben, unwesentlich sein. Es schadet auf Dauer.
Geduldig sein hingegen heißt: das Leben ernst nehmen; die Dinge so wachsen lassen, wie sie wachsen müssen – nicht wie wir es gerne hätten. Geduld schlägt Wurzeln, wo sie weilt. Und wo sie weilt, da ist man gut verwurzelt und gefestigt, wenn des Lebens Stürme an der Seele rütteln. Es liegt an uns, ihr Raum in uns zu geben. Es ist ganz einfach – wenn wir Goethe folgen. Seine Empfehlung lässt sich auf ein Wort verdichten: Verweilen. Verweilen in der Welt, bei dem, was ist. Verweilen heißt, der Welt begegnen – sie auf sich zukommen zu lassen, um so zuletzt auch zu sich selbst zu kommen.
***
Goethes Diagnose des modernen Lebensgefühls ist genial. Lange bevor es sinnenfällig wurde, hält er ihm bereits den Spiegel vor. In ihn zu blicken heißt: sich selbst verstehen lernen. Und Kraft und Energie daraus zu tanken, von Goethe Perspektiven gezeigt zu bekommen, wie ein echtes und lebendiges Leben auch dann gelingen kann, wenn „alles ultra" ist, wie er es nannte. Goethe als Seelencoach neu zu entdecken – das möchte ich mit Ihnen bei meinem ersten Seminar im neuen Jahr: „Alles, mein Teuerster, ist jetzt ultra" vom 29.-31 Januar 2016 in Bayreuth. Übereilen Sie nichts – folgen Sie einfach Ihrem Herzen… und melden sich dann an ...
Liebe Leserinnen und Leser,
ich gestehe offen: Geduld ist nicht meine Stärke. War es noch nie. Gerade als Kind in der Vorweihnachtszeit war ich furchtbar ungeduldig. Jetzt ertappe ich mich dabei, dass ich ungeduldig auf Anmeldungen zu meinen schönen Reisen und Seminaren warte. Daher erlauben Sie die Frage: Haben Sie schon ins neue Jahres-programm geschaut? Ich hoffe, für Sie ist etwas dabei. So eine „Kleine Flucht zum Geist" könnte ja durchaus auch ein Geschenk für Ihre Lieben sein…
Eine schöne Rest-Adventszeit wünscht herzlich
Christoph Quarch
ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de
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