Reisen Sie Sinn-voll?
Fritz Lietsch im Gespräch mit Kai Pardon, einem der Pioniere für sanftes Reisen.
Und was noch?
Zum anderen bedeutet dieses „mit Sinnen" für
mich auch, dass Reisen nachhaltig sind, also Reisende und Bereiste etwas
davon haben, wie zum Beispiel Völkerverständigung, Emanzipation und
wirtschaftliche Teilhabe. Wir arbeiten mit sozialen und ökologischen
Projekten in unseren Destinationen in Asien oder Afrika zusammen, die
unsere Gäste dann auf den Reisen besuchen. Auch übernachten wir schon
mal bei Einheimischen zu Hause, zum Beispiel in einem traditionellen
Stelzenhaus in Laos oder in einer Hütte auf den Kapverdischen Inseln.
Das sind echte Erlebnisse, bei denen beide Seiten profitieren.
Gibt es demnach auch „sinnlose" Reisen?
Das kann man sicher so sehen. Jeder Reisende
hat das Recht, seinen Urlaub so zu verbringen, wie er das möchte. Es ist
sicher nicht sinnvoll, übers Wochenende eben mal zum Shoppen nach New
York oder zum Golfen nach Spanien zu fliegen. Etliche Reiseformen sind
weder sozialverträglich noch umweltschonend.
Wie kam es vor 20 Jahren zur Gründung Ihrer Firma und welche Idee und Motivation stecken dahinter?
Ich hatte damals, kurz vor der Gründung von
ONE WORLD, meine Diplomarbeit zum Thema „Auswirkung des Tourismus auf
Altvölker auf Borneo" geschrieben. Die drängende Frage, die ich mir
schon damals stellte, war, ob Tourismus nicht auch anders gehen kann –
mit direkterem Kontakt zu den Einheimischen, mehr Austausch, mehr
Begegnung. Und genau das haben wir damals versucht umzusetzen und es ist
bis heute unser Credo. Wir möchten Menschen zusammenbringen, ohne dabei
eine folkloristische Verzerrung eines Landes zu zeigen. Jede
authentische Begegnung bleibt weit länger in den Köpfen und Herzen der
Reisenden als ein austauschbares 5-Sterne-Hotel. Anfangs habe ich viele
Reisen selbst begleitet. Inzwischen haben wir 20 Mitarbeitende in
unserem Dortmunder Büro, zahlreiche Reiseleiter, die fast überall auf
der Welt für uns im Einsatz sind und zwei Incoming-Agenturen auf den
Kapverdischen Inseln und den Azoren.
Die Deutschen waren ja auch 1995 schon
umweltbewusst und offen für Themen dieser Art. Hat Ihnen das geholfen
oder mussten Sie doch einige Widerstände überwinden?
Vor 20 Jahren waren wir ein echter
Außenseiter, unsere Art des Reisens war einfach neu und unbekannt. Daher
mussten wir unsere Gäste natürlich erstmal von unserem Stil überzeugen
und Vertrauen aufbauen. Wir hatten Glück, dass unser Reisestil schon
damals von den Medien außergewöhnlich gut wahrgenommen wurde. Wir
erhielten seit dem zweiten Jahr viele Awards und Touristik-Preise. Als
kleiner Nischenveranstalter fehlten uns zu Beginn natürlich auch
Kontakte und Netzwerke. Meine Ausbildung, ich bin diplomierter
Raumplaner, hatte ja zunächst nicht viel mit Tourismus an sich zu tun.
Wir haben quasi bei Null begonnen und in den vergangenen 20 Jahren ein
Unternehmen aufgebaut, das heute eine sehr solide Basis, ein
gemeinschaftliches Leitbild hat.
Und heute? Was sind heute die größten Herausforderungen?
Die Tourismusindustrie entwickelt sich rasant
weiter. Natürlich ändern sich auch die Gästewünsche. Wir können als
kleines Unternehmen sehr schnell reagieren. Kreativität und
Professionalität unterstützen uns dabei, sinnvolle und notwendige
Modifikationen zügig vorzunehmen. Wir entwickeln uns weiter, bleiben
dabei aber unserer Linie treu. Eine wichtige Säule und Konstante ist und
bleibt die Nachhaltigkeit. Da gibt es schon unzählige
Herausforderungen, wie z.B. Umweltbelastungen durch Flugemissionen,
Plastikmüll in den Ozeanen, Abhängigkeit vieler ärmerer Länder vom
Tourismus, Wasserknappheit etc.
Wir sind seit vielen Jahren CSR-zertifiziert und wurden bereits zweimal rezertifiziert. Dieser Prozess hilft uns sowohl bei der Verbesserung der internen Prozesse, als auch bei der Umsetzung von qualitativ hochwertigen und möglichst nachhaltigen Produkten. Qualitätsmanagement ist inzwischen existentiell für unser Unternehmen. Wir gestalten ein Stück weit die touristische Entwicklung in Deutschland mit. ONE WORLD ist Mitglied des Roundtables für Menschenrechte. Hier wurde ein Verhaltenskodex entwickelt. Ich selbst bin Vorstandsmitglied im Unternehmerverband „forum anders reisen".
Nachhaltigkeit ist ja heutzutage in
aller Munde. Auch im Tourismus wird viel darüber geredet und viele
Unternehmen schmücken sich mit „grünen" Reisen. Wie sehen Sie das?
Prinzipiell ist das für mich eine gute
Entwicklung. Es ist wichtig, dass dem Urlauber bewusst wird, dass durch
seine Reise eventuell Folgeschäden verursacht werden. Nur so kann
langsam, aber stetig ein Wandel vollzogen werden. Wir sehen es als
unsere Aufgabe, unsere Gäste zu sensibilisieren und zu informieren. Was
wir aber auf keinen Fall wollen: ermahnen oder mit erhobenem Zeigefinger
sagen ‚wie kannst du nur?‘.
Und Sie nehmen das auch den großen Unternehmen ab, wenn sie von Nachhaltigkeit sprechen?
Natürlich bin ich skeptisch, wenn die Big
Player im Tourismus mit immer mehr „grünen" Produkten an den Markt
gehen. Dabei steht ja auch die Reputation des ganzen nachhaltigen
Tourismuszweigs auf dem Spiel. Viele dieser Unternehmen hängen sich
leider aus PR-Gründen ein grünes Mäntelchen um. Green-Washing soll
diesen Unternehmen in der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches und
verantwortungsbewusstes Image verleihen.
100-prozentige Nachhaltigkeit versprechen Sie ja mit den Reisen in Ihrem zusätzlichen Katalog „Luxus Natur". Für viele Menschen ist Luxus aber immer noch ein dickes Auto, eine Rolex, eine Weltreise. Sie sehen das offenbar anders.
100 Prozent ist schwierig. Aber fast! Immerhin wird jede Reise einem Klimacheck unterzogen. Der Verbraucher kann sich daran orientieren. Ich würde Luxus heute nicht mehr mit Konsumwerten erklären. Luxus ist nicht das austauschbare 6-Sterne-Hotel in Dubai, der Wochenend-Shopping-Trip nach New York oder „all you can eat". Im Zeitalter von Klimaveränderung, ungesteuertem Konsum, der Sehnsucht vieler Menschen nach sauberer Luft, intakter Umwelt, gesunder Ernährung und nachvollziehbaren politischen Strategien hat die Natur diesen Status längst erreicht.
Und wie haben Sie das bei Ihren Reiseangeboten umgesetzt?
Seit 20 Jahren bieten wir Reisen in ferne
Destinationen an. Vor vier Jahren haben wir entschieden, dass wir auch
die Schönheit vor unserer Haustür à la „Reisen mit Sinnen"
interessierten Gästen näher bringen möchten. Luxus Natur-Reisen können
nicht selbst organisiert werden. Diese Reisen führen durch Deutschland
und unsere direkten Nachbarn. Das Besondere ist, dass diese Reisen nicht
von einem Reiseleiter betreut werden, sondern von fast täglich
wechselnden Experten, die unseren Gästen unterschiedlichere oder auch
überraschende Perspektiven eröffnen. Mit einem Geologen untersuchen wir
zum Beispiel die Vulkane in der Eifel und lernen dabei etwas über die
Klimaentwicklung der letzten 20.000 Jahre. Oder wir wandern mit einem
lokalen Künstler über den Malerweg in der Sächsischen Schweiz. Im
Wattenmeer zeigt uns ein Biologe die unzähligen Lebewesen im Schlick.
Deutschland ist vielfältiger, als wir alle denken. Übernachtet wird in
ausgewählten BIO-Hotels, die Verpflegung ist Bio oder kommt direkt von
lokalen Erzeugern.
Was würden Sie sich von der Politik, Ihren Mitbewerbern und Kunden für die Zukunft wünschen?
Toll wäre es, wenn unsere Mitbewerber ihre
Produkte klischeefreier vermarkten würden. Reisen sind ein imaginäres
Produkt. Der Verbraucher weiß, wenn er drei Wochen vor Reiseantritt den
vollen Reisepreis bezahlt hat, nicht genau, was er wirklich bekommt. Ich
wünsche mir, dass die Branche den Kunden besser über die Auswirkungen
seiner Reise informiert. So kann das Bewusstsein Schritt halten mit
einer unbedarften Urlaubsfreude. Die Politik sollte mehr Einfluss
nehmen, z.B. bei Investitionen von Weltkonzernen im Tourismus: Zuhause
in Deutschland gibt es bei touristischen Großprojekten, wie dem Bau
eines großen Hotels, Auflagen. Wenn derselbe Investor in vom Tourismus
abhängigen Ländern investiert, diktiert oft der Konzern die Art und
Weise des Handelns.
Herr Pardon, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen erfolgreiches Wirtschaften „mit Sinnen".
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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