Willkommenskultur in Deutschland
Entwicklung und Herausforderungen - die Ergebnisse der Bertelsmannstudie Willkommenskultur in Deutschland
Die Willkommenskultur in Deutschland wird 2015 von der Bevölkerung positiver gesehen als noch vor wenigen Jahren. Das zeigt der Vergleich der aktuellen repräsentativen TNS Emnid- Bevölkerungsumfrage mit jener, die die Bertelsmann Stiftung im Dezember 2012 in Auftrag gegeben hatte. Sechs von zehn Befragten sagen, Einwanderer werden vor Ort freundlich empfangen. 2012 meinten das nur 49 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen und stellten damit der Willkommenskultur im Land ein eher schlechtes Zeugnis aus. In ihrer Wahrnehmung wächst demnach eine Kultur des Willkommens im Land. Auch bei der Frage, inwieweit staatliche Stellen in den Kommunen Einwanderer willkommen heißen, deutet sich eine positive Entwicklung an. Waren 2012 noch zwei von drei Befragten dieser Ansicht, sagen das 2015 annähernd drei von vier Befragten.
Einwanderungsland Deutschland gewinnt an Reife
Einwanderer sehen sich mit gestiegenen
Erwartungshaltungen von Seiten der Bevölkerung konfrontiert. Zugleich
steigen aber auch die Ansprüche an die eigene Willkommenskultur und in
der Folge die Bereitschaft, Einwanderer mit gezielten Hilfestellungen zu
unterstützen – in dieser Kombination Ausdruck dafür, dass Deutschland
ein reiferes Einwanderungsland geworden ist. So sagen einerseits nahezu
alle Befragten, dass sich Einwanderer um ein gutes Zusammenleben mit
Deutschen bemühen sollten. Drei von vier erwarten von Einwanderern, sich
an die deutsche Kultur anzupassen. Andererseits wünschen sich aber auch
80 Prozent, dass Einwanderer mehr von ihrer eigenen Kultur vermitteln.
Zudem sprechen sich wachsende Anteile in der Bevölkerung für spezielle
Hilfen für Einwanderer beim Arbeitsamt aus. Drei von vier Befragten
sehen Handlungsbedarf bei der Anerkennung im Ausland erworbener Schul-
und Berufsabschlüsse. 62 Prozent befürworten, dass dauerhafter
Aufenthalt ermöglicht werden sollte. Eine Mehrheit spricht sich überdies
für die erleichterte Einbürgerung in Deutschland sowie für
Gesetzesinitiativen aus, die die Benachteiligung von Einwanderern
bekämpfen.
Die Bevölkerung bleibt hin- und hergerissen
Trotz der Fortschritte schwankt die
Bevölkerung weiterhin in der Frage, ob Zuwanderung die Gesellschaft
bereichert oder ihr eher schadet. Zwar sehen Mehrheiten klare Vorteile:
für die Ansiedlung internationaler Firmen, für ein interessanteres Leben
in Deutschland und für die demographische Entwicklung. Andererseits
verbinden deutliche und im Vergleich zu 2012 stabile Mehrheiten
Einwanderung weiterhin mit Problemen, zum Beispiel in Schulen oder mit
Blick auf vermeintliche Belastungen des Sozialstaats. Zwei von drei
Befragten sehen generell Konfliktpotenzial mit Einheimischen.
In Ostdeutschland wächst die Skepsis
Ob Schulprobleme, vermeintliche Belastung des
Sozialstaats oder Konfliktpotenzial: Die Skepsis gegenüber Einwanderern
ist in den neuen Bundesländern ausgeprägter als in den alten. Während in
Westdeutschland lediglich ein Drittel der Befragten glaubt, Einwanderer
seien nicht willkommen, glaubt das im Osten fast jeder Zweite. Der
Vergleich zu 2012 zeigt, dass die Einstellungen punktuell
auseinanderdriften und offenbart somit mit Blick auf Einwanderer stärker
gegenläufige gesellschaftliche Tiefenströmungen in Ost und West – und
das vor dem Hintergrund, dass in Ostdeutschland kaum Menschen mit
Migrationshintergrund leben.
In Deutschland werden die Effekte des demographischen Wandels unterschätzt
In Deutschland existiert zwar ein Bewusstsein
für die Effekte des demographischen Wandels. Gleichwohl werden seine
Auswirkungen unterschätzt. So glaubt mehr als jeder Vierte, Deutschland
werde in den nächsten Jahrzehnten ohne Zuwanderung gar nicht oder kaum
schrumpfen. Demgegenüber prognostiziert das Statistische Bundesamt bis
2060 ohne Einwanderer einen Bevölkerungsrückgang um über 20 Millionen
Menschen. Entsprechend uneinig sind die Befragten darüber, mit welchen
Strategien eine älter werdende Gesellschaft einem drohenden
Fachkräftemangel begegnen soll. 34 Prozent meinen, Deutschland solle
mehr Fachkräfte aus dem Ausland holen. Jeder fünfte Befragte ist
hingegen der Ansicht, es gebe gar keinen Mangel an Fachkräften.
Der lange und mühsame Weg zur Anerkennung
Ohne Dolmetscher und geschulte Kenner der
Bürokratiemaschine haben MigrantInnen ohne Sprachkenntnisse wirklich
keine Chance in strukturierter Form seinen ersten Verpflichtungen
nachzukommen.
Nach langer Odyssee müssen sie sich zuerst einmal mit beengten Wohnbedingungen vertraut machen, um dann die einzelnen Prozesse für eine Anerkennung und das Bleiberecht zu erhalten. Es dauert es sehr oft Monate, manchmal mehrere Jahre, bis echte Ruhe für die Asyl suchenden Menschen eintritt. Es sind vor allem die Familien mit Kindern, die darunter leiden. Wer von uns könnte da nur einen Monat in diesem Dauerstress leben, ohne Depressionen zu bekommen.
Anbei zeigen wir einen Ausschnitt der Anmelde-Prozesse in verschiedenen Charts. Es sind Landkarten der Orientierung und zugleich oft Wegführung von vorgezeichneten Frustrationen.
Irgendwie wirken Grafiken so rational, so eindeutig, gut choreographiert. Folgt man den vorgezeichneten Wegen, sind es die Erlebnisse und Erfahrungen auf diesen Pflicht-Pfaden meist nicht.
Den Kopf nicht in den Sand stecken
Wir wagen einen gewagten Blick in die Zukunft.
Die Flüchtlinge sind im Land. Wir müssen die Situation unter
verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, analysieren, langfristig
durchdenken und jetzt anpacken und handeln.
Bisher haben wir beispielhaft Fluchtszenarien und deren Ursachen abgebildet. Die Auswirkungen haben uns 2015 besonders getroffen. Deutschland muss sich nun mit dem Thema Flucht, Migration und Integration auseinandersetzen. Wir werden qualifiziert mit der Ursachenforschung der Ereignisse umgehen müssen; auf hohem Niveau, wie wir dies beim Aufbau unserer Wirtschaftskraft nach dem Zweiten Weltkrieg getan haben. Mit Eigenschaften, die weltweit noch immer respektiert werden. Dazu werden alle Gesellschaftsschichten ihren Anteil beitragen müssen. Vor allem die Wirtschaft, Schulen, Wohlfahrtsverbände, um nur einige zu nennen.
Wenn wir noch etwas mehr Weitsicht wagen, könnten die augenblicklichen Ereignisse, die ja nur für uns in Deutschland so neu erscheinen, eine gute Übung und Vorbereitung für künftige Szenarien werden. In diesem Sinne nutzen wir die jetzt gestellten Aufgaben der Integration als Vorbereitung, als warm up", als Lab für künftige Ereignisse, die noch mehr Flucht-, Migrations- und Integrationsszenarien mit sich bringen könnten. Spätestens dann wird auch Europa gefordert sein, sowohl in territorialer Hinsicht als auch mit Blick auf sein gesellschaftliches Engagement. Wir schließen den ersten Teil unseres Schwerpunktes mit einer Grafik der UNU-EHS, Institute for Environment and Human Security und widmen uns dann den Aktionen, den Lösungsansätzen, dem wunderbaren Engagement von Bürgern, Institutionen, Medienplattformen und Unternehmen.
Quelle: TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung 01/2015
Gesellschaft | Migration & Integration, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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