BIOFACH 2025

Willkommenskultur in Deutschland

Entwicklung und Herausforderungen - die Ergebnisse der Bertelsmannstudie Willkommenskultur in Deutschland

In der Bevölkerung wächst das Bewusstsein dafür, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, die Offen­heit gegenüber Einwanderern nimmt zu. Aber das Land bleibt mit Blick auf Zuwanderung gespalten. Vor allem der Osten ist skeptisch.
 
Willkommenskultur wird positiver gesehen
Die Willkommenskultur in Deutschland wird 2015 von der Bevölkerung positiver gesehen als noch vor wenigen Jahren. Das zeigt der Vergleich der aktuellen repräsentativen TNS Emnid- Bevölkerungsumfrage mit jener, die die Bertelsmann Stiftung im Dezember 2012 in Auftrag gegeben hatte. Sechs von zehn Befragten sagen, Einwanderer werden vor Ort freundlich empfangen. 2012 meinten das nur 49 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen und stellten damit der Willkommenskultur im Land ein eher schlechtes Zeugnis aus. In ihrer Wahrnehmung wächst demnach eine Kultur des Willkommens im Land. Auch bei der Frage, inwieweit staatliche Stellen in den Kommunen Einwanderer willkommen heißen, deutet sich eine positive Entwicklung an. Waren 2012 noch zwei von drei Befragten dieser Ansicht, sagen das 2015 annähernd drei von vier Befragten.
 

Einwanderungsland Deutschland gewinnt an Reife
Foto: © TakverEinwanderer sehen sich mit gestiegenen Erwartungshaltungen von Seiten der Bevölkerung konfrontiert. Zugleich steigen aber auch die Ansprüche an die eigene Willkommenskultur und in der Folge die Bereitschaft, Einwanderer mit gezielten Hilfestellungen zu unterstützen – in dieser Kombination Ausdruck dafür, dass Deutschland ein reiferes Einwanderungsland geworden ist. So sagen einerseits nahezu alle Befragten, dass sich Einwanderer um ein gutes Zusammenleben mit Deutschen bemühen sollten. Drei von vier erwarten von Einwanderern, sich an die deutsche Kultur anzupassen. Andererseits wünschen sich aber auch 80 Prozent, dass Einwanderer mehr von ihrer eigenen Kultur vermitteln. Zudem sprechen sich wachsende Anteile in der Bevölkerung für spezielle Hilfen für Einwanderer beim Arbeitsamt aus. Drei von vier Befragten sehen Handlungsbedarf bei der Anerkennung im Ausland erworbener Schul- und Berufsabschlüsse. 62 Prozent befürworten, dass dauerhafter Aufenthalt ermöglicht werden sollte. Eine Mehrheit spricht sich überdies für die erleichterte Einbürgerung in Deutschland sowie für Gesetzesinitiativen aus, die die Benachteiligung von Einwanderern bekämpfen.

 

Die Bevölkerung bleibt hin- und hergerissen
Trotz der Fortschritte schwankt die Bevölkerung weiterhin in der Frage, ob Zuwanderung die Gesellschaft bereichert oder ihr eher schadet. Zwar sehen Mehrheiten klare Vorteile: für die Ansiedlung internationaler Firmen, für ein interessanteres Leben in Deutschland und für die demographische Entwicklung. Andererseits verbinden deutliche und im Vergleich zu 2012 stabile Mehrheiten Einwanderung weiterhin mit Problemen, zum Beispiel in Schulen oder mit Blick auf vermeintliche Belastungen des Sozialstaats. Zwei von drei Befragten sehen generell Konfliktpotenzial mit Einheimischen.

 

In Ostdeutschland wächst die Skepsis
Ob Schulprobleme, vermeintliche Belastung des Sozialstaats oder Konfliktpotenzial: Die Skepsis gegenüber Einwanderern ist in den neuen Bundesländern ausgeprägter als in den alten. Während in Westdeutschland lediglich ein Drittel der Befragten glaubt, Einwanderer seien nicht willkommen, glaubt das im Osten fast jeder Zweite. Der Vergleich zu 2012 zeigt, dass die Einstellungen punktuell auseinanderdriften und offenbart somit mit Blick auf Einwanderer stärker gegenläufige gesellschaftliche Tiefenströmungen in Ost und West – und das vor dem Hintergrund, dass in Ostdeutschland kaum Menschen mit Migrationshintergrund leben.

 

In Deutschland werden die Effekte des demographischen Wandels unterschätzt
In Deutschland existiert zwar ein Bewusstsein für die Effekte des demographischen Wandels. Gleichwohl werden seine Auswirkungen unterschätzt. So glaubt mehr als jeder Vierte, Deutschland werde in den nächsten Jahrzehnten ohne Zuwanderung gar nicht oder kaum schrumpfen. Demgegenüber prognostiziert das Statistische Bundesamt bis 2060 ohne Einwanderer einen Bevölkerungsrückgang um über 20 Millionen Menschen. Entsprechend uneinig sind die Befragten darüber, mit welchen Strategien eine älter werdende Gesellschaft einem drohenden Fachkräftemangel begegnen soll. 34 Prozent meinen, Deutschland solle mehr Fachkräfte aus dem Ausland holen. Jeder fünfte Befragte ist hingegen der Ansicht, es gebe gar keinen Mangel an Fachkräften.   

Infographik: Ablauf des Aufnahmeverfahrens am Beispiel des dritten Bundesprogramms Quelle: SVR-Forschungsbereich/Deniz Keskin - Klicken Sie auf die Graphik zum VergrößernDer lange und mühsame Weg zur Anerkennung
Ohne Dolmetscher und geschulte Kenner der Bürokratiemaschine haben MigrantInnen ohne Sprachkenntnisse wirklich keine Chance in strukturierter Form seinen ersten Verpflichtungen nachzukommen.

 

Nach langer Odyssee müssen sie sich zuerst einmal mit beengten Wohnbedingungen vertraut machen, um dann die einzelnen Prozesse für eine Anerkennung und das Bleiberecht zu erhalten. Es dauert es sehr oft Monate, manchmal mehrere Jahre, bis echte Ruhe für die Asyl suchenden Menschen eintritt. Es sind vor allem die Familien mit Kindern, die darunter leiden. Wer von uns könnte da nur einen Monat in diesem Dauerstress leben, ohne Depressionen zu bekommen.

 

Anbei zeigen wir einen Ausschnitt der Anmelde-Prozesse in verschiedenen Charts. Es sind Landkarten der Orientierung und zugleich oft Wegführung von vorgezeichneten Frustrationen.

 

Irgendwie wirken Grafiken so rational, so eindeutig, gut choreographiert. Folgt man den vorgezeichneten Wegen, sind es die Erlebnisse und Erfahrungen auf diesen Pflicht-Pfaden meist nicht.

 

Den Kopf nicht in den Sand stecken
Wir wagen einen gewagten Blick in die Zukunft. Die Flüchtlinge sind im Land. Wir müssen die Situation unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, analysieren, langfristig durchdenken und jetzt anpacken und handeln.

 

Bisher haben wir beispielhaft Fluchtszenarien und deren Ursachen abgebildet. Die Auswirkungen haben uns 2015 besonders getroffen. Deutschland muss sich nun mit dem Thema Flucht, Migration und Integration auseinandersetzen. Wir werden qualifiziert mit der Ursachenforschung der Ereignisse umgehen müssen; auf hohem Niveau, wie wir dies beim Aufbau unserer Wirtschaftskraft nach dem Zweiten Weltkrieg getan haben. Mit Eigenschaften, die weltweit noch immer respektiert werden. Dazu werden alle Gesellschaftsschichten ihren Anteil beitragen müssen. Vor allem die Wirtschaft, Schulen, Wohlfahrtsverbände, um nur einige zu nennen.

 

Wenn wir noch etwas mehr Weitsicht wagen, könnten die augenblicklichen Ereignisse, die ja nur für uns in Deutschland so neu erscheinen, eine gute Übung und Vorbereitung für künftige Szenarien werden. In diesem Sinne nutzen wir die jetzt gestellten Aufgaben der Integration als Vorbereitung, als warm up", als Lab für künftige Ereignisse, die noch mehr Flucht-, Migrations- und Integrationsszenarien mit sich bringen könnten. Spätestens dann wird auch Europa gefordert sein, sowohl in territorialer Hinsicht als auch mit Blick auf sein gesellschaftliches Engagement. Wir schließen den ersten Teil unseres Schwerpunktes mit einer Grafik der UNU-EHS, Institute for Environment and Human Security und widmen uns dann den Aktionen, den Lösungsansätzen, dem wunderbaren Engagement von Bürgern, Institutionen, Medienplattformen und Unternehmen.

 

Quelle: TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung 01/2015


Gesellschaft | Migration & Integration, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
     
        
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