Wie neue Lebensstile die Umwelt entlasten
Ökologie und Ökonomie sind keine Gegensätze
Umweltschutz heißt heute „Grünes Wachstum" durch Erneuerbare Energien. Neue Lebensstile und Konsummuster bewirken genauso viel wie Solaranlagen, brauchen aber keine Fläche und kosten nichts.
Wir tun uns als Gesellschaft schwer damit, das gewachsene Umweltbewusstsein in den Umbau der Wirtschaft und unserer Infrastrukturen fließen zu lassen. Ökologie und Ökonomie sind keine Gegensätze, da sind sich Industrie- und Handelskammern, Gewerkschaften, Umweltverbände und Kirchen einig. Aber was bedeutet das für Infrastrukturen, Produktionsweisen und Lebensstile?
Ein gewisser Konsens scheint sich dahingehend abzuzeichnen, dass wir nach der Phase des „end-of-pipe"-Umweltschutzes der Filter, Katalysatoren, Klärtechniken und Mülltrennung nun den „integrierten Umweltschutz" forcieren müssen. Aus dem politischen Raum kennen wir den Begriff als „ökologische Industriepolitik", „ökologische Modernisierung", „Green New Deal" oder „Grünes Wachstum".
„Grünes Wachstum" gibt es nicht zum ökologischen Nulltarif
Im Zentrum stehen die Verbesserung der
Ressourcen- und Energieeffizienz, die Abfallvermeidung, das
Stoffstrom-Management, die Einführung geschlossener Wasserkreisläufe und
schadstoffarmer Produkte und Verfahren, vor allem aber der Einsatz
erneuerbarer Energie- und Rohstoffquellen (Wind, Sonne, Wasser,
Biomasse, Erdwärme). Es tut sich ein weites Feld der Möglichkeiten auf,
auch neue Arbeitsplätze winken. Für ein Industrieland wie Deutschland
ist eine solche grüne Modernisierungsstrategie von hoher
wirtschaftlicher Attraktivität: Die Wertschöpfung bleibt im Land, die
Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Zukunftsmärkten
wachsen. Nicht zuletzt lassen sich zumindest mittelfristig Kosten sparen
– spätestens dann, wenn „Peak Oil", „Peak Gas", „Peak Everything" und
die entsprechenden Verknappungen mit ihren Preiseffekten voll
zuschlagen.
Energieeinsparung, verbesserte Energieeffizienz und der Ausbau Erneuerbarer Energien bedeuten makroökonomisch nichts anderes, als (teure) Energieimporte und (umweltschädliche) inländische Kohleförderung durch Ingenieursverstand, Handwerksleistungen und Technologie aus Deutschland zu ersetzen.
Bis Mitte des Jahrhunderts werden uns Erneuerbare Energien weitgehend vollversorgen. Aber auch an diese flächenintensive Energieerzeugungsform müssen wir ökologische Anforderungen stellen, die über die reine CO2-Bilanz hinausgehen. Erneuerbare Energie ist nicht zum ökologischen Nulltarif zu haben. Denn sie braucht viele Rohstoffe und viel Fläche.
Die „Wachstumsfrage" ist heikel, drängt aber
In einer Wirtschaft, die sich an permanentem
Wachsen und Konsum orientiert, machen Mengeneffekte den eingesparten
Ressourcen- und Energieverbrauch wieder hinfällig. Das ist der so
genannte „Rebound"-Effekt. Zwar haben wir sparsamere Autos – aber immer
mehr davon. Effizientere Elektrogeräte – aber immer mehr elektrische
Anwendungen. Weniger Heizenergiebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche –
aber immer mehr Wohnfläche pro Kopf. Im Ergebnis bleibt der
Ressourcenverbrauch trotz technischen Fortschritts konstant oder steigt.
Wir müssen uns also mit der „Wachstumsfrage" beschäftigen, auch wenn
das politisch heikel ist.
Neben der Technologie bestimmen auch unsere Lebensstile den Umwelt- und Ressourcenverbrauch: unser Fleischkonsum, unser Mobilitätsverhalten, unsere Art zu wohnen, zu arbeiten, zu kommunizieren, zu reisen und einzukaufen. Hier liegt gewaltiges Potenzial, um die Umwelt zu entlasten: Wenn wir die notwendige Erwerbsarbeitszeit zwischen allen besser aufteilen und reduzieren, verbrauchen wir weniger Ressourcen. Wenn wir weniger Fleisch essen, weniger wegwerfen, mehr wiederverwerten, mehr gemeinschaftlich nutzen, mehr Verantwortung übernehmen und unser Geld sinnvoll anlegen, dann ist das im Regelfall gut für die Natur, den sozialen Zusammenhalt und die individuelle Zufriedenheit.
Soziale Innovationen entlasten die Umwelt genauso wie Windräder
Es gibt viele immaterielle Konzepte, die die
Umwelt genauso entlasten wie Windräder und Solaranlagen:
Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften, Energiegenossenschaften,
Car-Sharing, Fahrradleihsysteme, Mitfahr- oder Mitwohnzentralen,
öffentliche Transportsysteme, Recyclingbörsen, Tauschringe,
gemeinschaftliche Stadtgärten oder Wohnprojekte, aber auch
Übergangsnutzungen leerstehender Immobilien.
Es geht darum, die Resilienz von Gesellschaften, also die Unabhängigkeit von permanentem Wirtschaftswachstum, zu erhöhen. Ein System, das nur funktioniert, wenn es wächst und kollabiert, sobald Wachstum ausbleibt, ist weder sozial noch ökonomisch haltbar.
Es gibt eine Tendenz, ökologische Politik auf Technologie und „grünes Wachstum" zu reduzieren. Das ist nachvollziehbar und dennoch falsch; vor allem ist es bequem. Was wir ebenso sehr brauchen wie Technologiesprünge sind soziale Innovationen und ein Kulturwandel, der den Zwang zum ewigen Mehr überwindet und immaterielle Werte (re-)kultiviert.
Die Politik kann das nicht verordnen, wohl aber unterstützen. Vor allem die städtische Kommunalpolitik kann viele der genannten sozialen Innovationen fördern. Weltweit sind urbane Ballungsräume die bevorzugten Experimentierfelder für kulturelle Neuerungen. Die Politik sollte „Transition Towns" (Städte im Wandel), „Commoning" (Gemeinsame Nutzung, Pflege und Entwicklung öffentlicher Güter) oder „Social Banking" (Wiederindienstnahme des Finanzsektors für eine nachhaltige Entwicklung von Gesellschaft und Realwirtschaft) genau beobachten und zu verstehen versuchen. Sonst verpasst sie den Anschluss und verliert weitere Legitimation.
Dr. Reinhard Loske
war bremischer Senator für Umwelt,
Bau, Verkehr und Europa (2007 bis 2011), Mitglied des Bundestages,
stellvertretender Vorsitzender der Fraktion „Bündnis90/Die Grünen" (1998
bis 2007) und Wissenschaftler am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt
und Energie (1992 bis 1998). Heute berät Loske weltweit Regierungen in
energie- und verkehrspolitischen Fragen. Im Mai 2012 erschien sein Buch
„Wie weiter mit der Wachstumsfrage?".
Lifestyle | LOHAS & Ethischer Konsum, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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