Renaissance der Waldbienenhaltung

Ein vergessenes Handwerk lebt wieder auf!

Es ist das zweite Mal überhaupt in Deutschland, dass dieses bei uns und in ganz Mitteleuropa spätestens seit dem 19. Jahrhundert vergessene Handwerk der Waldimkerei (Zeidlerei) in Form eines intensiven mehrtägigen Kurses in den Fokus gerückt wurde. Imker, die sich mit der natürlichen, so genannten „wesensgemäßen" Bienenhaltung beschäftigen, kommen heute um die Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Imkerns nicht herum: Sie ist naturnah und entspricht am ehestem dem von den Bienen selbst gewählten Bedingungen in natürlichen Baumhöhlen.
 
Imker aller Couleur folgen dem Ruf zum Ursprung
Ein seit dem 19. Jahrhundert vergessenes Handwerk: Die Waldimkerei (Zeidlerei) setzt die Ursprünge der Imkerei wieder in den Fokus. Foto: Dorothea Scheidl-Nennemann Vom 21. bis 24. April 2016 fand an die Fischermühle ein von Mellifera e. V. organisierter Kurs statt, um interessierten Imkern theoretisches Expertenwissen zu vermitteln, umfassende Einblicke zu geben und praktische Erfahrungen zu ermöglichen. Imkermeister und Bienenvater Norbert Poeplau leitet hier die Lehr- und Versuchsimkerei mit derzeit 150 Bienenvölkern. Mit den Referenten Przemyslaw Nawrocki, Jacek Adamczewski und Andrzej Pazura aus Polen waren altes Wissen und Können aus erster Hand geboten. 
 
Die Vielfalt der Teilnehmer ist so groß wie die Neugier: Einige sind bereits sehr erfahrene Imker, viele haben einige Völker im Garten oder sind Stadtimker. Manche wollen ihre seit Generationen in der Familie betriebene herkömmliche Imkerei in Richtung naturnaher Haltung transformieren, manche sind Waldbesitzer und wollen jetzt an ihren Bäumen richtig Hand anlegen und auch das Erlernte in ihrer Herkunftsregion weitergeben. 

Kennenlernen der Bäume und erste Vorbereitungen
Fast wie auf einer Safari zog die Gruppe in einer kleinen Karawane durch die umliegenden Wälder von Baum zu Baum, um die für die zeidlerischen Eingriffe von Förster und Waldbesitzer freigegebenen Exemplare kennenzulernen. Gleich ging die praktische Arbeit an einer wunderschönen hochgewachsenen Kiefer los: Die Öffnung des Baumes wird in einer Höhe von fünf bis sechs Metern über dem Erdboden dort erfolgen, wo der Stamm überhängend ist, also an der konkaven und daher vor der Witterung am besten geschützten Seite. Das Flugloch wird später in einem 90° Winkel dazu geschlagen – auf der zur Sonne hin ausgerichteten warmen Seite. Die Waben sollen von den Bienen im Inneren später quer zum Flugloch gebaut werden („Warmbau"). Die Bäume überleben das Aushöhlen unbeschadet, da das wichtige Leitungsgewebe, über welches sie Wasser und Nährstoffe transportieren, nicht verletzt wird. 
 
Die Anforderungen an die Höhe ergeben sich durch ein bei den Bienen beobachtetes natürliches Verhalten im Umgang mit Baumhöhlen. Dort oben ist die Luft trockener und weniger feucht als am Boden. Höhe schützt nicht nur vor Krankheiten sondern auch vor natürlichen Feinden wie Mäusen, Mardern, verschiedenen Vögeln und Bären (sofern vorhanden).
Prezemyslaw Nawrocki, der als Biologe der Universität Wroclaw (Breslau) mit seinen polnischen Kollegen das Zeidlerhandwerk nicht nur im eigenen Land sondern auch im südlichen Ural bei den Baschkiren erforschte, demonstrierte, wie der senkrechte Revisionsschlitz angezeichnet und wie er dann keilförmig herausgesägt wird. Im Bauminneren sind weitere senkrechte Einschnitte als Vorbereitung für das weitere Aushöhlen bis zur Kernmitte notwendig. 

Klotzbeuten – die zeidlerische Alternative am Boden
Die Aushöhlung und Vorbereitung der Bienenhöhle wird im Fachjargon Klotzbeute genannt und wird im Kurs eingehend geübt. Foto: Dorothea Scheidl-Nennemann Nach der Besichtigung der anderen Zeidlerbäume begutachtet die Gruppe im Hof der Imkerei die vorbereiteten, sogenannten Klotzbeuten, also jene 1,5 – 2 m langen Stammabschnitte, in denen die Arbeit der Aushöhlung und die Vorbereitung der Bienenhöhle genauso funktioniert, wie am Baum. Jacek, der der Lehrmeister an dieser Stelle sein würde, erklärte, in welcher Form die innere Aushöhlung erfolgen soll. Hier würden diejenigen Teilnehmer ihren Arbeitsplatz haben, die eine Klotzbeute mit nach Hause nehmen wollen.

Zeidlerei – Ein Beitrag zum Ökosystem Wald
Przemyslaw Nawrocki lernte das Handwerk im Laufe mehrerer Forschungsreisen im südlichen Ural, in Bashkortostan, wo die Zeidlerei als alte Tradition überlebt hat. Schon in der Zarenzeit war sie verboten und blieb es auch weiterhin, wurde aber trotzdem von Generation zu Generation weitergegeben. Nach der Gründung des Shulgan Tash Natural Reserve wurden die indigenen Stämme als Ranger eingesetzt und eben diese beherrschten das Metier noch und konnten es nun Zugunsten einer erhöhten Biodiversität offiziell praktizieren. Mittlerweile entwickelte sich das Gewerbe zu einer Touristenattraktion und der erbeutete Zeidlerhonig wird in Moskau aufgrund seiner Kostbarkeit und auch des hohen Pollenanteils mittlerweile als Delikatesse für rund 200 EUR pro Kilo verkauft. 
 
Was kann Zeidlerei heute für uns bedeuten? Forstwissenschaftler Frank Krumm vom European Forest Institute aus Freiburg und ebenfalls Mitglied von Tree Beekeeping International untermauerte in seinem Vortrag den Beitrag der Zeidlerei zum Ökosystem Wald. Sie bietet eine Langzeitperspektive; Akzeptanz in der Waldwirtschaft vorausgesetzt – kann mit ihr eine einzigartige Form der Waldbewirtschaftung zurückgebracht werden. Zeidlerei beeinflusst die Artenvielfalt im Wald positiv.

Einzug des ersten Schwarms
Am zweiten Tag sollte zur Abendstunde der erste Bienenschwarm in eine Eiche einziehen. Das Nest war ideal vorbereitet, der Schwarm wurde auf ein Tuch aufgesetzt und wanderte langsam nach oben in die Öffnung. Nicht ohne Andacht beobachteten die Kursteilnehmer das Spektakel. Der Schwarm hatte zwei Tage im Dunkeln verbracht, wurde aus der Transportkiste herausgelassen und zögerte zunächst. Dann aber bewegte er sich hinein ins Dunkel des Baumes, hinein in die Luxushöhle – zumindest aus menschlicher Sicht. Dann wurde der Revisionsschlitz verschlossen und mit einem isolierenden Kissen aus Fichtenzweigen als Tarnung und Schutz vor Vögeln und Zugluft versehen.

Finale Ausarbeitungen
Am dritten Tag erforderte das weitere Ausarbeiten an Bäumen und Klotzbeuten viel Feinarbeit. Letzte Aushöhlungsarbeiten und Glättungen der Oberflächen sind vorzunehmen, die Fluglöcher müssen herausgeschlagen und mit einem Stopfen versehen werden, der sich nach innen hin zu einem schlanken Keil verjüngt und in der gegenüberliegenden Seite der Bauminnenwand eingerammt wird. Ansonsten wird das Innere des Baumes noch mit mehreren schlanken Querkeilen versehen, die den Baum etwas stabilisieren, aber vor allem später eine zusätzliche Stütze für die Bienenwaben und deren Gewicht sein sollen. 
Als Fluglöcher bleiben dann nur noch zwei jeweils einen Zentimeter breite senkrechte Schlitze: schmal genug, um vor kletternden Eindringlingen zu schützen.

Polnische und baschkirische traditionelle Klettertechniken 
Heinz Risse aus Berlin demonstriert die traditionelle polnische Klettertechnik. Foto: Dorothea Scheidl-Nennemann Ein vollständigeres Bild von der Geschichte und Praxis der Zeidlerei machten sich die Teilnehmer dank allabendlicher Vorträge und einer umfassenden Dokumentation von Przemyslaw Nawrocki. Er ist auch einer der Akteure von Tree Beekeeping International, der internationalen Zeidlervereinigung, und gehört auch dem WWF Polen an. 
 
Besonders interessant war es auch, die alten und traditionellen Klettertechniken aus Polen und aus dem Ural kennenzulernen. Während anlässlich des Kurses die ersten Schritte mit Kettensäge vorgenommen wurden, die als Arbeitsplattform ein stabiles Holzgerüst erfordert, gehen traditionelle Zeidler sehr salopp vor: Heinz Risse, Initiator der Regionalgruppe Berlin des Mellifera e. V., demonstrierte die polnische Klettertechnik mit Hilfe von zwei Spezial-Hanfseilen und einem integrierten Arbeitssitz aus Lindenholz. Eine ausgeklügelte Methode, die sich nicht ohne weiteres beschreiben lässt. Kurz gesagt, ermöglichen durch das Seil gebildete Trittschlaufen das Hinaufsteigen und am Ende ist durch eine Abseilvorrichtung auch das schnelle und sichere Hinunterkommen garantiert.
 
Andrzej Paszura zeigte, wie die Baschkiren die Bäume hinaufsteigen: Dazu werden rechts und links des eigenen Körpers Trittkerben in die Rinde geschlagen. Mit Hilfe eines geflochtenen Gurtes aus Rinderhaut hangelt sich der Zeidler dann Schritt für Schritt auf seine Arbeitshöhe und schlägt dann immer weitere Tritte mit der Axt. Seinen Standplatz baut er durch ein Trittbrett aus Holz, das um den Stamm gegurtet wird und worauf er sich dann wiederum mit einem speziellen Kraftakt hinaufstemmt. 

Mellifera – Ein neuer Zeidlerclan
Am vierten und letzten Kurstag wird am Fuß eines jeden Baumes ein so genanntes „Tamga" (baschkirisch) oder polnisch „Ciosno" eingemeißelt, das Signet des Zeidlerclans, der den Baum betreut. Norbert Poeplau hat für Mellifera e. V. bereits das Stammeszeichen vorangegangener Clans erweitert und nun wird das kollektive Werk mit diesem letzten Akt vollendet. 

Tiefgehendes Erlebnis 
Einen vitalen Baum in einen Zeidlerbaum zu verwandeln, ist sehr anstrengend und erfordert großen körperlichen und handwerklichen Einsatz – bietet aber ein außergewöhnlich tiefes Erleben. Nicht nur, dass man es in dem Bewusstsein tut, an einem intakten Lebewesen zu arbeiten, sondern auch, dass man in dessen Innerem für Jahrzehnte einen geschützten Raum von fast bildhauerischer Qualität für ein Bienenvolk schafft. Der Zeidlerbaum bietet Wärme und Überwintern des Volkes auf Honig. Zeidlerei bedeutet extensives Imkern. Man ist mit seinen Arbeitsschritten eng verbunden und Eins mit dem Lebendigen. Man atmet die frische Waldluft, die Harze ein, man spürt die Schwingungen und die Resonanz des Baumes bei jedem Schlag, bei jedem Hämmern. Bienenhaltung ist Lebensphilosophie und Zeidlerei wohl ganz besonders.
 
Wissenswertes zur Zeidlerei
Mitglieder der Zeidlerzunft erfreuten sich durch die Kostbarkeit ihrer Hauptprodukte Honig und Bienenwachs einer hohen Wertschätzung. Sie gehörten zu den wenigen, die neben dem Adel das Recht auf freie Bewegung im Wald hatten, verfügten gar über eine autarke Rechtsprechung und hatten auch das Privileg, Holz zu schlagen, Vögel zu jagen oder Marderfelle zu sammeln. Ertappte Honigräuber durften ohne weitere Prozesse unmittelbar vor Ort mit deren Kletterseil aufgehängt werden. 
 
Im Gegenzug zu ihren Privilegien gaben die polnischen Zeidler einen anteiligen Tribut an den König ab: Wachs, Honig, später Geld. Immerhin beutete ein wohlhabendes Mitglied der Zunft normalerweise 60 Bäume. Wohlhabende Zeidler besaßen 300 – 400 Bäume, zusätzlich wurden Bienenwiesen betreut. 
Zeidlerbäume wurden ökologisch ganzheitlich betrachtet und waren eine Investition in die Zukunft. Man sah nicht nur den Wert eines Baumes, der sich durch sein Holz erwirtschaften ließ, man rechnete auch die Honigbeute. Im 16./17. Jhd. bot Honig im Vergleich zu Holz den 30fachen Profit. So bringt beispielsweise ein Honignest im Jahr rund 3,5 kg bis 10 kg Honig – und das sind lediglich die Überschüsse, die die Bienen für sich nicht beanspruchen.
 
Eine Zeidlerhöhle wurde nachweislich bis über sieben Generationen hinweg genutzt, große Zeidlerbäume beherbergten bis zu drei Höhlen übereinander. Oft wurden Bäume vorweg getrimmt, die Wipfel geschnitten damit sie mehr in die Breite wuchsen, besser besonnt wurden und einen besseren Höhlenausbau mit idealen Einflugschneisen ermöglichten. Auch Verbauungen gegen Bären und Schädlinge waren üblich. Musste ein Baum einmal gefällt werden, konnten die Stammabschnitte mit Höhlen immer noch als Klotzbeuten an anderen Bäumen aufgehängt werden.
 
Die beliebtesten weil geeignetsten Zeidlerbäume sind Kiefer, Lärche, Eiche, Fichte und Weißtanne. Von Buchen ist nichts überliefert, womöglich, weil das Holz zu feucht und anfälliger für Pilzkrankheiten ist und zu schnell verwächst.
Ein Beitrag von Dorothea Scheidl-Nennemann, Fachautorin / Journalistin DJV
Weitere Informationen finden Sie unter: Tree Beekeeping International

Kontakt: Mellifera e.V.  | https://www.mellifera.de 

Umwelt | Biodiversität, 04.05.2016

     
        
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