Reif für die Insel?
Die wunderschöne, abgeschottete Welt
Inseln berühren unser Herz, geben das
Gefühl, abgeschottet zu sein vom Rest der Welt, und sind deshalb ganz
besonders begehrte Urlaubsziele. Die Kehrseite ist häufig die Zerstörung der Natur und traditioneller Werte. forum zeigt im folgenden Artikel, dass es auch anders geht.
Als ich vor fast dreißig Jahren die Dominikanische Republik das erste Mal besuchte, war ich fasziniert von der Freundlichkeit der Menschen. Fünf Jahre später, der Massentourismus war mit voller Wucht auf den Südteil dieser Karibikinsel hereingebrochen, mussten die Strände und Hotelanlagen bereits von Polizisten bewacht werden …
Die kleine thailändische Insel Koh Tao war vor 25 Jahren ein Robinson Crusoe Eiland für Insider. Wenige Autos, keine befestigten Straßen, kein Lärm und Stress. Nichts als kristallklares Wasser und viel Ruhe. Air Condition und Swimmingpool: Fehlanzeige. Die Einfachheit des Insellebens war ein Traum. Heute ist Koh Tao Partyinsel. Täglich kommen Fähren und Speedboote aus Koh Samui und bringen Tagesausflügler und Touristen auf die Mini-Insel, die mittlerweile von einem dichten Straßennetz durchzogen ist. Eine davon führt vorbei an einem stinkenden, knatternden Diesel-Generator und nur wenige hundert Meter weiter entdeckt man einen riesigen Müllberg. Die Kehrseite des unbeschwerten Strandlebens.
Inseln sind besonders empfindlich
Warum ist nachhaltiger Tourismus gerade auf
Inseln so wichtig? Als ein großer Einflussfaktor und zugleich ein
wichtiger – oft der wichtigste – wirtschaftlicher Faktor auf vielen
Inseln sichert der Tourismus das Einkommen vieler Bewohner. Doch wie
schützt man gleichzeitig das empfindliche Ökosystem Insel? Und wie
erhält man die dortige Natur und Kultur? Wie findet man die Balance
zwischen den Interessen der Einheimischen und denen der Besucher? Ist
das überhaupt möglich?
Definiert sind Inseln als kleine, in sich geschlossene Einheiten, sowohl aus geographischer, ökologischer als auch aus politischer und ökonomischer Sicht. Daher reagieren sie viel empfindlicher auf äußere Einflüsse, als man im ersten Moment oft annimmt. Rachel Dodds und Sonya Graci beschäftigen sich in ihrem 2010 erschienenen Buch „Sustainable Tourism in Island Destinations" mit der Frage, wie eine wirtschaftliche Entwicklung durch Tourismus die lokale Natur und Kultur erhalten kann, und begründen, warum nachhaltiger Tourismus besonders auf Inseln Priorität haben sollte.
„Viele Inseln auf der ganzen Welt sind vom Tourismus abhängig, da er ihre Haupteinnahmequelle darstellt. Es ist daher zwingend erforderlich, diese Destinationen so zu managen, dass sie langfristig überleben. […] Der natürliche Reiz einer Destination ist typischerweise einer der tourismuswirksamsten Vorzüge, gleichzeitig ist die natürliche Umgebung auch das Merkmal, das am direktesten von Raubbau betroffen ist." – Rachel Dodds
Dodds und Graci führen sowohl positive als auch negative Beispiele des nachhaltigen Tourismus auf Inseln an und beleuchten die Schlüsselprobleme im Tourismus und die daraus resultierende Notwendigkeit für Veränderung. Anhand von Fallstudien – u.a. aus Kanada, St. Kitts, Honduras, China, Indonesien, Spanien, Tansania und Thailand – zeigen sie, dass alternative Herangehensweisen in der Tourismusentwicklung möglich sind, wenn die Priorität auf Nachhaltigkeit liegt. Sie stellen fest, dass sich viele negative Elemente des Tourismus immer noch wiederholen und man scheinbar nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. So ist die aktuelle Entwicklung in der Karibik ähnlich desaströs wie die vor 30 bis 50 Jahren in der Mittelmeerregion. Es gibt aber auch positive Veränderungen. So planen zum Beispiel die Bahamas, bis 2030 zu 99 Prozent frei von fossilen Brennstoffen zu sein. Man stelle sich vor, große Länder würden sich dies zum Ziel setzen!
Ein Azorenhoch
Der seit 2007 verliehene QualityCoast Award
wird für ökologisch nachhaltig handelnde Reiseziele vergeben, die sich
um die Erhaltung intakter Ökosysteme sowie die soziale Stabilität und
die kulturelle Identität bemühen. Das Programm wurde von der Coastal
& Marine Union (EUCC) ins Leben gerufen. Sie ist der größte
regierungsunabhängige und gemeinnützige Verband zur Förderung des
Küsten- und Meeresnaturschutzes in Europa. Nachdem die Azoren bereits
viermal in Folge mit dem QualityCoast Award in Gold prämiert wurden,
entschied sich die Jury zur Vergabe des Platin Awards mit
Alleinstellungsmerkmal. Die Azoren sind damit das erste und einzige
Reiseziel Europas, das mit diesem Preis in Platin ausgezeichnet wurde.
Diese Auszeichnung zeigt, dass der Inselarchipel im Atlantik in puncto
Naturerlebnis und Nachhaltigkeit eine echte Spitzenposition einnimmt.
Die Azoren, den meisten aus der Wetterkarte bekannt, sind ein
Inselarchipel im Atlantik zwischen Portugal und Nordamerika und gelten
als ECO-Destination fernab des Massentourismus. Die Inseln umfassen eine
Grundfläche von 2.330 Quadratkilometern und sind mit 245.500
Einwohnern bevölkert. Die Entfernung zu Portugal beträgt 1.500
Kilometer, circa zwei Flugstunden. Von den neun Inseln sind acht
vulkanischen Ursprungs und vor allem für Wanderfreunde ein Spektakel.
Zwischen blau blühenden Hortensien wandert man auf alten Eselswegen, oft
mit Ausblick auf den blauen und endlos scheinenden Atlantik. Früher
waren die Azoren bekannt für Walfang, heute kann man dort auf
Walbeobachtungstouren die Meeressäuger bestaunen. Auf den Inseln ist der
Vulkanismus in seinen Facetten besonders gut zu beobachten. Für
Badefreunde finden sich auf allen Inseln in Granitfelsen gebaute
Naturschwimmbecken mit Meerwasser. Wassersportler finden zwischen den
Inseln interessante Tauchreviere. Die beste Reisezeit ist von April bis
Ende Oktober. Aber auch in unseren Wintermonaten sind die Azoren
durchaus ein abwechslungsreiches Reiseziel. Die Inseln bieten dann
stürmische wie sonnige Tage und der milde Golfstrom sorgt für angenehme
Temperaturen von bis zu 20 Grad – an Land und im Ozean.
Deutsche Insel ausgezeichnet
Auch in Deutschland sind die Inseln vom
Klimawandel betroffen. Die 1.500 Einwohner der Nordseeinsel Juist müssen
sich Herausforderungen wie dem Anstieg des Meeresspiegels und
zunehmenden Sturmfluten, aber auch dem demografischen Wandel und dem
Fachkräftemangel stellen. Die Insulaner rund um den Marketingleiter und
Nachhaltigkeitsexperten Thomas Vodde haben dabei in den vergangen Jahren
mit außergewöhnlicher Konsequenz und Initiative Vieles richtig gemacht.
Bereits vor Jahren entwickelte die Gemeinde mit der Bevölkerung ein
touristisches Leitbild, in dem Ziele für die zukünftige Entwicklung
festgelegt und entsprechende Projekte verabschiedet wurden. Sie sollten
allesamt den Grundsätzen der Nachhaltigkeit in allen drei Bereichen
Ökologie, Ökonomie und Soziales entsprechen. Dank dessen ist Juist zur
Klimainsel geworden. Die Inselgemeinde hat mehrfach einen CO2-Fußabdruck
erstellen und die Bewohner im sorgsamen Umgang mit der Energie schulen
lassen. Dafür gewann die Kurverwaltung 2012 den Green Globe Highest
Achievement Award for Best Business und ließ sich 2013 von Green Globe
rezertifizieren. Doch damit war es nicht genug: In Zusammenarbeit mit
Norderney, Baltrum und Norden wurde ein integriertes Energie- und
Klimaschutzkonzept erarbeitet, in dem auch der Einsatz eines
Klimaschutzmanagers gesichert ist. Die Projekte „KlimaInsel Juist" und
„Energiewende Juist" beinhalten umfassende Maßnahmenpakete für
Unternehmen, Bevölkerung und Gäste zur Erreichung der angestrebten
Klimaneutralität bis 2030. Insbesondere im Bereich der Mobilität
zeichnet sich Juist durch seine Autofreiheit aus. Gäste werden
motiviert, mit Bahn oder Fernbus anzureisen.
Hotspot der Biodiversität und Partnerschaften
Juist ist Bestandteil des Niedersächsischen
Nationalparks Wattenmeer und des UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer. Mit
dem BUND führen die rührigen Insulaner Projekte wie „pestizidfreie
Kommune" und „plastikmüllfreies Juist" durch. Die Teilnahme an
Wettbewerben führte zu erfolgreichen Auszeichnungen, zuletzt dem
Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Und die Insulaner wollen sich auch auf
dieser Auszeichnung nicht ausruhen: Das einmal im Jahr stattfindende
Gästeparlament bringt wertvolle Anregungen und demnächst soll es weitere
Projekte geben. „Juistus Klimaretter" wird die kleinen Insulaner
begeistern und wissenschaftlich begleitete Workshops unter dem
Arbeitstitel „Justopia" die Erwachsenen. Momentan bereitet sich die
Insel als eine der ersten in Deutschland auf die TourCert-Zertifizierung
für nachhaltige Destinationen vor. Nachhaltigkeit gilt für die
Inselgemeinde als Standortfaktor. Im Zuge der wirtschaftlich wichtigen
Saisonverlängerung sollen vor allem auch in den saisonschwachen Monaten
Gäste mit Interesse an einem nachhaltigeren Konsum angesprochen werden.
Juist ist also das ganze Jahr ein lohnendes Reiseziel. Hut ab vor Juist!
Da können sich sehr viele deutsche Tourismusdestinationen eine dicke
Scheibe abschneiden.
Gemeinsam zur Klimaneutralität
Unter den Kanaren strengen sich El Hierro und
La Gomera besonders in Sachen Nachhaltigkeit an. El Hierro, die kleinste
der kanarischen Inseln, gilt als Öko-Hochburg des Archipels: Die
gesamte Insel ist UNESCO-Biosphärenreservat und die Inselverwaltung hat
ein ausgedehntes Meeresschutzgebiet ausgewiesen. Die Inselbusse fahren
mit Wasserstoff und die Landwirte wurden unterstützt, auf ökologischen
Anbau umzustellen. Außerdem will sie weltweit die Erste sein, die ihren
Energiebedarf zu 100 Prozent erneuerbar deckt. Mit „Bimbache openART"
hat die Insel ein global ausgerichtetes Kunst- und Sozialprojekt, das
Leuchtturm ist für ein neues gesellschaftliches Miteinander (siehe dazu
das forum-Interview mit Torsten de Winkel „Kunst und Musik als Botschafter" in forum 2/2015).
Auch La Gomera setzt auf Partnerschaft und hat mit Futouris und der deutschen Insel Juist einen Erfahrungsaustausch vereinbart. Konkret wird es eine Reihe von Feldern geben, auf denen Juist und La Gomera in Zukunft zusammenarbeiten werden: Im Zentrum der Aktivitäten stehen ein gemeinsamer Aktionsplan für nachhaltigen Tourismus, die gemeinsame Akquise von Fördermitteln für konkrete Projekte und der kontinuierliche Wissenstransfer bei allen Fragen, die die Reduzierung von CO2-Emissionen und Abfall, die Nutzung alternativer Energiequellen, die Reduzierung des Wasserverbrauchs sowie die Sensibilisierung der Bevölkerung und der Tourismusbranche betreffen. Bei der Positionierung von La Gomera und Juist als nachhaltige Tourismusdestinationen soll es auch gemeinsame Vermarktungsaktionen geben.
Ein Young Global Leader
Rory Hunter wurde vom World Economic Forum zu
einem der „Young Global Leaders 2015" (YGL) ernannt. Jährlich haben bis
zu 200 herausragende Persönlichkeiten aus aller Welt die Ehre, in dieses
Netzwerk aufgenommen und für ihre beruflichen Erfolge und ihren Einsatz
für das Gemeinwohl belohnt zu werden. Hunter wurde somit nicht nur
wegen seiner steilen beruflichen Karriere, sondern vor allem für sein
gesellschaftliches Engagement und seine Leistung im Bereich des
nachhaltigen Tourismus ausgezeichnet. Mit „Song Saa Private Island" hat
er nach Ansicht der Jury nicht nur ein außerordentlich nachhaltiges
Hotelmanagementkonzept entwickelt, sondern auch einen wichtigen Beitrag
zur Erhaltung des natürlichen und kulturellen Erbes Kambodschas
geleistet. „Als erstes Private Island Resort in der Geschichte
Kambodschas tragen wir eine immense Verantwortung und haben eine
Vorreiterrolle inne, mit der wir sehr hohe Standards in Umweltschutz und
gesellschaftlicher Entwicklung setzen", so Rory über seine Vision als
CEO der Song Saa Hotels and Resorts. Mit der Gründung der „Song Saa
Foundation" haben er und seine Frau Melita Hunter zudem eine
Organisation ins Leben gerufen, die bedeutende Projekte für die
Bevölkerung und die natürliche Umgebung des Koh Rong Archipels initiiert
und dabei neue Wege für eine nachhaltige Entwicklung Kambodschas geht.
Zu deren Projekten zählt unter anderem die Gründung von Kambodschas
erstem Meeresschutzreservat, die Kontrolle der Fischbestände, der Schutz
der bedrohten Echten Karettschildkröte und ein
Abfall-Management-System, mit dem die Wasserqualität der gesamten Region
verbessert wird. Ziel ist es, die natürlichen Bestände zu schützen und
eine nachhaltige Zukunft für die Einwohner und die umliegende Natur zu
schaffen. Dabei muss keineswegs auf Komfort und Luxus verzichtet werden.
Song Saa Private Island schafft die perfekte Symbiose aus
Nachhaltigkeit, Luxusurlaub und Robinson Crusoe Deluxe Feeling. Es
bleibt zu hoffen, dass Rory nicht nur die große Ehre, Teil des YGL
Forums zu sein, genießt, sondern auch die Chance nutzt, um durch das
Netzwerk gleichgesinnter Führungspersonen Impulse für nachhaltiges
Wirtschaften setzen zu können.
Eine Insel abseits der Touristenströme
Unsere nächste Insel führt uns zurück nach
Thailand – genauer gesagt in den Süden Thailands 20 Kilometer südlich
von Krabi. Die Insel verfügt über einen flachen Sandstrand, der für
Touristen nicht wirklich attraktiv ist und dessen Schönheit sich erst
bei intensiverer Betrachtung eröffnet. Dies ist verantwortlich dafür,
dass nur wenige Ausländer den Weg dorthin finden und die Bewohner der
Insel nicht so vom Tourismus profitieren wie einige der Nachbarinseln.
Die Rede ist von Koh Siboya und sie hat die klassischen Nachhaltigkeitsprobleme von Inseln abseits der Touristenströme: von A wie Arbeitslosigkeit, Abfallentsorgung, Abwanderung oder Abholzung bis zu Z wie Zukunft, die ein großes Fragezeichen beinhaltet. Die Biodiversität leidet unter Monokulturen, der Lebensraum der Tiere ist eingeengt, die naturbelassenen Strände werden immer mehr von angeschwemmtem Plastik verschmutzt und von der Fischerei kann fast niemand mehr leben. Die rund 1.000 Einwohner auf der 30 Quadratmeter großen Insel leben zur Hauptsache von der Kautschuk-Produktion. Da der Weltmarkt-Preis in den letzten Jahren massiv einbrach, gingen viele der Arbeitsplätze verloren. Es besteht also Handlungsbedarf auf dieser, wie auf vielen anderen Inseln dieser Größenordnung. Christian Engweiler, der seit vier Jahren auf dieser Insel lebt, hat den MBA Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana Universität Lüneburg abgeschlossen und begann mit den Leuten vor Ort, über diese Schwierigkeiten zu diskutieren. So entstand das Gesamt-Projekt „Sustainable Island", mit den Teil-Projekten nachhaltiger Tourismus, nachhaltige Landnutzung, erneuerbare Energien, Abfallwirtschaft, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Am weitesten fortgeschritten ist das Angebot von Touren, die neben der Insel Koh Siboya auch andere Orte in fünf Provinzen Südthailands besucht. Dabei werden verschiedene Orte besucht, die einen ökologischen oder sozialen Mehrwert aufweisen. Die Spanne reicht von Dorfgemeinschaften, die biologischen Landbau betreiben, über ein Projekt, das die Biodiversität in Kautschukplantagen untersucht, bis hin zu Besuchen von Natur- und Kulturattraktionen.
Diese Reisen ermöglichen, das noch wirklich ursprüngliche Thailand kennen zu lernen, denn in dieser Region gibt es kaum Touristen. Dabei wird viel Wert darauf gelegt, verantwortungs- und respektvoll mit der lokalen Bevölkerung zu kooperieren. Zudem wird darauf geachtet, dass die aus der Tour resultierenden Gelder direkt der einheimischen Bevölkerung zugute kommen und damit, in diesen strukturschwachen Gegenden, Arbeitsplätze geschaffen werden können. Und last but not least wird das Projekt selbst streng nach Nachhaltigkeitskriterien geführt, die auf deren Website zu finden sind.
www.juist.de | www.futouris.org | www.songsaa.com | www.sustainable-island.net | www.siboyaservices.com/de
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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