Aquaponik:
Fisch und Bananen aus Berlin
Die Ozeane „sind leer". In den vergangenen 40 Jahren haben Menschen die Hälfte aller Fischbestände verzehrt, und das, obwohl heute bereits über die Hälfte des Fischkonsums aus Aquakultur stammt. 70 bis 85 Prozent der Fischbestände sind an der Grenze der biologischen Belastbarkeit – oder bereits darüber. Zusätzlich führt das hohe Maß der Verstädterung und der Globalisierung dazu, dass Lebensmittel bis zum Verbraucher sehr weite Wege zurücklegen – und viele auf der Strecke verderben. Die Herausforderungen von Nahrungsversorgung und –transport verschärfen sich, da in absehbarer Zeit mehr als 70 Prozent aller Menschen in Städten und Megacitys leben werden. Es ist höchste Zeit, den urbanen Raum in die Lebensmittelproduktion einzubeziehen, denn dort existieren brachliegende Flächen, Leerstand von Gebäuden und nutzbare Flachdächer. Hier hat sich die so genannte Aquaponik (Fisch-Pflanzen-Kreislaufverbund) als vielversprechende Technologie erwiesen, die von Pionieren erprobt wird.
Denken und Handeln in Kreisläufen
Aquaponik-Systeme gibt es schon seit tausenden
von Jahren. Bereits aus der Antike sind Systeme überliefert, die einen
natürlichen Kreislauf aus Fisch und Pflanzenzucht ermöglichen. Die
Aquaponik beschreibt ein Verfahren, das die Aufzucht von Fischen in
Aquakultur mit der Kultivierung von Nutzpflanzen verbindet, die in der
Regel in Behältern mit Substraten wie Blähton oder Kies wachsen und
periodisch mit dem nährstoffreichen Wasser aus den Fischbehältern
geflutet werden. Die Substrate haben bei dieser Produktionsweise
eigentlich nur eine Stützfunktion, oft werden Salate rein in Wasser
produziert. Die Nährstoffregulierung für ein optimales Wachstum der
Pflanze kommt durch systemische Trennung der Kreisläufe und zusätzlichen
künstlichen Dünger zustande. Aquaponik argumentiert, dass sie vom
Kreislaufgedanken konsequenter ist als die konventionelle
Landwirtschaft. Wirklich nachhaltig ist jedoch eine solche
Lebensmittelproduktion nur, wenn sie konsequent Ökosysteme imitiert,
also Ressourcen tatsächlich im Kreislauf führt, und den Flächenverbrauch
pro Kopf drastisch verringert. Unter der Bezeichnung AquaTerraPonic
haben deshalb junge Entwickler mit dem bezeichnenden Namen Top Farmers
ein System entwickelt, das sämtliches Wasser der Aquakultur im Kreis
führt und den Boden als Element für gesundes und ganzheitliches
Pflanzenwachstum stärker berücksichtigt. Diesem Ansatz folgend nutzt das
Verfahren alle Stoffströme und überschüssigen Nährstoffe zum Grünanbau
(inkl. Wasserlinsen und Algen). Die nicht verarbeitbare Biomasse wird
zur Insektenproduktion verwendet, die als Futter und Proteinquelle für
Fische dient. So kann auch ein beachtlicher Anteil der Futtermittel
selbst hergestellt und bei der Fischfutterproduktion auf Fischmehl aus
Beifang oder der Fischverarbeitung verzichtet werden.
Think Blue – vom Pilz zum Fisch
Entstanden ist der neue Ansatz aus dem Blue
Economy Projekt „Chido‘s Mushrooms". Dort bleiben nach der
Pilzproduktion Substrate übrig, die kompostiert werden. Es entwickeln
sich daraus Humus und viele Würmer. Der Humus erschien hervorragend
geeignet, um Gemüse anzubauen, und die Würmer, um damit Fische zu
füttern – die Ergänzung einer Aquaponikanlage war damit naheliegend.
2011 entstand als erster Prototyp ein Gewächshaus von 10 Quadratmetern
auf einer Dachterrasse mit Fischzucht und Gemüseproduktion im
Ganzjahresbetrieb. Seit 2013 betreiben die jungen Top Farmers ein Labor
von 100 Quadratmetern in der August-Sander-Schule in Berlin, um die
Forschung und Entwicklung auszubauen und die Skalierbarkeit zu
überprüfen. Mit den erzielten Produktionserträgen an Fisch, Salat und
Gemüse erfolgte ein erster Eintritt in den regionalen
Nahrungsmittelmarkt. Parallel wird am Berufsbild des Stadtfarmers
gearbeitet. Mitte 2016 geht eine kommerzielle Anlage mit 2.500
Quadratmetern Nutzfläche an den Start und dürfte damit wohl die größte
urbane Aquaponic-Anlage Europas sein.
Die Systeme der Top Farmers arbeiten nicht mit reiner Nährlösung und Kunstdünger wie üblich, sondern mit erdähnlichen Substraten (daher AquaTerraPonic). Die benötigte Energie soll künftig aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden und idealer Weise gilt es, Rest- oder Fernwärme zu nutzen. Ohne solch günstige, klimaneutrale Wärme macht der Ansatz weder in Mittel- noch Nordeuropa ökologisch oder finanziell Sinn. Aber auch Fischfutter ist ein wesentlicher Kostentreiber, angesichts explodierender Preise für Fischmehl sind viele Aquakulturen unter enormem Druck – daher liegt das Bestreben darin, die Fische zu 100 Prozent pflanzlich und/oder mit Insekten (letzteres in der EU noch nicht erlaubt) zu füttern. Das Entwicklungsziel ist eine kompromisslose Nachhaltigkeit, die trotzdem wirtschaftlich tragfähig ist, Idealismus alleine reicht nicht.
Genuss mit gutem Gewissen
Das Modellprojekt der Top Farmers in Berlin
produziert hochgerechnet auf 1.000 Quadratmeter Fläche bereits genug
Fisch für 1.800, Gemüse und Obst für 90 Menschen. Das entspricht der
zehnfachen Flächenproduktivität bei Obst und Gemüse und nur noch 30
Prozent des Flächenbedarfs bei Fleischprodukten im Vergleich zu
konventionellen Methoden! In Deutschland beanspruchen wir heute 2.500
Quadratmeter landwirtschaftliche Fläche pro Kopf, um unsere Ernährung zu
erzeugen (das meiste davon „importiert", sprich die Fläche liegt gar
nicht in Deutschland!); planetenverträglich wären 1.300 Quadratmeter.
Mit dem AquaTerraPonic-System und der Nutzung von Brachflächen ist
dieser Wert erreichbar, selbst wenn wir Milchprodukte, Eier und Getreide
weiterhin „konventionell" erzeugen würden. Dabei lässt sich natürlich
jede Technologie auch „falsch" anwenden. Man sollte daher auch bei neuen
(Urban-) Farming-Methoden auf eine hohe Biodiversität achten. Neue
Monokulturen und genmanipulierte Sorten wären keine nachhaltige Lösung.
Elementar ist außerdem, so „low-tech wie möglich" zu bleiben und dafür
Arbeitsplätze zu schaffen. Gesunde Ökosysteme versorgen uns mit
reichlich gesunden Lebensmitteln. Doch wir alle müssen Nahrungsmittel
und deren Erzeugung mehr wertschätzen. Wer sein Essen klimaneutral auf
dem Fahrrad oder zu Fuß nach Hause trägt und die Herkunft seiner
Lebensmittel kennt, kann auch Fisch und Fleisch wieder mit gutem
Gewissen genießen.
Neue und vor allem lokale Produktionsmethoden für landwirtschaftliche Produkte sind das Gebot der Stunde. Dies sollte auch von Seiten der Politik unterstützt werden. Neue Proteinquellen sowohl für menschliche Nahrung, aber auch Futtermittel müssen untersucht und dann zügig zugelassen werden. Fangquoten sind weiter zu reduzieren, damit sich die Fischbestände in den Ozeanen erholen können. Und last but not least sollten Innovationen in der Landwirtschaft früher gefördert werden – nicht erst, wenn der „Proof-of-concept" bereits erbracht wurde.
Klaus Walther
hat durch seine kaufmännische
Ausbildung und Tätigkeit im Vertrieb das Rüstzeug für sein
unternehmerisches Handeln gelegt. In einer Zeit globalisierter
Agrarwirtschaft, welche Abhängigkeiten, Ausbeutung und Umweltzerstörung
bedeutet, will er Alternativen schaffen, die wirklich ökologisch und
ressourcenschonend sind und den Herausforderungen der Zukunft gerecht
werden.
www.topfarmers.de | www.chidos.org | www.ecovia.ch
www.tropenhaus-wolhusen.ch |www.roofwaterfarm.com | www.solviva.com
Umwelt | Wasser & Boden, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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