"Es wird viel Zeit verschenkt"
Ökonom Herbert Brücker über die Notwendigkeit, dass Flüchtlinge schnell Jobs finden – und wie das am besten gelingen kann.
Sind die vielen Flüchtlinge nur ein Kostenfaktor? „Nein", sagt der Ökonom Herbert Brücker. Deutschland kann profitieren, aber dazu muss das Land viel investieren und andere Wege in der Asylpolitik gehen – und das am besten sofort. Das neue Integrationsgesetz verbessere die aktuelle Situation nicht einschneidend, meint der Wissenschaftler.
Die Notaufnahme-Zentren leeren sich, jetzt stehen die Flüchtlinge aus Syrien und anderen von Kriegen betroffenen Ländern in den Jobcentern Schlange. Die Asylanträge werden schneller abgearbeitet, im März bekamen 28000 Flüchtlinge ihre Anerkennung. Die meisten bekommen dann Hartz IV und dürfen arbeiten – zumindest in der Theorie. Praktisch sehe die Sache anders aus, sagt der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Er ist zudem an der Universität Bamberg Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Integration Europäischer Arbeitsmärkte, der von der Bundesagentur für Arbeit gestiftet wurde.
Brücker beschäftigt sich seit Jahren mit Migration, Integration und Arbeitsmarktpolitik und schätzt, dass die aktuell nach Deutschland Geflüchteten noch langsamer Jobs finden als andere Migrantengruppen: „Unsere Forschung zeigt, dass in der Vergangenheit nach fünf Jahren etwa 50 Prozent der Flüchtlinge erwerbstätig waren, nach zehn Jahren 60 Prozent und nach 15 Jahren so um die 70 Prozent."
Studie zur aktuellen Flüchtlingsgruppe in Planung
Zu den aktuellen Flüchtlingsgruppen gibt es keine Zahlen, doch um in Zukunft über genaue Informationen und Daten zu verfügen, führt der Bamberger Professor mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Sozio-oekonomischen Panel des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin eine groß angelegte Studie durch. Dafür werden mindestens 2000 Flüchtlinge ausführlich befragt, jeder Teilnehmer beantwortet mehr als 200 Fragen. Die Befragten werden über längere Zeit begleitet und immer wieder interviewt. Ihre Angaben sollen mit Daten der Bundesagentur für Arbeit verknüpft werden, so dass ihre berufliche Laufbahn in Deutschland nachvollzogen werden kann. „Wir wollen sehen, wie sie sich integrieren, wie sie hier leben und wie sich ihre Situation weiter entwickelt", sagt Brücker. Die ersten Ergebnisse soll es zum Jahresende geben.
Grund für die ungünstigen Arbeitsmarktchancen der aktuellen Kriegsflüchtlinge sind in seinen Augen einerseits ihre schlechteren Voraussetzungen. Es hapert bei vielen an Deutsch- und Fachkenntnissen: „Sie haben häufig keine abgeschlossene Berufsausbildung. Ein Teil bringt eine recht gute Schulbildung mit, aber sie sind keineswegs so gut qualifiziert wie die anderen Migrantengruppen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind."
Asylpolitik muss sich ändern
Die aktuelle Zuwanderung fördert aber andererseits ein altbekanntes Problem zutage und verschärft es zugleich: Migranten könnten schneller arbeiten, aber das war lange nicht das Ziel der Asylpolitik in Deutschland. „In der Vergangenheit hat man nichts unternommen, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Man hat allein auf Abschreckung gesetzt", sagt der Bamberger Professor. Um nun die Sozialkassen zu entlasten hilft laut Brücker nur eines: schnellere Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. Doch dafür fehlen Strukturen und Ressourcen. Auch durch das am 25. Mai auf den Weg gebrachte Integrationsgesetz der Bundesregierung sieht der Wissenschaftler keine einschneidende Verbesserung der aktuellen Situation.
Beispiel Sprach- und Integrationskurse: Für Asylbewerber, die Leistungen beziehen, sollen zwar nun schon vor Ende ihres Asylverfahrens Integrationskurse verpflichtend sein, wenn sie von einer Behörde dazu aufgefordert werden. Doch viele bekommen auch künftig erst mit der Anerkennung einen Integrations- und Sprachkurs; in dieser Zeit könnten sie aber schon längst arbeiten. In den Monaten zuvor warten sie unterbeschäftigt in Notunterkünften und bekommen nur mit Glück Sprachunterricht. Für Brücker ist das ein Graus: „Da wird immer sehr viel Zeit verschenkt. Wir müssen da mehr und vor allen Dingen früher in die Menschen investieren." Der Fünf-Punkte-Plan des Volkswirtschaftlers: ein schnellerer Erwerb von Sprache und Kultur, sofortige Integration der Kinder und Jugendlichen in das deutsche Bildungssystem, bessere Möglichkeiten zur Erfassung von beruflichen Kompetenzen, eine zielgerichtetere Arbeitsvermittlung und vor allem – eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge.
Was jetzt für die Arbeitsmarktintegration notwendig ist: Der Fünf-Punkte-Plan
Junge Flüchtlinge gelte es so schnell wie möglich in Schulen, Ausbildung oder an Universitäten zu bekommen. „Viele bringen ganz gute schulische Voraussetzungen mit, aber sie müssen ihre Schulabschlüsse beenden und am besten in unserem regulären Bildungssystem Abschlüsse machen", sagt Herbert Brücker. Bei älteren, die keine anerkannte Ausbildung haben, sind Kompetenzen und Kenntnisse oft nicht bekannt oder nicht einzuschätzen. „Man muss sich die Menschen sehr gründlich anschauen. Das kann nicht nur durch die Jobcenter, durch die Bundesagentur für Arbeit oder ähnliche staatliche Einrichtungen passieren. Das würde am besten in den Unternehmen selbst gemacht", sagt er.
Doch nicht nur die Wirtschaft ist gefordert, auch die Behörden müssten mehr tun bei der Jobvermittlung. Über 60 Prozent der Flüchtlinge finden den ersten Job durch Freunde, Bekannte oder Familienangehörige. „Das ist nicht per se schlecht, aber das zeigt auch, dass die Arbeitsvermittlung gegenwärtig nicht gut funktioniert. Da gibt’s Luft nach oben", sagt Brücker.
Aber die schnelle Integration der Flüchtlinge hängt auch von schnelleren Entscheidungen über Bleiben oder Nichtbleiben ab. Beim BAMF staut es sich noch immer: Etwa 370.000 Anträge sind nicht bearbeitet, 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge konnten noch gar keinen Antrag stellen. „Man muss zuerst Rechtssicherheit schaffen. Dazu gehört die Beschleunigung von Asylverfahren", sagt Herbert Brücker. Diese fünf Maßnahmen kosten viele Milliarden Euro. „Aber das ist nach allem was wir wissen sehr, sehr gut angelegt. Davon würden wir langfristig profitieren", so der Arbeitsmarkt-Experte.
Aus Ingenieuren werden zunächst Kellner oder Erntehelfer
Zugleich warnt Brücker vor allzu hohen Erwartungen: Selbst wenn diese Maßnahmen sofort etabliert würden, würden auch qualifizierte Fachkräfte Jahre brauchen, bis sie die nötigen (Sprach-)Kenntnisse haben, um in Deutschland in ihren alten Berufen arbeiten zu können. „Aus unserer Sicht muss man davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge – auch wenn sie in ihren Heimatländern studiert oder ein Gymnasium besucht haben – hier erstmal geringer qualifizierte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt annehmen werden", sagt Herbert Brücker. Der Ingenieur oder die Lehrerin werden zunächst also nicht in ihren ursprünglichen Berufen arbeiten können. Wahrscheinlicher ist es, dass sie in der Gastronomie, in der Landwirtschaft oder in anderen Bereichen des Dienstleistungssektors unterkommen.
Das sei aber kein grundsätzliches Problem für den Arbeitsmarkt, so der Volkswirtschaftler. Denn diese Jobs gebe es durchaus in Deutschland, trotz technologischen Wandels und einer industrialisierten Wirtschaft, die nach gut ausgebildeten Fachkräften lechzt. „Viele Menschen argumentieren, wir bräuchten nur hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Ich halte diese These für falsch", sagt Brücker. Zwar würden immer mehr Jobs durch Hochschulabsolventen ausgeübt, das heiße aber nicht, dass kein Platz für Tätigkeiten mehr sei, die weniger Qualifikation voraussetzen. Die Jobmöglichkeiten passen sich auch dem Angebot der potenziellen Bewerber an: „Der Arbeitsmarkt ist viel flexibler als man so annimmt." So gäbe es schon lange keinen Spargelanbau in Deutschland mehr, wenn nicht Migranten auf den Feldern schufteten. In Zukunft könnten zum Beispiel mehr Jobs in der häuslichen Pflege entstehen. Sozialversicherungspflichtige Jobs müssten es allerdings sein, wie der Wissenschaftler betont. Denn die im Integrationsgesetz vorgesehenen 100.000 Arbeitsgelegenheiten, die an Ein-Euro-Jobs angelehnt sind und neu geschaffen werden sollen, füllen weder Renten- noch Sozialkassen. Zudem sei selbst bei den Ein-Euro-Jobs wissenschaftlich nicht erwiesen, ob dieses arbeitsmarktpolitische Instrument tatsächlich bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützt.
Wohnsitzauflage kontraproduktiv
Doch um gute Jobchancen zu haben, müssen anerkannte Flüchtlinge dorthin gehen, wo es Arbeit gibt. Noch können sie das, doch mit dem geplanten Integrationsgesetz soll eine Wohnsitzauflage eingeführt werden. Das lehnt Herbert Brücker ab: „Ich halte das für völlig absurd! Es ist grundsätzlich sinnvoll, dass sich Menschen dort niederlassen, wo ihre Arbeitsmarktperspektiven günstig sind. Und das ist in städtischen Räumen eher der Fall."
Nicht nur die Wirtschaft, auch der Staat und das Sozialsystem können langfristig vom Zuzug der vielen Menschen profitieren – etwa um die steigenden Rentenausgaben aufzufangen. „Wir bräuchten eine netto-Zuwanderung von 550.000 um das Erwerbspersonen-Potenzial konstant zu halten", sagt Herbert Brücker. Der langjährige Durchschnitt der Nettozuwanderung liegt in Deutschland bei 200.000 Menschen, auch wenn es gegenwärtig deutlich mehr sind. Ob die Flüchtlinge dem Staat hauptsächlich Milliarden kosten oder ob das Land von ihnen profitieren kann – es hängt davon ab, wie viele von ihnen einen Arbeitsplatz finden. Dafür muss noch viel getan werden auch wenn es viel Geld kostet. „Ja, wir brauchen Migration, aber diese ist kein Selbstläufer", sagt Brücker.
Die Notaufnahme-Zentren leeren sich, jetzt stehen die Flüchtlinge aus Syrien und anderen von Kriegen betroffenen Ländern in den Jobcentern Schlange. Die Asylanträge werden schneller abgearbeitet, im März bekamen 28000 Flüchtlinge ihre Anerkennung. Die meisten bekommen dann Hartz IV und dürfen arbeiten – zumindest in der Theorie. Praktisch sehe die Sache anders aus, sagt der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Er ist zudem an der Universität Bamberg Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Integration Europäischer Arbeitsmärkte, der von der Bundesagentur für Arbeit gestiftet wurde.
Brücker beschäftigt sich seit Jahren mit Migration, Integration und Arbeitsmarktpolitik und schätzt, dass die aktuell nach Deutschland Geflüchteten noch langsamer Jobs finden als andere Migrantengruppen: „Unsere Forschung zeigt, dass in der Vergangenheit nach fünf Jahren etwa 50 Prozent der Flüchtlinge erwerbstätig waren, nach zehn Jahren 60 Prozent und nach 15 Jahren so um die 70 Prozent."
Studie zur aktuellen Flüchtlingsgruppe in Planung
Zu den aktuellen Flüchtlingsgruppen gibt es keine Zahlen, doch um in Zukunft über genaue Informationen und Daten zu verfügen, führt der Bamberger Professor mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Sozio-oekonomischen Panel des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin eine groß angelegte Studie durch. Dafür werden mindestens 2000 Flüchtlinge ausführlich befragt, jeder Teilnehmer beantwortet mehr als 200 Fragen. Die Befragten werden über längere Zeit begleitet und immer wieder interviewt. Ihre Angaben sollen mit Daten der Bundesagentur für Arbeit verknüpft werden, so dass ihre berufliche Laufbahn in Deutschland nachvollzogen werden kann. „Wir wollen sehen, wie sie sich integrieren, wie sie hier leben und wie sich ihre Situation weiter entwickelt", sagt Brücker. Die ersten Ergebnisse soll es zum Jahresende geben.
Grund für die ungünstigen Arbeitsmarktchancen der aktuellen Kriegsflüchtlinge sind in seinen Augen einerseits ihre schlechteren Voraussetzungen. Es hapert bei vielen an Deutsch- und Fachkenntnissen: „Sie haben häufig keine abgeschlossene Berufsausbildung. Ein Teil bringt eine recht gute Schulbildung mit, aber sie sind keineswegs so gut qualifiziert wie die anderen Migrantengruppen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind."
Asylpolitik muss sich ändern
Die aktuelle Zuwanderung fördert aber andererseits ein altbekanntes Problem zutage und verschärft es zugleich: Migranten könnten schneller arbeiten, aber das war lange nicht das Ziel der Asylpolitik in Deutschland. „In der Vergangenheit hat man nichts unternommen, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Man hat allein auf Abschreckung gesetzt", sagt der Bamberger Professor. Um nun die Sozialkassen zu entlasten hilft laut Brücker nur eines: schnellere Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. Doch dafür fehlen Strukturen und Ressourcen. Auch durch das am 25. Mai auf den Weg gebrachte Integrationsgesetz der Bundesregierung sieht der Wissenschaftler keine einschneidende Verbesserung der aktuellen Situation.
Beispiel Sprach- und Integrationskurse: Für Asylbewerber, die Leistungen beziehen, sollen zwar nun schon vor Ende ihres Asylverfahrens Integrationskurse verpflichtend sein, wenn sie von einer Behörde dazu aufgefordert werden. Doch viele bekommen auch künftig erst mit der Anerkennung einen Integrations- und Sprachkurs; in dieser Zeit könnten sie aber schon längst arbeiten. In den Monaten zuvor warten sie unterbeschäftigt in Notunterkünften und bekommen nur mit Glück Sprachunterricht. Für Brücker ist das ein Graus: „Da wird immer sehr viel Zeit verschenkt. Wir müssen da mehr und vor allen Dingen früher in die Menschen investieren." Der Fünf-Punkte-Plan des Volkswirtschaftlers: ein schnellerer Erwerb von Sprache und Kultur, sofortige Integration der Kinder und Jugendlichen in das deutsche Bildungssystem, bessere Möglichkeiten zur Erfassung von beruflichen Kompetenzen, eine zielgerichtetere Arbeitsvermittlung und vor allem – eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge.
Was jetzt für die Arbeitsmarktintegration notwendig ist: Der Fünf-Punkte-Plan
Junge Flüchtlinge gelte es so schnell wie möglich in Schulen, Ausbildung oder an Universitäten zu bekommen. „Viele bringen ganz gute schulische Voraussetzungen mit, aber sie müssen ihre Schulabschlüsse beenden und am besten in unserem regulären Bildungssystem Abschlüsse machen", sagt Herbert Brücker. Bei älteren, die keine anerkannte Ausbildung haben, sind Kompetenzen und Kenntnisse oft nicht bekannt oder nicht einzuschätzen. „Man muss sich die Menschen sehr gründlich anschauen. Das kann nicht nur durch die Jobcenter, durch die Bundesagentur für Arbeit oder ähnliche staatliche Einrichtungen passieren. Das würde am besten in den Unternehmen selbst gemacht", sagt er.
Doch nicht nur die Wirtschaft ist gefordert, auch die Behörden müssten mehr tun bei der Jobvermittlung. Über 60 Prozent der Flüchtlinge finden den ersten Job durch Freunde, Bekannte oder Familienangehörige. „Das ist nicht per se schlecht, aber das zeigt auch, dass die Arbeitsvermittlung gegenwärtig nicht gut funktioniert. Da gibt’s Luft nach oben", sagt Brücker.
Aber die schnelle Integration der Flüchtlinge hängt auch von schnelleren Entscheidungen über Bleiben oder Nichtbleiben ab. Beim BAMF staut es sich noch immer: Etwa 370.000 Anträge sind nicht bearbeitet, 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge konnten noch gar keinen Antrag stellen. „Man muss zuerst Rechtssicherheit schaffen. Dazu gehört die Beschleunigung von Asylverfahren", sagt Herbert Brücker. Diese fünf Maßnahmen kosten viele Milliarden Euro. „Aber das ist nach allem was wir wissen sehr, sehr gut angelegt. Davon würden wir langfristig profitieren", so der Arbeitsmarkt-Experte.
Aus Ingenieuren werden zunächst Kellner oder Erntehelfer
Zugleich warnt Brücker vor allzu hohen Erwartungen: Selbst wenn diese Maßnahmen sofort etabliert würden, würden auch qualifizierte Fachkräfte Jahre brauchen, bis sie die nötigen (Sprach-)Kenntnisse haben, um in Deutschland in ihren alten Berufen arbeiten zu können. „Aus unserer Sicht muss man davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge – auch wenn sie in ihren Heimatländern studiert oder ein Gymnasium besucht haben – hier erstmal geringer qualifizierte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt annehmen werden", sagt Herbert Brücker. Der Ingenieur oder die Lehrerin werden zunächst also nicht in ihren ursprünglichen Berufen arbeiten können. Wahrscheinlicher ist es, dass sie in der Gastronomie, in der Landwirtschaft oder in anderen Bereichen des Dienstleistungssektors unterkommen.
Das sei aber kein grundsätzliches Problem für den Arbeitsmarkt, so der Volkswirtschaftler. Denn diese Jobs gebe es durchaus in Deutschland, trotz technologischen Wandels und einer industrialisierten Wirtschaft, die nach gut ausgebildeten Fachkräften lechzt. „Viele Menschen argumentieren, wir bräuchten nur hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Ich halte diese These für falsch", sagt Brücker. Zwar würden immer mehr Jobs durch Hochschulabsolventen ausgeübt, das heiße aber nicht, dass kein Platz für Tätigkeiten mehr sei, die weniger Qualifikation voraussetzen. Die Jobmöglichkeiten passen sich auch dem Angebot der potenziellen Bewerber an: „Der Arbeitsmarkt ist viel flexibler als man so annimmt." So gäbe es schon lange keinen Spargelanbau in Deutschland mehr, wenn nicht Migranten auf den Feldern schufteten. In Zukunft könnten zum Beispiel mehr Jobs in der häuslichen Pflege entstehen. Sozialversicherungspflichtige Jobs müssten es allerdings sein, wie der Wissenschaftler betont. Denn die im Integrationsgesetz vorgesehenen 100.000 Arbeitsgelegenheiten, die an Ein-Euro-Jobs angelehnt sind und neu geschaffen werden sollen, füllen weder Renten- noch Sozialkassen. Zudem sei selbst bei den Ein-Euro-Jobs wissenschaftlich nicht erwiesen, ob dieses arbeitsmarktpolitische Instrument tatsächlich bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützt.
Wohnsitzauflage kontraproduktiv
Doch um gute Jobchancen zu haben, müssen anerkannte Flüchtlinge dorthin gehen, wo es Arbeit gibt. Noch können sie das, doch mit dem geplanten Integrationsgesetz soll eine Wohnsitzauflage eingeführt werden. Das lehnt Herbert Brücker ab: „Ich halte das für völlig absurd! Es ist grundsätzlich sinnvoll, dass sich Menschen dort niederlassen, wo ihre Arbeitsmarktperspektiven günstig sind. Und das ist in städtischen Räumen eher der Fall."
Nicht nur die Wirtschaft, auch der Staat und das Sozialsystem können langfristig vom Zuzug der vielen Menschen profitieren – etwa um die steigenden Rentenausgaben aufzufangen. „Wir bräuchten eine netto-Zuwanderung von 550.000 um das Erwerbspersonen-Potenzial konstant zu halten", sagt Herbert Brücker. Der langjährige Durchschnitt der Nettozuwanderung liegt in Deutschland bei 200.000 Menschen, auch wenn es gegenwärtig deutlich mehr sind. Ob die Flüchtlinge dem Staat hauptsächlich Milliarden kosten oder ob das Land von ihnen profitieren kann – es hängt davon ab, wie viele von ihnen einen Arbeitsplatz finden. Dafür muss noch viel getan werden auch wenn es viel Geld kostet. „Ja, wir brauchen Migration, aber diese ist kein Selbstläufer", sagt Brücker.
Kontakt:
Prof. Dr. Herbert Brücker
Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Integration der Europäischen Arbeitsmärkte
Gesellschaft | Migration & Integration, 06.06.2016
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