Globales Fest der Künste
Nicht nur Sport bringt Menschen und Länder zusammen
Text: Christoph Quarch
Die Olympischen Spiele sind weithin bekannt; ebenso, dass mit ihnen eine Tradition aus dem antiken Griechenland neu belebt wurde. Dass es im alten Hellas neben den Olympischen auch Delphische Spiele gab, wissen jedoch die wenigsten. Und dass, obwohl die dem Gott Apollon geweihten Spiele in Delphi noch höher im Kurs standen als die heiligen Spiele zu Ehren des Zeus in Olympia. Nur waren sie anders: Nach Delphi ging man nicht, um sich im sportlichen Wettstreit zu messen, sondern um in musischen Wettbewerben gegeneinander anzutreten: Gesang und Schauspiel, Dichtung und Musik, Tanz und Rezitation – das waren die Disziplinen der Delphischen Spiele. Und wer in ihnen den Siegespreis erhielt, konnte sich bleibenden Ruhmes sicher sein.
Heute feiern wir alle vier Jahre die Olympischen Spiele der Neuzeit; das nächste Mal im Sommer 2016 in Rio de Janeiro. Das weiß jeder. Kaum einer aber weiß, dass im April 2016 in Goa, im Südwesten Indiens, die V. Delphischen Jugendspiele stattfinden werden – geschweige denn, dass die Olympischen Spiele schon seit über 20 Jahren in Gestalt der Delphischen Spiele der Neuzeit ihr antikes musisches Pendent wiedergefunden haben; nicht so bekannt wie die großen Sportwettkämpfe, aber nicht minder attraktiv.
Forum für den Dialog der Kulturen
Es war im Jahre 1994, genau hundert Jahre nach der Wiederbelebung der Olympischen Spiele durch Pierre de Coubertin, als sich in Berlin Repräsentanten aus 20 Ländern versammelten, um gemeinsam die Delphischen Spiele der Neuzeit aus der Taufe zu heben. Gründer und Impulsgeber war der Neu-Berliner Christian Kirsch, der seither als Generalsekretär die Geschicke des damals gegründeten Internationalen Delphischen Rates (IDC) lenkt. Er ist die Seele und treibende Kraft hinter den Delphischen Spielen (s. Artikel "Ein ganz großer Traum").
Seine Idee ist so überzeugend wie einfach: Nicht nur der Sport hat das Potenzial, Menschen aller Kulturen und Länder zusammenzuführen und zu verbinden – auch die Kunst vermag dies. Vielleicht sogar noch besser oder unmittelbarer. Warum also nicht die alten Delphischen Spiele zu neuem Leben erwecken und auf diese Weise ein „ einzigartiges Forum für den friedlichen Dialog aller Kulturen" zu etablieren, wo unter Wahrung nationaler und ethnischer Identitäten grundlegende menschliche Werte gefeiert werden? Warum nicht eine Plattform schaffen, die zugleich der Förderung zeitgenössischer Kunst, der Bewahrung des kulturellen Erbes und der Stärkung des interkulturellen Dialogs bzw. der Freundschaft unter den Völkern gewidmet ist?
Die sechs Delphischen Kunstkategorien
Musikalische Künste & Klänge
Gesang, Instrumental, Elektronische Klänge ...
Darstellende Künste
Tanz, Theater, Puppentheater ...
Sprachliche Künste
Literatur, Vortrag, Moderation ...
Visuelle Künste
Malerei/Grafik, Skulptur/Installation, Fotografie/Film, Design, Mode, Kunsthandwerk ...
Soziale Künste & Kommunikation
Internet, Computerspiele, Medien, Pädagogik, Didaktik ...
Ökologische Künste & Architektur
Landschafts- und Städteplanung, Bewahrung und Pflege von Natur-, Bau- und Bodendenkmälern ...
Zwischen Tradition und Innovation
Tatsächlich gelang es Christian Kirsch, für diese Vision Mitstreiter zu gewinnen, so dass nur drei Jahre nach der Berliner Gründungsversammlung die ersten Delphischen Spiele stattfinden konnten. Die Mitglieder des IDC entschieden sich damals, neben den eigentlichen Spielen auch Jugendspiele zu veranstalten, die um zwei Jahre zeitversetzt zwischen den Delphischen Spielen gefeiert werden sollten. So erklärt sich, dass die ersten Delphischen Spiele im Jahre 1997 als reine Jugendspiele ausgetragen wurden. Ort des Geschehens war die georgische Hauptstadt Tiflis. Im Jahr 2000 folgten dann die ersten Delphischen Spiele in Moskau. Seither haben im Wechsel weitere drei Jugendspiele (2003 Deutschland, 2007 Philippinen, 2011 Süd Afrika) und zwei allgemeine Spiele (2005 Malaysia, 2009 Korea) stattgefunden.
Getreu dem antiken Vorbild treten die Wettbewerber der Delphischen Spiele der Neuzeit in unterschiedlichen Disziplinen gegeneinander an. Die Palette der Wettbewerbe hat sich jedoch geändert, schien es doch dem Delphischen Rat geboten, eine gute Balance zu finden zwischen Wahrung der Tradition und Achtung der Gegenwart. Daher entschieden sich die Gründer, sechs Kunstkategorien zu identifizieren (s. Kasten), innerhalb derer dann in unterschiedlichen, vom jeweiligen Gastgeber zu definierenden Disziplinen die einzelnen Wettkämpfe ausgetragen werden: Musikalische Künste & Klänge, Darstellende Künste, Sprachliche Künste, Visuelle Künste, Soziale Künste & Kommunikation, sowie Ökologische Künste & Architektur.
Fest des Stimmigen
Die Zusammenstellung mag überraschen und könnte den Eindruck erwecken, gerade die letztgenannten Kategorien hätten sich weit vom antiken Vorbild entfernt. Tatsächlich trifft das nicht zu. Denn die eigentlichen Kennzeichen des Apollon, dem die Delphischen Spiele geweiht waren, sind Harmonie und Balance. Sie in den Künsten zu feiern ist das eine, sie im Sozialen und Ökologischen zu achten und zu verwirklichen, ist das andere. Stets aber geht es darum, stimmige Verhältnisse zu schaffen, die Dinge in Ordnung zu bringen. Dafür steht Apollon – und dafür stehen auch die Delphischen Spiele der Neuzeit.
Symbolisiert ist die Zusammengehörigkeit der sechs Kunstkategorien im Symbol der Delphischen Spiele. Es besteht aus sechs farbigen, kreisförmig angeordneten, miteinander als endloses Band verbundenen Halbkreisen auf weißem Grund.
In ihrem weiten und der modernen Lebenswelt angepassten Spektrum der Wettbewerbe unterscheiden sich die heutigen Delphischen Spiele maßgeblich von einem Vorläuferprojekt, das in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts von dem griechischen Dichter Angelos Sikelianos und seiner amerikanischen Ehefrau Eva Palmer initiiert wurde. Zweimal fanden damals stark antikisierende Festspiele in den Ruinen des antiken Theaters von Delphi statt. Die damals auf die Bühne gebrachten Inszenierungen der Dramen des Aischylos sind legendär geworden. Finanzielle Nöte machten jedoch die Fortsetzung dieses Projektes unmöglich.
Professionelle Organisation
Die von Christian Kirsch ins Leben gerufenen Delphischen Spiele der Neuzeit haben bislang einen längeren Atem bewiesen. Das mag unter anderem daran liegen, dass die Mitglieder des Delphischen Rates auf die Erfahrungen des Internationalen Olympischen Komitees zurückgreifen und aus ihnen lernen konnten. So bauten sie eine der olympischen Bewegung ähnliche Struktur mit nationalen Delphischen Räten auf, die in ihren Ländern Qualifikationswettbewerbe für die internationalen Spiele austragen und vor Ort zur Teilnahme einladen und motivieren.
Die Teilnehmer an den Delphischen Spielen, so die Statuten des IDC, sind professionell ausgebildete/arbeitende Künstler und Kulturschaffende. Teilnehmer an den Delphischen Jugendspielen sind Jugendliche ab 15 Jahren und junge Erwachsene, die sich in künstlerischer Ausbildung/Studium befinden sowie Autodidakten bis zum 25. Lebensjahr, die ihre künstlerische Tätigkeit noch nicht berufsmäßig ausüben. Auf Qualität und Professionalität wird größter Wert gelegt. So werden die Jurys mit Vertretern nationaler und internationaler Kunstverbände, Wettbewerbe, Festivals und Künstleragenturen zusammengestellt. Hinzu kommen Experten von Kunstakademien, Universitäten und Hochschulen sowie Künstler, die in der zu bewertenden Disziplin international höchstes Ansehen genießen.
Die Delphischen Spiele in der Antike
Delphi war mit seinem Orakel und dem Tempel des Apollon das spirituelle Zentrum der antiken Welt. Ab 582 v. Chr. fanden dort, am Südhang des Parnass-Gebirges, die Delphischen Spiele (auch Pythien, Pythische Spiele) in festgelegter Form alle vier Jahre statt, jeweils im Jahr vor den Olympischen Spielen. Sie wurden von der Delphischen Amphiktyonie ausgerichtet, einem Rat der zwölf griechischen Stammesgruppen.
Die Spiele waren Apoll gewidmet, dem Gott der Heilkunst, der Dichtung und der Künste, der Schönheit und des Lichtes. Daher zeichneten sie sich vor allem durch ihre musischen Wettkämpfe aus. Wegen der Musik- und Malwettbewerbe und der darstellenden Künste (Schauspiel und Tanz) priesen Zeitzeugen die Delphischen Spiele als prachtvoller als die athletischen Olympischen Spiele.
Für die Zeit der Spiele galt der heilige Delphische Frieden, der drei Monate andauerte. Die Waffenruhe garantierte den Menschen - Teilnehmern wie Zuschauern - eine gefahrlose Reise zu den Spielen und wieder zurück in ihre Heimat. Im Theater von Delphi wurden die Musik- und Schauspielwettbewerbe durchgeführt. Die musischen Disziplinen umfassten: Eine Hymne an den Gott Apoll, Flöten- und Kitharaspiel (altes griechisches Saiteninstrument) mit und ohne Gesang, Schauspiel- und Tanzwettbewerbe- sowie Malwettbewerbe. Am fünften Tag wurden im Stadion von Delphi athletische Wettbewerbe ausgetragen. Auf der Ebene bei Krisa fanden spektakuläre Wagenrennen statt.
Die Delphischen Spiele waren Ehrenspiele. Die Sieger bekamen keine Geldpreise, sondern einen Lorbeerkranz als Auszeichnung, so wie der Ölzweig die Auszeichnung Olympias war. Überliefert ist auch die Begeisterung des Publikums. Zahlreich strömte es aus ganz Griechenland herbei. 394 n. Chr. verbot Kaiser Theodosius die Delphischen Spiele als heidnische Veranstaltung.
Austragungsort Indien
Die nächsten Delphischen Spiele werden wieder Jugendspiele sein. Austragungsort ist Goa in Indien. Dort werden im April 2016 junge Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt erwartet. In Indien stößt die Idee der Delphischen Spiele offenkundig auf großen Zuspruch. So fungiert die Regierung der Provinz Goa als Gastgeber und unterstützt das Organisationskomitee Indiens nach Kräften. Auch die Universität von Goa hat sich bereitgefunden, aktiv an der Planung und Durchführung der Spiele mitzuwirken.
Bei Lichte besehen haben die V. Delphischen Jugendspiele bereits begonnen, fand doch am 8. September 2015 in Delphi eine Art Eröffnungszeremonie statt. Im Rahmen einer Tagung des IDC wurde dort ein Ritual begangen, bei dem Wasser aus der schon in antiker Zeit als heilig verehrten Kastalischen Quelle entnommen und in eine Amphore gefüllt, die von den indischen Austragenden in ihre Heimat gebracht worden ist.
In Goa laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Als besonderes Projekt initiierte das Organisationskomitee gerade erst ein Projekt namens „Delphic Art Wall". Mit ihm sollen Schülerinnen und Schüler aus aller Welt dafür gewonnen werden, große Leinwände zu bemalen, aus denen in Goa der längste Kunst-Wall der Welt gebaut werden soll. Alles deutet also darauf hin, dass im Frühjahr 2016 in Goa ein bemerkenswertes Fest der Künste und Kulturen gefeiert werden wird.
Weitere Infos
Allgemeine Infos:
Informationen zu den V. Delphischen Jugendspielen in Goa: http://www.youthdelphicgames.com/
Gesellschaft | WIR - Menschen im Wandel, 08.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
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