Im Dschungel der Normen

Neue Herausforderungen für Umweltmanager

Die starke Überarbeitung der ISO 14001 und die Umstellung auf eine ganz neue Struktur (High Level Structure) stellen Umweltmanager vor Herausforderungen. Besonders die geforderte Verfolgung der Lieferketten ist schwierig und bei der Rezertifizierung droht Stau. Bernhard Schwager, der als Obmann des DIN-Ausschusses „Umweltmanagement/Umweltaudit" selbst in der ISO-Arbeitsgruppe an der Novellierung mitgewirkt hat, empfiehlt, jetzt anzupacken und gibt im forum Interview Hilfestellung.
 
 Bernhard Schwager ist Leiter der Geschäftsstelle Nachhaltigkeit von Bosch, Präsident des Verbandes der Betriebsbeauftragten e.V. (VBU) und Obmann des Ausschusses Umwelt­managementsystem/Umweltaudit im deutschen Institut für Normung (DIN NAGUS). Foto: © Bernhard SchwagerHerr Schwager, nach einer Norm-Revision wie jetzt bei der ISO 14001 ist ein Vergleich des neuen und des alten Normentextes nötig, damit das betriebliche Umweltmanagementsystem (UMS) den Anforderungen der neuen Norm gerecht wird. Warum ist dies bei der DIN EN ISO 14001 ganz besonders wichtig?
Aufgrund der deutlichen Veränderungen ist eine Auseinandersetzung mit dem einschlägigen Normentext unerlässlich, um die Unterschiede der Anforderungen zu erkennen und bei anstehenden Zertifizierungen keine Probleme zu haben. Konkret ändert sich die ISO 14001 beispielsweise dahingehend, dass Initiativen zu Umweltthemen wie der nachhaltigen Ressourcennutzung, dem Klimaschutz und dem Schutz der biologischen Vielfalt pro-aktiv anzugehen sind. Verändert hat sich auch die Perspektive auf Umweltaspekte: War in der Vergangenheit der Blick primär auf Wirkungen von der Organisation auf die Umwelt ausgerichtet, so spielt jetzt zudem die entgegengesetzte Betrachtung eine Rolle. Damit wird relevant, inwiefern die Umwelt Auswirkungen auf die Organisation selbst haben kann und wie die Organisation diesen Auswirkungen, beispielsweise möglichen Überschwemmungen, Wassermangel oder anderen Auswirkungen des Klimawandels, begegnet. Unter dem Gesichtspunkt „Erfordernisse und Erwartungen der interessierten Parteien" verlangt die Norm jetzt die Entwicklung einer Kommunikationsstrategie, die sich auf externe und interne Kommunikation gleichermaßen bezieht. Dazu gehören Anforderungen an die Qualität der übermittelten Informationen und Mechanismen, um Vorschläge zur fortlaufenden Verbesserung des Umweltmanagementsystems und der Umweltleistung zu generieren. Die Entscheidung für eine externe Kommunikation liegt bei der Organisation selbst.

Was wurde im Hinblick auf die Unternehmens­f­ührung verändert?
Um den Erfolg des Umweltmanagementsystems sicherzustellen, wurde ein neuer Unterabschnitt ergänzt, der denjenigen Personen besondere Verantwortung zuschreibt, die die Organisation führen. Ihnen fällt die Aufgabe zu, das Umweltmanagementsystem innerhalb der Organisation durch persönliches Engagement erfolgreich zu fördern. Die oberste Leitung wird daher in besonderer Weise in die Pflicht genommen und bestimmte Aufgaben dürfen nicht delegiert werden. Dazu gehören die Rechenschaftspflicht für die Wirksamkeit des Umweltmanagementsystems, die Förderung der fortlaufenden Verbesserung und die Unterstützung von Führungskräften.

Wie schätzen Sie den Wegfall der Pflicht ein, einen Beauftragten zu bestellen?
Diese Änderung beabsichtigt nicht, Beauftragte abzuschaffen, sondern will eben verhindern, dass Führungsverantwortung „elegant" wegdelegiert wird. Es soll ja gerade die Verantwortung beim Management verbleiben und nicht an „Managementbeauftragte" übertragen werden. Eine Schwächung von Beauftragten sehe ich nicht wirklich, denn wer, außer den Beauftragten, kann denn kompetenter Ansprechpartner der Leitung sein? Und welches Standing ein Beauftragter bei der Leitung hat, liegt am jeweiligen Beauftragten selbst.

Ist der Dokumentationsaufwand der neuen Norm tatsächlich geringer?
Den Organisationen wird die Flexibilität gewährt, selbst festzulegen, wann ein „Verfahren" (also ein festgelegter Ablauf) notwendig ist, um eine effektive Prozesskontrolle zu gewährleisten. Gerade wir Deutschen neigen aber gerne dazu, in preußischer Manier voluminöse Handbücher zu füllen. Die Norm zwingt niemanden dazu. Handlungsleitend sollte sein: Weniger ist mehr, dann werden die Texte der elektronischen Handbücher auch gelesen und verstanden.

Wird es durch die Integration der Systeme zu reduzierten externen Auditzeiten kommen?  

Ich rechne nicht mit einer deutlichen Verringerung von Auditzeiten. Was ich aber erwarte, ist, dass eine systematischere Gesamtstruktur Eingang findet in das Zertifizierungswesen. Damit ich aber nicht falsch verstanden werde: Ich bin mir sicher, dass der Gesamtzertifizierungsaufwand für Organisationen steigen wird, da weitere Disziplinen wie Arbeitssicherheit, Compliance oder Sozialstandards dazukommen. Disziplinspezifisch wird sich aber der Aufwand reduzieren, beispielsweise durch Matrixzertifizierungen. Getrieben werden diese Themen derzeit sehr stark durch die Anstrengungen von Organisationen, ihre Lieferketten „sauber" zu gestalten.

Wie steht die ISO 14004 in Bezug zur ISO 14001 und wer sollte welche Normen wie anwenden?
Ungeachtet dessen, dass seitens ISO geplant war, die ISO 14001 zeitgleich mit der ISO 14004 zu veröffentlichen, liegt letztere bisher noch nicht vor. Ich erwarte die Veröffentlichung erst im Spätsommer 2016. Der größte Unterschied beider Normen liegt darin, dass es sich bei der ISO 14001 um eine Zertifizierungsnorm und bei der ISO 14004 um einen Leitfaden und nicht um eine Interpretationsnorm zur ISO 14001 handelt. Gerade für Organisationen, die sich mit dem Aufbau eines Umweltmanagementsystems beschäftigen, ist die Hinzuziehung der ISO 14004 eine sehr wertvolle Hilfe, die ich jedem nur ans Herz legen kann.

Was empfehlen Sie Unternehmen in der gegenwärtigen Situation?
Für die Umstellung von ISO 14001:2004 auf ISO 14001:2015 ist vom International Accreditation Forum (IAF) für bereits zertifizierte Organisationen ein Übergangszeitraum von drei Jahren festgelegt worden. Das heißt, dass alle Zertifikate nach ISO 14001:2004 ab dem 15. September 2018 verfallen. Aus diesem Grund halte ich Zertifizierungen auf Basis der alten Norm aus ökonomischen Gründen nur noch bis März 2017 für sinnvoll. Auch erwarte ich einen Engpass am Ende der Laufzeit bei den Zertifizierungsorganisationen. Unternehmen, die sich zeitnah der neuen Herausforderung stellen möchten, können sich bereits jetzt nach der überarbeiteten Norm zertifizieren lassen. Zur externen Begutachtung nach ISO 14001 sind akkreditierte Zertifizierungsorganisationen zugelassen. Diese Akkreditierung ist rein privatrechtlich organisiert. In Deutschland ist hierfür die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) in Berlin zuständig. Organisationen können frei wählen, ob sie durch die beauftragten Zertifizierungsorganisationen gleichzeitig ein oder mehrere Systeme (z.B. Qualität, Umwelt, Risiko, Arbeitssicherheit) prüfen lassen.

Herr Schwager wir danken für das Gespräch

Die ISO 14001 – eine Erfolgsgeschichte
Im Februar 2012 startete die Internationale Organisation für Normung (ISO) den Revisionsprozess zur ISO 14001 „Umweltmanagementsysteme – Anforderungen mit Anleitung zur Anwendung". Der Erfolg dieser bereits 20 Jahre alten Internationalen Norm zeigt sich dadurch, dass weltweit mittlerweile rund 300.000 Organisationen zertifiziert wurden. In Europa sind es etwa 120.000 Organisationen aller Art. Dazu gehören kleine und mittlere Unternehmen, aber auch große Konzerne, Behörden oder öffentliche Einrichtungen, die sich ihr Umweltmanagementsystem nach ISO 14001:2004 zertifizieren ließen. Allein in Deutschland wuchs die Zahl in 2013 auf knapp 8.000 Organisationen und jährlich entscheiden sich weltweit weitere tausend Organisationen für eine Erstzertifizierung.
(Quelle: ISO Survey, 2013)


Wirtschaft | CSR & Strategie, 01.08.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2016 - Zukunft der Arbeit erschienen.
     
        
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