„Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf eine Kennzahl herunterbrechen“
Erfolgversprechned sind Transparenz, Unabhängigkeit und Professionalität
Mit rund 200 Mitgliedern ist das Institut Bauen und Umwelt e.V. der größte Zusammenschluss von Bauproduktherstellern, der sich für nachhaltiges Bauen stark macht. Das Erfolgsrezept: Transparenz, Unabhängigkeit und Professionalität.
Das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU) betreibt ein Programm für Typ III-Umwelt-Produktdeklarationen (en: Environmental Product Declarations – kurz: EPDs) für Bauprodukte und Baukomponenten in Deutschland und Europa. Unter dem Dach des IBU bekennen sich rund 180 Unternehmen und Verbände zur Nachhaltigkeit und sind bestrebt, die Umweltwirkungen von Bauprodukten transparent zu machen und neutrale Informationen über den gesamten Lebensweg eines Produktes zu liefern. Im Interview mit forum beantwortet Dr.-Ing. Burkhart Lehmann, Geschäftsführer des IBU, einige Fragen zu den Themen IBU und EPDs.
Herr Lehmann, laut Ihrer Satzung ist es das Ziel des IBU, das nachhaltige Bauen zu fördern, insbesondere im Hinblick auf Umweltwirkungen und Gesundheitsaspekte von Bauprodukten. Dazu betreibt das IBU ein EPD-Programm. Aber – und das betont das IBU immer wieder – EPDs bewerten nicht und sind auch keine Nachhaltigkeitsgarantien oder Zertifikate. Wodurch fördern EPDs die Nachhaltigkeit?
EPDs bewerten, garantieren oder zertifizieren die Nachhaltigkeit eines Bauproduktes deshalb nicht, weil so etwas auf Produktebene nicht sinnvoll ist. Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf eine oder zwei Kennzahlen herunterbrechen, wie etwa den CO2-Ausstoß oder Wasserbedarf. Es müssen ganzheitlich betrachtet stets alle ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren berücksichtigt und abgewogen werden. Das funktioniert aber nicht, wenn man das Produkt isoliert betrachtet: Wie nachhaltig Bauprodukte sind, hängt vor allem davon ab, wofür sie im Gebäudekontext verwendet werden. Zusammen mit anderen Produkten bilden sie ein System, unterliegen Wechselwirkungen, müssen verschiedene Anforderungen erfüllen – deshalb sind Bewertungen und Vergleiche von Bauprodukten auch erst auf Gebäude- oder Bauteilebene sinnvoll. Und genau dafür liefern EPDs die Datengrundlage: auf Ökobilanzen beruhende und neutrale Informationen zu umweltrelevanten Produkteigenschaften, die unabhängig verifiziert wurden. So können Fachleute für jedes Gebäude berechnen, vergleichen und entscheiden, welches Bauprodukt für den jeweiligen Einbauzweck aus ökologischer Sicht das bessere ist.
EPDs basieren auf internationalen Normen, unter anderem auf der EN 15804. Die gilt als Grundlage für europaweit gültige EPDs. Trotzdem werden von einem europäischen Programmbetreiber veröffentlichte EPDs nicht ohne weiteres von den nationalen Märkten anderer europäischer Länder akzeptiert. Woran liegt das?
Die ISO 14025 und EN 15804 lassen viel Interpretationsspielraum in ihrer Anwendung zu, was zu unterschiedlicher Verifizierungspraxis und Auslegung der Normen führt. Außerdem stellen nationale Programmhalter zusätzliche Anforderungen an EPDs. Die Produkte werden aber europaweit produziert, gehandelt und verwendet. Hersteller müssen zum Teil noch für den jeweiligen nationalen Markt eine eigene EPD erstellen. All das führt zu erheblichen Hürden und Kosten für die europäische Baustoff- und Baukomponentenindustrie.
Wir arbeiten auf zwei Ebenen an einer Lösung: Eine meiner ersten Amtshandlungen als IBU-Geschäftsführer war die Gründung der ECO Platform AISBL gemeinsam mit 11 weiteren europäischen Programmbetreibern im Jahr 2013. Die ECO Platform ist ein Zusammenschluss europäischer EPD-Programmbetreiber, Ökobilanzierer und Industrieverbände mit dem langfristigen Ziel, europaweit die Anwendung der EN 15804 zu harmonisieren und einheitliche Standards für die Verifizierung zu schaffen. Mit der Veröffentlichung der ersten ECO Platform-EPDs, deren Verifizierungskriterien von allen Mitgliedern des Verbunds anerkannt werden, haben wir 2014 unseren ersten Meilenstein erreicht.
Außerdem erarbeitet das IBU mit anderen Programmbetreibern Vereinbarungen zur gegenseitigen Anerkennung unserer EPDs. Aufgrund dieser Vereinbarungen werden EPDs des IBU vom jeweiligen nationalen Programmbetreiber anerkannt und von ihm auf seiner Website oder in seiner Datenbank veröffentlicht – und andersherum genauso. Das reduziert den Aufwand und die Kosten für unsere Mitglieder erheblich und wir erleichtern ihnen den Zugang zu diesen Märkten. Eine gegenseitige Anerkennung besteht bereits mit den Programmbetreibern aus Schweden, Dänemark, Norwegen, Spanien und den USA. Mit BRE aus Großbritannien stehen wir kurz vor dem Abschluss.
Das IBU engagiert sich seit 2015 als institutioneller Partner beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Worum geht es bei diesem Engagement?
Mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis werden jedes Jahr Akteure und Projekte für herausragende Leistungen im Bereich der Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Das IBU ist Partner für den Sonderpreis „Ressourceneffizienz". Der Preis wird an Unternehmen vergeben, die in besonderer Weise Maßnahmen zur Ressourcen- und Energieeffizienz sowie innovative Recycling- und Kreislaufkonzepte etabliert haben.
Da das Bauwesen Ressourcen in vielfältiger Form und in großen Mengen nutzt, ist es besonders eng mit dem Thema verknüpft. Deshalb wird Ressourceneffizienz auch in den Indikatoren der EPD dargestellt und transparent gemacht. Und deshalb nimmt das IBU auch am „Runden Tisch Ressourceneffizienz im Bauwesen" vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit teil. Die Ressourceneffizienz im Bauwesen adäquat zu beurteilen, also Aufwand und Nutzen angemessen gegeneinander abzuwägen, ist sehr vielschichtig und an viele Faktoren gebunden. Schließlich hat das Bauwesen nicht nur starken Einfluss auf die Umwelt, sondern auch auf die Wirtschaft und die Gesellschaft. Der runde Tisch widmet sich – unter anderem in Forschungsprojekten – genau diesem Thema.
EPDs gelten im Bauwesen mittlerweile als ein Industriestandard, allein über das IBU wurden weit über 1.000 EPDs veröffentlicht. Der breiten Öffentlichkeit scheinen sie aber kaum bekannt zu sein. Warum nicht?
Zum einen erfordern EPDs Fachwissen wegen der Komplexität der enthaltenen Daten. Als Kommunikationsinstrumente richten sie sich deshalb an Experten und sind für viele Akteure nicht direkt verständlich. Hinzu kommt, dass die sachgemäße und für die breite Öffentlichkeit begreifliche Kommunikation über Nachhaltigkeit im Bauwesen und über die dazugehörigen Grundlagen, wie EPDs und Gebäudezertifizierungen, eine große Herausforderung ist. Sie ist aber auch enorm wichtig und zukunftsweisend. Wir haben deshalb das IBU-Kommunikationsmanual erstellt, das unseren Mitgliedern seit Anfang des Jahres zur Verfügung steht. Es fasst umfangreiches Hintergrundwissen zu Themen wie Nachhaltigkeit, EPDs und Ökobilanzierung zusammen und erklärt die wichtigsten Konzepte und Zusammenhänge. Wir wollen unsere Mitgliedsunternehmen und -verbände bestmöglich bei ihrer Kommunikationsarbeit unterstützen, damit ihr Engagement für mehr nachhaltiges Bauen noch deutlicher wahrgenommen wird; denn sie leisten einen wesentlichen Beitrag für Umwelt und Gesellschaft.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU) betreibt ein Programm für Typ III-Umwelt-Produktdeklarationen (en: Environmental Product Declarations – kurz: EPDs) für Bauprodukte und Baukomponenten in Deutschland und Europa. Unter dem Dach des IBU bekennen sich rund 180 Unternehmen und Verbände zur Nachhaltigkeit und sind bestrebt, die Umweltwirkungen von Bauprodukten transparent zu machen und neutrale Informationen über den gesamten Lebensweg eines Produktes zu liefern. Im Interview mit forum beantwortet Dr.-Ing. Burkhart Lehmann, Geschäftsführer des IBU, einige Fragen zu den Themen IBU und EPDs.
Herr Lehmann, laut Ihrer Satzung ist es das Ziel des IBU, das nachhaltige Bauen zu fördern, insbesondere im Hinblick auf Umweltwirkungen und Gesundheitsaspekte von Bauprodukten. Dazu betreibt das IBU ein EPD-Programm. Aber – und das betont das IBU immer wieder – EPDs bewerten nicht und sind auch keine Nachhaltigkeitsgarantien oder Zertifikate. Wodurch fördern EPDs die Nachhaltigkeit?
EPDs bewerten, garantieren oder zertifizieren die Nachhaltigkeit eines Bauproduktes deshalb nicht, weil so etwas auf Produktebene nicht sinnvoll ist. Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf eine oder zwei Kennzahlen herunterbrechen, wie etwa den CO2-Ausstoß oder Wasserbedarf. Es müssen ganzheitlich betrachtet stets alle ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren berücksichtigt und abgewogen werden. Das funktioniert aber nicht, wenn man das Produkt isoliert betrachtet: Wie nachhaltig Bauprodukte sind, hängt vor allem davon ab, wofür sie im Gebäudekontext verwendet werden. Zusammen mit anderen Produkten bilden sie ein System, unterliegen Wechselwirkungen, müssen verschiedene Anforderungen erfüllen – deshalb sind Bewertungen und Vergleiche von Bauprodukten auch erst auf Gebäude- oder Bauteilebene sinnvoll. Und genau dafür liefern EPDs die Datengrundlage: auf Ökobilanzen beruhende und neutrale Informationen zu umweltrelevanten Produkteigenschaften, die unabhängig verifiziert wurden. So können Fachleute für jedes Gebäude berechnen, vergleichen und entscheiden, welches Bauprodukt für den jeweiligen Einbauzweck aus ökologischer Sicht das bessere ist.
EPDs basieren auf internationalen Normen, unter anderem auf der EN 15804. Die gilt als Grundlage für europaweit gültige EPDs. Trotzdem werden von einem europäischen Programmbetreiber veröffentlichte EPDs nicht ohne weiteres von den nationalen Märkten anderer europäischer Länder akzeptiert. Woran liegt das?
Die ISO 14025 und EN 15804 lassen viel Interpretationsspielraum in ihrer Anwendung zu, was zu unterschiedlicher Verifizierungspraxis und Auslegung der Normen führt. Außerdem stellen nationale Programmhalter zusätzliche Anforderungen an EPDs. Die Produkte werden aber europaweit produziert, gehandelt und verwendet. Hersteller müssen zum Teil noch für den jeweiligen nationalen Markt eine eigene EPD erstellen. All das führt zu erheblichen Hürden und Kosten für die europäische Baustoff- und Baukomponentenindustrie.
Wir arbeiten auf zwei Ebenen an einer Lösung: Eine meiner ersten Amtshandlungen als IBU-Geschäftsführer war die Gründung der ECO Platform AISBL gemeinsam mit 11 weiteren europäischen Programmbetreibern im Jahr 2013. Die ECO Platform ist ein Zusammenschluss europäischer EPD-Programmbetreiber, Ökobilanzierer und Industrieverbände mit dem langfristigen Ziel, europaweit die Anwendung der EN 15804 zu harmonisieren und einheitliche Standards für die Verifizierung zu schaffen. Mit der Veröffentlichung der ersten ECO Platform-EPDs, deren Verifizierungskriterien von allen Mitgliedern des Verbunds anerkannt werden, haben wir 2014 unseren ersten Meilenstein erreicht.
Außerdem erarbeitet das IBU mit anderen Programmbetreibern Vereinbarungen zur gegenseitigen Anerkennung unserer EPDs. Aufgrund dieser Vereinbarungen werden EPDs des IBU vom jeweiligen nationalen Programmbetreiber anerkannt und von ihm auf seiner Website oder in seiner Datenbank veröffentlicht – und andersherum genauso. Das reduziert den Aufwand und die Kosten für unsere Mitglieder erheblich und wir erleichtern ihnen den Zugang zu diesen Märkten. Eine gegenseitige Anerkennung besteht bereits mit den Programmbetreibern aus Schweden, Dänemark, Norwegen, Spanien und den USA. Mit BRE aus Großbritannien stehen wir kurz vor dem Abschluss.
Das IBU engagiert sich seit 2015 als institutioneller Partner beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Worum geht es bei diesem Engagement?
Mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis werden jedes Jahr Akteure und Projekte für herausragende Leistungen im Bereich der Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Das IBU ist Partner für den Sonderpreis „Ressourceneffizienz". Der Preis wird an Unternehmen vergeben, die in besonderer Weise Maßnahmen zur Ressourcen- und Energieeffizienz sowie innovative Recycling- und Kreislaufkonzepte etabliert haben.
Da das Bauwesen Ressourcen in vielfältiger Form und in großen Mengen nutzt, ist es besonders eng mit dem Thema verknüpft. Deshalb wird Ressourceneffizienz auch in den Indikatoren der EPD dargestellt und transparent gemacht. Und deshalb nimmt das IBU auch am „Runden Tisch Ressourceneffizienz im Bauwesen" vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit teil. Die Ressourceneffizienz im Bauwesen adäquat zu beurteilen, also Aufwand und Nutzen angemessen gegeneinander abzuwägen, ist sehr vielschichtig und an viele Faktoren gebunden. Schließlich hat das Bauwesen nicht nur starken Einfluss auf die Umwelt, sondern auch auf die Wirtschaft und die Gesellschaft. Der runde Tisch widmet sich – unter anderem in Forschungsprojekten – genau diesem Thema.
EPDs gelten im Bauwesen mittlerweile als ein Industriestandard, allein über das IBU wurden weit über 1.000 EPDs veröffentlicht. Der breiten Öffentlichkeit scheinen sie aber kaum bekannt zu sein. Warum nicht?
Zum einen erfordern EPDs Fachwissen wegen der Komplexität der enthaltenen Daten. Als Kommunikationsinstrumente richten sie sich deshalb an Experten und sind für viele Akteure nicht direkt verständlich. Hinzu kommt, dass die sachgemäße und für die breite Öffentlichkeit begreifliche Kommunikation über Nachhaltigkeit im Bauwesen und über die dazugehörigen Grundlagen, wie EPDs und Gebäudezertifizierungen, eine große Herausforderung ist. Sie ist aber auch enorm wichtig und zukunftsweisend. Wir haben deshalb das IBU-Kommunikationsmanual erstellt, das unseren Mitgliedern seit Anfang des Jahres zur Verfügung steht. Es fasst umfangreiches Hintergrundwissen zu Themen wie Nachhaltigkeit, EPDs und Ökobilanzierung zusammen und erklärt die wichtigsten Konzepte und Zusammenhänge. Wir wollen unsere Mitgliedsunternehmen und -verbände bestmöglich bei ihrer Kommunikationsarbeit unterstützen, damit ihr Engagement für mehr nachhaltiges Bauen noch deutlicher wahrgenommen wird; denn sie leisten einen wesentlichen Beitrag für Umwelt und Gesellschaft.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Technik | Green Building, 01.08.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2016 - Zukunft der Arbeit erschienen.
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