BIOFACH 2025

Nachhaltigkeits-Mythen auf dem Prüfstand

Unternehmen wie Procter&Gamble räumen auf mit Halbwissen und Hörensagen

Die Menge macht‘s: Schon kleine Veränderungen an Produkt oder Verpackung können große Mengen an Ressourcen einsparen. // Foto: © Procter & Gamble 

Über Nachhaltigkeit wird viel geredet. Viele Menschen empfinden den Begriff schon verwirrend. Was ist Fakt, was ist Mythos? Und welche Rolle spielen Unternehmen wie Procter & Gamble (P&G) für mehr Nachhaltigkeit?

Die gute Nachricht vorweg: Deutschland zählt weltweit unbestritten zu den Vorreitern beim Thema Nachhaltigkeit. Egal ob Mülltrennung, Recycling, Abwasserreinigung oder Energiewende – Technologie aus Deutschland setzt Maßstäbe und auch der Siegeszug der Bioprodukte startete hier besonders früh.

Dennoch halten sich rund um das Thema Nachhaltigkeit auch in Deutschland nach wie vor noch sehr hartnäckig Mythen, die oftmals eher auf Halbwissen und Hörensagen basieren, denn auf gesicherten Erkenntnissen. Einige dieser Mythen sollen im Folgenden auf den Prüfstand gestellt und faktenbasiert eingeordnet werden.

Mythos 1: Nur Konsumverzicht ist wirklich nachhaltig
Wer in Deutschland über Nachhaltigkeit diskutiert, trifft früher oder später auf Menschen, die ein „Es reichen 100 Gegenstände zum Leben"-Dogma vertreten. Was sicherlich jeder für sich so entscheiden kann. Allein: Dieses dogmatische Salon­denken ist alltagsfern. Insbesondere, wenn man Nachhaltigkeit aus globaler Perspektive betrachtet. Die Fakten zeigen: Auf der globalen Ebene nimmt der Wunsch nach Konsum zu und deshalb ist es wichtig, dass Nachhaltigkeit und Konsum miteinander einhergehen. Und genau hier ist die Industrie gefragt.

Dünnere Windeln erfreuen nicht nur das Baby – durch neue Technologien konnte in 25 Jahren der Verbrauch von Rohstoffen um mehr als 50 Prozent reduziert werden. // Foto: © Procter & GambleEine Initiative bei Pampers-Großpackungen hat beispielsweise im Jahr 2015 zu Einsparungen in Höhe von 80 Prozent beim Verpackungsmaterial geführt. Das sind allein für Europa über 6.000 Tonnen. Durch die Umstellung von Kartons mit innenliegenden Kunststoffbeuteln auf Folienverpackung können zudem mehr Windeln pro Palette transportiert werden, was seitdem zu einer Einsparung von mehr als 400 LKW-Ladungen und hochgerechnet zu einer Reduktion von 160 Tonnen CO2 führt. Schon über die letzten 25 Jahre wurden bei Pampers 50 Prozent des Windelmaterials und 70 Prozent des Verpackungsmaterials eingespart. Dieser Weg wird hartnäckig weiterverfolgt: Erst im August 2016 wurde deshalb eine neue Pampers Baby Dry eingeführt, bei der sich aufgrund von speziellen absorbierenden Kanälen das Windelmaterial nochmals um 16 Prozent gegenüber dem Vorgängermodell reduziert.

Auch in anderen Produktbereichen ist P&G in Sachen Nachhaltigkeit aktiv und hat mit Ariel 3in1 Pods ein Waschmittel entwickelt, das die drei wichtigsten Nachhaltigkeits­aspekte des häuslichen Waschens adressiert: Kompaktierung, richtig Dosieren und Kaltwaschen.

Die Ariel-Flüssigwaschmittelpods halten durch ein Dreikammersystem Inhaltsstoffe, die sich nicht gut miteinander vertragen, getrennt bis zur eigentlichen Wäsche. In bisherigen Flüssigwaschmitteln werden die Inhaltsstoffe durch Wasser separiert. Durch den Verzicht auf Wasser (zehn Mal weniger als bisher) kann ein sehr hoher Kompaktierungsgrad erreicht werden: Die Dosierung liegt bei 28 Millilitern (im Vergleich zu derzeit 65 Millilitern oder mehr). Dies bedeutet Materialeinsparungen und Logistikeffizienzen wie z.B. 13 Prozent weniger LKW-Transport. Die perfekt vordosierte Form verhindert zudem ein Über- und Fehldosieren des Verbrauchers, das leider trotz aller Verbraucheraufklärung immer noch häufig passiert. Last but not least fördert die ausgezeichnete Waschleistung bei 30 Grad das Waschen bei niedrigen Temperaturen und adressiert damit den Haupteinflussfaktor Energieverbrauch in der Ökobilanz von Waschmitteln.

Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass viel Handlungsspielraum für Hersteller in allen Branchen besteht, ihre Produkte laufend im Sinne von Mensch und Umwelt zu optimieren.

Mythos 2: Nachhaltigkeit rechnet sich nicht!
Nachhaltigkeit ist heute ein echter Wirtschaftsfaktor. Nicht nur in Deutschland, sondern in zunehmendem Maße auch weltweit, ist Nachhaltigkeit in der Mitte von Gesellschaft und Unternehmen angekommen. Die Biohersteller der ersten Stunde verzeichnen zweistellige Zuwachsraten und die Biofach in Nürnberg hat sich in kurzer Zeit zur Weltleitmesse entwickelt. Der branchenübergreifende Sustainability Image Score der Agenturgruppe Serviceplan zeigt ebenfalls beeindruckend, wie viel mehr Umsatz ein Unternehmen durch ein gutes Nachhaltigkeitsimage macht. Die Ergebnisse einer Verbraucherbefragung über das Nachhaltigkeitsimage von mehr als 1.000 Unternehmen liefert den Beweis, wie wichtig Nachhaltigkeit heute für den Unternehmenserfolg ist: Über zehn Prozent Umsatzanteil sind es bei Unternehmen, deren Nachhaltigkeitsimage gut bis sehr gut entwickelt ist. Unter ein Prozent beträgt dieser „Nachhaltigkeitsumsatz" bei Unternehmen, die entweder ein schlechtes Image haben oder bei denen das Thema noch keine Relevanz für Kunden hat.

Und selbst wenn laut Studien viele Verbraucher noch nicht bereit sind, höhere Preise für ein höheres Maß an Nachhaltigkeit zu bezahlen, wird durch den Sustainability Image Score eindeutig klar, dass Anbieter mit einem höheren Nachhaltigkeitsengagement langfristig die Kunden auf ihre Seite ziehen können. Das Nachhaltigkeitsengagement wird damit zum Zünglein an der Waage von Kaufentscheidungen.

Dies belegen weitere Untersuchungen. Darin haben Verbraucher ihre Entscheidung für einen Markenartikel mit dem Vertrauen in nachhaltige Produktion, Qualität und Sozialstandards begründet und betont, dass dafür auch ein höherer Preis gerechtfertigt sei. Nachhaltigkeit bei Produkten und Wertschöpfungs-ketten wird somit sehr wohl honoriert und sichert gleichzeitig die Zukunft der Marke über Sinnhaftigkeit und Differenzierung. Dabei lassen sich die finanziellen Vorteile von Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung durchaus auch in Zahlen messen. Bei P&G konnten z.B. durch eine klare Zero-Waste-to-Landfill-Strategie, das heißt möglichst keine Abfälle mehr auf Deponien zu entsorgen, große Einsparungen erzielt werden.

Auch die seit 2010 erzielten Einsparungen beim Wasser- (21% ) und Energieverbrauch (15%) in den P&G-Werken manifestieren sich in spürbaren Kostenreduzierungen.

Mythos 3: Nachhaltigkeit funktioniert nur in der Nische
Kleine Unternehmen mögen sich in der Nische leichter tun. Großunternehmen können aber einen anderen Vorteil ausspielen: Allein aus Skaleneffekten können sie sehr viel bewirken, wenn sie die richtigen Weichen stellen. Wenn z.B. P&G den Anteil von Recyclat in Waschmittelpackungen auf bis zu 50 Prozent erhöht, dann betrifft das in Summe 230 Millionen Gebinde pro Jahr. Manche Impulse kommen aus der Nische, entfalten ihre volle Wirkung für den Umweltschutz aber erst, wenn die großen Unternehmen auf stabile und für den Massenmarkt funktionierende Lösungen zugreifen können.

Ökologische und soziale Verantwortung sind fester Bestandteil der Unternehmensstrategie von Procter & Gamble und sind in den ­Geschäftsabläufen verankert. Eine konkrete Zielformulierung bis 2020 soll sicherstellen, dass im Hinblick auf die langfristige Vision Fortschritte erzielt werden. // Grafik: © Procter & Gamble

Mythos 4: Nachhaltigkeit ist doch ganz einfach
Ganz so einfach ist es eben nicht. Nachhaltigkeit zu etablieren bedeutet, „dicke Bretter zu bohren" und Widerstände zu überwinden. Zunächst müssen Denkstrukturen neu definiert und neue Abläufe getestet werden. Gleichzeitig benötigt man Zeit, um die Produkte weiterzuentwickeln. Ein Waschmittel einzuführen, das kaum Auswirkungen auf die Umwelt hat, ist vergleichsweise leicht. Aber wenn es nicht verlässlich sauber wäscht, wird es kaum erfolgreich sein. Um eine Balance zwischen herausragender Leistungskraft und möglichst viel Umweltschutz herzustellen, benötigt es Entwicklungszeit und bestens qualifizierte Ingenieure und Wissenschaftler.

Auch bei P&G hat es seine Zeit gebraucht, nachhaltiges Denken tief im Unternehmen zu verankern. Zum einen, weil sich Nachhaltigkeit je nach Produkt-kategorie an unterschiedlichen Kriterien festmacht. Bei einem Shampoo beispielsweise bestimmt vor allem die heiße Dusche die CO2-Bilanz, während es bei Windeln eher um die Materialien und ihre Verarbeitung geht, die es zu optimieren gilt. Beim Wäschewaschen wiederum hat die Wahl der Temperatur des Wassers in der Waschmaschine den größten Einfluss, sodass hier die Rezepturen entwickelt werden müssen, die Wäschen bei niedrigen Temperaturen ermöglichen.

Außerdem hat Nachhaltigkeit in den verschiedenen Ländern weltweit einen unterschiedlichen Stellenwert und die Voraussetzungen bei der Infrastruktur sind zum Teil gänzlich unterschiedlich. Und auch in diesen Ländern müssen die Produkte funktionieren und dürfen die Umwelt nicht unnötig belasten. Die Frage nach der Verfügbarkeit von sauberem Wasser ist z.B. eine, die sich in Deutschland heute nicht stellt, der man als weltweit aktives Unternehmen jedoch mit der Entwicklung von möglichst wassersparenden Produkten begegnen muss.

Mythos 5: Nur Umweltsiegel sind ein verlässlicher Kompass für Nachhaltigkeit
Umweltsiegel sind oft national, z.B. der bekannte blaue Engel. Der Schutz von Klima und Umwelt macht aber nicht an nationalen Grenzen Halt. Hinzu kommt: Die Vielzahl an Siegeln verwirrt Verbraucher inzwischen mehr, als dass sie Orientierung bietet. Nicht umsonst gibt es mittlerweile bereits (vom Steuerzahler finanzierte) Initiativen wie „Siegelklarheit.de" oder Siegel, die Siegel bewerten. Dass einige Siegel miteinander in direkter Konkurrenz stehen, ist für das Verbrauchervertrauen ebenfalls nicht förderlich.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Bewerben um 100 verschiedene Siegel mit 100 verschiedenen Kriterien in 100 verschiedenen Ländern für ein und dasselbe Produkt tatsächlich sinnvoll ist. Oder ob die Stärkung der Marke über nachweisbare Fortschritte beim Thema Nachhaltigkeit nicht ein geeigneterer Weg zumindest für große, global aufgestellte Unternehmen sein kann. Voraussetzung ist dabei dann natürlich eine aktive Teilnahme an der Debatte um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung und die offene und respektvolle Auseinandersetzung mit NGOs und Umweltschutzorganisationen. Toleranz beinhaltet dabei auch den Zweifel, dass der Andere Recht haben könnte.

Dass derartige Kooperationen funktionieren können, zeigt ein Beispiel:
So beteiligt sich P&G am WWF-Programm „Global Forest & Trade Network". Über dieses wurden eine solide Richtlinie zur Holzfaserbeschaffung eingeführt und Fortschritte im Hinblick auf die Beschaffungsziele, d.h. die Erhöhung des Anteils der FSC-zertifizierten Quellen, erzielt. Auch am WWF Climate Savers Programm ist P&G sehr aktiv beteiligt.

Mythos 6: Mitarbeiter und die Gesellschaft haben kein Interesse an Nach­haltigkeit
Ganz allgemein müssen Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter natürlich auch die Bereitschaft unter Beweis stellen, Nachhaltigkeitsstandards einzuführen und diese transparent nachvollziehbar zu machen.

Ein wichtiger Schritt dafür ist ein sauberes Berichtswesen über die finanziellen Aspekte hinaus (non financial reporting) und eine ehrliche interne und externe Kommunikation. Viele Mitarbeiter stellen inzwischen die Frage nach dem Sinn des Unternehmens und seines gesellschaftlichen Beitrags. Dies beweisen neue Jobbörsen wie GoodJobs, JobVerde und Green Jobs oder Berater wie Talents4Good. Wer also seine besten Talente halten will, muss hierfür schlüssige Antworten und Lösungen bieten.

P&G informiert die Mitarbeiter nicht nur regelmäßig über das Nachhaltigkeitsengagement des Unternehmens, sondern motiviert und unterstützt sie ganz gezielt dabei, sich auch selbst nachhaltiger zu verhalten. Sei es beim jährlichen Earth Day, der an verschiedenen Standorten genutzt wird, den Mitarbeitern konkrete Anregungen für den Alltag zu liefern, oder z.B. durch Angebote rund um das Thema Mobilität: Fahrradreparaturservice am Standort der Hauptverwaltung, um das Radfahren zur Arbeit zu fördern, die Einrichtung eines Shuttle Service zur besseren Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr oder die Förderung von Fahrgemeinschaften.

Dass viele Unternehmen inzwischen detaillierte und nach internationalen Standards geprüfte Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen, ist ein gutes Zeichen. Den P&G-Nachhaltigkeitsbericht finden Sie im Übrigen hier: www.de.pg.com in der Rubrik Nachhaltigkeit.

Ich freue mich auf Fragen, Gedanken und den Austausch mit interessierten Lesern. 

Katharina Marquardt ist promovierte Biochemikerin und hatte Führungspositionen in Forschung und Entwicklung inne. Heute leitet sie die Wissenschaftskommunikation der P&G Unternehmensgruppe in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sind die Nachhaltigkeits­initiativen von P&G sowie die Zusammenarbeit mit Umweltschutzorganisatio­nen und wissenschaftlichen Expertengruppen.


Wirtschaft | Branchen & Verbände, 01.11.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2016 - Klima, Krieg und gute Taten erschienen.
     
        
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