Helau, Alaf, Narri Narro!
Christoph Quarch freut sich über die spielerische Aussetzung der Ordnung während der Karnevalstage
Die närrische Zeit ist im vollen Gange. Nein, dieses Mal ist weder vom Wahlkampf noch von Donald Trump die Rede, sondern vom Karneval – der Fassnacht oder dem Fasching, je nachdem in welcher Weltgegend Sie sich aufhalten. Obwohl … vermutlich wird die Politik aber auch dann eine Rolle spielen, wenn in den Karnevalshochburgen am Rosenmontag die Themenwagen durch die Straßen rollen. Dann werden die Karnevalisten den wackeren Versuch unternehmen, dem Ernst des Lebens mit einer Prise Humor zu begegnen – was jedoch auch viele abstößt, weil ihnen irgendwie das Lachen vergangen ist. „Man kann doch nicht ausgelassen feiern, wenn anderswo Krieg herrscht", sagen die einen. „Der Karneval kommt gerade zu rechten Zeit, um auf andere Gedanken zu kommen", meinen die anderen.

Wieviel Humor ist bekömmlich – oder gar notwendig? Das haben wir den Philosophen Christoph Quarch gefragt. Herr Quarch, feiern Philosophen Karneval?
Also, ich bin ja gebürtiger Düsseldorfer. Da verfolgt einen der Karneval von Kindheit an. Und ich bin froh darüber. Ich bin zwar kein Vollblut-Jeck und es gab Zeiten, zu denen ich mich am Karnevalswochenende aus dem Staub gemacht habe, aber alles in allem finde ich es wunderbar, dass es diese tollen Tage gibt, an denen die die Leute mal über die Stränge schlagen und sich über die Tristesse des Lebens lustig machen können. Humor ist heilsam, weil man mit ihm eine andere Perspektive bekommt. Lachen hilft gegen die allgemeine Übellaunigkeit, feiern gegen das weitverbreitete Rumgenörgel. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die politische Landkarte vor allen in den Regionen blau ist, in denen kein Karneval gefeiert wird.
Sie sagen, es sei gut, dass die Leute mal über die Stränge schlagen können. Ich gehe mal davon aus, dass Sie dabei nicht an den exzessiven Alkoholkonsum denken, der vielerorts mit Karnevalsfeiern verbunden ist.
Völlig richtig. Die Alkoholexzesse sind für mich ein Krisensymptom, das zeigt, dass der Karneval seine ursprüngliche Kraft oft verloren hat. Die besteht vor allem darin, die Menschen zusammenzubringen und ein Gemeinschaftserlebnis zu ermöglichen. Wir sind mit unseren Kids immer mal wieder am Karnevalssonntag nach Düsseldorf gefahren, um uns auf der Königsallee unter die Jecken zu mischen. Da liegen sich alle in den Armen und freuen sich des Lebens. Oder ich denke an den Straßenkarneval in Rio: die kollektive Ekstase zu den Sambatrommeln. Das beamt einen auch ohne Alkohol in eine andere Dimension. Das Zweite haben Sie schon angesprochen: An Karneval bricht sich der Humor die Bahn. Und auch wenn man nicht immer über alles lachen kann, was da so geschieht, finde ich es doch gut, dass dem Spott an diesen Tagen freier Lauf gelassen wird.
Aber gilt es dabei nicht ein paar Grenzen von Moral und Anstand zu bewahren? Humor – gerade Spott – kann sehr verletzend sein.
Ich glaube nicht. Der eigentliche Zauber des Karnevals besteht in meinen Augen darin, dass die Moral an diesen Tagen in den Hintergrund treten darf. Bei den historischen Vorgängern des Karnevals trat sie nicht nur in den Hintergrund, sondern wurde völlig außer Kraft gesetzt. Die Karnevalsfeiern sind ja keine Erfindung der katholischen Kirche, sondern haben ihren Ursprung in uralten Stammesriten, die man überall auf der Welt findet. Vor allem aber in den Dionysos-Feiern der griechisch-römischen Antike, die zur gleichen Zeit gefeiert wurden. Dabei wurde die gesamte bürgerliche Ordnung außer Kraft gesetzt. Selbst die von mir sehr geschätzte alemannische Fasnet mit ihrem uralten Brauchtum scheint mir nur ein schwacher Abglanz von dem kollektiven Rausch zu sein, dem sich damals die Menschen hingaben.
Im christlichen Verständnis wird Karneval gefeiert, um die Fastenzeit einzuleiten. Ganz nach dem Motto: Noch mal auf die Pauke hauen, bevor es ernst wird. War das bei den alten Stammesfesten auch so?
Es war anders. Die Griechen feierten Dionysos als den Gott der Transformation. Sie wussten, dass moralische und politische Ordnungen – die sie außerordentlich schätzten – das Leben der Menschen ersticken können. Deswegen musste zu einer fest definierten Zeit in einem klaren kultischen Rahmen, die Ordnung spielerisch ausgesetzt werden. Nun war es erlaubt, die Herrschenden zu verspotten; nun konnte man sich verkleiden und in andere Rollen schlüpfen – vorzugsweise in die des anderen Geschlechts; nun konnte man über alles lachen, was sonst so heilig und wichtig schien – idealerweise auch über sich selbst. Und genau dieses Aufbrechen der gewohnten Ordnung galt als etwas Heiliges und Göttliches. Eben weil es einen wieder atmen lässt und dem Leben wieder Raum gibt. Ich glaube, es täte uns allen gut, etwas von dieser Weisheit neu zur Geltung zu bringen. In diesem Sinne: Helau, Alaf, Narri Narro!

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
Aktuelle Bücher von ihm sind „Wacher Geist und fester Schritt. The Donkey School for Leadership" (2024), „Schönheit rettet die Welt” (2024) und "Der Club der alten Weisen" (2023).
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 24.02.2025

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