BIOFACH 2025

Arzneimittelbelastung in Gewässern

Projekt PharmCycle erforscht Lösungen

Die Arzneimittelbelastung in Gewässern zu reduzieren – das ist das Ziel des interdisziplinären Forschungsprojekt PharmCycle an der HAW Hamburg. Forscherinnen und Forscher aus drei Departments arbeiten in Kooperation mit der Leuphana Universität Lüneburg an Lösungen. Mit einer Summe von 300.000 Euro gefördert, läuft das Projekt bis zum Jahr 2019.

Der Bengalgeier ist ein stattlicher Vogel: Bis zu 2,8 Meter spannen sich seine Flügel. Und er ist gesellig, denn er brütet in Kolonien von bis zu 40 Paaren. Seine Nahrung – Tierkadaver – verspeist er in Gesellschaft von dutzenden Artgenossen. Diese Kolonien allerdings werden seit Jahren kleiner. Denn der Bengalgeier ist vor allem eines: vom Aussterben bedroht. Innerhalb von 15 Jahren dezimierte sich die Population um beinahe 100 Prozent.

Als Ursache für das Sterben insbesondere in Südostasien konnten Forscher den Verzehr von mit Diclofenac kontaminierten Kühen ausmachen, der die Geier an Nierenversagen sterben ließ. Diclofenac ist nur einer von zahlreichen Wirkstoffen aus der Human- und Tiermedizin, die in Gewässern vorhanden sind. Diese Arzneimittelrückstände sind nicht nur in Asien ein Problem, sondern weltweit: Die EU ist zweitgrößter Arzneimittelkonsument der Welt. Der Medikamentenkonsum der Europäer hat sich in den vergangenen 25 Jahren verfünffacht. Zwischen 2004 und 2014 stieg das Volumen der verabreichten Medikamente kontinuierlich an. Die schlechte Nachricht: Ein Großteil der verordneten Wirkstoffe übersteht den menschlichen Körper unbeschadet. Sie landen in den Gewässern – und aus Heilmitteln werden Schadstoffe.

Vom Heilmittel zum Schadstoff: Die Arzneimittelbelastung in Gewässern steigt kontinuierlich. Foto: qimono / PixabayDie Gewässerbelastung durch Arzneimittel ist Ausgangspunkt für das Projekt PharmCycle an der HAW Hamburg. Mit einer Summe von 300.000 Euro vom Zukunftsfonds der HAW Hamburg gefördert, macht sich PharmCycle von 2015 bis 2019 fächerübergreifend auf die Suche nach Lösungen zur Reduzierung der Arzneimittelbelastung in Gewässern. Die Perspektiven der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen des Projektes fasste am 3. November 2016 erstmals ein Symposium zusammen, das die Leiterin von PharmCycle, Prof. Dr. Carolin Floeter vom Department Umwelttechnik an der Fakultät Life Sciences, organisierte.

Ziel der mit circa 200 Teilnehmenden gut besuchten Veranstaltung war es, eine Wissensplattform zu schaffen, bei der die Öffentlichkeit über das Problem und mögliche Lösungsansätze des Forschungsvorhabens PharmCycle an der HAW Hamburg informiert wird.

Floeter ist überzeugt, dass für die Risikominimierung dringend Maßnahmen an allen Stellschrauben erforderlich sind: „Die Arzneimittelbelastung der Gewässer und des Trinkwassers sind eine Zeitbombe." Das interdisziplinäre Projekt PharmCycle setzt dabei an vier Stellen an: Bei der Zulassung von Arzneimitteln, bei der Reinigung des Abwassers, bei der Herstellung von nachhaltigen Arzneimitteln und bei den rechtlichen Rahmenbedingungen. Insgesamt sind drei kooperative Promotionsvorhaben an der HAW Hamburg mit dem Projekt PharmCycle befasst.

Warum sind die Arzneimittel im Wasserkreislauf?
Hauptgründe für Gewässerbelastung sind menschliche und tierische Anwendungen sowie die unsachgemäße Entsorgung. So machte Dr. Udo Rohweder vom Institut für Hygiene und Umwelt auf die wesentliche Rolle kommunaler Kläranlagen beim Eintrag von Arzneimittelrückständen in Gewässer aufmerksam. Dabei griff er auf Messdaten der Hamburger Flüsse einschließlich der Elbe zurück.

Kritisch sieht die Biologin Floeter die Situation aufgrund von drei wesentlichen Eigenschaften der Arzneimittel: ihre hohe spezifische Aktivität in lebenden Organismen, der Konsum in wirksamen Konzentrationen und ihre chemischen Stabilität. Je stabiler der Wirkstoff konzipiert ist, desto länger verbleibt er in der Umwelt. Dennoch werde das Trinkwasser nach wie vor nicht auf Arzneimittelgehalte untersucht. Hinzu kommt, dass eine Prüfung aller Stoffe unmöglich ist: 2300 Wirkstoffe zählte das Umweltbundesamt im Jahr 2012, davon sind 1200 Stoffe umweltrelevant und deshalb gewässertechnisch zu erforschen.

Risikobewertung im Zulassungsverfahren
Teil des Zulassungsverfahrens von neuen Arzneimitteln ist eine Risikobewertung nach Umweltgesichtspunkten durch das Umweltbundesamt. Bei der Zulassung von Humanarzneimitteln gibt es seit 2006 eine Umweltrisikobewertung, sie gilt allerdings nur für Neuzulassungen und hat praktisch keine Auswirkung auf die Zulassung. Das potentielle Risiko für die Umwelt wird aus Labormessungen abgeleitet. Dabei wird eine Konzentration ermittelt, bis zu der keine Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Ein Teilprojekt von PharmCycle unter der Leitung der Ökotoxikologin Floeter evaluiert und optimiert bestehende Testverfahren und entwickelt auf dieser Basis neue Tests für die ökotoxikologische Risikobewertung von Antibiotika. Jens Heseding analysiert in seiner Doktorarbeit in Kooperation mit Prof. Dr. Kümmerer von der Leuphana Universität Lüneburg Umweltrisiken von ausgewählten Antibiotika mit bestehenden und neu entwickelten Biotestverfahren. Antibiotika werden besonders oft verordnet, kommen deshalb häufig in der Umwelt vor und gelten als prioritär, das heißt sie weisen ein erhebliches Risiko für Gewässer auf.

Ziel des Projekts ist es aus diesem Grund, die rechtliche Implementierung der Erkenntnisse voranzubringen, auch um „Alt(-Zugelassene-)Arzneimittel" zu priorisieren und auf ihr Umweltrisiko hin neu zu bewerten. Dauerhaft sollten Instrumente zur Überwachung der Arzneimittel in Gewässern eingerichtet werden.

Neue Reinigungsverfahren in Kläranlagen
„Wären Sie grundsätzlich bereit, für die Beseitigung vorhandener Medikamentenreste im Abwasser eine höhere Abwassergebühr zu bezahlen?" Mit dieser Frage begann Prof. Dr.-Ing. Jörn Einfeldt vom Department Umwelttechnik an der HAW Hamburg die Vorstellung seines Teilprojektes bei PharmCycle. Gemeint ist die verfahrenstechnische Optimierung von Kläranlagen. Im Gegensatz zu den Teilnehmern des Symposiums, die diese Frage nahezu einstimmig mit „Ja" beantworteten, zeigten Umfragen, dass nur knapp über 30 Prozent der Befragten bereit wären, mehr zu bezahlen. Ein Grund dafür, so Prof. Einfeldt, sei der weit verbreitete Glaube, dass vor allem die Abwässer der Pharmaindustrie für die Rückstände in Gewässern verantwortlich seien. Vom Körper nicht verarbeitete und ausgeschiedene Medikamente machten hingegen nur wenige Befragte verantwortlich. Tatsächlich sei aber genau das Gegenteil der Fall.

Ein Ansatzpunkt bei der Verringerung des Eintrages ist die Modifikation der Kläranlagen, die der Umwelttechniker Einfeldt gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr.-Ing. Falk Beyer, Leiter des Departments Verfahrenstechnik an der Fakultät Life Sciences, und Doktorand Jan Demmer analysieren und optimieren will. Die Erweiterung der Anlagen um eine vierte Reinigungsstufe erfordere aus verschiedenen Gründen besondere Vorsicht: Eine solche Reinigungsstufe müsse ein möglichst breites Spektrum an Stoffen abdecken, gleichzeitig dürfen dabei keine giftigen Abbauprodukte oder chemische Wechselwirkungen entstehen. Außerdem müsse die Reinigungsstufe wirtschaftlich umsetzbar sein und ohne großen Aufwand in bestehende Anlagen integriert werden können. Ziel dieses Teilprojektes ist es somit, verschiedene Verfahren zu erproben und zu bewerten. Die zu erwartenden Mehrkosten einer solchen Reinigungsstufe pro Person und Monat lägen schätzungsweise zwischen 20 Cent und 1,30 Euro.

Herstellung nachhaltiger Antibiotika
Ein weiteres Teilprojekt von PharmCycle setzt bereits vor dem Zulassungsverfahren an: bei der Entwicklung und der biotechnologischen und der chemischen Herstellung eines Wirkstoffes. Prof. Dr. Jörg Andrä und Prof. Dr. Gesine Cornelissen vom Department Biotechnologie der HAW Hamburg konzipieren mit dem Doktoranden Jan Demmer nachhaltige Antibiotika auf Basis antimikrobieller Peptide, die in der Natur vorkommen. Die Struktur dieser Peptide wird weiterentwickelt und ein biotechnologisches Herstellungsverfahren erprobt. Ziel ist es, wirksame Antibiotika herzustellen, die nicht dauerhaft stabil, sondern leichter abbaubar sind und so spätestens in der Kläranlage neutralisiert werden. Zusätzlich sollen sie ein weiteres Problem lösen: Die zunehmende Resistenz der Bakterien gegen herkömmliche Antibiotika. Aus Sicht von Professor Andrä ist dafür eine stärkere Zusammenarbeit aller Wissenschaften nötig – vor allem mit Pharmazie und Medizin.

Prof. Dr. Kümmerer, Direktor des Instituts für Nachhaltige Chemie und Umweltchemie an der kooperierenden Leuphana Universität in Lüneburg, ist der Meinung, dass eine gute Abwasserreinigung allein nicht ausreicht. Es müsse bereits früher angesetzt werden. Sein Ziel ist es, bestehende Arzneimittel zu „Re-Designen", das heißt die ursprünglichen Medikamente im Labor mithilfe von Licht und Mikroorganismen abzubauen und zu prüfen, ob das Umwandlungsprodukt als neues, nachhaltiges Medikament geeignet ist. Ein solches Medikament wäre wie die Ursprungs- („Mutter"-)Substanz wirksam, aber leichter in der Umwelt abbaubar. Darüber hinaus möchte der Chemiker bei der Entwicklung eines Wirkstoffs die Umweltverträglichkeit „kostenlos dazu" zu liefern. Neue Wirkstoffe würden ständig gesucht, da sei es eine große Chance, im gleichen Zug auch die Auswirkungen auf die Umwelt zu verbessern. Kümmerers „Benign by Design" Forschung wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.

In drei Zyklen werden in PharmCycle die alten, prioritären Antibiotika mit den neuen, biotechnologisch und chemisch-physikalisch hergestellten Antibiotika hinsichtlich ihres Umweltrisikos und ihres Verhaltens bei der Abwasserreinigung verglichen.

Rechtliche Implementierung des Erforschten
Die Begleitung aller Teilprojekte und die Umsetzung der Ergebnisse in einem rechtlichen Rahmenkonzept ist Gegenstand der juristischen Promotion von Kim Oelkers. Die Promotion wird von der Hamburger Kanzlei Christian Teppe finanziert und voraussichtlich in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg realisiert. Betreuerin von Kim Oelkers ist Professorin Floeter, die zusätzlich zum Biologiestudium Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Umweltrecht studierte. Aus Sicht Floeters ist die rechtliche Komponente unverzichtbar: „Wir können viel forschen, doch erfolgreich werden wir nur sein, wenn diese Instrumente auch im Umweltrecht umgesetzt werden. Neben meiner ökotoxikologischen Qualifikation bin ich Umweltrechtlerin und sehe hier zurzeit das Nadelöhr – rechtliche Möglichkeiten werden auf EU Ebene nicht ausgeschöpft und sind noch weiter zu entwickeln."

Dauerhaft lasse sich eine Belastung nur dann minimieren, wenn die unterschiedlichen Maßnahmen und Ansätze miteinander kombiniert würden, fasst Dr. Arne Hein vom Umweltbundesamt aus Dessau das Symposium zusammen. Besonders weist er auf die unsachgemäße Entsorgung hin: 15 Prozent der Deutschen entsorgen ihre Medikamente über den Hausmüll, 47 Prozent entsorgen flüssige Medikamente in die Abwassersysteme. Zusätzlich gebe es Spielräume in der Arzneimittelzulassung und im Wasserrecht. Das Ziel des Projektes PharmCycle ist deshalb aus seiner Sicht richtig: eine fachübergreifende Zusammenarbeit für einen ressourcenschonenden Umgang im Interesse heutiger und zukünftiger Generationen. Daher werden die Studierenden bei PharmCycle in eine interdisziplinäre, projektbasierte Lehre und Forschung eingebunden.

Moritz Heitmann

Prof. Dr. Carolin Floeter ist Dipl.-Biologin mit Zusatzstudium Öffentliches Recht, Schwerpunkt Umweltrecht. Interdisziplinäre Dissertation zur marinen ökotoxikologischen Risikobewertung an der TU Hamburg-Harburg und Forschungsstelle für Umweltrecht der Universität Hamburg. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin und selbstständig als „Science and Law Consult" und befasste sich u.a. mit der Umweltrisikobewertung von Tierarzneimitteln für Pharmaunternehmen, bevor sie im Jahr 2011 an die HAW Hamburg kam. Dort ist sie im Department Umwelttechnik zuständig für die Biologie, Hydrobiologie, Ökotoxikologie und Umweltrecht. Die Leiterin des Projekts PharmCycle ist zusätzlich für das Teilprojekt Ökotoxikologische Risikobewertung verantwortlich.

Kontakt: Prof. Dr. Carolin Floeter, HAW Hamburg
carolin.floeter@haw-hamburg.de | www.haw-hamburg.de


Technik | Wissenschaft & Forschung, 01.02.2017

     
        
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