BIOFACH 2025

Dürren & Digitalisierung:

Interdisziplinäres Forschungsprojekt will Big Data zum Schutz vor Dürren nutzbar machen

Angesichts des Klimawandels wagt ein 25-köpfiges Forschungsteam einen völlig neuen Ansatz. Diese Exzellenzstrategie könnte Visionen den nötigen Schub geben.
 
Der Klimawandel ist da und in Europa nehmen Dürren samt Ernteausfällen bereits zu. Um Landwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft dagegen zu wappnen, setzt ein Forscherteam der Universität Hohenheim nicht nur auf Pflanzenzüchtung und angepasste Anbauverfahren. Den Durchbruch sollen die zunehmende Digitalisierung und das sog. "Internet der Dinge" bringen. Für diese Vision vereinigen handverlesene Expertinnen und Experten aus allen Fakultäten der Universität Hohenheim in Stuttgart ihren Sachverstand und Forschungsambitionen. Zusätzliche Expertise finden sie bei herausragenden Kollegen der Universitäten Stuttgart, Tübingen und am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Dabei baut Deutschlands Nr. 1 in der Agrarforschung auf eingespielte Teams und hochrangige Vorarbeiten auf. Die millionenschwere Finanzierung für die extrem aufwendige Grundlagenforschung könnte die Exzellenzstrategie von Bund und Ländern in Form eines Exzellenzclusters bringen. Arbeitstitel des Projektes: „Landwirtschaftliche Dürren im digitalen Zeitalter" (Agricultural Droughts in the Digital Era (AGER))
 
Der Klimawandel ist da und in Europa nehmen Dürren samt Ernteausfällen bereits zu. © pixabay.deEs sind Gedanken wie diese, die Prof. Dr. Thilo Streck als Sprecher des Expertenteams umtreiben: Weil der Kraftaufwand beim Pflügen unter anderem auch von der Feuchtigkeit des Bodens abhängt, könnten Computer aus den Bewegungsdaten aller Traktoren und aus deren Dieselverbrauch eine ungeahnt präzise Karte der Bodenfeuchte in Deutschland errechnen.
 
Mit diesem Datenschatz ließen sich dann auch neue Computerprogramme zur saisonalen Wetter- und Erntevorhersage füttern. Mit deren Vorhersagen wird angestrebt, dass Landwirte bereits im März wissen, ob im Juni oder Juli eine Dürre droht und welche Gewinneinbußen sie zu erwarten haben. Sie könnten dann zu Saisonbeginn Feldfrüchte säen, die schnell abgeerntet sind, ihre Düngungsmengen anpassen oder auf trockenresistente Neuzüchtungen umsteigen.
 
Lohnunternehmer könnten den Maschinenbedarf für ihre Erntekampagnen vorausplanen, Versicherungen maßgeschneiderte Programme für den Ertragsausfall auflegen. Und Lebensmittelproduzenten könnten ihre Produktionsabläufe auf Angebot, Menge und Zeitpunkt ausrichten.
 
Visionen mit hohem Forschungsbedarf – doch wichtige Grundlagen sind bereits da
Ganz so einfach wie dargestellt, ist die Rechnung natürlich nicht. Denn neben der Bodenfeuchte bestimmt vor allem auch der Tongehalt den Pflugwiderstand. Doch auch diese Effekte lassen sich wahrscheinlich aus den Daten herausfiltern.
 
Auf jeden Fall braucht es jedoch noch sehr viel Grundlagenforschung. Und vielleicht wird sich dieses ganz konkrete Gedankenspiel so auch nie erfüllen.
 
Aber: Schon heute besitzen die neueren Traktoren Bordcomputer, die diese und viele weitere Daten aufzeichnen und in sogenannte Daten-Clouds übertragen. Weitere Daten stammen z.B. von Agrardrohnen, wie sie die Universität Hohenheim bereits einsetzt. Oder von speziellen Sensoren, die den Düngungszustand und Schädlingsbefall von Pflanzen erkennen können.
 
Besondere Erfahrung besitzt die Universität Hohenheim auch bei der Entwicklung neuartiger Software für Klimaprognosen, die unerreicht kleinräumige und präzise Vorhersagen treffen. Dabei kommt ihr zugute, dass Physiker, Pflanzenwissenschaftler und Agrarökonomen hier Hand in Hand arbeiten.
 
„Wie sich das Klima vor Ort entwickelt, ist das Ergebnis von hochkomplizierten Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, die Wasser verdunsten, der Atmosphäre, wo sich die Wolken bilden, und dem Menschen, der zum Beispiel als Landwirt entscheidet, welche Pflanzen er wann, wo und wie anbaut", erklärt Prof. Dr. Streck. „An der Universität Hohenheim haben wir es geschafft, für alle Teilprozesse Computermodelle zu programmieren, die wir gerade zu einer Gesamtsoftware für den Supercomputer am Hochleistungsrechenzentrum Stuttgart zusammensetzen."
 
Wesentliche Voraussetzungen: Besseres Verständnis von Pflanze und Ökosystem
Auf solche und auf viele andere Vorarbeiten wollen die Forscherinnen und Forscher zurückgreifen, wenn sie nun erforschen, wie sich Landwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft speziell gegen die zunehmenden Dürreperioden wappnen können.
 
Ein Baustein dabei sind neue Züchtungskonzepte für Pflanzensorten, die auch ungünstigere Verhältnisse ohne größere Ernteverluste überstehen. Doch um diese besser züchten zu können, müssen die Forscher erst einmal die Genetik und die Prozesse verstehen, die bei der Dürre innerhalb von Pflanzenzellen ablaufen.
 
„Bisherige Ergebnisse stammen aus Gewächshäusern und entsprechen oft nicht der Realität", begründet Prof. Dr. Streck den besonderen Forschungsbedarf. Dabei gilt es, abertausende von Substanzen in ungezählten Pflanzen zu analysieren – eine Aufgabe, die nur mit modernster Analytik und Bioinformatik zu bewältigen ist.
 
Ein weiteres Team untersucht die Ökologie des gesamten Ökosystems auf dem Acker: „Dabei geht es um Fragen, wie sich bei verschiedenen Arten von Dürre die Gleichgewichte zwischen Nutzpflanzen, Unkräutern, Bodenleben, Nutz- und Schadinsekten verschieben. Oder um die Frage, ob wir auf einem Acker verschiedene Nutzpflanzen mischen, die sich das Wasser aus verschieden tiefen Bodenschichten holen und so Dürren in Gemeinschaft besser überstehen."
 
Unabdingbar: bessere Saison-Vorhersagen und Big-Data-Analysen
Große Bedeutung haben auch bessere saisonale Wetter- und damit Ernteprognosen. Prof. Dr. Volker Wulfmeyer vom Institut für Physik: „Unser Ziel ist es, Jahreszeitenvorhersagen für die kommende Vegetationsperiode zu verbessern und damit auch den letztlich erzielbaren Ernteertrag zu prognostizieren. Bislang lässt sich das Wetter nur für ein paar Tage präzise vorhersagen, wir müssen also Wege finden, sehr viele und sehr detaillierte Messdaten zu erheben und auszuwerten."
 
Eine Spezialität der Universität Hohenheim ist es, auch das menschliche Anpassungsverhalten in die Computersimulationen mit einzubeziehen. Mit der sogenannten „Agenten-Technologie" schufen die Forscherinnen und Forscher eine virtuelle Parallelwelt, in der virtuelle Landwirte aufgrund von Marktpreisen, Wettervorhersagen, Agrarpolitik und Umweltauflagen entscheiden, wie sie ihre Höfe bewirtschaften, was sie in der kommenden Saison anbauen, wie viel sie düngen und wie sie ihre Pflanzen schützen.
 
„Diese virtuelle Welt wollen wir jetzt um Big Data erweitern, d.h. wir wollen die vielen Daten nutzen, die von Produktion über Weiterverarbeitung und Verkauf von Agrarprodukten anfallen", sagt Agrarökonom Prof. Dr. Thomas Berger. „Besonders vielversprechend ist, dass wir mit unseren Computermodellen auch Kooperation von Landwirten simulieren können. Wir können z.B. herauszufinden, ob der Austausch von Wirtschaftsdüngern, gemeinsam genutzte Erntemaschinen oder zwischen Nachbarn abgestimmte Pflanzenschutzkampagnen lohnenswert sind."
 
Die Datenanalyse und Simulation könnte später auch reale Landwirte, die Wirtschaft und die Politik bei ihren Entscheidungen unterstützen. So ließen sich einzelne Abschnitte aus Produktion, Logistik und Verarbeitung besser aufeinander abstimmen, Mineraldünger und natürliche Ressourcen sparen und das gesamte bioökonomische System weniger anfällig für Extremsituationen wie zum Beispiel Dürren machen.
 
Kontakt:
Thilo Streck, Universität Hohenheim

Umwelt | Wasser & Boden, 03.04.2017

     
        
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