Die wichtigste Grafik der Klimawissenschaft

Über Kipp-Punkte und Kipp-Elemente

Der Klimawandel verwirrt und verunsichert durch viele Informationen, viele Meinungen und komplexe ­Zusammenhänge. Zwischen der Diskussion um Kipp-Elemente und statistische Wahrscheinlichkeiten geht dabei oft das Verständnis über die wesentlichen Fakten der Klimawissenschaft verloren. Eine 2016 in Nature Climate Change veröffentlichte Grafik fasst die wichtigsten Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung zusammen.
 
Abbildung 1: Kipp-Elemente des Klima­systems Aus: T.M. Lenton et al. 2008. (1) Nachgedruckt mit Erlaubnis der National Academy of Sciences, U.S.A. Abbildung 1: Kipp-Elemente des Klima­systems Aus: T.M. Lenton et al. 2008. (1) Nachgedruckt mit Erlaubnis der National Academy of Sciences, U.S.A.
Das Klimasystem reagiert auf die Erderwärmung ab bestimmten Größenordnungen mit starken Veränderungen. Diese Veränderungen können abrupt eintreten oder über lange Zeit ablaufen. Oft sind diese Prozesse aus Sicht der Menschheit unumkehrbar und teilweise auch noch selbstverstärkend. Ein Beispiel für sich selbst verstärkende Prozesse ist das Auftauen der Permafrostböden. Durch das Tauen werden Treibhausgase freigesetzt, die wiederum den Temperaturanstieg beschleunigen. Den Temperaturbereich, in dem ein solcher Prozess angestoßen wird, nennt man den Kipp-Punkt. Das System, in dem ein Kipp-Punkt existiert, nennt man ein Kipp-Element (Abbildung 1).
 
Im Juli 2016 veröffentlichte Hans Joachim Schellnhuber zusammen mit Stefan Rahmstorf und Ricarda Winkelmann einen viel beachteten Artikel in Nature Climate Change. (2) Darin ist eine Grafik enthalten, die ein Journalist der ­Washington Post, Christopher Mooney, als „eine der wichtigsten Grafiken der Klimageschichte" bezeichnet (Abbildung 2). Diese Grafik fasst das gesamte Wissen über Kipp-Elemente und deren Kipp-Punkte zusammen: Sie zeigt die historische Temperaturveränderung der letzten 20.000 Jahre sowie die IPCC Szenarien (3) der zukünftigen Temperaturentwicklung bis zum Jahr 2500 und verdeutlicht, wie sich die Gefahren des Klimawandels in drei Bereiche staffeln lassen: Eine Erderwärmung zwischen 1 und 2° C (Bereich des Pariser Abkommens), eine Erwärmung zwischen 4 und 6° C und darüber hinaus. Die Grafik zeigt anschaulich, in welch gefährlichem Bereich sich die Menschheit heute schon befindet und was wir in Zukunft erwarten müssen, wenn wir nicht sofort handeln. Aufgrund der langen Bremsspur des Klimas entscheiden wir heute über den Temperaturanstieg in den nächsten Jahrhunderten mit möglichen katastrophalen Folgen für die Menschheit.
 
Abbildung 2: Wahrscheinlichkeit von Kipp-Punkten in Bezug zur Veränderung der globalen Mitteltemperatur. (4) Abkürzungen: WAIS: West-­Antarktisches Eisschild; THC: thermohaline Zirkulation; ENSO: El Niño-Southern Oscillation; EAIS: Ost-Antarktisches Eisschild. Aus: Schellnhuber et al. 2016. (2) Nachgedruckt mit Erlaubnis von Macmillan Publishers Ltd.Abbildung 2: Wahrscheinlichkeit von Kipp-Punkten in Bezug zur Veränderung der globalen Mitteltemperatur. (4) Abkürzungen: WAIS: West-­Antarktisches Eisschild; THC: thermohaline Zirkulation; ENSO: El Niño-Southern Oscillation; EAIS: Ost-Antarktisches Eisschild. Aus: Schellnhuber et al. 2016. (2) Nachgedruckt mit Erlaubnis von Macmillan Publishers Ltd.
In der Grafik werden Temperaturbereiche für Kipp-Elemente angegeben, innerhalb derer die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ihr Kipp-Punkt überschritten wird. Die Verfärbung von blassgelb zu dunkelrot gibt das Ansteigen dieser Wahrscheinlichkeit wieder. Dunkelrot bedeutet: Der Kipp-Punkt wird sehr wahrscheinlich überschritten.
 
Drei Beispiele für Kipp-Elemente und deren Kipp-Punkte
  • West-Antarktisches Eisschild: Es gibt Hinweise, dass das West-Antarktische Eisschild heute schon gekippt sein könnte; auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür laut Abbildung 2 bei 1° C – der globalen Erwärmung, die heute schon eingetreten ist – relativ gering ist.
  • Korallenriffe: Die meisten Korallenriffe werden sehr wahrscheinlich bei einer Erwärmung um 1,5° C absterben. Hier ist der Kipp-Punkt relativ einfach zu ermitteln, da bekannt ist, bei welcher Temperatur Korallen ihre symbiotischen Algen ausstoßen. Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass sich Korallen rechtzeitig anpassen. Aber das ist bei der Geschwindigkeit der Erwärmung sehr unwahrscheinlich. Daher ist bei den Korallenriffen die Unsicherheitsmarge sehr klein. Bestätigt wird dieser Kipp-Punkt durch das dramatische Absterben des Great Barrier Reefs.
  • Thermohaline Zirkulation: Die Meeresströmungen, die vier der fünf Ozeane verbinden, basieren auf Unterschieden in Temperatur und Salzgehalt des Meerwassers und sind in starkem Maße für die Temperaturverhältnisse und Wetterbedingungen auf der Erde verantwortlich. So ist zum Beispiel der Golfstrom die Ursache für die relativ warmen Temperaturen im Norden Europas. Kippen diese Strömungen (ein Kippen würde in diesem Fall bedeuten, dass die Ströme sich verlagern oder abbrechen) durch eine Veränderung des Salzgehaltes des Wassers – z.B. durch das Abschmelzen der Polkappen – drohen Veränderungen der Lebensbedingungen „auf der Erde".
Die Folgen des Überschreitens von Kipp-Punkten sind im Zeitraum der menschlichen Zivilisation schwer oder gar nicht rückgängig zu machen. Daher sollten wir alles daransetzen, die globale Erwärmung bei 1,5° C zu stabilisieren, wie dies auch in Paris beschlossen wurde.
 
Nachweise
(1) T.M. Lenton et al. 2008. Tipping elements in the Earth‘s climate system. PNAS 105 (6): 1786-1793.
(2) Schellnhuber, Rahmstorf & Winkelmann. 2016. Why the right climate target was agreed in Paris. Nature Climate Change 6: 649-653.
(3) Einen Überblick über die Szenarien gibt das Deutsche Klimarechenzentrum: www.dkrz.de/Klimaforschung/konsortial/ipcc-ar5/die-szenarien.
(4) Basierend auf paläoklimatischen Daten (Linien mit purpurroter und blauer Schattierung), instrumentale Messungen seit 1750 (schwarze Linie) und verschiedene Erwärmungs- Szenarien des IPCC (grün, orangene und rote Linien)
Maiken Winter und Andreas Wolfsteiner

Umwelt | Klima, 01.05.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2017 - Wie ernähren wir uns in Zukunft? erschienen.
     
        
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