Wir sind schon im Hochrisikobereich
Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung
Im zweiten Teil des forum Interviews von Maiken Winter (siehe auch forum 4/16 zum Thema Klimawandel als Fluchtursache) erklärt Prof. Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), was die neuesten Zahlen und Ergebnisse der Klimaforschung für ihn persönlich bedeuten und warum sie nicht deutlicher kommuniziert werden.
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Schellnhuber ist seit Gründung des
Instituts im Jahr 1992 Direktor des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung. Er ist außerdem Co-Vorsitzender im
Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale
Umweltveränderungen.
Man sagt, wir dürfen nur noch 200 Gigatonnen (Gt) CO2 emittieren, um eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit zu haben, unter einem globalen Temperaturanstieg von 1,5O C zu bleiben. Jährlich emittiert die Menschheit im Moment fast 40 Gt CO2 . Wir haben diese 200 Gt also in 5 Jahren erreicht. Um unterhalb von 2O C zu bleiben, dürfen wir noch etwa 800 Gt emittieren – wenn man meint, eine Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit sei akzeptabel.
Wer bestimmt denn diese Wahrscheinlichkeit?
Niemand! Wenn es um die Sicherheit unserer Kinder ginge, dann wäre eine Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit undenkbar. Da möchte ich eine 99,9999-prozentige Wahrscheinlichkeit haben! Doch wenn es um die Zukunft der ganzen Menschheit geht, dann ist Zwei-Drittel ok. Aber das sind doch die Wissenschaftler, die diese Wahrscheinlichkeiten errechnen und anwenden, oder?
Nein, die spielen das nur durch. Die sagen „Wenn die Öffentlichkeit mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit zufrieden ist, dann geben wir Euch die Zahlen, was dafür nötig wäre."Aber die meisten Leute verstehen doch diese Wahrscheinlichkeit gar nicht!
Erstens das. Und dann sind Zwei-Drittel natürlich nicht akzeptabel. Die Grafik zeigt: Wir sitzen bei der derzeitigen Erwärmung um 1O C schon mitten drin im Schlamassel. Viele meinen aber, wir wären noch außerhalb der Gefahrenzone und wir könnten außerhalb dieser Zone bleiben. Dabei haben wir wahrscheinlich einige Kipp-Punkte schon überschritten. Die meisten tropischen Korallenriffe werden wir wahrscheinlich verlieren. Das ist das Schreckliche daran – bei großen Gefahren, wie z.B. beim Brandschutz wird eine 99-prozentige Sicherung gefordert. Über eine derartige Sicherheit können wir beim Klimawandel gar nicht mehr reden. Wir sind schon im Hochrisikobereich.
Würde es eher lähmen, wenn man das so kommunizieren würde? Oder warum wird kommuniziert, dass wir noch eine Menge von CO2 emittieren dürften, die wir eigentlich gar nicht mehr emittieren dürfen?
Weil man den Leuten keine unbequeme Wahrheit erzählen will. Das ist mir ja selbst beim Budgetansatz so gegangen, also dem Ansatz, dass jeder einzelne Mensch der Welt ein Budget für die Menge CO2 hat, die er pro Jahr emittieren darf. Diesen Ansatz habe ich in die politische Debatte eingebracht. Doch mir wurde zunächst gesagt, dass man diesen Ansatz nicht so kommunizieren dürfe, weil die Leute sonst erschrecken würden. Das würde zur Blockade führen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBGU) brachte dann doch die Studie heraus: „Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz", im Jahr 2009. Darin sagen wir: Wenn wir ein endliches CO2-Budget haben, dann muss das in gleichen Teilen auf alle Bürger der Welt aufgeteilt werden. Dabei kommt heraus, dass Deutschland innerhalb von 20 Jahren komplett dekarbonisiert sein muss; die USA noch früher. Und da hieß es zunächst auch unter meinen Kollegen: „Das können wir nicht veröffentlichen! Das können wir niemandem zumuten!" Aber wir dürfen den heute noch nicht Geborenen zumuten, dass sie in so eine Welt gestoßen werden. Das ist ein Verbrechen an der Menschheit. Die Hoffnung, dass es am Ende immer gut ausgeht, können wir nach Auschwitz und Hiroshima vergessen.Wie könnte denn die Zukunft aussehen, wenn die Kipp-Punkte überschritten sind? Gibt es eine Obergrenze der Erwärmung?
In unserer Grafik blicken wir ja schon bis ins Jahr 2500 und da sieht man, dass eine Erwärmung bis zu 8-10O C möglich ist. Es weiß niemand, wie weit sich die Erde aufwärmen könnte. Ein „Runaway Greenhouse Effect" würde noch weitergehen. Dabei käme es zum Verdampfen der Ozeane; der zusätzliche Wasserdampf würde dann eine sehr starke Erwärmung bewirken. Auf dem Planet Venus hat so ein Runaway-Prozess stattgefunden. Dort herrschen 450O C bei einer Atmosphäre, die hauptsächlich aus CO2 besteht. Es ist wichtig, über solche Szenarien nachzudenken. Aber es forscht niemand darüber, weil niemand diese Kartoffel anfassen will. Wer darüber forscht, wird sofort als Alarmist eingestuft; und kein Wissenschaftler will als Alarmist gelten. Es reicht ja auch, was Sie dargestellt haben.
Ja. Aktuell untersuchen wir nun die Wechselwirkungen zwischen den Kipp-Elementen. Was bedeutet es für die thermohaline Zirkulation, also die wichtigsten globalen Meeresströmungen, die durch Temperatur- und Salzkonzentrationsunterschiede innerhalb der Weltmeere hervorgerufen werden, wenn das Grönland-Eis schmilzt? Was bedeutet es in der Folge für die Antarktis usw. Damit arbeiten wir uns langsam wissenschaftlich und absolut solide auf die Frage hin: Kann das ganze System einen Kaskadeneffekt haben, eine Domino-Dynamik entwickeln, die uns in ein völlig anderes Regime stoßen könnte? Bisher können wir eine solche Möglichkeit nicht nachweisen, aber auch nicht ausschließen. Das ist schlimm genug.Gibt es denn irgendeinen Rückkopplungsprozess, der die Erwärmung aufhalten oder zumindest verlangsamen könnte?
Der Anstieg der CO2 -Emissionen bewirkt – für sich alleine betrachtet – dass Pflanzen besser gedeihen. Dieser Effekt ist aber schon längst eingepreist, denn sonst wäre viel mehr CO2 in der Atmosphäre. Es wird ja enorm viel CO2 von der Biosphäre aufgenommen. Mit anderen Worten – wir sind schon längst der Nutznießer dieser negativen Rückkopplung. Angesichts dieser Dramatik – wie sieht da die Verantwortung eines Wissenschaftlers aus?
Dazu gibt es ein sehr schönes Beispiel aus jüngster Zeit: 375 Mitglieder der National Academy of Sciences – wo auch ich Mitglied bin – haben im September 2016 einen offenen Brief1 geschrieben. Dieser Brief ist kurz und klar und nimmt in vollem Maße die wissenschaftliche Verantwortung wahr. So weit ist die wissenschaftliche Gemeinschaft in den USA noch nie gegangen. Ich glaube, soweit kann man als Wissenschaftler gehen – d.h. eine Klarstellung machen, wohin unser jetziges Handeln führen würde, basierend auf wissenschaftlichen Fakten. Aber ich schließe es überhaupt nicht aus, dass ich als Privatbürger auch an Demonstrationen teilnehme. Noch eine letzte Frage: Was denken Sie, wie die Zivilgesellschaft am effektivsten agieren kann? Sollten wir uns mehr zusammenschließen, um unsere Schlagkraft zu erhöhen?
Die Zivilgesellschaft ist ein überaus kompliziertes Gebilde. Ich glaube, es gibt da keinen Masterplan. Die Zeit sollte man gar nicht damit verschwenden, über die perfekte Strategie nachzudenken. Stattdessen sollte man lieber zwei bis drei konkrete Dinge tun und zusehen, dass man dafür genügend Unterstützer bekommt. Und dann sieht man weiter. Das Dringlichste von allem ist im Augenblick der Kohleausstieg. Dabei sollte man nicht gleichzeitig jammern, dass dabei viele andere Emissionen nicht erfasst werden. Der Feind des Guten ist das Beste. Wenn man komplexe Systeme versteht, dann wird man extrem demütig. Zu glauben, komplexe Systeme mit einem einzigen großartigen Plan beherrschen zu können, ist Nonsens.
Das Interview führte Dr. Maiken Winter, forum Redakteurin und Vorsitzende von WissenLeben e.V.
Umwelt | Klima, 01.05.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2017 - Wie ernähren wir uns in Zukunft? erschienen.
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