Der Mensch ist, was er isst (Teil 1)

Nicht Fleisch, nicht Fisch?

Essen ist nicht nur lecker: Es ist Statussymbol, Energiezufuhr, notwendiges Übel, Genuss, religiöses Bekenntnis, Weltanschauung. Ein Blick auf Ernährungsgewohnheiten, Glaubensrichtungen, Trends und Märkte.

Essen und Ernährung wird immer mehr auch zum Ausdruck der eigenen Weltanschauung. ©Pixelio: 1. Reihe: Klicker; Maren Beßler; BirgitH; Rainer Sturm; 2. Reihe: Gabi Schoenemann; w.r.wagnerNoch nie war unser Nahrungsangebot so breit, so vielfältig und so abwechslungsreich. Noch nie so polarisiert: Da erscheint im Jahr 2010 ein Magazin, das die Lust am Fleisch in Hochglanzbildern zelebriert, während ihm gleichzeitig immer mehr Vegetarier und Veganer aus persönlicher Überzeugung den Rücken kehren. Nicht nur, weil es nach ihrer Ansicht gesund ist, sondern auch aus dem Wissen über die massiven Umweltbelastungen des Fleischkonsums und aus ethischen Überlegungen. Allen Essensgewohnheiten ist gemein: Was wir uns "geben", verinnerlichen wir im wirklichen Sinn als Überzeugung. forum gibt eine Orientierungshilfe. 

Vegetarier: Könige der Logik 
a2+b2 =c2 ? Solch schlaue Formeln fallen einem ein, wenn man kein Fleisch mehr verputzt. Pythagoras und seine Anhänger sollen Vegetarier gewesen sein. Und was haben Richard Wagner, Nina Hagen und Paul Mc Cartney gemeinsam? Richtig, die Musik. Und noch etwas: Sie sind bzw. waren alle Vegetarier. Genau wie Lew Tolstoi, Gandhi und Albert Schweitzer. Und sie sind nicht allein: Etwa 1,6 Prozent der erwachsenen Deutschen ernähren sich laut der Nationalen Verzehrsstudie 2007 fleischlos; die Tierschutzorganisation PETA und die Europäische Vegetarier-Union gehen dagegen von sechs bzw. sieben Millionen deutschen Vegetariern aus. In Indien dagegen liegt der Anteil der Vegetarier bei 40 Prozent. 

Vegetarier ist nicht gleich Vegetarier. Ovo-Vegetarier kochen sich gern mal ein Ei zum Frühstück, Lakto-Vegetarier genießen auch Joghurt, Käse oder andere Milchprodukte. Ovo-Lakto-Vegetarier backen sonntags einen saftigen Kuchen mit Eiern, Butter und Milch. 

Fisch ist doch auch Fleisch, oder? Die Pescetarier jedenfalls können nicht auf Meerestiere verzichten, wohl aber auf Steak und Wurst. Ähnlich moralisch flexibel sind die sogenannten Teilzeitvegetarier oder Flexitarier, die nur gelegentlich Fleisch essen. 

Warum eigentlich nicht?
Auf die Frage "Warum isst Du denn kein Fleisch?" bekommt man von 20 Vegetariern wahrscheinlich 20 verschiedene Antworten. Viele begründen ihre Einstellung ethisch, weil sie Tierleid und -mord nicht mitverantworten möchten. Pflanzliche Ernährung ist ökologischer, argumentieren andere, weil Tierhaltung ineffizient ist und angesichts globaler Hungersnöte auch unmoralisch. Andere halten die vegetarische Ernährungsweise für gesünder - weniger gesättigte Fettsäuren, mehr Obst und Gemüse. Tatsächlich zeigen Studien, dass Vegetarier im Durchschnitt schlanker sind und weniger an Herz-Kreislauf-Leiden erkranken. Das kann aber auch daran liegen, dass sie allgemein mehr auf ihre Gesundheit achten - also auch weniger rauchen, Alkohol trinken und mehr Sport machen. Das Gesundheitsargument gilt nicht für die sogenannten Puddingvegetarier, die sich zwar fleischlos, aber weitgehend ungesund von Süßem und Fertigprodukten ernähren. 

In manchen Kulturen und Religionen gilt Verletzen und Töten von Lebewesen als Ursache für schlechtes Karma. Das Gebot der Gewaltlosigkeit schreibt damit auch Vegetarismus vor, z.B. im indischen Jainismus und teilweise auch im Buddhismus und Hinduismus. 

Vegan: Gewaltfrei? Von wegen. Erschlagende Argumente.
Im Veganismus sind alle tierischen Nahrungsmittel - auch Käse, Milch, Honig und Eier - verpönt. Der Veganismus konzentriert sich nicht nur in der Ernährung auf nicht-tierische Produkte, sondern im gesamten Lebensstil: Kein Leder, keine Seide, Daunen und Wolle, keine mit Milcheiweiß gegärten Alkoholprodukte, keine Kosmetika aus Tierversuchen. Die Argumente der teils missionarisch auftretenden Veganer sind aber auch erschlagend! Da wäre zum einen das Klima: Selbst ein Kilo Bio-Rindfleisch belastet die Atmosphäre 90-mal mehr als ein Kilo konventionelles Gemüse. Wer sich 30 Tage vegan ernährt, spart den jährlichen Kohlendioxidausstoß von vier Autos ein. Dann ist da die kostbare Ressource Wasser: Fleischkost erfordert 14-mal mehr Wasser als vegane Kost - als Veganer könnte man also zum Ausgleich getrost 365 Tage im Jahr 24 Stunden duschen (wären da nicht diese verflixten aufweichenden Fingerkuppen.). Und wer Veganer als Moralapostel empfindet, kann sich kurz in dessen nervige Überlegenheit hineinversetzen, wenn er sich Folgendes verdeutlicht: Während rund eine Milliarde Menschen an Hunger leiden und alle 3,6 Sekunden ein Mensch an Unterernährung stirbt, mästen wir mit ihrer potenziellen Nahrung unsere Nutztiere. In Europa verfüttern wir 60,3 Prozent unseres Getreides. Um eine tierische Kalorie zu produzieren braucht es je nach Tierart fünf bis 16 pflanzliche Kalorien. Energie, die Menschen zum Überleben fehlt. So kommt auch der ehemalige UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler zu dem Schluss: "Ein Kind das verhungert, wurde ermordet". Mit dem Getreide, das an Nutztiere verfüttert wird, könnte man 2,3 Milliarden Menschen ernähren. 

Das klingt nach einer Menge von Gründen, die Ernährung umzustellen - doch unter den Deutschen gibt es weniger als 0,1 Prozent Veganer. Größtes Argument der Gegner und Zweifler ist die befürchtete Mangelernährung. Tatsächlich sollten Veganer jährlich ihr Blut testen lassen und zusätzlich Vitamin B12, ggf. auch Vitamin D und Calcium einnehmen. Wer bereit ist, sich ausgewogen vegan zu ernähren, wird keine gesundheitlichen Einschränkungen hinnehmen müssen, wie vegane Iron Man Athleten oder der Wohlfühl-Starkoch Attila Hildmann zeigen. 

Und das Segment wächst. Tegut führt in seinen Märkten vegane Zusatzecken ein, bei Edeka steigt der Absatz veganer Produkte mit zweistelligen Raten und rein vegane Supermärkte wie der Berliner "veganz" und der Dortmunder "Vegilicious" sprießen bundesweit wie Pilze aus dem Boden.
Von Tina Teucher


Lifestyle | Essen & Trinken, 01.01.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2013 - 300 Jahre Nachhaltigkeit in Deutschland erschienen.
     
        
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