Unser Appetit ist unersättlich
Tierische Geschäfte mit Nutztieren

Das System Milch
Auf fast jeder Milchpackung prangt das Bild glücklicher Kühe auf grünen Weiden. Doch die Wirklichkeit sieht schon lange anders aus. Milch ist Big Business. Hinter dem unschuldig
anmutenden Lebensmittel verbirgt sich ein milliardenschweres Industriegeflecht, das auf Kosten der Umwelt, der Tiere, der Menschen und unserer Gesundheit riesige Profite macht. Und die Drahtzieher sorgen unbeirrt dafür, dass der Milchkonsum weltweit weiterhin ansteigt. Die Milchquellen und die Profite sollen sprudeln. Dazu einige Fakten:
Jährlich werden in Europa etwa 200 Millionen Tonnen Milch und Milchpulver produziert. Es geht hier um einen Markt von 100 Milliarden Euro. Der Konsum von Milcherzeugnissen in Deutschland liegt stabil bei etwa 90 Kilogramm pro Person und Jahr. 2016 verzehrte hier jeder Bürger durchschnittlich 52,3 kg Milch, 24,4 kg Käse, 16,7 kg Joghurt und 6 kg Butter. Anfang 2018 wurden in Deutschland etwa 31 Cent pro Liter Vollmilch gezahlt. Um kostendeckend zu arbeiten, brauchen Milchbauern im Schnitt aber mindestens 40 Cent je Liter. Milchbauern und andere Landwirte werden von der Europäischen Union mit etwa 500 Millionen Euro subventioniert. Von 32,7 Millionen Tonnen Milch, die 2016 in Deutschland produziert wurden, war etwa die Hälfte für den Export bestimmt, mit zunehmender Tendenz. Gleichzeitig stieg die Nitratbelastung unseres Trinkwassers durch den Gülleeintrag der Landwirtschaft…
Gestiegene Leistung – die Turbo-Kuh
Die Milchproduktion hat sich in den vergangenen 50 Jahren vervielfacht, und das, obwohl es heute viel weniger Milchkühe gibt als früher. Sie fragen, wie das geht? Die Milchkühe erbringen „einfach" immer höhere Leistungen: Gab eine Milchkuh in den 1950er Jahren etwa 2.500 Kilogramm Milch im Jahr, so kann sie heute bis zu 10.000 Kilogramm pro Jahr liefern. Das ist ein Vielfaches ihres Körpergewichts. Deutschen Kühen der beiden Hauptrassen Holstein-Friesian und dem Fleckvieh wurden im Jahr 2014 im Durchschnitt rund 9.000 beziehungsweise 7.400 Kilogramm Milch aus ihren prallen Eutern gesaugt. Damit hat sich die Milchleistung in den letzten zehn Jahren bei den Holstein-Kühen um rund acht Prozent und bei den Fleckviehkühen um rund elf Prozent erhöht. Das liegt zum einen an intensiver Züchtung und zum anderen am Hochleistungsfutter – neben Gras, Mais und Futterkonzentraten bekommt die Milchkuh eine Extraportion Eiweiß. Für dieses Kraftfutter zum Beispiel aus Soja, das vor allem aus Südamerika importiert wird, werden dort Regenwälder und Savannen abgeholzt.
Die Kehrseite des „Milchsegens": Pro Liter Milch entstehen in der intensiven Landwirtschaft etwa drei Liter Gülle und die Schwerstarbeit geht an den „Milch- und Güllemaschinen" nicht spurlos vorbei. Die Tiere werden durchschnittlich bereits im Alter von 4,7 Jahren geschlachtet, obwohl Kühe bis zu 25 Jahre alt werden können. Während es in Deutschland noch Familienbetriebe gibt, deren Bestände überschaubar sind und wo der Bauer seine Kühe zum Teil noch beim Namen kennt, sind etwa in den USA regelrechte Milchfabriken mit Turbokühen die Regel.
Schneller am Ende – Kuh kaputt

Doch auch die Milchbetriebe selbst stehen unter Druck und werden zu Höchstleistungen gezwungen. Um den niedrigen Milchpreis auszugleichen, fahren sie die Produktion um jeden Preis nach oben. Die Folge:
Aus der hart erarbeiteten Milch entstehen bei Global Playern wie Friesland Campina (NL) vielfältige Produkte, vom Butter bis zum Käse und Milchpulver für verschiedene Altersgruppen, die man international absetzen will. Neue, lukrative Fernmärkte werden erschlossen, beispielsweise in China, wo durch den gestiegenen Bedarf an Milch mittlerweile schon eigene riesige Rinderställe hochgezogen werden. In vielen Regionen Afrikas zerstört das billige Milchpulver aus der europäischen Überproduktion dagegen die dortige regionale Landwirtschaft.
Doch es gibt Gegenentwürfe: der Bauer, der sich bewusst für ökologische Landwirtschaft entscheidet und seine Produkte selbst weiterverarbeitet, dabei bei der Vermarktung bewusst regional bleibt, um lange Transportwege zu vermeiden; kleine Molkereien im Senegal, die die einheimischen Bauern unterstützen und lokale Kreisläufe fördern; Bauern, die zeigen, dass Gülle unter den richtigen Bedingungen wertvollen Boden erzeugen kann; Züchter und Tierhalter, denen das Wohlbefinden und die Gesundheit der Kuh gegenüber einer ständigen Steigerung der Milchproduktion wieder ein Anliegen ist und die erkannt haben: Gesunde und zufriedene Kühe leben länger und geben damit auch länger und auf Dauer mehr Milch.
Es geht auch anders – ökologische Milchproduktion
Der Preis für ein Kilo Biovollmilch liegt
derzeit bei über 50 Cent. Im Gegensatz zur konventionellen Tierhaltung
gibt es im Rahmen der EU-Öko-Verordnung konkrete gesetzliche
Mindeststandards, die streng überwacht werden. Vorgaben wie: Auslauf im
Freien, keine Anbindung, Mindestplatz pro Tier, Ausgestaltung der Stall-
und Liegeflächen. Der Verbraucher erkennt Produkte mit diesen Vorgaben
am europäischen oder deutschen Biosiegel. Aber auch in Sachen Bio gibt
es Abstufungen. Private Anbauverbände wie Naturland, Bioland oder
Demeter haben zum Teil noch wesentlich strengere Richtlinien. Siehe dazu
auch unseren Beitrag „Die Zukunft der Nutztierhaltung" auf den
folgenden Seiten. Last but not least hier noch ein „Sachcomic" als
Lesetipp.
![]() Der Sachcomic „Mensch Macht Milch" kann kostenlos, als PDF runtergeladen werden. Er gibt einen Einblick in die politische, gesellschaftliche, bäuerliche und privatwirtschaftliche Auseinandersetzung um diese Entwicklungen. Und er macht Vorschläge, wie eine zukunftsfähige Milchwirtschaft aussehen könnte.
Der Film zum System Milchtüten auf endlosen Fließbändern zeigen das Ausmaß der Technisierung und die Mengen an Milch, die verarbeitet werden. Die Molkereien als Verbindung zwischen Produzenten und Konsumenten werden immer größer und nehmen in der Verarbeitungskette eine mächtige Rolle ein. Die Bauern sind gezwungen, immer mehr zu produzieren oder aufzugeben. Die Folge: Milchkühe werden durch Züchtung auf Höchstleistung getrimmt und müssen ständig trächtig sein. Damit entstehen Kälber am Fließband und es bleiben immer wieder Kälber „übrig", besonders die Bullenkälber. Diese werden als Masttiere weiterverkauft und, wenn hier der Preis die Kosten nicht deckt, einfach getötet – aus ökonomischen Gründen, von Bauern, die von EU-Förderung abhängig sind, um überhaupt überleben zu können. Die Bilder im Film zielen nicht auf Schockwirkung ab und lassen den Zuschauer dennoch nachdenklich zurück. Ein eindrücklicher Film, durch den man die Milch im Kühlschrank mit anderen Augen sieht. |
Lifestyle | Essen & Trinken, 10.04.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2018 - Digital in die Zukunft? Tierische Geschäfte! erschienen.

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forum 02/2025 ist erschienen
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