Weltmeister Hahn
Ein tierisches Geschäft
Drei Mastverfahren kommen bei konventionellen Masthühnern zum Einsatz: In der Kurzmast werden die Hühner im Alter von 28 bis 30 Tagen mit etwa 1,5 Kilogramm Körpergewicht geschlachtet und in der Mittellangmast nach etwa 35 Tagen und einem Endgewicht von 2 bis 2,2 Kilogramm. Bei der Langmast leben die Hühner etwa 42 Tage und erreichen ein Gewicht von 2,7 Kilogramm. Bei der Kurzmast müssen sich zum Mastende etwa 26 Hühner einen Quadratmeter teilen – das entspricht pro Huhn knapp einem DIN-A5-Blatt plus einem Bierdeckel. Sie haben somit bei der erlaubten Besatzdichte deutlich weniger Platz als Legehennen im inzwischen verbotenen Batteriekäfig!
Natürliche Lebensbedingungen – Fehlanzeige
Schon bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ist der Stallboden zum Mastende von den Tieren fast vollständig bedeckt. Natürliche Verhaltensweisen wie Fortbewegung, Scharren, Gefiederputzen oder Flügelschlagen sind – wenn überhaupt – nur noch eingeschränkt möglich, da kaum Platz bleibt. Die Enge trägt dazu bei, dass die Hühner meist auf dem Boden liegen. Das begünstigt Verhaltensstörungen und Erkrankungen. Die Tiere leiden unter dem andauernden Gedränge. Sie stehen unter starkem Stress, da sie weder Individualabstände einhalten noch ausweichen können. In der Enge steigt außerdem das Risiko, sich gegenseitig zu erdrücken. Fast alle Masthühner haben schmerzhafte Fußballenerkrankungen, weil sie auf dem zunehmend feuchter werdenden Gemisch aus Exkrementen und Einstreu stehen müssen. Gegen Ende der Mast ist der Boden zu etwa 90 Prozent mit Exkrementen und nur noch zu etwa 10 Prozent von Einstreu-Resten bedeckt. Diesem Gemisch entströmt fortwährend das Schadgas Ammoniak. Es reizt vor allem die Schleimhäute der Hühner und ruft schmerzhafte Entzündungen an Augen und Atemwegen hervor. Hohe Gaskonzentrationen schwächen überdies das Abwehrsystem und machen die Hühner so noch anfälliger für Krankheiten. Die Todesraten im Stall sind entsprechend hoch ...
Natürlicherweise scharren Hühner am Boden und picken nach Fressbarem – die Nahrungssuche nimmt in Freiheit bis zu 60 Prozent des Tages ein. Bei Masthühnern hingegen ist die Zeit für Suche, Aufnahme und Bearbeiten der Nahrung enorm verkürzt. Sie erhalten ein hochverarbeitetes, meist pelletiertes Kraftfutter in Trögen und verbringen nur noch 10 Prozent des Tages mit der Futteraufnahme. Ihr Beschäftigungsbedürfnis bleibt damit unerfüllt. Dennoch sind ihre Ruhephasen viel zu kurz. Da keinerlei Rückzugsorte wie Sitzstangen und Raumstrukturierungen vorhanden sind, fehlt eine Unterteilung der Stallflächen in Ruhe- und Aktivitätsbereiche. Aktive Tiere, die sich bewegen, flattern oder aufstehen, stören die Ruhenden …
Hühner genießen Staubbäder, putzen ausgiebig ihr Gefieder, strecken sich und schlagen mit den Flügeln, um sie zu lüften. Masthühner sind jedoch aufgrund ihrer angezüchteten großen Muskelmasse oder Erkrankungen kaum noch in der Lage, ihr natürliches Pflegeverhalten auszuführen. Der ständige Kontakt mit dem Exkremente-Einstreu-Gemisch verschlimmert die Situation. Masthühner versuchen zwar, feuchte Bereiche zu meiden, doch die Enge (vor allem zum Ende der Mast) macht dies praktisch unmöglich. Schon ab Mitte der Mast ist die Qualität der Einstreu so schlecht, dass die Tiere kaum noch Staubbaden können – gegen Mastende ist es unmöglich …
Die Zucht machts möglich – Turbo-Hühner
Konventionelle Hühnerfleischproduzenten mästen ausschließlich Hybridtiere. Diese Hühner sind das Endprodukt jahrelanger Zuchtprogramme. Ihre Hochleistungseigenschaften können die Hybridtiere nur sehr begrenzt weitervererben, weshalb jede neue Hybrid-Generation aus spezialisierten Zuchtbetrieben stammt. Lediglich vier weltweit tätige Unternehmen kontrollieren die Zucht der Masthybriden. Im Vordergrund steht dabei ein hoher Fleischansatz, eine effiziente Futterverwertung, die vor allem die Futterkosten verringern soll, sowie eine möglichst kurze Mastzeit durch schnelle Gewichtszunahme. Die Wachstumsrate wurde seit Beginn der intensiven Zucht vervierfacht: In den 1950er Jahren wogen Masthühner nach etwa 120 Tagen 1,5 Kilogramm. Heutige Masthybriden erreichen dieses Gewicht bereits innerhalb von 30 Tagen oder weniger.
Damit die Tiere in kurzer Zeit möglichst viel Kraftfutter fressen, wurde ihnen das natürliche Sättigungsgefühl weggezüchtet. Das führt zu einem weitgehend unbekannten Tierschutzproblem: Den für die Zucht der Hybriden genutzten Eltern- und Großelterntieren fehlt ebenfalls diese Fähigkeit. Da sie aber deutlich länger leben, bekommen sie weniger Futter als die Masthühner, um Verfettung, Stoffwechselkrankheiten und eine sinkende Fruchtbarkeit zu verhindern. Aufgrund des fehlenden Sättigungsgefühls leiden die Tiere damit ihr Leben lang unter ständigem Hunger und zeigen Verhaltensstörungen sowie deutliche Zeichen der Frustration.
Die Überzüchtung hat auch den Körperbau der Masthühner tiefgreifend verändert: Die Brust- und Schenkelmuskulatur sind enorm vergrößert. Sie machen zusammen bis zu 66 Prozent des Körpergewichts aus. Die Kehrseite: Das hohe Gewicht führt zu schmerzhaften Beinschäden, denn das noch jugendliche Skelett kann mit dem Wachstum der Muskelmassen nicht mithalten. Das Gleiche gilt für Organe wie Herz und Lunge: Sie bleiben hinter dem schnellen Körperwachstum zurück und können den Organismus nicht ausreichend versorgen. Das kann zu einem tödlich verlaufenden Herzversagen führen. Masthühner leiden somit trotz ihres kurzen Lebens an diversen Krankheiten. Die Kombination aus industriellen Haltungsbedingungen, hohen Besatzdichten und Überzüchtung macht die Masthühner besonders anfällig für Infektionskrankheiten. Im Fall einer festgestellten oder drohenden Infektion erhalten alle Tiere eines Stalls – auch noch nicht erkrankte – Antibiotika über das Trinkwasser. Eine gezielte Einzeltierbehandlung gibt es nicht. Wo besonders viele Tiere pro Betrieb leben, ist das Risiko von Ansteckung und somit die eingesetzte Antibiotikamenge besonders hoch. Jeder Einsatz von Antibiotika trägt jedoch zur Resistenzentwicklung von Erregern bei. Je mehr Mastbetriebe in einer Region angesiedelt sind, desto höher ist das Übertragungsrisiko von resistenten Keimen in andere Ställe oder die Umwelt.
Export-Weltmeister – unter Druck
Hühner sind hierzulande wie weltweit die am meisten geschlachteten Tiere. 2012 stieg die Zahl global auf knapp 60 Milliarden. In Deutschland wurden 2016 rund 600 Millionen Masthühner geschlachtet. Schon beim Fangen und Verladen für die Fahrt zum Schlachthof ersticken viele Hühner im Gedränge oder werden teils tödlich verletzt. Etliche Tiere dürften aufgrund von Verletzungen eigentlich nicht transportiert werden. Der Transport selbst belastet die Masthühner ebenfalls enorm: Fehlende Frischluftzufuhr, Temperaturschwankungen oder Hitze können zu Herz-Kreislauf-Versagen führen. So erreichen viele Tiere das Schlachthaus bereits tot.
Die Lebenden erwartet nach dem Abladen die Betäubung – etwa im stromführenden Wasserbad. Aus wirtschaftlichen Gründen ist dies noch immer eine gängige Methode, ungeachtet etlicher Tierschutzprobleme: Dort können sich die Tiere an den Beinen kopfüber in den Bügeln eines Förderbands hängend durch heftige Flügelschläge selbst verletzen. Köpfe kleinerer oder sich krümmender Tiere tauchen nicht immer ausreichend tief ins Wasserbecken. Sofern nicht einzeln nachbetäubt, erleben sie den nachfolgenden Halsschnitt bei Bewusstsein. Bei unzureichend entbluteten Tieren ist ein Nachschneiden per Hand erforderlich. Bei den üblichen hohen Bandgeschwindigkeiten bleibt das gelegentlich jedoch aus …
60 Prozent der Masthühner hierzulande werden mittels Gasgemischen betäubt, die Kohlendioxid enthalten. Dieses erzeugt bei den Tieren sichtbar ein Gefühl von Atemnot. Auch hierbei ist die Betäubung zuweilen nicht ausreichend und die Tiere erleben das Ausbluten bewusst mit.
Die Haltung von Masthühnern ist zwar in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung gesetzlich geregelt. Dennoch existieren zahlreiche tierschutzrelevante Probleme, die nicht mit dem Staatsziel Tierschutz vereinbar sind. Hier gibt es also sehr viel zu
tun.
Marietheres Reinke und Michelle Pliquett arbeiten für die „Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt". Das langfristige Ziel der Stiftung ist es, die Massentierhaltung abzuschaffen und den veganen Lebensstil zu verbreiten.
Weitere Beiträge zu dem Thema "Tierische Geschäfte" finden Sie online hier oder Sie in unserer aktuellen forum Ausgabe.
Lifestyle | Essen & Trinken, 10.04.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2018 - Digital in die Zukunft? Tierische Geschäfte! erschienen.
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