Zentralbanken müssen jetzt das Klima retten
Wenn die Wirtschaft das Klima und der Klimawandel die Wirtschaft bedroht, brauchen wir unkonventionelle Lösungen. Zehn Jahre nach dem Bank-Bailout ist jetzt ein Bailout für das Klima gefordert.
Eine der bedeutendsten Erkenntnisse der Klimaforschung ist, dass der größte Teil der bekannten fossilen Rohstoffe nicht mehr verbrannt werden darf, wenn die 1,5°C-Grenze des Pariser Klimaschutzabkommens eingehalten werden soll. Doch die ökonomischen Konsequenzen sind extrem weitreichend: Die mit fossiler Energiegewinnung verbundene Infrastruktur, wie Kraftwerke und Raffinerien, wäre mit einem Mal faktisch wertlos, bereits in den Bilanzen verbuchte Rohstoffvorräte der global agierenden Energieunternehmen ebenso.
Folge wäre ein drastisches Sinken der Aktienkurse sowie enorme Verluste bei institutionellen Anlegern, wie Pensionskassen und Versicherungen, die aus Vorsichtsgründen in konservative Energiewerte investiert hatten. Gleichzeitig stehen die Energieunternehmen vor der Mammutaufgabe, massiv in erneuerbare, fossilfreie Energieerzeugung zu investieren, um mit ihrem Geschäftsmodell auch unter den Rahmenbedingungen des neuen 1,5°C-Ziels Erfolg haben zu können. Die Finanzierung dieses unvermeidbaren Umbaus wird ihnen aber schwerfallen, wenn sie aufgrund erheblicher Abschreibungen ihrer fossilen Vermögenswerte in ihrer Investitionskraft geschwächt sind.
Die Kettenreaktion des Klimawandels
Mehr noch:
Sollte es nicht gelingen, die Klimaerwärmung durch eine stark beschleunigte Konversion von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern zu stoppen, ist mit einer Explosion der Schadensfälle bei den Versicherungen und mit unkalkulierbaren Kreditausfällen bei den Banken zu rechnen. Massive Instabilitäten auf den Finanzmärkten wären die Folge. Wir befinden uns somit in einem Dilemma: Verzichten wir auf einen schnellen Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft, geraten wir ungebremst in die Klimakatastrophe mit allen negativen Implikationen. Steigen wir aber so schnell aus der bestehenden fossilen Infrastruktur aus, wie es zur Einhaltung des 1,5°C-Ziels nötig ist, entwerten wir gigantische Vermögenswerte in einem Tempo, das ebenfalls zu systemischen Risiken in der Ökonomie führt. Gibt es einen Ausweg aus dieser anscheinend unauflöslichen Situation?
Die Chancen eines „Klima-Bailout"
Bei der letzten großen Krise des globalen Finanzsystems 2008 griffen die Zentralbanken ein. Das war damals notwendig, um das gesamte Bankensystem vor dem Kollaps zu bewahren, und somit Teil ihres Mandats. Ein ähnliches Modell bietet sich auch in dieser Situation an: ein „Klima-Bailout", der es den Energieunternehmen ermöglicht, ihre faktisch verlorenen fossilen Vermögenswerte – im Englischen spricht man daher von „stranded assets" – in neue nachhaltige Vermögenswerte aus 100 Prozent Erneuerbaren Energien (EE) zu konvertieren. Da bereits akut von „Strandung" bedrohte Vermögenswerte auf den privaten Finanzmärkten nur noch zu einem minimalen Restwert zu verkaufen sind, entfällt diese Möglichkeit der Konversion. Ebenso wäre die Überwälzung der Verluste auf den Steuerzahler weder politisch vermittelbar, noch finanziell zu bewerkstelligen. Die einzigen Institutionen, die das ökonomische Potenzial haben, einen Klima-Bailout durchführen zu können sind – genau wie bei der Bankenkrise seit 2008 – die Zentralbanken. Da der Klimawandel nicht abzusehende Folgen für das Funktionieren unserer Ökonomien haben wird, wäre ein gezielter Klima-Bailout zur Bewahrung der ökonomischen Stabilität daher vom Mandat der Zentralbanken gedeckt.
Um einen Klima-Bailout durchführen zu können, müssen die Energieunternehmen ihre sogenannten stranded assets und andere klimabezogenen Risiken offenlegen und zu gesonderten Wertpapieren zusammenfassen. Die Zentralbanken müssen sich dann bereit erklären, diese Wertpapiere zum aktuellen Wert aufzukaufen (und ohne Rückkaufverpflichtung in ihre Bilanz zu nehmen), so dass die Energieunternehmen mit den Einnahmen dauerhaft planen können.
Keine Wettbewerbsverzerrungen durch den „Klima-Bailout"
Der Klima-Bailout muss im Detail so designt sein, dass keine Situationen entstehen, die Unternehmen mit fossilen „stranded assets" finanziell besser stellen als Unternehmen, die in Erneuerbare investieren wollen, aber keine fossilen Altlasten in ihren Bilanzen haben. Wettbewerbsverzerrende Ergebnisse müssen verhindert werden. Als ausgleichende Maßnahme wäre daher denkbar, dass die Zentralbanken in gewissem Umfang auch Wertpapiere (Green Bonds) von EE-Investoren für zentralbankfähig erklären, die keine alten fossilen Vermögenswerte in ihren Bilanzen haben. Auch hier wären der Verzicht auf Rückkaufverpflichtungen oder sehr lange Laufzeiten mit niedrigem Zinssatz erforderlich, um eine möglichst große Zahl an EE-Investitionen zu ermöglichen.
Die Wertpapierkäufe der Zentralbanken müssen dabei jedoch in einem Rahmen bleiben, der sie bei der Ausübung ihrer gewöhnlichen Geldpolitik nicht behindert. Wie die Bailout-Maßnahmen der Zentralbanken bei der Bewältigung der Banken- und Finanzkrise gezeigt haben, ist dieser Spielraum aber so groß, dass eine beträchtliche Konversion von „stranded assets" in Erneuerbare Energien möglich ist.
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Bailout nur bei neuen Investitionen in Erneuerbare Energien
Die Zentralbanken dürfen die neuen Wertpapiere aber maximal in dem Umfang aufkaufen, wie die mit ihnen generierte neue Liquidität zur Finanzierung von Investitionen in neue und zusätzliche Erneuerbare Energien (EE) genutzt wird. Dabei ist exakt und transparent zu dokumentieren, welche EE-Investitionen die Unternehmen mit der gewonnenen Liquidität finanzieren. Es dürfen keine EE-Investitionen verdrängt werden, die sonst von anderen Investoren durchgeführt worden wären. Fossile Vermögenswerte, die zu stranden drohen, können so nach und nach durch zukunftsfähige Vermögenswerte in erneuerbaren Energieeinheiten ersetzt werden. Somit werden die Zentralbanken in gewisser Weise zur Bad-Bank für die alten fossilen Vermögenswerte, jedoch ohne, dass Staat und Steuerzahler etwas dazu bezahlen müssen.
Umkehrung des Anreizsystems: vom Blockierer zum Förderer der Erneuerbaren Energien
Durch diese neue Refinanzierungsmöglichkeit bei den Zentralbanken können Unternehmen, sobald sie in neue EE-Einheiten investieren, ihre stark risikoreichen fossilen Vermögenswerte in nachhaltige Kapitalanlagen verwandeln. Weil der Verkauf an die Zentralbank aber weitgehend zum Marktpreis erfolgen soll, besteht für die Unternehmen ein Anreiz, die Konversion ihrer zu stranden drohenden fossilen Assets in neue EE-Vermögenswerte möglichst schnell vorzunehmen, und nicht zu warten bis ihr Wert weiter gesunken ist. Damit ergibt sich eine Umkehrung des Anreizsystems: Während die Energieunternehmen heute ein starkes Interesse haben, ihre fossilen Geschäftsmodelle noch so lange wie irgend möglich weiter zu betreiben, wäre es bei einem Klima-Bailout attraktiv für sie, möglichst schnell in den Aufbau Erneuerbarer Energien zu investieren.
Entsprechend groß würde ihre Lobbyarbeit auf die Politik ausfallen, nun endlich die notwendigen Rahmenbedingungen für den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben. Auf diese Weise wären so nicht nur die Energieunternehmen, die bisher auf fossile Methoden der Eergiegewnnung setzen, sondern auch deren Anleger vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch bewahrt. Auch wäre eine Energiewende plötzlich wirtschaftlich interessant und daher in globalem Maßstab umsetzbar. Ein Klima-Bailout wäre so für die Einhaltung des 1,5°C-Ziels sowie für die Stabilisierung der vom Klimawandel bedrohten Weltwirtschaft das richtige Instrument, um schnelle und nachhaltige Erfolge zu erzielen.
* Ein „Bailout" bezeichnet im Wirtschafts-Kontext eine Haftungs-,
Schulden- oder Tilgungsübernahme von Unternehmen oder Banken durch
Dritte, insbesondere durch staatliche oder multilaterale Institutionen,
im Falle ihrer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.
Die Publikation des Autors mit dem Titel „Klima-Bailout: Ein Vorschlag zur Durchführung der notwendigen Konversion fossiler ,stranded assets‘ in Erneuerbare Energien” können Sie online abrufen.
Dr. Matthias Kroll ist Chefökonom des Arbeitsbereichs Future Finance beim World Future Council. Er studierte Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und promovierte im Bereich Geldpolitik. Anschließend lehrte er Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg und arbeitet seit 2010 für die Future Finance Kommission des World Future Council zu den Themenfeldern Finanzmarktregulierung, Geldreformvorschläge und Klimaschutzfinanzierung.
Quelle: World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
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