Flucht und Migration

Fünfzehn Thesen von Werner Mittelstaedt

Werner Mittelstaedt ist Zukunftsforscher, Zukunftsphilosoph und zusammen mit renommierten Experten wie Ernst Ulrich von Weizsäcker, Bärbel Höhn u.a. Co-Autor des erfolgreichen Buches „Zukunft gewinnen", das im ALTOP-Verlag erschienen ist. Im ersten Teil  "Von der Willkommenskultur zur EU-Abschottungspolitik" skizziert er den Ist-Zustand. Im zweiten Teil lädt der Zukunftsforscher zur Diskussion seiner  nachfolgenden Thesen ein: 
 
"Vor dem im Beitrag "Von der Willkommenskultur zur EU-Abschottungspolitik" skizzierten Hintergrund habe ich meine ursprünglichen Fünfzehn Thesen zur Flüchtlingskrise vom September 2015 noch einmal präzisiert, aktualisiert und erweitert. Sie sind insbesondere auf Deutschland ausgerichtet, können aber weitgehend auf die Flüchtlings- und Migrationspolitiken anderer EU-Länder übertragen werden.
  1. Das Recht auf Asyl in Deutschland für Menschen, die aus Ländern flüchten, in denen Kriege stattfinden oder in denen sie aus rassistischen, religiösen, nationalistischen, politischen oder ethnischen Gründen verfolgt werden, darf nicht weiter aufgeweicht werden.

  2. Menschen müssen auch ein Recht auf Asyl bekommen, wenn sie aus Ländern kommen, in denen die Lebensverhältnisse so miserabel sind, dass ein menschenwürdiges Leben unmöglich ist (z. B. Flucht aus Gründen des Klimawandels, der Zerstörung der Lebensgrundlagen etwa durch Landgrabbing der reichen Länder des Nordens, der Vernichtung der Lebensgrundlagen von Kleinbauern durch die EU- und US-Agrarpolitik u.v.m.).

  3. Deutschland benötigt ein seit vielen Jahren überfälliges Einwanderungsgesetz. Die Gründe: a) Durch ein Einwanderungsgesetz wird Illegalität vermieden und es werden regulierte Wege der Migration ermöglicht. b) Das derzeitige Zuwanderungsgesetz leistet dies nicht. c) Deutschland benötigt jährlich mindestens 500.000 Menschen, die zu uns einwandern müssten, damit es aufgrund seiner demografischen Entwicklung (Überalterung, zu wenige Kinder) sein Lebensniveau halten kann.

  4. Sinti und Roma, die aus sogenannten sicheren EU-Staaten (speziell Bulgarien, Rumänien, Serbien) nach Deutschland kommen und Asyl beantragen, sollten aufgrund der starken Diskriminierung, der sie in diesen Ländern ausgesetzt sind, in größerer Anzahl als in den vergangenen Jahrzehnten Asyl erhalten. Darüber hinaus muss die EU mit politischen Mitteln mehr darauf drängen, dass Sinti und Roma in ihren Mitgliedsländern nicht mehr diskriminiert werden. Sinti und Roma in Deutschland in höherer Anzahl als in den vergangenen Jahrzehnten Asyl zu gewähren, wäre auch ein Akt später »Wiedergutmachung« aufgrund der Verbrechen, die das NS-Regime an Sinti und Roma begangen hat.

  5. Die unsicheren und lebensgefährlichen Fluchtrouten über das Mittelmeer müssen dauerhaft durch eine technisch und personell sehr gut organisierte EU-Seenotrettung so geleistet werden, dass kein einziger Flüchtling oder Migrant auf dem Mittelmeer ums Leben kommt. Das bedeutet, dass die EU-Marinemission »Sophia« nie mehr an ihren Einsätzen behindert werden darf und durch mehr Rettungsschiffe aufgerüstet werden müsste. Zugleich darf die private Seenotrettung durch Nichtregierungsorganisationen auf dem Mittelmeer nicht mehr behindert werden. Die geretteten Menschen sollten dann zeitnah auf ihren Anspruch auf Asyl überprüft werden. Besteht kein Asylanspruch, dann sollten sie nur in sichere Herkunftsländer zurückgebracht werden.

  6. Waffen aller Art führen in Krisenländer zu noch mehr Konflikten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Sie sind eine gravierende Fluchtursache. Deshalb sind Waffenexporte in Krisenländer und in Länder, die Krisen und Kriege schüren, sofort einzustellen. Hier muss Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur der Welt eine Vorreiterrolle spielen!

  7. Asylbewerberinnen und Asylbewerber sollten möglichst schnell ein Arbeitsvisum erhalten. Ihnen sollten zeitnah Jobangebote gemacht werden und berufliche Perspektiven aufgezeigt werden. Dadurch würde einerseits die Integration dieser Menschen vorangetrieben. Viele junge Asylbewerberinnen und Asylbewerber würden vorübergehend auch gerne gegen geringe Bezahlung sogenannte einfache Arbeiten machen (z. B. Straßenreinigung, Umweltschutztätigkeiten, Unterstützung bei Tätigkeiten in der Pflege und im Gesundheitswesen), bis sie in eine Ausbildung kommen oder eine feste Anstellung haben.

  8. Den Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland kommen, müssen mehr Arbeitsplätze mit unmittelbarer Sprachförderung angeboten werden, die u. U. auch durch die Bundesregierung subventioniert werden sollten.

  9. Die Situation für die Menschen in den Kriegs- und Krisenländern des Südens muss durch die Länder des Nordens erheblich verbessert werden, um die Fluchtursachen zu reduzieren. Es muss die neokolonialistische Ausbeutung und die damit verbundene Zerstörung der Umwelt in den Ländern des Südens durch den Norden beendet werden. Die noch intakten gesellschaftlichen Strukturen in den Ländern des Südens müssen bewahrt werden. Dafür ist eine faire Entwicklungszusammenarbeit vonnöten, die sich an den Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung orientieren muss. Hilfe zur Selbstentwicklung für die Menschen des Südens muss massiv gefördert werden. Das notwendige Know-how zur Umsetzung der in diesem Punkt angesprochenen Forderungen ist weltweit vorhanden.

  10. Die finanzielle Unterstützung der Flüchtlingslager in den Anrainerstaaten der Kriegsländer (insbesondere in der Türkei, in Jordanien und im Libanon) muss ganz erheblich materiell und finanziell durch alle Länder des Nordens verbessert werden. Die Flüchtlingslager müssen in jedweder Hinsicht bessere Lebensbedingungen für ihre Bewohner ermöglichen. Besonders wichtig ist es, ausreichend Schulen in den Flüchtlingslagern einzurichten. Damit würde vermieden, dass die Flüchtlinge aus diesen Flüchtlingslagern den Weg nach Europa nehmen. Würde es bessere Bedingungen in den Flüchtlingslagern geben, dann würden die Menschen in den Flüchtlingslagern bleiben, bis die Kriege zu Ende sind, um dann wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren.

  11. In Deutschland muss der soziale Wohnungsbau drastisch gefördert werden. Deutschland wird aufgrund der Flüchtlingsströme einerseits und der notwendigen Einwanderung (Zuwanderung / Migration) andererseits in den nächsten Jahren sehr viel mehr Wohnraum benötigen.

  12. In Deutschland muss die Bundesregierung den Kommunen wesentlich mehr Geld für die Beherbergung und Integration von Flüchtlingen, Asylbewerberinnen, Asylbewerbern und Einwanderern (Migranten) zur Verfügung stellen.

  13. Mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die die Integration von Flüchtlingen zur Aufgabe haben und die die Koordination der ehrenamtlichen Integrationshelferinnen und -helfer steuern, sind dringend notwendig. Darüber hinaus muss die psychotherapeutische Versorgung von traumatisierten Kriegsflüchtlingen deutlich verbessert werden.   

  14. Es müssen wesentlich mehr Lehrerinnen und Lehrer für den Schulunterricht (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) und für die Sprachschulung zur Verfügung gestellt werden.

  15. Jede(r) ist aufgefordert, auf Rassismus und Antisemitismus in jedweder Form zu reagieren. Das bedeutet, dass hingesehen und möglichst zeitnah reagiert werden muss, wenn jemand rassistisch oder antisemitisch angefeindet wird."
Kontakt: Werner Mittelstaedt | werner.mittelstaedt-gzs@t-online.de | www.werner-mittelstaedt.com

Gesellschaft | Migration & Integration, 30.07.2018

     
        
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