Vom Hochleistungsrechner zum Heizkörper
Das Problem der Kühlung von Rechenzentrum als Lösung anderer Probleme
Ein junges Start-up-Team in Wien möchte das Problem der Kühlung von Rechenzentrum so lösen, dass aus dem Problem eine Chance zur Lösung eines ganzen Bündels von Problemen entsteht. forum wollte genau wissen, was das findige deutsch-österreichische Team plant und traf sich mit den Jungunternehmern über den Dächern von Wien.
Benedikt Göhmann und Ferdinand Glück im Interview mit Fritz Lietsch
Ferdinand Glück (links) studierte urbane erneuerbare Energietechnologien und im Master digitale Medientechnologien.
Benedikt Göhmann studierte Volkswirtschaft in Wien, London und Paris. Durch die Inspiration von Leo Obkircher, der ein Ingenieurbüro für Energietechnik betreibt, haben sie es sich zum Ziel gesetzt, Rechnerleistung, Klimaschutz und Profit zu verbinden. In Wien arbeitet das Start-up an seiner ersten Pilotanlage in der Zukunftsstadt Aspern. |
Warum stehen Rechenzentren vor neuen Herausforderungen?
Die fortschreitende Digitalisierung sorgt für explosionsartiges Wachstum. In Deutschland und Österreich hat sich z.B. der Stromverbrauch der Rechenzentren von 2010 bis 2016 um ca. 25 Prozent gesteigert. Zusammengenommen verbrauchen alle weltweiten Rechenzentren so viel Strom wie Großbritannien. In Zeiten des Klimawandels hat sich die Branche zu überlegen, wie mit dem massiven Energieverbrauch umzugehen ist.
Was man thermodynamisch nicht vergessen darf, ist, dass Server im Endeffekt kleine Stromheizungen sind, die wir momentan mit energiehungrigen Klimageräten kühlen müssen. Das erhöht den Stromverbrauch weiter. Zusätzlich heizen wir damit die Umwelt rund um das Rechenzentrum auf. Auch Datensouveränität und Sicherheit werden immer mehr zum Thema und Unternehmen wollen heute wissen, wo genau ihre Daten liegen.
Wofür brauchen wir immer mehr Rechenleistung?
Die Digitalisierung durchdringt mehr und mehr alle Lebensbereiche. Das beste Beispiel ist Fernsehen, wo Inhalte mehr und mehr gestreamt werden. Und während man vor zwei Jahren noch HD als den Standard sah, ist es heute mit 4K bereits die vierfache Auflösung. Damit vervielfacht sich die Datenmenge. Datentransfer und -speicherung in der Cloud fallen ebenso ins Gewicht, wer benutzt schon noch USB-Sticks und Festplatten? Neue Laptops haben nicht mal mehr USB-Buchsen. Und dann kommen noch die ganzen zukünftigen Anwendungen wie autonomes Fahren, Virtual Reality, Objekterkennung, Blockchain oder digitale Währungen, die wirklich massive Rechenpower benötigen.
Warum brauchen wir eine immer schnellere Rechenleistung?
Dienste wie autonomes Fahren oder Virtual Reality müssen quasi in Echtzeit funktionieren. Für selbstfahrende Autos z.B. darf die Verzögerung (Latenz), mit welcher die Daten vom Rechenzentrum im Auto ankommen, maximal 5ms betragen, sonst gibt es Unfälle. Bei Virtual Reality beträgt diese Zeit 7-15ms, sonst wird vielen Menschen schlecht. Auch an den internationalen Börsen geht es um Millisekunden. Deshalb ist einer der größten Punkte der 5G-Entwicklung die Reduzierung von Latenz.
Wie kann man Latenz reduzieren?
Stellt man sich eine Datenleitung wie ein Wasserohr vor, wird schnell klar, wie sich die Zusammenhänge darstellen. Wenn ich das Rohr mit größerem Durchmesser baue, kann ich zwar mehr Wasser von A nach B schicken, aber das Mehr an Wasser baucht dennoch die gleiche Zeit, um die Strecke zurückzulegen. Dieses Geschwindigkeitslimit für Daten ist die Lichtgeschwindigkeit. Zusätzlich verliere ich an jedem zentralen Verteilpunkt, an dem entschieden werden muss, wohin mit den Daten, nochmals wertvolle Zeit. Wenn ich meine Rechenzentren also im kalten Skandinavien baue, bräuchten meine Daten mehr als die 5ms, um durch das Datenrohr zu reisen, egal wie breit ich es baue. Das Datenrohr muss kürzer werden und am besten ohne Umwege und Verteilpunkte direkt ans Ziel gelangen.
Müssen die Rechner also wieder näher dorthin, wo das Rechenergebnis gebraucht wird?
Diese Entwicklung wird unter dem Namen „Edge Computing" gerade heiß diskutiert und sammelt sehr viel Venture-Capital-Aktivität. „Edge" steht hier für „Kante", also die Kante des Netzwerkes zum Datennutzer. In den USA gibt es bereits ein Rennen an die Kante unter Start-ups, die Container mit Servern neben 5G-Funktmasten verteilen. Das 5G Infrastructure Public Private Partnership der Europäischen Kommission und der IKT-Industrie (5G PPP), ein Forschungsprojekt, welches die europäischen Standards für 5G setzen soll, sieht Edge-Computing als zentralen Teil von 5G. Auch dank der EU-Datenschutzverordnung (DSGVO) wird zunehmend diskutiert, wo genau unsere Daten eigentlich liegen …
Die Rechner rücken also wieder näher zu uns, und Rechenzentren müssen folglich in die Städte?
Genau da setzen wir an. Die Rechenleistung muss aus Gründen der Verfügbarkeit und Sicherheit wieder in den urbanen Raum.
Aber die Innenstädte sind doch ohnehin schon viel zu warm. Wohin also mit der vorhin erwähnten Abwärme der Rechenzentren?
Wie platzieren die Rechner genau dort, wo die Abwärme gebraucht werden kann und sehen die Server als Wärmequellen zur Warmwasseraufbereitung und zum Heizen.
OK: Sie nutzen also die Abwärme zum Heizen. Aber was tun sie im Sommer, wenn kein Mensch heizen will?
Ein Teil der Abwärme wird auch im Sommer für Warmwasser gebraucht. Die restliche Wärme speichern wir über ein Erdspeichersystem im Boden, aus dem wir sie im Winter mit einer Wärmepumpe wieder extrahieren.
Und was passiert in Spitzenlastzeiten der Rechner an einem heißen Sommertag. Können Sie die Abwärme überhaupt schnell genug abführen und damit eine ausreichende Kühlung garantieren?
Hier kommt unsere Innovation ins Spiel: Ein Erdspeichersystem, dass die Wärmemenge, welche abgeführt und gespeichert werden kann, im Vergleich zu konventionellen Erdspeichern massiv steigert. Unser spitzenlast-optimiertes Erdspeichersystem reduziert damit die nötigen Investitionskosten, denn wir können auf Rückkühler und Kältemaschinen verzichten, ohne die Sicherheit der Kühlung und damit der Rechner zu gefährden.
Klingt gut. Aber wo in den Innenstädten sollen bitte bei diesen Immobilienpreisen Rechenzentren platziert werden?
Dies ist ein weiterer Innovationsaspekt. Wir denken die Rechenzentren als „rechnende Heizräume", die sich perfekt in Gebäude oder als Quartierslösung in Gebäudeverbunde einfügen. Damit bieten wir eine Real Estate-Lösung für Edge-Computing in europäischen Städten, denn im Gegensatz zu den USA haben wir hier nicht den Platz, um Container mit Mikrodatencentern in der Stadt zu verteilen. Und wir wollen ja auch die Wärme „ernten".
Das klingt einleuchtend und perfekt. Warum gibt es diese Lösung nicht schon längst?
Bisher war vor allem die Ausfallsicherheit höchstes Gebot von Rechenzentren. Energieeffizienz und Latenz spielten eine untergeordnete Rolle. Risikominimierung steht in diesem Geschäft über allem. Das Geld wird mit Ausfallssicherheit verdient. Bislang werden alle möglichen Daten bereitwillig weit weg in zentrale Rechenzentren ausgelagert. In Zeiten von Klimawandel, EU-Datenschutzverordnung und 5G ändert sich das. Plötzlich wird wieder diskutiert, wo Daten eigentlich liegen. Der Edge-Computing Trend und der Wunsch nach Datensouveränität bieten das Momentum der Veränderung und damit die Chance, die Abwärmenutzung wirtschaftlich sinnvoll zu gestalten. Unser Motto lautet deshalb „die Digitalisierung klimaverträglich gestalten".
Wie sieht dabei Ihr Geschäftsmodell aus?
Einerseits verkaufen wir die Abwärme im Rahmen von Contracting-Modellen an Immobilienbetreiber oder auch bestehende Wärmenetze. Auf der anderen Seite verkaufen wir Edge-Colocation Dienstleistungen. Colocation kann man sich als eine Art Hochsicherheitshotel für Server vorstellen. Wir wenden uns also an Unternehmen, die Server an der Kante zum End User platzieren möchten.
Einen zweiten Vertriebskanal sehen wir in der „Grätzel-Cloud" („Grätzel" österreichisch für Kiez oder Stadtviertel). In Neubaugebieten können die Bauträger von Büroflächen unser Serverhosting plus Heizung als Gesamtpaket direkt im Vertrieb anbieten. Das Büro kann also ganz komfortabel mit Server z.B. für Backup- und E-Maildienste oder auch das LAN-Netz bezogen werden. Der Server steht damit im gleichen Viertel quasi „on-premises" und nicht irgendwo weit weg. Wir sehen das als unkompliziertes Angebot, Datensouveränität zurückzugewinnen und Energie zu sparen, da der Server als Heizung fungiert. Mit unserem Geschäftsmodell wollen wir es schaffen, die Synergie des Sector Couplings, also der Verschränkung von Daten- und Heizinfrastruktur zu einem integrierten System, wirtschaftlich abzuschöpfen.
Das klingt einleuchtend. Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Wir arbeiten mit Hochdruck an der ersten Umsetzung unseres Systems als Pilotprojekt in der Seestadt Aspern in Wien. Nächsten Sommer wird hier ein Wohn- und Bürogebäude errichtet, in welches wir unseren ersten „rechnenden Heizraum" einbauen. Zudem sind wir in intensiven Gesprächen mit einem Forschungsprojekt von Wien Energie und Siemens, wie wir unsere Wärmeüberschüsse in das dort geplante Niedertemperatur-Netz einbinden können. Nach dieser Feuertaufe unseres Gesamtsystems und des Erdspeichers möchten wir so schnell wie möglich skalieren.
Herr Glück und Herr Göhmann, wir wünschen Ihnen und Ihrem Start-up-Team viel Erfolg.
Dieser Beitrag ist mit der freundlichen Unterstützung des Österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie entstanden. Entgeltliche Einschaltung. |
Technik | Cleantech, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
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