EU-Kürzungspolitik verletzt Menschenrecht auf Nahrung in Griechenland
Neue Forschungsergebnisse zeigen die Auswirkungen der Sparmaßnahmen auf die Ernährung und Landwirtschaft des Landes
Fast 40 % der ländlichen Bevölkerung in Griechenland sind von Armut bedroht und die Ernährungsunsicherheit hat sich im ganzen Land verdoppelt. Die heute veröffentlichte Studie „Democracy Not For Sale: The Struggle for Food Sovereignty in the Age of Austerity in Greece", eine gemeinsame Arbeit des Transnational Institute, FIAN International und Agroecopolis, bietet eine einzigartige Analyse der Auswirkungen der Sparmaßnahmen auf die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit Griechenlands.
Einige wichtige Ergebnisse lauten:
- schätzungsweise 38,9% der ländlichen Bevölkerung in Griechenland sind von Armut bedroht;
- etwa 40% der griechischen Kinder sind von materieller Armut und sozialem Abstieg betroffen;
- die Arbeitslosigkeit im ländlichen Raum ist von 7% im Jahr 2008 auf 25% im Jahr 2013 gestiegen während das Pro-Kopf-Einkommen im ländlichen Raum in den Krisenjahren (2008-2013) um 23,5% zurückgegangen ist;
- die Ernährungsunsicherheit hat sich während der Krise von 7% im Jahr 2008 auf mehr als 14% im Jahr 2016 verdoppelt.
Der Bericht basiert auf Feldforschungen und Interviews mit über 100 Schlüsselakteuren an 26 Orten in ganz Griechenland, sowie makroökonomischen statistischen Analysen und Literaturrecherchen. Er zeigt, dass Hunger, Ernährungsunsicherheit, Armut und materielle Deprivation direkte Folgen der Sparpakete sind, die die EU Griechenland auferlegt hat.
Im Nahrungsmittelsektor haben eine Reihe von Strukturreformen größere Lebensmitteleinzelhändler und private Händler gestärkt, wohingegen sich die Lage für Kleinerzeuger erheblich verschlechtert hat.
Zu diesen Reformen gehörten unter anderem:
- die Liberalisierung des Einzelhandels, beispielswiese die Aufhebung bestimmter Warenbeschränkungen für den Verkauf in Supermärkten, die Flexibilisierung des Arbeitsrechts und die Öffnung von Geschäften an Sonntagen;
- die Liberalisierung des Großhandels, insbesondere die Privatisierung der ehemals öffentlich verwalteten und profitablen Central Markets and Fishery Organisation, dem wichtigsten Lebensmittelgroßhändler des Landes, der für die beiden wichtigsten Lebensmittelmärkte und elf Fischmärkte des Landes verantwortlich ist;
- Privatisierungen, einschließlich der Privatisierungen der Agricultural Bank of Greece (ATE) und der Milchgenossenschaft AGNO. Dies hat zu höheren Kosten für Landwirte, weniger Zugang zu Krediten auf dem Land, spezialisierten Finanzdienstleistungen und agronomischer Beratung geführt.
Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass Griechenland das Menschenrecht auf Nahrung der innerhalb seiner Grenzen lebenden Menschen als direkte Folge der Sparmaßnahmen verletzt hat. Allerdings sind auch die Mitgliedstaaten der Eurozone als direkte Kreditgeber verantwortlich, da sie die MoUs unterzeichnet und wahrscheinlich die griechische Regierung dazu gedrängt hatten, dies zu tun. Als Vertragsstaaten des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) und anderer internationaler Menschenrechtsinstrumente haben die Mitgliedstaaten der Eurozone ihre extraterritorialen Verpflichtungen zur Achtung des Menschenrechts auf Nahrung in Griechenland verletzt.
Dieser Bericht erscheint zehn Jahre nach Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise, und nur wenige Monate nachdem die Sparprogramme – die Griechenland als Bedingung für die aufeinanderfolgenden "Rettungsaktionen" auferlegt wurden – auslaufen. Olivier de Schutter, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung (2008-2014) und Mitglied des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, kommentierte den Bericht wie folgt: "Griechenland, so wird uns gesagt, sei jetzt außer Gefahr, aber die Auswirkungen auf den Lebensstandard griechischer Familien und insbesondere auf das Recht auf Nahrung waren enorm. Und es ist wichtig, dass wir Lehren ziehen aus dem, was geschehen ist. Diese Ergebnisse sind ein bedeutender Beitrag zu einer Debatte, die jetzt stattfinden muss".
Gesellschaft | Politik, 20.11.2018
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