Wahrheit als Machtmittel
Christoph Quarch analysiert das Aus für Faktenchecks auf Instagram und Facebook
Wenige Tage vor der Amtseinführung von Donald Trump hat Meta-Chef Mark Zuckerberg angekündigt, die Arbeit mit professionellen Fakten-Checkern auf seinen Plattformen Instagram und Facebook einzustellen. Er begründet diesen Schritt damit, mehr Meinungsfreiheit zulassen zu wollen. Gleichzeitig wirft er „Regierungen und alten Medien" vor, den Diskurs auf den Plattformen zu zensieren. Nach Vorbild von X soll die Nutzer-Community selbst über die Inhalte auf den Plattformen wachen. Europäische Politiker reagieren alarmiert und sehen in Zuckerbergs Plänen einen Angriff auf die Demokratie. Aber es steht noch mehr auf dem Spiel: Verlieren wir womöglich den Boden unter den Füßen, wenn wir nicht mehr wissen, was wahr und was unwahr ist? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, ist es aus philosophischer Sicht vertretbar, eine User-Community darüber entscheiden zu lassen, was wahr und was unwahr ist?
Wahrheit ist aus philosophischer Sicht ein kompliziertes Konzept, das zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gedeutet worden ist. So hat Friedrich Nietzsche den Standpunkt vertreten, der „Willen zur Wahrheit" sei ein verkappter „Willen zur Macht" und es zeichne den Mächtigen aus, bestimmen zu können, was als Wahrheit zu gelten habe. Leute wie Elon Musk und Marc Zuckerberg scheinen dieser Deutung Recht zu geben. Sie machen kein Geheimnis daraus, dass sie Wahrheit als Machtmittel verstehen und ihre Plattformen deshalb von allen Kontrollmechanismen freihalten wollen. Ein effizienteres Mittel zur Machtausübung als unkontrollierbare Social Media Dienste hat es vermutlich noch nie zuvor gegeben.
Wenn nur das wahr ist, was die Mächtigen als wahr ausgeben, gäbe es ja überhaupt keine objektive Wahrheit, die zu ermitteln das Anliegen aller Naturwissenschaften ist. Ist das akzeptabel?
Nietzsche sagt nicht, dass es unmöglich wäre, verlässliche Aussagen über Sachverhalte oder Naturprozesse zu treffen. Er sagt nur, dass es die Mächtigen sind, die darüber entscheiden, ob diese verlässlichen Aussagen der Wissenschaft als relevante Wahrheit anerkannt werden oder nicht. So war es schon zu Beginn der europäischen Neuzeit. Damals versuchte die römische Kirche zu verhindern, dass die Erkenntnisse der Naturwissenschaft als Wahrheit zur Geltung kommen. Es ist der große Stolz der westlichen Kultur, dass ihr das nicht gelungen ist; und dass die Wissenschaft sich durchgesetzt hat. Wahrheit gilt seither als verlässliche Aussage darüber, was der Fall ist. Das ist das Fundament unserer gesamten Kultur.
Aber da sind wir doch wieder beim Thema: Wer entscheidet darüber, was eine verlässliche Information ist: die Wissenschaft oder die Politik, die Forscher oder die Mächtigen?
Wenn wir der Wissenschaft folgen, gilt eine Aussage nur dann als wahr, wenn sie jederzeit durch reproduzierbare Versuche oder mathematische Berechnungen überprüft werden kann; oder wenn Dokumente vorliegen, die sie bestätigen. Wenn das gegeben ist, geht man als Wissenschaftler davon aus, dass die Aussage wahr ist – zumal dann, wenn mögliche Einwände geprüft und widerlegt wurden. Also ganz so, wie es die Faktenchecker bei Facebook bisher taten. Nun aber kommen Leute wie Zuckerberg und sagen: Deren Ergebnisse mögen zwar wissenschaftlich begründete Aussagen sein, aber in meinen Social Media ist das irrelevant. Hier sind sie Meinungsbekundungen – genau wie alles andere auch – einschließlich Fake-News. Und wenn „alternative Wahrheiten" mehr Anhänger finden, dann lassen wir die als Wahrheit gelten – das gebietet die Meinungsfreiheit.
Aber sind wissenschaftlich valide Aussagen wirklich nichts anderes als Meinungen, die sich gegen andere Meinungen behaupten müssen – und seien sie noch so absurd?
Aus wissenschaftlicher Sicht natürlich nicht, denn die wissenschaftliche Methodik dient ja gerade dazu, Wissen von Meinung unterscheiden zu können. Aber außerhalb der Wissenschaft sind deren Ergebnis verwaist und nicht länger vor Missbrauch, Verleumdung und Verleugnung geschützt. Ohne Kontrollen können sich diejenigen durchsetzen, die – wie zum Beispiel in Sachen Klimaschutz – konsequent verleugnen, was der Fall ist. Und sie werden stattdessen ihre Wunschideen als alternative Wahrheiten durchsetzen, sofern sie über die nötigen Macht- bzw. Manipulationsmittel verfügen. Deshalb ist es eine himmelschreiende Perversion, wenn Zuckerberg das Aus der Faktenchecker damit begründet, Meinungsfreiheit zulassen zu wollen. Tatsächlich geht es um ungebremste Manipulation in eigener Sache – was beim Thema Klimaschutz dazu führen wird, dass eine realitätsferne Politik gemacht wird, die vollständig ignoriert, was aus wissenschaftlicher Sicht der Fall ist. Wohin das führt, weiß jeder, der konsequent die faktischen Symptome seines Körpers ignoriert: Es führt zu Krankheit, Tod und Untergang. Zuckerberg hat einen großen Schritt in diese Richtung gemacht.
Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
Aktuelle Bücher von ihm sind „Wacher Geist und fester Schritt. The Donkey School for Leadership" (2024), „Schönheit rettet die Welt” (2024) und "Der Club der alten Weisen" (2023).
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org
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