Was der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire am Montag in Paris in einem emotionalen Vortrag äußerte, war in der Tat eine Frage der Gerechtigkeit - im doppelten Sinn. Eine Frage der Gerechtigkeit, weil es darum ging, allen Gruppen der Gesellschaft wieder mehr Vertrauen in die Politik zu vermitteln. Und damit mehr Sicherheit für die eigene Lebensplanung. Gerade dies war Anlass für mehr als 8.000 Demonstranten, sich am Wochenende zuvor im Protest gegen hohe Lebenshaltungskosten und Kraftstoffpreise in der französischen Hauptstadt zu versammeln. Bei den Demonstrationen kam es zu teils schweren Ausschreitungen.
Eine Frage der Gerechtigkeit aber auch, weil, so der Minister, alle gesellschaftlichen Gruppen mit Blick auf zukünftige Generationen derzeit Entscheidungen treffen müssten. Entscheidungen, die häufig nicht einfach fielen und die Veränderungen bedeuten könnten, welche aber notwendig seien. Denn zukünftigen Generationen könne, ganz im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung, das Recht auf eine selbstbestimmte Gestaltung ihrer Lebensführung nicht abgesprochen werden. Der Minister beschrieb es als historische Verantwortung, nun diese Entscheidungen zu treffen. Diese nicht aufzuschieben. Denn die Gesellschaft stehe an einem Scheideweg, verdeutlicht etwa durch die immer greifbareren Folgen des Klimawandels. Es bedürfe, am Beispiel des Klimaschutzes, klarer Ziele, einer Beschleunigung der Initiativen und Beständigkeit, um die anstehenden Prozesse gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderung auf Dauer und verlässlich umzusetzen.
Mit dieser Botschaft sprach der Minister den 500 Delegierten aus mehr als 50 Nationen des Global Roundtable der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI) aus dem Herzen. Banker, Investoren und Versicherer sowie Vertreter von Anspruchsgruppen der Finanzwirtschaft haben sich seit Anfang dieser Woche zu einem mehrtägigen Roundtable versammelt. Sie tauschen sich über Strategien und Aktivitäten aus, um das Leitbild nachhaltiger Entwicklung im Finanzsektor dort stärker zu verankern, wo es hingehört: im Kerngeschäft. (1)
Mit diesem Ziel betritt UNEP FI keineswegs Neuland. Die Initiative blickt inzwischen auf mehr als Viertel Jahrhundert erfolgreicher Arbeit zurück. Und ihr im zweijährlichen Turnus veranstalteter Global Roundtable gilt als „Landmark Event" der Finanzbranche. Zumindest sich hartnäckig haltende Ressentiments, unternehmerische Verantwortung und der Finanzsektor stünden sich diametral gegenüber, sollten daher endgültig der Vergangenheit angehören.
Dies belegen interne Angaben der Finanzinitiative. Sie konnte in ihrer Mitgliederentwicklung die eigenen Ziele deutlich übertreffen. Durch Neuzugänge im Jahr 2018 zählt UNEP FI allein in Europa aktuell 94 institutionelle Mitglieder. Dass Nachhaltigkeit als Thema für den Finanzsektor nicht nur stärker an Bedeutung gewinnt, sondern dort auch auf Interesse stößt, bestätigt ein Kommentar aus dem Sekretariat der Initiative: „We are in growth mode." Neben UNEP FI können rund um den Globus auch viele nationale Initiativen ein wachsendes Engagement von Banken und Versicherungen feststellen. Allerdings - so ein Branchenkenner - es verwundere, dass deutsche Institute auf dem Global Roundtable schon wiederholt eher unterrepräsentiert seien. Dies überrasche besonders, da die Finanzwirtschaft nun einmal international aufgestellt sei und Banken und Versicherungen aus Deutschland, zumindest auf der konzeptionellen Ebene, in der Vergangenheit eine führende Position einnahmen. Dass sich dies beim nächsten regionalen Roundtable von UNEP FI - er ist für den 28. und 29.11.2019 in Luxemburg terminiert - ändert, ist zu hoffen.
Dass UNEP FI Standards für die nachhaltige Finanzwirtschaft setzt und seine Mitglieder darin begleitet, diese in Strategien und Prozessen ihres Geschäfts zu implementieren, verdeutlichte bereits der erste Tag des Global Roundtable in Paris. Nicht weniger als vier komplexe Programme stellte die Initiative den Delegierten vor. Sie alle dienen dazu, in der Finanzwirtschaft bis 2030 die 17 Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) besser umzusetzen. Für die Branche von besonderem Interesse dürfte dabei die Präsentation einer Vorfassung der „Principles for Responsible Banking" sein. (2)
Diese durch einen Kreis von 28 international führenden Banken entwickelten Prinzipien bieten einen ersten globalen Rahmen, der die Integration von Nachhaltigkeit in allen Geschäftsbereichen gestattet, von der Strategieentwicklung über das Portfoliomanagement bis hin zur Transaktionsebene. Sie ergänzen damit einen bereits vor zwei Jahren erschienenen Leitfaden der Initiative. (3)
Als einer der führenden Ökonomen der Vereinten Nationen wies Elliot Harris auf die ausschlaggebende Rolle von Banken bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen hin: „Banks are very important if not essential when it's about a shift to more sustainability. ... Banks do have the ability to speed up this development. And they should be leading actors in this sector."
Dass dies machbar ist und wie dies geschehen kann, veranschaulichen die vorgestellten sechs Prinzipien und die mit ihnen verbundenen Umsetzungshinweise:
- Prinzip - Aligning: Banken sollen ihre Ziele in Deckung mit gesellschaftlichen Zielen bringen, vor allem mit Blick auf die SDG und das Pariser Klimaschutzabkommen. Sie sollen ihre Aktivitäten dort ausüben, wo diese die meiste Wirkung entfalten.
- Prinzip - Impact: Banken sollen die positiven und negativen Wirkungen ihrer Portfolien auf die Welt messen (und nicht umgekehrt). Negative Impacts sollen kontinuierlich und wirksam reduziert werden.
- Prinzip - Kunden: Banken sollen aktiv mit ihren Kunden zusammenarbeiten und sie zu nachhaltigem Handeln anhalten.
- Prinzip - Anspruchsgruppen: Es findet ein offener und konstruktiver Austauch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zu deren Vorstellungen statt.
- Prinzip - Governance und Zielsysteme: Banken werden ihre Verpflichtung auf die „Banking Principles" durch die Umsetzung auf allen Ebenen der Geschäftstätigkeit zum Ausdruck bringen und darüber berichten.
- Prinzip - Transparenz und Verantwortlichkeit: Regelmäßig und nachvollziehbar erfolgt eine Analyse der Verpflichtungen von Banken. Sie übernehmen Verantwortung für die Einhaltung ihrer Verpflichtungen gegenüber ihren Anspruchsgruppen.
Diese sechs Prinzipien erscheinen auf den ersten Blick einleuchtend und in ihren Inhalten zum Teil nicht einmal neu, zumindest für Banken im deutschsprachigen Raum. So ergeben sich Verpflichtungen zur regelmäßigen Prüfung und Verbesserung bereits aus der Normenfamilie um die Qualitätsnorm DIN EN ISO 9.001 und gehören damit zum „Stand der Technik" guter Betriebsführung. Governanceprinzipien liegen auch dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) zu Grunde.
Und Forderungen nach Monitoring und Transparenz gehören, zumindest für Institute im internationalen Geschäft, seit den Equator Principles zur Tagesordnung, um nur einige Beispiele zu nennen. Dennoch haben die vorgestellten „Principles for Responsible Banking" das Potenzial für einen Branchenstandard, denn sie schaffen in einfacher und skalierbarer Art, ein international vergleichbares Nachhaltigkeitsframework für Banken. Sie besitzen damit auch das Potenzial, es einem bereits existierenden Standard im Versicherungssektor gleichzutun.
Prinzipien und Standards erleichtern nicht nur Transformationsprozesse bei Banken und Versicherungen. Sie sind auch für andere Akteure am Markt, damit auch für Kunden, eine wichtige Orientierungsgröße. Zu ihnen zählen die Mitgliedschaft eines Finanzinstituts in einer Initiative, wie etwa UNEP FI. Dazu gehört aber auch die Unterzeichnung von Prinzipien, wie sie für die „Principles for Responsible Banking" bald möglich sein wird. All dies sind Attribute einer Finanzwirtschaft, die verlorenes Vertrauen wieder gewinnen will. Bis hin zur Produktebene, auf der in Deutschland inzwischen fast 20 Gütezeichen für nachhaltige Finanzprodukte um die Gunst der Kunden kämpfen. Und während in Paris der Global Roundtable fortgesetzt wird, laufen in Deutschland bereits die Vorbereitungen für die Auszeichnung von Investmentfonds mit einem eben solchen Gütezeichen, dem FNG-Siegel, am 29.11.2018 in Frankfurt am Main. (4)
Dr. Markus Scholand ist mit den Arbeitsschwerpunkten Wissens- und Innovationsmanagement als Partner im Kompetenznetzwerk von ecofin tätig. Der Bankkaufmann und promovierte Wirtschaftsingenieur beschäftigt sich als CSR-Manager und Auditor seit mehr als 15 Jahren mit Aspekten von Stan dards, Qualität und Compliance bei nachhaltigen Finanzdienstleistungen. Sein Fokus liegt dabei auf dem Mainstreaming in der Produkt- und Organisationsentwicklung sowie im Research.