Wildnisschulen

Lernen in und von der Wildnis

Wildnisschulen gehen mit Menschen in die Natur und führen sie mitunter an ihre Grenzen. Über die Naturverbindung wecken sie Begeisterung und Neugierde. Sie inspirieren zur Lernfreude und wollen Menschen jeden Alters auf ungewöhnliche Weise in ihre Mitte führen und Heilung ermöglichen.

Barfuß laufen schafft eine direkte Verbindung zur Natur. Die Sinne werden geschärft, das Tempo entschleunigt. © argum, Falk HellerEin Kind kommt von seinem geheimen Platz im schattigen Buchenwald zurück und fragt ganz aufgeregt: „Stimmt es, dass man aus Bäumen Papier macht?" Nach der kurzen Antwort „Ja!" überschlägt sich seine Stimme fast vor Begeisterung. „Dann will ich alles darüber lernen!" Sein Freund, der mit ihm aus dem Wald gekommen ist, hört die Unterhaltung und reagiert darauf: „Und ich will wissen, wie man das gebrauchte Papier wieder der Natur zurückgibt."
Dies ist eines der vielen Beispiele, die zeigen, wie uns die Natur inspirieren kann.

Die uralte Form des Lernens
In Deutschland gibt es 40 Wildnisschulen. Sie möchten eine Rückverbindung zur Natur und eine ganzheitliche Betrachtung des Lebens vermitteln sowie das Potenzial jedes Teilnehmers zur Entfaltung bringen. Dabei vermitteln die Wildnispädagogen die Naturverbindung nicht, wie es heute normalerweise Lehrer tun, sondern auf eine uralte Weise, wie sie überall auf der Welt üblich war: in der ursprünglichen Form des Lernens über Mentoren.

Ein Mentor stellt, statt Antworten abzuliefern, gezielt Fragen, die neugierig machen, und inspirieren weiter zu forschen. „Hilf ihnen, es selbst zu machen" ist das Motto, das dieses Vorgehen beschreibt. Kommt jemand mit einer eigenen Frage zum Mentor, erhält er nur einen Hinweis für den nächsten Schritt, um die Antwort dann selbst zu finden. Im Fall des Jungen im Buchenwald könnte das der Verweis auf eine Internetseite oder ein Buch sein, wo er weitere Informationen findet, wie aus Holz Papier gewonnen wird. So wird das bereits entzündete Interesse unterstützt und nebenbei wird das Kind auch im Lesen sicherer, weil es lesen muss, um sein Interesse zu befriedigen.
Es gibt keinen besseren Lehrmeister als die Natur. Hier lernt man vor allem sich selbst kennen. © Dirk Schröder
Mentoren weisen den Weg
In diesem Sinne erzählen wir in der Wildnisschule in direkter Weise sehr wenig über die Natur. Wir geben den Teilnehmern stattdessen Aufgaben und Herausforderungen wie etwa, eine Laubhütte selbst zu bauen und darin zu übernachten. Wer einmal alleine in einem solchen „Waldläuferschlafsack" die Nacht verbracht hat, hat Natur kennen gelernt und viele Ängste überwunden. Oder wer Feuer erstmals mit einem selbst geschnitzten Naturfeuerzeug entfacht hat, der hat die Geburt des Feuers erlebt und damit Überlebensängste besiegt.

Ein Naturmentor beispielsweise pflückt ganz nebenbei am Wegesrand einige Brennesselblätter oder andere Pflanzen und isst sie. Das weckt sehr schnell die Neugierde der Menschen um ihn herum. Auf Fragen kann er dann über essbare Pflanzen sprechen, über die Heilkräuter und auf Giftpflanzen aufmerksam machen. Da wir nicht aus einer Mentorenkultur kommen, sondern aus einer, in der man sich gerne durch das eigene Wissen hervorhebt, braucht es viel Selbstkritik, um ein erfolgreicher Mentor zu werden. Ein erfahrener Mentor vermeidet bewertende Aussagen wie: „Das verstehst du eh nicht!", oder: „Dafür bist du noch zu klein!", oder: „Wo sollen wir denn das Geld dafür hernehmen?" Solche verbalen Schocks während einer inspirierenden Lernphase wirken wie eine Vollbremsung auf der Autobahn: Die Inspiration wird mit ein paar wenigen Worten zerstört.

Ein guter Mentor führt seinen Menti ganz bewusst an dessen Wissens- und Leistungsgrenze, weil gerade dort das Lernen geschieht. Die Hirnforschung hat inzwischen bewiesen, dass alles Wissen, das mit Emotionen verknüpft ist, das also unter Adrenalin-Ausstoß abgespeichert worden ist, auch langfristig im Gedächtnis bleibt. Wenn das Lernen somit in freudiger Erregung geschieht, dann kann das Gehirn leicht und gerne auf die gespeicherten Inhalte zugreifen.

Die Natur als Türöffner zum Selbst
Die Abenteuer in der Wildniss stärken nicht nur das Selbstvertrauen, sondern vermitteln spielerisch Lerninhalte fürs Leben. © Dirk SchröderWas hat diese Art des Lernens mit der Natur zu tun? Die Natur in ihrer Harmonie versteht es besonders gut, diese Lernfreude in uns zu erwecken. Außerdem macht sie uns ruhiger und aufnahmefähiger. Deshalb ist es günstig, auch ganz normalen Schulunterricht mitunter draußen stattfinden zu lassen. Viele Schulen führen bereits Waldtage ein, denn sie inspirieren zu neuen Fragen und Lernfreude.

Ein natürlich belassenes Umfeld vermag es aber nicht nur bei Kindern, Freude und Kreativität wieder zu erwecken, sondern auch bei uns Erwachsenen. Warum ist das so?

Die Natur befindet sich in Harmonie. Auch wenn es dort für unsere Augen „wild" aussieht, hat jede Pflanze, jeder Baum, jedes Tier in der Natur seinen Platz. Wer sich in dieses Feld begibt, ohne Erwartungen, ohne Absicht, der spürt diese Harmonie sehr schnell und kommt zur Ruhe.

Vielleicht geschieht dies nicht sofort, denn jeder Mensch bringt sein inneres Gedankenkarussell mit an den Platz am Bach, am See, am Baum. In der Ruhe jedoch können sich die Gedanken ordnen – und plötzlich kommen dann Ideen oder sogar Antworten auf offene Fragen scheinbar aus dem Nichts ins Bewusstsein. Deshalb findet man in den Kursen der Wildnisschulen Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts. Es sind Menschen, die bemerkt haben, dass die heutige Lebensform sie unglücklich macht und sie ihre Naturverbundenheit verloren haben. In der Wildnisschule bekommen sie wieder einen anderen Blick auf das Leben. Die Teilnehmer spüren die Harmonie und die Zusammenhänge in der Natur und es entsteht das Bewusstsein für einen respektvollen Umgang mit ihr. Viele Teilnehmer finden im Wald in ihre eigene Mitte und neue Wege zur Entspannung.

© Dirk SchröderIch habe in der Wildnisschule zum Beispiel einen gestressten Unternehmer aus dem Gartenbaubereich erlebt. Obwohl er eigentlich schon viel mit der Natur zu tun hatte, konnte er durch die Kurse einen anderen Blick und einen neuen Bezug zur Natur erfahren, konnte seine Alkoholsucht überwinden und hat seine Passion im Umgang mit Kindern gefunden.

Ein Junge, der eine schwere Kindheit hatte und mit 15 Jahren den ersten Wildniskurs besucht hat und danach noch alle anderen Kurse, sagte mir später: „Dirk, die Wildniskurse haben mein Leben gerettet!" Eine Lehrerin, die eine Weiterbildung in der Wildnispädagogik gemacht hatte, führte diese Methode in der 8. Klasse ein. Sehr schnell konnte sie auf diese Weise einen anderen Umgang und eine andere Beziehung mit den Jugendlichen erfahren. Nun wollen die Schüler jedes Jahr ins Wildniscamp kommen. All dies sind Beispiele dafür, was die Natur in uns Menschen erreichen kann – in diesem Sinne ist sie unsere beste Lehrerin. Im Zusammenspiel mit guten Schulen sind Wildnisschulen eine ideale Ergänzung zur Erweiterung unseres Lernhorizonts.

Im Netzwerk W.I.N.D sind die Gründer der Wildnispädagogik und ihre Nachfolger zusammengeschlossen.
 
Dirk Schröder ist Ingenieur für Elektronik und Informatik. Auf seinen Reisen hatte er Schlüsselerlebnisse in der Begegnung mit indigenen Kulturen, die eine starke Naturverbindung und einen respektvollen Umgang in der Gemeinschaft pflegen. Seit der Ausbildung zum Wildnispädagogen gibt er diese Werte in der „Wildnisschule Chiemgau – Elementar Erfahrungen" mit großem Erfolg weiter. Seine Vision ist es, einen Beitrag zum respektvollen, wertschätzenden, inspirierenden Umgang zwischen den Menschen leisten.

Gesellschaft | Bildung, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
     
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