Spieglein, Spieglein an der Wand
Wer verhält sich wie im deutschen Land?
Menschen denken und handeln widersprüchlich – auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit. Sie halten ökologisch, ökonomisch und sozial verträgliches Handeln für enorm wichtig – doch ihr Verhalten sieht völlig anders aus. Eine Umfrage ist dem auf die Spur gegangen und gibt Unternehmen wertvolle Anregungen.
Gehören Sie auch zu den Menschen, die jedes Jahr ein neues Smartphone kaufen? Nicht, weil es defekt wäre, sondern einfach, weil die technische Entwicklung so rasant fortschreitet, die Kameras besser werden und neue Features Einzug halten? Durchschnittlich alle zweieinhalb Jahre kaufen die Deutschen ein neues Mobiltelefon, ermittelte das Umweltbundesamt. Andere Studien gehen sogar von einem Wechsel alle 18 Monate aus. Schadhaft sind nur die wenigsten Geräte nach dieser Zeit. Nachhaltiges Handeln sieht anders aus, darüber sind wir uns sicher einig.
Als wir im Rahmen der Studie Sustainability Image Score 2017 (SIS) allerdings die deutschen Verbraucher nach ihrem grundsätzlichen Kaufverhalten befragten, versicherten 70 Prozent von ihnen, dass der Aspekt Nachhaltigkeit ihre Kaufentscheidungen beeinflusse. Woher kommt dieser offensichtliche Widerspruch?
Dieser Frage ist Facit Research in einer aktuellen Studie nachgegangen und hat dabei herausgefunden, dass sich die deutschen Konsumenten hinsichtlich der Nachhaltigkeitsrelevanz in drei Gruppen gliedern lassen: Auf der einen Seite sind da die Überzeugungstäter, die nachhaltige Produkte klar bevorzugen und die Nachhaltigkeit zum bestimmenden Faktor bei ihrer Kaufentscheidung machen. Zehn Prozent der Verbraucher gehören dieser Gruppe an. Die Unentschlossenen hingegen setzen sich weniger intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander, entscheiden sich dennoch für nachhaltige Produkte, sofern sie mit dem Kauf einen gewissen Mehrwert verbinden. Mit 59 Prozent bilden sie nicht nur die größte Verbrauchergruppe; ihre grundsätzliche Offenheit gegenüber Nachhaltigkeitsthemen macht sie auch zu einer besonders interessanten Zielgruppe für Nachhaltigkeitsmarken.
Gar keinen oder einen nur sehr geringen Einfluss auf Kaufentscheidungen hat der Nachhaltigkeitsgedanke dagegen bei den Gleichgültigen, die immerhin ein Drittel der Konsumenten ausmachen. Sollten sie sich doch einmal für ein nachhaltiges Produkt entscheiden, dann aus anderen Beweggründen.
Selbstdarstellung oder echte Überzeugung?
Wer nun seine Kommunikationsmaßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit auf Zielgruppen mit nennenswerten Potenzialen ausrichten möchte, muss sich die Menschen noch weit detaillierter anschauen. Zieht man für die Betrachtung etwa die psychographische Zielgruppentypologie von Facit heran, so sind es insgesamt fünf Typen, in denen der Anteil nachhaltigkeitsorientierter Mitglieder mindestens 70 Prozent ausmacht.
Die eher jungen Anspruchsvollen Querdenker sind Menschen, für die nachhaltige Produkte sowohl Luxus- als auch Trendartikel darstellen. Der Kauf ist hier primär ein Mittel zur Selbstdarstellung. Diese Zielgruppe ist ein echtes Potenzial für Marken, schließlich steht sie noch relativ am Anfang ihrer Konsumkarriere und der Anteil Nachhaltigkeitsorientierter liegt bei über 90 Prozent. Ein ähnliches Kaufverhalten zeigen die Urbanen Performer. Sie sind um einiges älter, beruflich etabliert, aber auch sie greifen zu nachhaltigen Marken vor allem, um ihr persönliches Image zu optimieren.
Für die gesetzteren Engagierten Akademiker, die Bildungselite, ist der Konsum nachhaltiger Marken nahezu selbstverständlich. Sie entscheiden beim Kauf vor allem nach Qualitätskriterien, so dass Qualitätssiegel, aber auch Tradition und Verlässlichkeit eine zentrale Rolle spielen. Qualitätsorientierten Marken, die konsequent und langfristig für Nachhaltigkeit einstehen, dürfte es leichtfallen, diese Gruppe zu überzeugen.
Die Ambitionierten Vorstädter stehen mitten im Leben und sind bodenständige Leistungsträger der Gesellschaft. Sie kaufen nachhaltige Produkte vor allem, um ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Aber sie sind preissensitiver und damit eher für Bio-Handelsmarken zu überzeugen als für hochpreisige Markenprodukte.
Die mit Abstand überzeugtesten Nachhaltigkeitskäufer sind die Postmaterialistischen Weltverbesserer. Sie sind im Vergleich weniger konsumaffin und auch finanziell weniger gut gestellt. Aber: Es ist ihnen ein tiefes Bedürfnis, aktiv die Umwelt zu schützen oder sich sozial zu engagieren und das spiegelt sich auch in ihrem Konsumverhalten wider. Aus tiefer Überzeugung kaufen Sie nachhaltige Produkte und wollen damit ein deutliches Zeichen setzen.
Wer also nachhaltigkeitsaffine Menschen ansprechen möchte, muss je nach anvisierter Zielgruppe den inhaltlichen Fokus unterschiedlich legen. Gemeinsamkeiten in Wertorientierung, Produktinteresse und Mediennutzungsverhalten sind zwischen den fünf Gruppen zwar vorhanden, aber überschaubar.
Der Sustainability Image Score (SIS)
wird seit 2011 jährlich von Facit Research und Serviceplan Corporate Reputation herausgegeben. Ziel der Studie ist es, den Einfluss von Nachhaltigkeit und Corporate Responsibility auf das Image von Unternehmen, die Kaufbereitschaft sowie die Kundenbindung zu messen. Für den SIS 2017 wurden 18.000 Verbraucher online befragt. Bewertet wurden insgesamt 109 Marken aus 15 Branchen. Neben beispielsweise Consumer Electronics, Kaffee, Molkereiprodukten und Finanzdienstleistern neuerdings auch Bier- und Körperpflegemarken. |
Reden ist nicht genug: Nachhaltigkeit muss man leben!
Viele Unternehmen haben inzwischen erkannt, wie groß der Einfluss des Nachhaltigkeitsimages auf das allgemeine Unternehmens- bzw. Markenimage ist. Doch hapert es nicht selten an der ernsthaften Umsetzung der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie – und das wiederum wird von den Konsumenten bestraft, wie die SIS-Studie zeigt.
Ein plakatives Beispiel in diesem Zusammenhang ist Volkswagen: Durch den Abgasskandal fühlten sich die Verbraucher erheblich getäuscht. Der entstandene Vertrauensverlust und damit verbundene Imageschaden ist deutlich am Nachhaltigkeits-Markenranking abzulesen. Während Volkswagen 2015 noch auf Rang 16 lag, rutschte der Konzern 2016 auf Rang 88 und 2017 auf Rang 103 ab.
Im Gegensatz dazu zum Beispiel BMW: Der Konzern war das erste Unternehmen der Branche, das sich für ökologische Belange einsetzte. Wer Pioniergeist zeigt, mit einem Angebot wie DriveNow und bei Modellen wie dem BMW i8 mit dem Zeitgeist geht, wird für sein stetes Engagement belohnt. In allen bislang durchgeführten SIS-Studien erzielte BMW gute Platzierungen – in drei von sieben Jahren sogar unter den Top fünf. Ähnlich ist es mit der Gewinnermarke 2017: dem Haushaltsgerätehersteller Miele. Die Traditionsmarke führt regelmäßig Verbraucherrankings an. Das Vertrauen der Kunden gegenüber Miele ist ausgesprochen groß und eine Reaktion auf die nachhaltige und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Philosophie und entsprechende Kommunikation seitens des Unternehmens.
Qualitätsversprechen können für eine Marke allerdings auch zu Schwierigkeiten führen: Der Babynahrungshersteller Hipp hat im aktuellen Ranking im Vergleich zum Vorjahr Plätze eingebüßt. Die Diskussionen um die Ökotest-Ergebnisse zu Babybreien brachten Hipp Kritik ein. Gerade in einem solch sensiblen Segment ist die Anspruchshaltung der Verbraucher sehr groß, wenngleich die Branche Babynahrung nach wie vor das Branchenranking anführt und mit sehr guten Nachhaltigkeits-bewertungen seitens der Konsumenten aufwarten kann. Doch Hipp fällt weich: Wer über einen langen Zeitraum sein Nachhaltigkeitsimage konsequent pflegt und die öffentliche Auseinandersetzung mit Kritikern nicht scheut, übersteht auch stürmische Zeiten.
Und ebendieses stete Engagement ist für alle Marken die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie. Gute Vorsätze allein reichen nicht aus. Nachhaltigkeit muss man leben – mit dem gesamten Unternehmen. Der Erfolg ist abhängig von der Unternehmenskultur – nicht davon, in welchem Segment man tätig ist. Das belegt das SIS-Markenranking deutlich.
Kerstin Niederauer-Kopf ist CEO von Facit Research. Vorher war sie Leiterin der Werbe- und Marktforschung bei ARD-Werbung Sales & Services sowie Mitglied im Forschungsbeirat der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) und im Arbeitsausschuss der Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse (agma).
Umwelt | Umweltschutz, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
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