Frauensolidarität
Für weibliche Kultur und die Erde
Frauensolidarität ist einer der mächtigsten Hebel, das System zu kippen. Das klingt wie eine altertümliche Weisheit aus lang vergangenen Feminismus-Zeiten. Doch meiner Meinung nach ist sie immer noch wahr. Allerdings brauchen drei Begriffe darin eine Aktualisierung: Was heißt Frau-Sein heute? Was meine ich mit Solidarität? Und von welchem „System" spreche ich eigentlich?
Mit System meine ich diese explosive und zerstörerische Lebensweise unserer Zivilisation, den globalen Turbokapitalismus, der ohne Rücksicht Ökosysteme, letzte Naturvölker und das Klima ruiniert. Seine zugrundeliegenden Paradigmen von Konkurrenz, Eigennutz und Recht des Stärkeren sind keineswegs so natürlich, wie allgemein angenommen wird. Sie sind, wie Historiker mittlerweile bestätigen, das Ergebnis einer geschichtlichen Entmachtung des Weiblichen. Weltweit – an manchen Orten bereits vor 10.000 Jahren, an anderen Orten hält dieser Prozess noch an – eroberten und unterwarfen Kriegervölker die friedlichen matrilinearen Stammesgesellschaften und drückten ihnen ihre Lebensweise auf: hierarchische Strukturen statt Gemeinsinn, eifersüchtige Kriegsgötter statt lebendige Göttervielfalt sowie die verrückte Idee von Landbesitz. Frauen galten auf einmal als Besitz eines Mannes und wurden streng bewacht; mann wollte sichergehen, sein Land tatsächlich den eigenen Kindern zu vererben und nicht dem Produkt erotischer Seitensprünge.
Das „Patriarchat" unterwarf und erniedrigte gleichzeitig alles Weibliche, alles Erotische und die Erde. Der Boden unter den Füßen galt nicht mehr als heilig, sondern als schmutzig. Genauso der Sex. Eine so den vitalen Lebensinteressen widersprechende Ansicht konnte nur mit Gewalt aufrechterhalten werden. Das Schwert ersetzte den Kelch als zentrales Symbol, wie Riane Eisler diesen Kulturwechsel beschrieb: Es galt nicht mehr als mächtig, wer Leben erhalten, geben, heilen konnte, sondern wer am meisten Leben zerstörte. Unsere heutige weltumspannende Lebensweise ist das Ergebnis dieses Prinzips.
„Teile und herrsche", das Prinzip jeder Machtausübung, gilt auch in der Männerherrschaft: Die Verbindung unter Frauen wurde unterbrochen, wir werden von klein auf dazu erzogen, schöner, schlanker und besser sein zu müssen als die andere. Bloß nicht kooperieren. So ging Wissen verloren, das einst von Frau zu Frau weitergegeben wurde – zum Beispiel über Heilung oder Empfängnisverhütung. Doch das Band kann wieder geknüpft werden. Die Frauenbewegung der siebziger Jahre entdeckte die Frauen-Solidarität neu: Interesse aneinander, gegenseitige Hilfe, gemeinsame Ziele, egal ob wir aus Afrika, Europa oder Asien stammen! Wir waren überzeugt: Wenn wir die uns aufgezwungene Trennung nicht mehr akzeptieren, wenn wir uns füreinander einsetzen, wenn wir nicht nur nach männlichen Maßstäben funktionieren, sondern unsere eigene Kultur, unser weibliches Denken wiederfinden, dann können wir das patriarchale System aufweichen und schließlich auflösen. Allerorten entstanden Frauenzentren, Frauenbildungshäuser, Frauenzeitschriften und vieles mehr.
Doch geriet die Frauenbewegung irgendwann in einen Widerspruch. Auf der einen Seite lehnte sie die Männergesellschaft ab – auf der anderen imitierte sie diese. Viele Feministinnen wollten in Chefetagen sitzen und Karriere machen – statt die Konkurrenzgesellschaft für alle zu beenden. Sie wollten selbst Soldatinnen werden dürfen – statt den Krieg abzuschaffen. Natürlich brauchen Frauen gleiche Rechte wie Männer. Aber mich und viele andere hatte an der Frauenbewegung gerade die Idee begeistert, eine andere, weiblichere Kultur aufzubauen.
Weiblich, was heißt das? Ich selbst brauchte Jahrzehnte des Widerstands gegen Rollenklischees, um zu merken, dass es ein ganz anderes Frau-Sein gibt – jenseits von Anpassung und Abhängigkeit vom Mann, aber auch jenseits von Kampf und Abgrenzung gegen ihn. Mir offenbarte sich ein ganz neuer Kontinent, als ich Frauen kennenlernte, die mich in ihrer weiblichen Kraft unendlich inspirierten. Ich erkannte: Echte Frauensolidarität ist mehr als Zusammenhalten gegen einen gemeinsamen Feind. Sondern die Verständigung über unsere weiblichen Quellen. Sabine Lichtenfels sagt: „Frauenmacht ist nicht gegen den Mann gerichtet und nicht gegen unsere Liebe zu den Männern, sie verlässt aber entschlossen diejenigen männlichen Strukturen, die zu der weltweiten Vernichtung des Lebens und der Liebe beigetragen haben."
Ich möchte einige dieser Frauen zu Wort kommen lassen, die mich so inspiriert haben.
Verbundenheit mit dem Leben
Die Arhuaca-Indianer der Sierra Nevada in Nord-Kolumbien orientieren sich an weiblichen Werten. „Um zu überleben, muss die Menschheit ihre Kreisläufe wieder mit den Kreisläufen der Natur, der Pflanzen, des Wassers, des Mondes in Einklang bringen", sagt Ati Quigua, ihre Sprecherin. Gerade Frauen seien dafür prädestiniert. „Durch unseren Zyklus stehen wir in Verbindung mit den Zyklen der Natur. Wir können auch heute wieder ihre Verwandtschaft mit allem Leben entdecken und von innen den Ruf der Erde, der Tiere, Flüsse, Wälder hören." Verbundenheit mit dem Leben ist eine Macht – aber keine „Macht über", sondern „Macht mit". Mit dieser Macht werden Frauen kreative und machtvolle Aktionen durchführen, um die Natur zu schützen. Frauen haben, so erinnert sie, kulturübergreifend die größte aller Kulturleistungen vollbracht, nämlich Samen zu kultivieren.
„Die tiefste Wunde des Menschen ist die Wunde in der Liebe und wie wir heute unsere Beziehungen leben. Männer und Frauen haben ihre Identität verloren. Das hat die heutigen Gesellschaften tief traurig und unzufrieden gemacht. Gewalt und Zerstörung sind eine Folge dieses Mangels an Liebe in unseren Beziehungen. Wir brauchen Schulen, in denen das ursprüngliche weibliche Wissen weitergegeben wird; dazu gehört auch das Wissen über Liebe und heilsame Sexualität. Es ist die Liebe, die uns die Sensibilität im Umgang mit der Erde, der Sonne, allen Wesen und auch anderen Menschen lehrt."
Gewalt gegen Frauen und Erde beenden
Monique Wilson war bereits eine bekannte Schauspielerin und Sängerin von den Philippinen, als sie vor 18 Jahren die Hauptrolle in den „Vagina-Monologen" von Eve Ensler erhielt – einem Stück, das die Situation von Frauen weltweit direkt und ungeschminkt darstellt. Das krempelte ihr Leben um, sie wurde Kampagnenleiterin der Initiative „One Billion Rising" gegen Gewalt gegen Frauen.
„Die UNO schätzt, dass jede dritte Frau in ihrem Leben einmal sexuelle Gewalt erleidet. Das sind, wenn man es hochrechnet, 1 Milliarde Frauen und Mädchen. Wir haben beschlossen, den Aufschrei darüber in Form eines Tanzes darzustellen."
Seit 2013 nehmen jedes Jahr am 14. Februar in über 200 Ländern der Erde Zehntausende von Gruppen von Frauen und Mädchen an dem Tanz teil, auf Straßen, Plätzen, in Gefängnissen, Schulen und Parlamenten. Inzwischen erweitert sich die Richtung der Aktionen, immer mehr Männer beteiligen sich, und das Thema hat sich erweitert.
„Ich höre jeden Tag Frauen aus vielen Ländern, die Opfer sexueller Gewalt sind. Aber wir können den Kampf für den Schutz von Frauen nicht trennen von dem Kampf für den Schutz der Erde. Was sind Fracking, Bergbau oder Ölbohrungen anderes als eine Vergewaltigung der Erde! Die Natur wird in derselben Weise respektlos behandelt wie Frauenkörper. So kontrolliert uns das System – und hier brauchen wir Frauensolidarität am meisten."
Weibliche Logik
Wer etwas augenzwinkernd von weiblicher Logik spricht, will meistens sagen, dass Frauen eben nicht logisch denken. Mit diesem Urteil schneiden wir uns selbst von wichtigen Wissensquellen ab: der Intuition, der nicht-linearen Kreativität, dem Einfühlungsvermögen. Wir alle tragen eine Quelle nicht-linearen Wissens in uns, die wir schulen können. Wir müssen uns unserer spontanen Einfälle, Intuitionen und Träume nicht schämen, sondern können Gesprächsräume schaffen, in denen wir gemeinsam herausfinden können, ob etwas daran ist.
Ein Beispiel dafür kommt von der Vertreterin der Diné (Navajo-Indianer), Pat MacCabe. Sie erklärt, warum Frauen während ihrer Periode nicht an den üblichen Stammestreffen teilnahmen: „Wir empfinden, dass eine Frau während ihrer Mondzeit ganz nach innen gewandt ist. Sie öffnet in sich das Tor zwischen Himmel und Erde und zieht durch Träume und Meditation wertvolle Informationen an, die der Stamm braucht."
Während ihrer Regelzeit treffen sich die Frauen an einem besonderen Ort, wie es sie in vielen Kulturen gibt, widmen sich der Kontemplation, schweigen, reden, schlafen, tauschen sich aus. Ihre Träume und Einsichten liefern Informationen für die Gemeinschaft. Pat: „So bekam ein Stamm das Wissen über die Beziehung zu allen Dingen, die sie umgaben: zum Regen, zur Luft, zur Sonne, zu den Tieren und Pflanzen. Das war das Geheimnis ihrer Nachhaltigkeit."
Und was war mit Frauen jenseits der Wechseljahre? Wurden die auch gehört oder traten sie – wie in heutigen westlichen Kulturen – in den Hintergrund? „Die Großmütter trafen sich in der Großmutterhütte, eine Art weiblicher Ältestenrat", erläutert Pat. „Wir glauben, dass die Wechseljahre einer Frau wie eine Schwangerschaft sind. Diesmal gebären wir kein Kind, sondern uns selbst in unsere eigentliche Kraft und Würde. Die heutige westliche Kultur will den alten Frauen nicht zuhören. Dabei gäbe es nichts Wichtigeres."
Frauen und Frieden
Archäologen können bis heute nicht erklären, warum in Überresten weiblicher Stadtgründungen wie z.B. Catal Hüyük in der heutigen Türkei keine Waffen und Verteidigungsanlagen gefunden wurden. Kann es tatsächlich sein, dass es Gesellschaften ohne Krieg gab? In diesem Fall müssen die Anführerinnen gewusst haben, wie man Konflikte löst, bevor sie zu Gewalt führen. Auch heute noch sind es nach allen Kriegen die Frauen, die als erste wieder aufeinander zugehen. Um die Kinder zu versorgen, haben sie ein intensives Interesse daran, sich wieder frei bewegen zu können. Es sind auch im Nahost-Konflikt Frauen beider Seiten, die mit dem Slogan demonstrierten: „Wir weigern uns, Feindinnen zu sein." Zehntausende Israelinnen und Palästinenserinnen gingen im letzten Jahr von beiden Seiten der Mauer auf den Präsidentenpalast zu und forderten Frieden.
Visolela Namisis aus Namibia, 60, ist eine beeindruckende Frau mit langer Rasta-Mähne. Die ehemalige Freiheitskämpferin und Parlamentarierin bietet jungen Mädchen eine alternative, sanfte und ermutigende Einweihung ins Frausein an. Sie sagt: „Viele Frauen in Afrika leben hinter einer Mauer des Schweigens. Ich selbst konnte nie schweigen, wenn Minderheiten, Frauen oder Andersdenkende bedroht werden. Allein dass es angesprochen wird, half schon. Schweigen im Angesicht von Gewalt und Ungerechtigkeit, das ist das Schlimmste."
Ganz wie es die legendäre Verfassung der Irokesen besagt: Ein Häuptling sollte sein wie eine gute Mutter. Nicht der rücksichtsloseste und ehrgeizigste, sondern der umsichtigste Mensch sollte eine Gemeinschaft führen.
Leila Dregger ist Diplom-Agraringenieurin und Journalistin. Mit den Schwerpunktthemen Frieden, Ökologie, Gemeinschaft, Frauen arbeitet sie seit 25 Jahren für Presse und Rundfunk sowie als Drehbuchautorin und Regisseurin für Theater und Film. Sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Die weibliche Stimme – für eine Politik des Herzens" und lebt heute überwiegend in Tamera in Portugal. Sie lehrt konstruktiven Journalismus und ist Autorin mehrerer Bücher.
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.12.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2018 - Frauen bewegen die Welt erschienen.
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