Holy Shit! Heilige Scheiße?
Menschliche Exkremente als wirtschaftliche Ressource
Die legendäre Geschichte vom Goldesel zeigt: Wer Scheiße zu Gold machen kann hat ausgesorgt. Doch heutzutage betrachten wohl die Wenigsten in unserer westlichen Gesellschaft menschliche Exkremente als wirtschaftliche Ressource, sondern vielmehr als Problem oder Müll. Dabei stecken in unseren Ausscheidungen ungeahnte Möglichkeiten…

So wurde der menschliche Kot, das komplexe Produkt eines ausgefeilten Verdauungsvorgangs und Teil eines großen Stoffkreislaufs, ins Abseits gedrängt. Er verschwindet unbeachtet in den Weiten unseres Abwassersystems und steht nun als eines der letzten wirklichen Tabuthemen der westlichen Gesellschaft da – außer im Nachhaltigkeitsbereich, denn der schenkt dem menschlichen Kot seit einigen Jahren durchaus Aufmerksamkeit. Aber wie kann das Thema diese Nische verlassen? Innovation ist abhängig von Bewusstsein und Akzeptanz, und nur was als normal gilt, wird gesellschaftlich akzeptiert. Aus diesem Grund verzichten wir auf blumige Sprache und verlegene Umschreibungen und nennen die Scheiße beim Namen.
Industrialisierung verbannt Fäkalien aus den Städten – und dem Alltag
Was im Tierreich und der Natur automatisch durch Kompostierung in einem natürlichen Kreislauf abgebaut wird, war auch für den Menschen jahrhundertelang durch einfache Misthaufen und die Wiederverwendung durch die Bauern geregelt. Erst mit Beginn der Industrialisierung wurden menschliche Ausscheidungen zunehmend zum logistischen und gesundheitlichen Problem. Die sprunghaft angestiegene Siedlungsdichte und das Fehlen eines funktionierenden Systems zum Abtransport der immer größer werdenden Massen an Fäkalien hatten katastrophale Folgen: Schlechte Hygienebedingungen, hohe Sterblichkeit von Kindern und Alten und mehrere Choleraepidemien mündeten in der „Städtereinigungsfrage". Vor allem in der Oberschicht erfreute sich das Wasserklosett als hygienische Alternative zur „Sammelstelle Plumpsklo" großer Beliebtheit. Zwar vervielfachte sich durch das Vermischen der Fäkalien mit Wasser die Menge um das zwanzig bis fünfzigfache, trotzdem trat das Wasserklosett seinen Siegeszug an. So wurde (und wird bis heute) die Schwemmkanalisation ausgebaut und verbessert.
Doch durch das Zusammenführen von Urin, Kot und Trinkwasser entstehen neben einer enormen Menge an Schwarzwasser auch andere Probleme: Neben den hohen Anforderungen an ein sicheres und effektives Kanalsystem ist die Wiederaufbereitung in Kläranlagen energie- und kostenintensiv. Zurückbleibende Biomasse endet im Klärschlamm, Stoffe wie Medikamente oder Hormone können nicht gefiltert werden und gelangen so zum Beispiel in Flüsse. Der Kritikpunkt am Wasserklosett ist daher nicht Wasserverschwendung, sondern vielmehr die Verschmutzung des Wassers (welche in weniger entwickelten oder wasserärmeren Ländern zu erheblich größeren Problemen führt) und... das ungenutzte Potenzial der enthaltenen Nährstoffe.
Energiepotenzial wie Stein- und Holzkohle
Beim gesunden Menschen besteht der Stuhlgang zu etwa 75 Prozent aus Wasser. Der Rest setzt sich aus unverdaulichen und unverdauten Feststoffen sowie chemischen Stoffen zusammen – und daraus ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. Pilotprojekte zur Wiederverwendung menschlicher Ausscheidungen zeigen die ungenutzten Möglichkeiten der brachliegenden Ressource, ein Forschungsauftrag der United Nations University bescheinigt ihr ein bedeutendes soziales, ökologisches und ökonomisches Potenzial.
So können Fäkalien zum Beispiel zur Energiegewinnung eingesetzt werden. Das populärste Beispiel sind Biogasanlagen, in denen durch die Vergärung von Biomasse ein wegen dem Methananteil von etwa 60 Prozent brennbares Gas entsteht. Neben anderen organischen Abfällen und Rohstoffen kommen zur Vergärung auch menschliche Fäkalien in Frage. So wird diese Technik mittlerweile in vielen Kläranlagen genutzt und es wird die Einführung von häuslichen Biogasanlagen erforscht.
Bisher weitestgehend unbeachtet ist das Energiepotenzial, das in der Verbrennung von getrocknetem Klärschlamm liegt. Dessen Energiegehalt ist mit dem von Stein- und Holzkohle vergleichbar und könnte somit vor dem Hintergrund von Boden- und Landdegradation durch Abholzung und der weiteren Zunahme der Feuerholz-Produktion eine wichtige alternative Energiequelle darstellen. Vor allem in wasserarmen Entwicklungsländern, in denen der fehlende Zugang zu sicheren Sanitärlösungen nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen darstellt, bemühen sich Entwicklungsprojekte um die Einführung von alternativen Sanitärsystemen. Dort können diese sowohl der Verschmutzung von Wasserressourcen entgegenwirken als auch ökonomisches Potenzial entstehen lassen.
Schon Hundertwasser machte sich für Nutzung der Fäkalien stark
In Fachkreisen gelten menschliche Fäkalien auch in Industrienationen als einer der am meisten unterschätzten Rohstoffe unserer Zeit. Insbesondere die enthaltenen Nährstoffe gewinnen an Bedeutung, vor allem in Hinsicht auf schwindende und ausgelaugte Böden und die Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft. Durch die im Vergleich zu anderen Säugetieren sehr abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährungsweise ist der menschliche Kot reich an Bestandteilen wie Stickstoff, Phosphor, Kalium, Schwefel, Kalzium oder Magnesium, bei denen es sich um hervorragende Düngemittel handelt.

Das birgt Vorteile, denn die Herstellung von konventionellem Kunstdünger ist zum einen sehr energie- und kostenaufwändig, zum anderen basiert Kunstdünger auf endlichen Ressourcen wie Rohphosphat und enthält wasserlösliche Salze, die Bodenlebewesen abtöten und so die Humusbildung und natürliche Bodenfruchtbarkeit hemmen.
Menschlicher Kot – Hilfsmittel zur globalen Ernährungssicherung?

Dieses Verfahren bildet auch die Basis zur Erzeugung von Terra Preta (Schwarzerde), bei deren Herstellung zusätzlich noch Pflanzenkohlepulver beigemischt wird, die bekanntlich jegliche Giftstoffe bindet und zudem für eine hervorragende Bildung von Dauerhumus sorgt. Diese besonders nährstoffreiche Erde wird seit einigen Jahren in der Nachhaltigkeitsdiskussion als möglicher Lösungsansatz zur Nahrungssicherung und Einschränkung der Erderwärmung diskutiert. Experten sprechen schon vom „Peak Soil", dem Moment, an dem die Fläche an fruchtbaren Böden nicht mehr ausreicht, um die Menschheit zu ernähren. Vor diesem Hintergrund forscht auch der Abwasserexperte Ralf Otterpohl seit Jahren an der Technischen Universität Hamburg an einer Lösung, wie menschliche Exkremente sicher und alltagstauglich zur Bodenverbesserung eingesetzt werden können. Laut Otterpohl kann menschlicher Kot nach zwei- bis dreimonatiger, richtig durchgeführter Kompostierung als ideale Bodenaufbereitung für Nutzflächen wie Holzplantagen genutzt werden. Langfristig gesehen bildet sich so nach spätestens zehn Jahren nährstoffreicher Humus, der auch in der Nahrungsmittelproduktion unbedenklich eingesetzt werden kann.
Eine der am meisten vernachlässigten Herausforderungen unserer Zeit
Zwar ist die Gesetzeslage zur Installation von Komposttoiletten und Trockentoiletten im privaten Bereich in Deutschland zweischneidig durch die Abfall- und Abwasserverordnung geregelt, doch gibt es ein ausgesprochen sinnvolles Einsatzgebiet: Im Eventbereich können mobile Komposttoiletten als Ersatz für herkömmliche Chemieklos gemietet werden. Durch die Verwendung natürlicher Materialien bieten sie ein positiveres Toilettenerlebnis. Und noch mehr: Diese Toiletten verzichten auf chemische Mittel und chemische Reinigung, sichern eine gesammelte und sichere Kompostierung der menschlichen Fäkalien und schließen so einen wichtigen Kreislauf.
"We’ve put man on the moon, we transplant hearts, but we still don’t know how to sanitise human feaces."
Zitat aus der Studie ‘Closing the Loop – Ecological sanitation for food security’
Auch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen greift in den 17 Entwicklungszielen die Themen Wasser sowie Verbesserung von Hygiene auf und erkennt so die enorme Bedeutung der Sanitärfrage für Nahrungssicherheit, Wasser- und Bodenressourcen, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit sowie Energiegewinnung an. Denn auch heute noch sterben jährlich über zwei Millionen Menschen, vor allem Kinder, aufgrund von fehlenden Sanitärlösungen.
Die Weiterentwicklung alternativer Ansätze und Systeme zur Nutzung von menschlichen Ausscheidungen birgt daher nicht nur ein großes soziales, ökonomisches und ökologisches Potenzial, sondern stellt gleichzeitig auch eine der am meisten vernachlässigten Herausforderungen unserer Zeit dar. Da Innovation und öffentliches Bewusstsein oft eng miteinander verbunden sind, stellt ein offener und aufgeklärter Umgang mit dem und eine Enttabuisierung des Themas eine große Herausforderung dar. Schon Hundertwasser formulierte recht treffend folgende Zeilen in seinem Manifest zur Komposttoilette: „Muss ich meine Scheiße verschenken und damit die Umwelt vergiften? Ich behalte sie mir lieber und wandle sie in Gold um."
Nachfolgend eine Übersicht wichtiger Akteure im Bereich moderner, alternativer Toilettentechnik für privat, Gewerbe und Events.
www.holzapfel-konsorten.de | www.berger-biotechnik.de | www.goldeimer.de
www.kompotoi.ch | www.nowato.com
www.kompotoi.ch | www.nowato.com
Johanna Perret studiert Ökosoziales Design an der Universität Bozen. In ihrer Masterarbeit entwickelt sie einen Kommunikationsansatz zur Bewusstseinsbildung für das Potenzial der menschlichen Ausscheidungen als unterschätzte ökologische und ökonomische Ressource. Zudem unterstützt sie in den Bereichen Design und Kommunikation das Start-up „Recup". Mit einem Verleihsystem für Pfandbecher will es das Müllaufkommen von Einwegbechern für „Coffee to go" einschränken.
Umwelt | Ressourcen, 01.12.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2018 - Frauen bewegen die Welt erschienen.

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