Eine Alternative zu Amazon
Sozialer Internetbuchhandel im Aufwind
Immer mehr Menschen kaufen ihre Bücher online – mit dramatischen Folgen für den lokalen Buchhandel. Dass man damit auch Gutes tun kann, beweist der Onlinehändler buch7 und bietet Amazon die Stirn. Doch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels rebelliert.
Ein Buch kaufen und gleichzeitig für einen guten Zweck spenden, ohne einen Aufpreis zu zahlen – das ist verlockend. Amazon macht sich dieses Konzept schon seit Längerem mit dem Modell von Amazon Smile zunutze: 0,5 Prozent des Umsatzes gehen hierbei an Projekte, die der Kunde vor dem Kauf eines Produktes auswählen kann. Der Kunde soll das Gefühl haben, mit seinem Kauf etwas Gutes unterstützt zu haben. Und nicht nur das. Das Modell soll Amazon selbst als sozial engagiertes Unternehmen erscheinen lassen und darüber hinwegtäuschen, was das Unternehmen eigentlich ist: ein verheerender Monopolist.
Erfolg durch moralische Überlegenheit
Anders bei buch7. Das Unternehmen nahm seinen Anfang vor elf Jahren, als sieben Studenten in der Kneipe saßen und darüber nachdachten, wie sie die Welt verbessern könnten. Ein Jahr später gründeten sie die buch7 GmbH. Mit wenig Geld, aber viel Enthusiasmus. Verdienen wollten sie damit nichts, nur die Welt verbessern – mit einem ehrgeizig idealistischen Modell: Bücher verkaufen und 75 Prozent der Gewinne an wertvolle Projekte spenden.
Am Anfang arbeiteten sie ehrenamtlich, mit 12.500 Euro Stammkapital, das man mit Mühe aufgetrieben hatte. Die ersten fünf Jahre machte das Unternehmen nur Verluste und die Studenten waren froh, wenn sie nur ein einziges Buch pro Tag verkaufen konnten. Das änderte sich schlagartig, als die ARD im Jahr 2013 eine Reportage über die Arbeitsbedingungen der Amazon-Leiharbeiter brachte. Dies trieb buch7 etliche Kunden in die Arme und die Erfolgsgeschichte begann.
Mittlerweile hat buch7 über 30.000 Kunden und beschäftigt neun Mitarbeiter, bei einem Umsatz von knapp 1,7 Millionen Euro im Jahr 2017. Neun Millionen lieferbare Bücher, E-Books, CDs und Filme erfasst das Angebot, bei kostenlosem Versand. Mehr als 300.000 Euro konnten mittlerweile an verschiedene Organisationen gespendet werden, wie etwa an Kinder- und Jugendhilfen, an das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. oder an Parlamentwach e.V. Das neueste Projekt von buch7 ist der Aufbau eines Kulturzentrums im alten Bahnhof Langweid. Allein im letzten Jahr waren es 100.000 gespendete Euro. Das ist mehr als das Zehnfache des nächsten kleinen Wettbewerbers im sozialen Online-Buchhandel, der seine Zahlen veröffentlicht (ecobookstore). 75 Prozent gespendeter Gewinnanteil – das sind bei buch7 im Durchschnitt etwa 5 Prozent des Umsatzes und damit auch zehn Mal mehr als die 0,5 Prozent Spenden, die bei Amazon Smile vom Umsatz gespendet werden.
Auf die Frage, wie es das Unternehmen schaffe, so viel vom Gewinn abzugeben, sagt Geschäftsführer und Mitgründer Benedikt Gleich: „Wir könnten die Gewinne und damit die Spenden drücken, aber das machen wir nicht, weil wir wirklich spenden wollen."
Der Wettbewerb um die Ethik
Möglich ist dieser moralische Mehrwert durch die Buchpreisbindung: Indem alle Buchanbieter in Deutschland den gleichen Preis verlangen müssen, können diejenigen Anbieter, die „effizienter" wirtschaften, den Preis nicht drücken. Auf dieser Basis ist dann ein Wettbewerb um die größte „moralische Qualität" möglich. Wenn nicht der Preis die Kunden locken kann, dann der Inhalt, sprich die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen eines Produkts, so die erfolgreiche Idee dieses Konzepts.
Börsenverein will ein Verbot
Mit seinem Erfolg machte sich buch7 auch einen Gegner, den man nicht unbedingt erwartet hätte. Ausgerechnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der sonst für die moralisch saubere Seite im Kampf gegen Amazon eintritt, nämlich für die kleinen Buchläden, hat sich scharf gegen
buch7 gestellt. Die Spendenwerbung widerspreche dem Gedanken der Preisbindung, denn sie eröffne einen De-facto-Preiswettbewerb, so der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Alexander Skipis in der Süddeutschen Zeitung. Indem buch7 seinen Kunden die Möglichkeit biete, mit einem Kauf gleichzeitig etwas Gutes zu tun, schwäche der Online-Händler die kleinen, unabhängigen Buchhandlungen. Sogar eine Gesetzesänderung will der Börsenverein erwirken, die dem Spendenkonzept einen Riegel vorschiebt.
Der Geschäftsführer Benedikt Gleich tritt den Vorwürfen des Börsenvereins vehement entgegen: „Online Bücher zu verkaufen, ist wohl in Ordnung, aber bitte ohne sich dabei sozial zu engagieren und Gutes zu tun. Für den Börsenverein sind anscheinend nicht die ‚bösen‘ Online-Buchhändler das Problem, sondern die ‚guten‘…", sagte er im Gespräch.
Gefahr für den lokalen Buchhandel?
Benedikt Gleich ist überzeugt, dass deutschlandweit keine örtliche Buchhandlung wegen buch7 in Schieflage gerät. Viele Menschen hätten ohnehin schon entschieden, ihre Bücher online zu kaufen. So bewerbe sich buch7 auch nicht als Alternative zum lokalen Buchhandel, sondern als ethische Alternative zu Amazon, so Gleich. Seit Jahren schaltet buch7.de sogar immer wieder Werbebanner mit dem Spruch „Am liebsten kaufe ich beim Buchhändler vor Ort, aber wenn schon online, dann bei buch7.de". Gleich sagt: „Wenn wirklich ein Kunde von einem örtlichen Buchhändler zu uns abwandern sollte, sind statistisch betrachtet ausgehend von den Umsatzzahlen schon mehr als 2.000 Kunden in dieser Zeit von dort zu Amazon abgewandert."
Zweifelhafte Spendenmodelle
Gleich erkennt an, dass es im Online-Buchhandel tatsächlich einige zweifelhafte Spendenmodelle gibt. Er verweist auf Händler, die mit dem Motto werben „Kauf bei mir ein, dann überweise ich einem Verein deiner Wahl 0,5 Prozent vom Umsatz". Dies kann man als Umgehung der Preisbindung ansehen, da der Kunde über die Spende selbst bestimmt und somit das Buch aus seiner Sicht billiger kauft. Bei buch7 wissen die Kunden jedoch nicht im Voraus, wohin die Spenden gehen, und auch nicht, welche genaue Höhe diese haben; schließlich schwanken die Gewinne ja auch mit den Kosten. Gleich ist daher überzeugt, dass sein Geschäftsmodell rechtlich und moralisch völlig sauber sei, was sich sein Unternehmen auch durch einen Rechtsgutachter bestätigen ließ.
Ein Rundum-Vorzeigemodell
Auf Moral möchte buch7 auch in seiner übrigen Unternehmenspolitik Wert legen. Der Online-Händler zahlt
nach eigenen Angaben faire Löhne an die Mitarbeiter, schafft familienfreundliche Jobs vor Ort und leistet alle Steuern in Deutschland. Auch der Datenschutz hat hohen Stellenwert: Eine Datenweitergabe zu Werbezwecken, wie es im Internet inzwischen üblich ist, ist bei buch7 aus Überzeugung ausgeschlossen. Die CO2-Emissionen werden vollständig ausgeglichen. Außerdem, so betont der Geschäftsführer, ist das Unternehmen nach wie vor im Besitz der Gründer und damit unabhängig von externen Profit-Jägern.
buch7 setzt damit erfolgreich auf den einzigen Wettbewerbsvorteil, welchen die kleinen Händler momentan gegen die Großkonzerne in der Hand zu haben scheinen: die moralische Überlegenheit.
Das Problem Amazon
Mit einem Umsatz von 177,87 Milliarden US-Dollar im letzten Jahr ist Amazon einer der mächtigsten Konzerne der Welt – und er wächst und wächst: Der letzte Jahresumsatz etwa war knapp um ein Drittel höher als im Jahr zuvor.
Sich selbst beschleunigende Monopolbildung
Problematisch an dieser Entwicklung ist insbesondere, dass die digitale Ökonomie generell nur bedingt zur Privatisierung und für den Wettbewerb taugt, denn sie neigt ihrer Natur nach zu Monopolen. Der Grund ist der so genannte Netzwerkeffekt. Das heißt, bestimmte Güter oder Dienstleistungen werden umso attraktiver, je mehr Menschen sie nutzen. Je mehr Anbieter etwa ihre Dienstleistungen auf einem bestimmten Portal anbieten, desto lieber erledigen Kunden ihre Einkäufe über genau dieses Portal. Und je mehr Kunden ein Portal hat, desto weniger Händler können es sich leisten, nicht über dieses Portal zu verkaufen, auch wenn ihnen unvorteilhafte Bedingungen aufgezwungen werden – ein sich selbst verstärkender Effekt.
In Deutschland wird ein Viertel des gesamten Online-Handels über Amazon abgewickelt. Die aktive Verdrängung anderer Händler durch Amazon und damit die Monopolisierung laufen konkret so ab: Mit seinem „Marketplace" bietet Amazon auch anderen Händlern die Möglichkeit, ihre Ware anzubieten. Doch die Versandhändler, die mit Amazon eine Lizenz eingehen und dafür zahlen, laufen langfristig Gefahr, dass Amazon selbst ihr größter Konkurrent wird. Denn wer auf Amazon verkauft, legt dem Konzern alle Verkaufsdaten offen. Daran sieht er, was sich erfolgreich verkauft und bietet diese Dinge selbst an. Automatische Preisroboter sorgen dann schließlich dafür, dass Amazon die anderen Händler mit seinen eigenen Produkten immer preislich unterbieten wird – bis ihre Existenz gefährdet ist. Nur die Großen können dieses Preisdumping überleben, die Kleinen gehen unter.
Unredliche Machenschaften
Auch in anderen Bereichen verhält sich Amazon problematisch. Immer wieder wird Kritik an den dortigen Arbeitsbedingungen laut. Von Überwachung der Mitarbeiter, Druck und Arbeitshetze ist die Rede. Recherchen brachten zusätzlich Gesetzesverstöße durch Amazon im Umweltbereich ans Licht. Es wurde bekannt, dass Amazon zurückgesandte Waren und unverkaufte Neuware in massenhaftem Umfang zerstört. Die Deutsche Umwelthilfe beklagt, dass diese Vernichtung funktionstüchtiger Produkte ohne triftigen Grund gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz verstößt und bei Elektrogeräten zusätzlich gegen das Elektro- und Elektronikgerätegesetz. Produkte müssen laut Gesetz auf eine Wiederverwendung geprüft und Abfälle vermieden werden. Die Deutsche Umwelthilfe ist bereits wegen anderer Verstöße mehrfach rechtlich gegen Amazon vorgegangen.
Amazon und der Buchmarkt
Den Buchmarkt konnte Amazon hierzulande wegen der Buchpreisbindung noch nicht so weit erobern, wie etwa in den USA oder Großbritannien. Dort wickelt Amazon bereits den halben Buchhandel ab. Doch immerhin bei 17 Prozent liegt der Anteil des Online-Buchhandels in Deutschland, und circa 90 Prozent davon entfallen auf Amazon. Amazon ist mittlerweile der größte Kunde der Verlage; und zunehmend wird das Unternehmen auch zum größten Konkurrenten der Verlage, denn das Unternehmen betätigt sich in immer größerem Umfang selbst verlegerisch. Bei E-Books ist das schon längst der Fall.
Alrun Vogt ist Autorin des Buches „Wirtschaft anders denken". Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Linguistik mit den Schwerpunkten „Theorien der gerechten Verteilung" und Wirtschaftsgeschichte. Sie arbeitete für die Süddeutsche Zeitung und lehrt zum Thema Geld- und Wirtschaftsordnung.
Gesellschaft | Social Business, 01.12.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2018 - Frauen bewegen die Welt erschienen.
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