Traumjob: Wandern, Zelten, Bergsteigen
Ausrüstungstester Frank Wacker im Interview
Seit über 25 Jahren testet Frank Wacker Outdoor-Kleidung und -Ausrüstung, mit Testmethoden, die zum Produkt und zur Praxis passen. forum sprach mit ihm über die Entwicklung der Branche und ihre Funktion als Botschafter für Nachhaltigkeit.
Frank, wie kommt man zu diesem Traum-Job? Berufung, glücklicher Zufall oder ein bisschen von beidem?
Am Anfang stand meine Begeisterung für Outdoor-Ausrüstung, die dazu geführt hat, dass ich mich als Teenie intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt und gemerkt habe, dass mit besserer Ausrüstung das Draußensein einfach mehr Spaß macht. Dann bin ich auf das outdoor Magazin gestoßen und gleich in der ersten Ausgabe, die ich mir gekauft habe, haben sie Testpersonen gesucht, das war 1993. Ich war sofort Feuer und Flamme und hab in der Redaktion angerufen. Im Gespräch mit dem damaligen Ausrüstungsredakteur stellte sich heraus, dass wir beide den gleichen Lieblingsrucksack haben, von einer Marke, die damals nur eine Handvoll Leute in Deutschland kannte. Somit war dem Redakteur klar, in dem steckt jede Menge Potenzial. Dann hab ich angefangen, für outdoor zu testen.1994 folgte dann die erste Outdoormesse, auf der man Schuhe und gepackte Rucksäcke Probe tragen konnte, und ich durfte das betreuen.
Mir wurde damals auch gleich ein Redakteursposten angeboten, aber ich war mitten in meinem Studium und einen Abbruch konnte ich meinen Eltern nicht antun. Mich ließ das Thema natürlich nicht los. Ich wollte in der Outdoor-Branche arbeiten. Im Raum Stuttgart machte gerade ein neuer Laden auf, einer der damals größten in ganz Deutschland. Die haben Ausbildungsplätze angeboten und für mich war klar – ich mach das jetzt! Ich durfte auch gleich Katalogtexte schreiben und die Sortimentsgestaltung machen. Parallel habe ich weiter für outdoor getestet und das war eine total gute Kombination. Durch die Arbeit im Laden und die Arbeit als Tester wurden mir unglaublich viele Türen geöffnet. Die Leute haben gemerkt, dass ich ein tiefes technisches Verständnis für die Materie habe und so wuchs das. Bis Anfang 2000 habe ich es genossen, auf allen Hochzeiten zu tanzen und sogar für die Industrie Produkte entwickelt. Wodurch ich wiederum die Produktionsabläufe besser verstand und nachsichtiger und realistischer wurde. Man nimmt sich als Kritiker auch gern mal ein bisschen zu ernst. Niemand hat was davon, wenn man immer nur Produkt-Bashing betreibt, denn das bringt Produkte nicht vorwärts. Anfang 2000 war es dann soweit. Es gab wieder eine Stelle als Ausrüstungsredakteur und ich übernahm ich diese Stelle mit Freude. Ich könnte mir keinen besseren Beruf vorstellen.
Du testest seit über 25 Jahren Outdoor-Kleidung und -equipment, wie hat sich die Branche in puncto Nachhaltigkeit entwickelt?
Man merkt deutlich, dass Nachhaltigkeit eine zunehmend wichtige Rolle in der Produktentwicklung spielt und natürlich auch in der Kommunikation. Nichtsdestotrotz gab es schon immer Pioniere, die stark in Richtung Nachhaltigkeit gearbeitet haben. Patagonia und Vaude als klassische Beispiele. Manchmal waren sie aber auch ihrer Zeit voraus. Schon in den Neunzigern gab es Versuche, Produkte zurückzunehmen und zu recyceln; die aber gescheitert sind, weil einfach kein Interesse da war. Was man auch nicht unterschätzen darf, ist das Thema Langlebigkeit. Letztendlich ist das nachhaltigste Produkt das, das man mit Freude am längsten nutzt und da gab es schon immer Hersteller, die auf besonders robuste Materialien Wert gelegt haben. Auch dass Firmen die Sachen reparieren, wurde bislang nicht so kommuniziert. Aber ich höre immer wieder Geschichten von Herstellern, dass Verbraucher ihre zehn Jahre alte Regenjacke einschicken, die dann repariert wird. In den letzten Jahren liegt der Fokus in der Entwicklung ganz stark auf dem Thema Nachhaltigkeit und da tut sich auch unheimlich viel. Gerade was PFC-freie Imprägnierungen angeht. Hier nimmt die Outdoor-Branche ganz klar eine Vorreiterrolle ein.
Die Outdoor-Branche allgemein macht sich das Image der unberührten Natur zu eigen, aber ist sie auch per se nachhaltig? Oder ist es doch mehr Schein als Sein?
Das ist schwierig zu beantworten. Man kann nicht alle Firmen über einen Kamm scheren. Aber de facto gehen immer mehr Hersteller diese Thematik sehr konsequent an, nicht nur die Vorreiter aus früher Zeit. Beispielsweise Fjällräven und Orthovox haben die letzten Jahre Beachtliches auf die Beine gestellt. Jack Wolfskin und Schöffel ebenfalls. Alleine zu sehen, wie viele Outdoor-Hersteller sich in der Fair Wear Foundation engagieren…
Primaloft hat auf der ISPO eine Füllung aus Kunstfaser vorgestellt, die mit Mikroorganismen anreichert ist. Landet diese auf der Deponie, setzt eine beschleunigte Zersetzung ein und die Faser verrottet innerhalb von fünf bis fünfzehn Jahren. Wenn man das mal weiterspinnt: Das ist Wahnsinn, was man damit machen könnte, allein schon im Hinblick auf den Plastikmüll in den Meeren.
Geworben wird mit Kleidung, die ein Ausrüstungsniveau bietet, um den Mount Everest zu besteigen, ist das denn notwendig für die breite Masse?
Grundsätzlich sind die meisten Leute „over-equipped". Aber in solchen Sachen steckt auch immer eine emotionale Komponente drin. Der Schnitt, die Detaillösungen der Kleidung sind so schön und durchdacht, und es macht einfach viel mehr Spaß, so ein Produkt zu benutzen. Wenn ich also im Alltag Freude am Produkt habe, dann ist da nichts Falsches daran. Besonders nicht, wenn ich sie zehn Jahre lang trage.
Synthetische Faser vs. Naturfaser, was ist nachhaltiger?
Naturfasern sind grundsätzlicher nicht nachhaltiger als Kunstfasern. Nehmen wir zum Beispiel Daunen. Der Responsible Down Standard (RDS) wurde von der Outdoor-Branche gegründet. Fjällräven hat sogar seinen eigenen Daunenstandard, der laut Vier Pfoten der derzeit strengste ist. Allerdings muss man sehen, dass eine Vielzahl von Herstellern mit sehr gutem Standard gegenüber einem einzelnen Hersteller mit überragendem Standard eine viel größere Breitenwirkung hat. Somit leistet der niedrigere Standard letztendlich mehr für die Umwelt. Man muss einfach ein bisschen nachgeben, um mehr Leute ins Boot holen zu können.
Jetzt gibt es außerdem den Responsible Wool Standard (RWS). Im Fall von Wolle sind die Bedingungen der Haltung aber häufig alles andere als lebenswert für die Tiere. Außerdem produzieren sie viel CO2.
Was synthetische Fasern betrifft, muss eigentlich das Ziel sein, Sachen herzustellen, die sich auch wieder recyceln lassen. Das ist gar nicht so einfach, da vieles aus Mischgewebe besteht. Es gibt noch viele Aufgaben zu bewältigen.
Sind Langlebig- und Strapazierfähigkeit auch mit Naturfasern zu gewährleisten?
Es gibt auch sehr langlebige Naturfasern. Zum Beispiel gibt es Walkwoll-Jacken von Mufflon, einem deutschen Hersteller, der in Schleswig-Holstein produziert mit Wolle, die in Österreich hergestellt wird, und die sind super robust. Als Verbraucher muss man lernen, wie man richtig mit den Materialen umgeht, in puncto Pflege und Einsatzgebiet. Das fordert Erfahrung aus dem echten Leben, die im Labor nicht simuliert werden kann.
Wo siehst du die größten Herausforderungen in der Branche, im Hinblick auf ein nachhaltiges Wirtschaften? Welche Empfehlungen hast du für Hersteller und Verbraucher?
Empfehlung ist schwierig. Das Thema Recycling sehe ich als große Herausforderung. Wie bekomme ich das vernünftig hin… Das größte Problem sehe ich aber darin, in einer freien Marktwirtschaft, beziehungsweise im Kapitalismus, ein grundsätzlich nachhaltiges Wirtschaften zu realisieren, denn letzten Endes leben wir alle vom Verkauf. Also wie schaffe ich in unserer Gesellschaft nachhaltige Kaufkraft. Denn wenn ein Hersteller ultra-langlebige Sachen anbietet und weiß, dass der Verbraucher in den nächsten zehn Jahren keine Jacke mehr kaufen wird, dann muss er schauen, dass die Person sich was anderes kauft oder andere Leute Jacken kaufen.
Der Greenpeace-Gründer hat gesagt, wenn wir es schaffen, sortenneutral zu produzieren, gemäß der Kreislaufwirtschaft, dass dann die Sachen wieder recycelt werden können. Also dass aus alten Sachen wieder was Neues entstehen kann. Als ich das das erste Mal gehört habe, dachte ich, der spinnt doch! Wir stecken halt in unserem Wirtschaftssystem drin.
Aber es geht vor allem darum, dass jeder einzelne sich darüber Gedanken macht, was Konsum bedeutet und sich überlegt – muss ich wirklich zweimal im Jahr um den halben Globus fliegen, um meine Outdoor-Touren zu machen, oder gibt es nicht auch schöne Ziele in der näheren Umgebung? Es geht letzten Endes nicht um den Konsum in der Outdoor-Welt, sondern um den generellen Konsum. Muss es der zweieinhalb Tonnen schwere SUV sein oder tut es nicht auch ein kleineres, leichteres Auto?
Und da sind wir ganz schnell an dem Punkt, der für viele Leute Verzicht bedeutet. Also wie bekommt man das hin, ohne das Gefühl zu haben, auf etwas verzichten zu müssen?
Könnte da nicht die Outdoor-Branche eine Vorreiterrolle einnehmen? Denn gerade wenn man Outdoor unterwegs ist, geht es ja um Verzicht und darum, Dinge pur zu erleben.
Ich kann mir schon vorstellen, wenn man die Leute dazu bekommt, rauszugehen und sie durch gute Produkte merken, dass Draußensein Spaß macht und in dem wenigen was man dabei hat, eine unglaublich Freiheit liegt, weckt das in den Leuten eher das Bedürfnis, die Natur zu schützen. Denn wenn ich keinen Bezug zur Natur habe, warum soll ich sie schützen?
Wenn also die Outdoor-Branche es schafft, nicht nur das Lebensgefühl zu vermitteln: „nächste Himalaya-Expedition, geil!", sondern auch, dass das Thema Umwelt wichtig ist und einen hohen Wert hat, dann ist natürlich ganz viel gewonnen.
Wie sieht deine Vision für die Zukunft aus? Kann die Outdoor-Branche als glaubhafte Botschafterin für eine intakte Umwelt und faire Arbeitsbedingungen fungieren?
Das wäre tatsächlich mein Wunsch, dass mehr und mehr Menschen begreifen, dass unsere Umwelt, und das beinhaltet die Natur wie auch unsere Mitmenschen, schützenwert ist. Da kann die Outdoor-Branche als glaubhafter Botschafter fungieren. Das wird immer mehr Leuten in der Branche bewusst. Eigentlich eine wunderschöne Aufgabe.
Frank Wacker, geboren 1971, liebte es schon als Kind, draußen zu sein und zu zelten. Er merkte schnell, dass Wandern mit guter Ausrüstung mehr Spaß macht. Seit 1994 testet er Jacken, Hosen, Schuhe, Rucksäcke, Schlafsäcke und vieles mehr für das outdoor Magazin und entwickelte viele Prüfmethoden mit, die praxisrelevante Vergleichstests ermöglichen. Heute arbeitet er als festangestellter Testredakteur. Unter Insidern gilt er als einer der erfahrensten Ausrüstungstester weltweit.
Wirtschaft | CSR & Strategie, 01.06.2019
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2019 - Afrika – Kontinent der Entscheidung erschienen.
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