Tempolimit jetzt!
Verbände-Bündnis fordert Entscheidung für Klimaschutz und Verkehrssicherheit
Vor dem Autogipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Vorstandschefs der deutschen Autokonzerne am kommenden Montag unterstreicht ein breites Verbände-Bündnis die Forderung, noch in diesem Jahr ein generelles Tempolimit einzuführen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der ökologische Verkehrsclub VCD, Greenpeace, Changing Cities und die Verkehrsunfall-Opferhilfe VOD fordern ein Tempolimit auf Autobahnen und 80 km/h außerorts. Innerorts muss künftig eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h gelten. Als sofort wirksame Klimaschutzmaßnahme muss die Bundeskanzlerin diese neuen Höchstgeschwindigkeiten und einen beschleunigten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ankündigen. Zudem gilt es, das Versprechen der "Vision Zero" aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und Menschenleben durch die Tempolimits zu schützen.
Die Bundesregierung und der Bundestag müssen aus Sicht des Bündnisses jetzt handeln. Weitere Studien und Arbeitsgruppen sind weder notwendig noch zielführend, ebenso wie weitere Milliardenzuschüsse in nicht zukunftsweisende Technologien.
Nach Einschätzung der DUH können mit einem Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen sowie 80 km/h auf Landstraßen bis zu fünf Millionen Tonnen CO2 jährlich eingespart werden. Die Maßnahme kann kurzfristig, günstig und sozial verträglich die Klimaschutzlücke bis 2020 verringern. "30 Jahre Diskussion über die Sinnhaftigkeit eines Tempolimits sind genug. Wie brauchen ein Ende des Schaufahrens gegen den Klimaschutz. Auf welche weiteren alarmierenden Zeichen für das Fortschreiten der vom Menschen gemachten Klimaerwärmung möchte diese Bundesregierung noch warten? Die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen noch in diesem Jahr ist der Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in Klimafragen", erklärt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH. "Ein Tempolimit noch in diesem Jahr ist auch zwingende Voraussetzung für die Entwicklung moderner, digitaler Fahrzeuge. Die Kehrseite des fehlenden Tempolimits auf deutschen Autobahnen ist eine auf analoge PS-Boliden setzende Automobilindustrie, die wie Nokia und Telefunken neue digitale Technologien verpennt."
Der gesellschaftliche Rückhalt für die Einführung einer Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen ist so groß wie nie. Eine Petition der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands hat es mit über 66.000 Unterschriften in den Petitionsausschuss geschafft, der sich ebenfalls am kommenden Montag (24. Juni) damit befasst. Eine Meinungsumfrage von Forsa aus Juni 2019 belegt eine noch nie dagewesene Zustimmung für ein Tempolimit mit einer eindeutigen Mehrheit von 57 Prozent zu 42 Prozent.
Deutschland ist das einzige Industrieland, das die Geschwindigkeit auf Autobahnen nicht begrenzt. Das Bündnis wertet dies als weiteren Beleg für den klimaschädlichen Kurs dieser Regierung.
Aus Sicht des Bündnisses ist eine Geschwindigkeitsbegrenzung Schnittstelle zwischen Klimaschutz und Verkehrssicherheit sowie ein zwingender Bestandteil der dringend benötigten Verkehrswende. Für die zukünftige elektrische und teilautonome Mobilität ist ein Tempolimit unverzichtbar. Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher VCD: "Ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen ist überfällig. Analysen zeigen, dass eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h über 100 Menschenleben pro Jahr retten und mehr als 5.000 Verletzte verhindern würde. Auch die Autos der Zukunft brauchen eine Höchstgeschwindigkeit. Die Batterien von Elektroautos entleeren sich bei hohen Geschwindigkeiten extrem schnell. Die Sensorik für autonomes Fahren ist bei hohen Geschwindigkeitsunterschieden auf Autobahnen überfordert. Die Blockadehaltung der Bundesregierung zum Tempolimit behindert die Entwicklungsabteilungen der Autohersteller und der IT-Unternehmen."
Die Bundesregierung ist laut Grundgesetz zum Schutz des Lebens und des Klimas als natürliche Lebensgrundlage verpflichtet. Durch ihre Blockadehaltung beim Tempolimit bricht die Regierung auch das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel der "Vision Zero". Von dem eigens gesteckten Ziel, bis 2020 die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten im Vergleich zu 2010 um 40 Prozent zu reduzieren, ist die Bundesregierung weit entfernt. Zur Zielerreichung hätte die Anzahl der Verkehrstoten nach sieben Aktionsjahren um 28 Prozent auf 2.627 zurückgegangen sein müssen. Tatsächlich starben im Jahr 2017 auf Deutschlands Straßen 3.180 Menschen, was einem Rückgang von nur 13 Prozent entspricht. Dazu Wulf Hoffmann, Vorsitzender der Verkehrsunfall-Opferhilfe VOD: "Die Anzahl der getöteten Verkehrsopfer ist im Jahr 2018 auf 3.270 und somit um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr erneut gestiegen. Es ist erschreckend, dass trotz fehlender Argumente gegen ein Tempolimit auf Autobahnen jährlich über 100 vermeidbare Verkehrsopfer hingenommen werden. In fast allen Sonntagsreden wird immer wieder dargelegt, dass jeder Tote einer zu viel wäre."
Das Bündnis macht sich auch für eine Geschwindigkeitsreduktion in der Stadt von 30 km/h stark. Diese verringert die Unfallzahlen, reduziert Lärm, kann die Luftqualität verbessern und sorgt für mehr Lebensqualität. Ragnhild Sorensen, Pressesprecherin Changing Cities: "Auch in den Städten und Dörfern ist nicht angepasste Geschwindigkeit eine der Hauptursachen für Unfälle. Die autogerechte Stadt hat sich inzwischen zu Tode gesiegt und die Zivilgesellschaft fordert eine sofortige Neuausrichtung der Mobilität, wo der Mensch und nicht der motorisierte Individualverkehr in Zentrum steht."
Weigert sich die Bundesregierung weiterhin, neue Höchstgeschwindigkeiten einzuführen, ignoriert sie schnell umsetzbare und kostenlose Schritte hin zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Mobilität. Ein Treffen der Kanzlerin mit Vertretern der Autoindustrie zur Zukunft dieser und zum Erhalt mehrerer hunderttausend Arbeitsplätze wäre nicht notwendig, hätte die Regierung rechtzeitig zukunftsorientiert und zugleich umwelt- und klimafreundlich gehandelt. Dazu Benjamin Stephan, Greenpeace-Verkehrsexperte: "Mit seinem Widerstand gegen eine Höchstgeschwindigkeit verschenkt Verkehrsminister Scheuer einen ersten einfachen Schritt hin zu mehr Klimaschutz und Sicherheit. Stattdessen gaukelt Scheuer mit Kraftstoffen aus Pflanzen und Strom vermeintliche Lösungen vor, die weder bezahlbar noch wirksam sind."
Hintergrund:
Das im Dezember 2018 gestartete breite Verbände-Bündnis umfasst mittlerweile zehn Verbände: Der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, der Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland (VOD), dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem ökologischen Verkehrsclub VCD, Greenpeace, Changing Cities, Hannovair, Initiative für sichere Straßen, Deutsche Umwelthilfe (DUH), Verbund Service und Fahrrad (VSF). Mit dabei ist auch Andreas Troge, ehemaliger Präsident des Umweltbundesamtes.
Links:
Technik | Mobilität & Transport, 21.06.2019
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