Digitale Zukunftskunst
Der Weg zu einer nachhaltigen Digitalisierung
Um die Potenziale einer digitalen Transformation wirksam zu entfalten, ist es notwendig neben dem Drei-Säulen-Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (Triple Bottom Line Model), vier zentrale Dimensionen zu betrachten: eine technologische, eine ökonomische, eine politisch-institutionelle und eine kulturelle Dimension. Das Zusammenspiel dieser vier Dimensionen zu verstehen und für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung zu nutzen, bezeichnet das Wuppertal Institut als "Zukunftskunst". Im 21. Jahrhundert ist eine "digitale Zukunftskunst" gefragt.
Die Prozesse der Digitalisierung sind heute im Wesentlichen technologisch und ökonomisch getrieben: Die rasante Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten wird im Wesentlichen durch Unternehmen befördert und durch immer neue Geschäftsmodelle in Wert gesetzt. Im "Driver-Seat" der digitalen Transformation sitzen die Internet- und Technologie-Startups sowie insbesondere die großen Digital-Konzerne. Sie geben die Richtung und die Geschwindigkeit der Transformation vor. Politisch-institutionell und kulturell hängen die meisten Gesellschaften hinterher. Die Politik kann bei vielen relevanten Entscheidungen – z.B. bei der Frage der Sicherung von Persönlichkeitsrechten, des offenen Datenzugangs oder der Sicherstellung einer künftigen Besteuerungsgrundlage im digitalen Zeitalter oft nur mit großer Verzögerung reagieren. Hier ist es notwendig eine Balance zu finden um ein stabiles, dynamisches Gleichgewicht herzustellen.
Denn die gewaltige Veränderungsgeschwindigkeit der digitalen Transformation schafft ungeahnte persönliche und ökonomische Entfaltungsfreiräume für die Menschen in modernen Gesellschaften, die über besondere Bildungs- und ökonomische Ressourcen verfügen. Für viele andere Menschen führen die Veränderungen dagegen gefühlt zu Jobverlust, Geschwindigkeits- und Anpassungsdruck sowie Entwurzelung. Diese zunehmende Spaltung der Gesellschaft beziehungsweise (soziale) Ungleichheit stellt eine erhebliche politische Gefahr dar.
Die Digitale Zukunftskunst schafft durch ein Equilibrium Management ein Gleichgewicht – ein Equilibrium – zwischen den vier Dimensionen. Dabei lässt sie sich nicht von technologischen Möglichkeiten treiben sondern zielt vielmehr auf eine emanzipierte Vorstellung von „gutem Leben" – sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Ebenso setzt das Konzept auf die institutionellen Rahmenbedingungen, die die Umsetzung einer kulturellen Vision gewährleisten. Innerhalb dieser Randbedingungen ist es möglich, eine exponentielle Produktionskraft für neue Technologien zu entwickeln. Dabei setzt die Digitale Zukunftskunst nicht auf das Credo „digital first" sondern auf „culture first". Dieser Zugang ist nicht technologischkritisch, sondern bringt lediglich einen weiteren Faktor ins Spiel: den Mensch. Der Mensch muss in den Mittelpunkt der Digitalisierung gesetzt werden. Dies geschieht, indem die Digitale Zukunftskunst Rahmenbedingungen schafft, die sicherstellen, dass sich Technologien in einer produktiven aber dennoch humanen Weise entfalten und für die Menschheit dienlich sind.
Digitales Zivilisationsmodell: Der Mensch bleibt das Maß der Dinge
Die Perspektive eines solchen "culture first" oder "civil society first" könnte auch Ausdruck eines spezifischen europäischen Zuganges zu einer digitalen Gesellschaft sein, in der nicht der Mensch der Digitalen Transformation dient, sondern die Möglichkeiten der Digitalisierung der Gesellschaft beziehungsweise der gesamten Gesellschaft zu Gute kommen. Es wäre eine Antwort auf das amerikanische "market first" und das sich abzeichnende "state first" Chinas. Am Anfang einer europäischen digitalen Gesellschaft sollten die europäischen Vorstellungen von offenen, demokratischen, bürger-schaftlichen und die Würde des einzelnen respektierenden Formen des Gemeinwesens stehen. Dies wären die Leitlinien für die Schaffung von Rahmenbedingungen, in denen sich Digitalisierung humanorientiert entfalten kann.
Bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen lassen sich die Prinzipien einer Institutionengestaltung anwenden, die seit Ende der 90er Jahre für die Ausgestaltung nachhaltiger Gesellschaften diskutiert werden. Moderne, ausdifferenzierte Gesellschaften müssen insbesondere Institutionen schaffen, die dazu beitragen, dass die „Reflexivität" über Nebenfolgen erhöht wird.
Insbesondere die digitale Gesellschaft mit ihrer Dynamik braucht vermehrt Orte der Transparenz und Deliberation (Stichworte: Open Data, politische und gesellschaftliche Digitalisierungs-Beiräte, ein eigenes Digitalministerium, ein regelmäßiger Digitalisierungsbericht nationaler Regierungen). Ebenfalls werden Mechanismen der Partizipation gebraucht, die eine Beteiligung möglichst vieler betroffener Gruppen an den Prozessen der Digitalisierung ermöglichen. Digitalisierung muss von und mit den Menschen in allen Gesellschaftsbereichen und nicht über sie hinweg gestaltet werden. Diese Institutionen fungieren dabei als Mediatoren und schaffen einen Macht- und Konfliktausgleich, damit bei der Abwägung unterschiedlichster Interessen, nicht nur ökonomische Interessen berücksichtigt werden. Um einen gesamtgesellschaftlichen Wert bei der Digitalisierung zu erreichen, müssen zuletzt noch Bedingungen geschaffen werden, die nicht nur ökonomische sondern auch soziale Innovationen fördern.
Sustainable Excellence: Herausforderungen für Unternehmen
Regulierungen auf Meta- und Supraebene alleine reichen allerdings nicht aus, um eine nachhaltige Digitalisierung zu erwirken. Auf der Mesoebene müssen sich Unternehmen finden, die die positiven Potentiale der Digitalisierung in konkrete Produkt- und Geschäftsideen übersetzen.
Lange Zeit galt die vom Chicagoer Wirtschaftswissenschaftler geprägte Formel "The Business of Business is Business". Damit wurde die neoliberale Überzeugung unterstrichen, dass Unternehmen nur einen Zweck haben: Ihren Gewinn zu maximieren. Damit stelle sich automatisch auch das größte Gemeinwohl ein. Zu welchen Folgen eine solche Perspektive führt, merken wir gerade aktuell unter den Vorzeichen der Digitalisierung.
Seit einigen Jahren wird klar, dass die Rolle von Unternehmen in modernen Gesellschaften weiter gesehen werden muss. Sie sind immer mehr auch ein entscheidender politik- und kulturprägender Faktor. Der tiefere Sinn der Unternehmenstätigkeit spielt daher – dem eigentlichen Profitinteresse vorgelagert – eine immer wichtigere Rolle. Unternehmen, die ihren tieferen gesellschaftlichen Sinn ("Purpose") nicht klar definieren können, kommen in wachsende gesellschaftliche Legitimationszwänge und verlieren ihre „Licence to operate". Eine eindeutige Folge daraus ist, dass es für solche Unternehmen immer schwerer wird, gutes Personal zu finden. Deshalb ist es notwendig ein sinnzentriertes Arbeiten und Wirtschaften immer weiter zu fokussieren und die Leitlinie "The Purpose of Business is Purpose" zu integrieren. Damit geht eine stärkere Orientierung auf gemeinwohlorientierte bzw. humanzentrierte Unternehmen einher. Diese ist nötig, wenn bei der Digitalisierung nicht immer nur nachsorgende Folgenbearbeitung betrieben werden soll.
Es geht vielmehr darum, für das reichhaltige Feld an Geschäftschancen zu sensibilisieren, das die Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung bietet. Es gilt, unternehmerischen Elan in nachhaltige Werte zu übersetzen: ob als Social-Entrepreneur, in öffentlichen Unternehmen oder in privatwirtschaftlichen Konzernen. Dieser Elan muss in den kommenden Jahren – immer eingebettet in eine sich weiterentwickelnde Wirtschaftsordnung – Treiber der gesellschaftlichen Entwicklung werden.
Autoren:
Marco Englert (MSc, MBA) ist Manager, Berater und Coach. Er ist Experte für eine nachhaltige und digitale Unternehmensführung und steht für ein Excellence-Mindset, das Menschlichkeit, Gleichgewicht bzw. Balance, Innovation und Nachhaltigkeit fördert. Mit seinem Managementkonzept „Nachhaltige Digitalisierung", das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, verbindet er die Kernthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit und macht Organisationen zukunftsfähig.
Johannes Pföhler (MSc) ist Experte für verantwortungsvolle Unternehmensführung, Managing Director von Sutron, Initiator des Nachhaltigkeitsnetzwerks Sustainable Management Circle (SMC) und Lehrbeauftragter an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Als Berater berät er Unternehmen, u.a. zu Sustainable Branding, humaner Digitalisierung und agilem Nachhaltigkeitsmanagement.
Technik | Digitalisierung, 12.07.2019
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