Paludikulturen mit Schilf und Rohrkolben in die Praxis bringen
Projekt erarbeitet Leitlinien für Landwirte, Behörden und Politik - Praxisversuche auf 8 Hektar
Trockengelegte, landwirtschaftlich genutzte Moore sind für rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen des hiesigen Agrarsektors verantwortlich. Deren Wiedervernässung würde die Emissionen stark verringern, dafür bedarf es aus Sicht der Landwirte jedoch gleichwertiger Nutzungskonzepte für die nassen Flächen. Die Universität Greifswald und die Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern wollen vor diesem Hintergrund die Gewinnung von Schilfrohr und Rohrkolben für Bau- und Brennstoffe auf wiedervernässtem Niedermoorgrünland optimieren. Die Forscher suchen nach geeigneten Arten bzw. Genotypen und ermitteln die optimale Bestandesführung für die verschiedenen Produktlinien. Unter anderem sind Anbau- und Ernteversuche auf einer acht Hektar großen Fläche geplant, um die Machbarkeit in der Praxis zu überprüfen. Außerdem bewerten die Forscher die Ökonomie und entwickeln Vorschläge zur Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen.

In Deutschland bestehen rund sieben Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen aus entwässerten Mooren. Dass diese Flächen hierzulande zu den größten Treibhausgasquellen der Landwirtschaft zählen, ist bislang wenig bekannt - rund ein Drittel der agrarischen Klimagas-Emissionen gehen auf ihr Konto. Deren Wiedervernässung bietet die Chance, einen Großteil dieser Emissionen einzusparen und damit einen Beitrag zum Klimaschutzplan 2050 zu leisten. Insbesondere Landwirte stehen diesem Ansinnen jedoch oft ablehnend gegenüber, sofern sie dadurch produktive Flächen verlieren. Als Lösungsansatz wurde das Konzept der Paludikultur ("palus" - lat. "Sumpf, Morast") zur land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Hoch- und Niedermoore entwickelt.
Im Projekt Paludi-PRIMA wollen die Forscher nun die Paludikultur auf wiedervernässten Grünlandstandorten mit Schilf (Phragmites australis) und Rohrkolben (Typha angustifolia, Typha latifolia) praktisch umsetzen. Dafür gilt es, geeignete Genotypen zu identifizieren, die sich für den Anbau in Deutschland eignen und die erforderliche Qualität für die Nutzung als Baustoff (u. a. Dach-Reet) mitbringen sowie deren Anbau und die Ernte zu optimieren. Aktuell wird der Rohstoff vor allem aus Süd- und Osteuropa und China importiert. Für Feldversuche steht ihnen eine Demonstrationsfläche von acht Hektar zur Verfügung, die auch Landwirten zur Anschauung dient.
Eine wichtige Rolle kommt der ökonomischen Analyse zu. Das Paludi-PRIMA-Team ermittelt Kosten und Erlöse, um Landwirten eine Entscheidungshilfe zu geben, aber auch, um die Höhe einer eventuell benötigten Förderung aufzuzeigen. Zudem wollen sie Fragen zur wasserrechtlichen Bewertung einer dauerhaften Vernässung von Grünland und mögliche Einwände durch den Naturschutz bewerten. Auch das Agrarrecht, das momentan ein Umwandlungsverbot für Grünland vorsieht, wirft noch Fragen auf.
Um für Landwirte attraktiv zu sein, muss nach Ansicht der Forscher auch die Beihilfefähigkeit der Flächen erhalten bleiben. Sie wollen Vorschläge erarbeiten, wie Paludikulturen sinnvoll in den Rechts- und Förderrahmen intergiert werden können.
Informationen zum Projekt stehen auf www.fnr.de unter den Förderkennzeichen 22026017 und 22032718 sowie unter www.moorwissen.de zur Verfügung.
Hintergrund:
Schilf als Baumaterial
Schilf oder Reet ist ein traditioneller Baustoff, dessen Verwendung schon seit der Jungsteinzeit belegt ist. Bei der Herstellung kommen außer verzinkten oder Edelstahldrähten keine weiteren Zusatzstoffe zum Einsatz. Der Rohstoff lässt sich sortenrein wiedergewinnen. Schilfrohrplatten erreichen ohne Brandschutzmittel die Baustoffklasse B2 (normal entflammbar). Es gibt sie inzwischen auch als bauaufsichtlich zugelassene Produkte. Trotz der Transportwege aus den Herkunftsgebieten hat Schilf durch die einfache Verarbeitung einen sehr niedrigen Primärenergiebedarf und ist ein effektiver Kohlenstoff-Speicher. Auf dem Markt sind Matten und Platten für die Dacheindeckung oder als dämmende Putzträger erhältlich, die sich insbesondere mit dem Baustoff Lehm sehr gut ergänzen.
Rohrkolben (Typha) als Baumaterial
Rohrkolben liefert jährlich bis zu 20 Tonnen Trockenmasse pro Hektar und ist damit deutlich produktiver als zum Beispiel ein Nadelwald. Die Pflanzen kommen in verschiedenen Spezies weltweit vor und können ähnlich wie Schilf im Winter bzw. in der Trockenzeit (in andern Klimazonen) geerntet werden. Dies steht nicht im Widerspruch zu den sonstigen positiven ökologischen Auswirkungen des Anbaus. Die Blätter der Rohrkolben-Pflanzen haben im Querschnitt eine besondere Struktur mit dämmendem Schwammgewebe und stabilem Stützgewebe. Aufgrund dieser Struktur besitzen daraus erzeugte Bauprodukte sowohl gute dämmende als auch statische Eigenschaften. Mit den aus Typha hergestellten Platten lassen sich deshalb sehr schlanke Wandaufbauten realisieren. Das Material ist resistent gegen Schimmelpilzbefall. Typha-Platten sind außerdem direkt verputzbar.
Noch werden die Typha-Bauplatten nicht im auf dem Markt üblichen Umfang produziert. Bisher realisierte Bauvorhaben waren Pilotprojekte. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik hat zusammen mit der Firma Typhatechnik mehrere dieser Projekte begleitet und bietet Informationen im Internet an.
Umwelt | Naturschutz, 16.07.2019

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