Bonner Forscher üben Kritik an Studie zu Wiederaufforstung und Klimawandel
Sie halten die dort genannten Zahlen für weit übertrieben
Anfang Juli machte eine Studie in der Fachzeitschrift Science weltweit Schlagzeilen: Die Erde könnte demnach 4,4 Milliarden Hektar Wald tragen, 900 Millionen mehr als heute. Durch Wiederaufforstung ließen sich daher 205 Gigatonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen und der Klimawandel effektiv bremsen. Wissenschaftler der Universität Bonn sowie von World Agroforestry halten diese Zahlen für weit übertrieben: Ihnen zufolge basieren sie auf stark vereinfachten oder fragwürdigen Annahmen. Ihre Replik erscheint am 18. Oktober ebenfalls in der Zeitschrift Science.
Die Studie, um die es geht, basiert auf einer Simulation von Wissenschaftlern der ETH Zürich. Diese hatten untersucht, wie viel Wald es theoretisch auf der Erde geben könnte, wenn man die Bereiche abzieht, die von Menschen bewohnt oder bewirtschaftet werden. Dazu hatten sie sich Naturschutzgebiete rund um den Globus angesehen – also Regionen, die weitgehend dem Einfluss des Menschen entzogen sind.
Bei jedem dieser Gebiete hatten die Forscher geschaut, in welchem Maß es von Wald bedeckt ist. Zusätzlich hatten sie verschiedene Standortfaktoren berücksichtigt, etwa Jahresdurchschnittstemperatur, Bodenbeschaffenheit oder Niederschlagsmenge. Mit diesen Werten hatten sie dann eine lernfähige Computersoftware gefüttert. Nach einer Trainingsphase konnte das Programm dann auch für beliebige andere Gebiete vorhersagen, welche Waldbedeckung dort möglich wäre. Ergebnis: Die Erde könnte 4,4 Milliarden Hektar Wald tragen, also 900 Millionen Hektar oder gut 25 Prozent mehr als heute.
Wald im Permafrost der Tundra?
Die Wissenschaftler der Universität Bonn sowie von World Agroforestry zweifeln diese Zahl jedoch an: „Das Modell ist viel zu undifferenziert", kritisiert Prof. Dr. Eike Lüdeling vom Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz der Universität Bonn. Unter anderem gehen lediglich drei Bodenparameter in die Analyse ein – viel zu wenig, um den Unterschieden in bodenkundlichen Ertragspotenzialen Rechnung zu tragen. Zudem sind die Böden in vielen der heute waldfreien Gebiete erodiert oder andersartig degradiert, was den Erfolg von Wiederaufforstungen deutlich einschränkt.
Ähnlich sieht es mit klimatischen Faktoren aus: So berücksichtigt die Software zwar die Jahresdurchschnitts-, nicht aber die niedrigste und höchste Temperatur eines Orts. „Als Folge sieht die Studie zum Beispiel erhebliches Wiederaufforstungs-Potenzial in der Tundra", erklärt Lüdelings Kollegin Dr. Katja Schiffers. „Dort herrscht aber vielerorts Permafrost: Der Boden taut auch im Sommer nur oberflächlich auf. Unter diesen Bedingungen ist keine bedeutende Steigerung der Baumbedeckung möglich."
Auf Ungereimtheiten gestoßen
Auch an anderen Punkten sind die Wissenschaftler auf Ungereimtheiten gestoßen. So werteten die ETH-Forscher auch Weideland, das momentan für die Viehhaltung genutzt wird, als potenzielle Wiederaufforstungs-Flächen. Das gleiche galt für Dörfer, kleinere Ansiedlungen und selbst für manche Millionenstädte wie etwa Kinshasa, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. „In den Gebieten, die die Studie für eine Wiederbewaldung vorschlägt, leben rund 2,5 Milliarden Menschen", sagt Lüdeling. „Es ist sehr fraglich, ob diese Regionen wirklich geeignet sind."
Kritisch sehen die Forscher auch die Angaben zum Potenzial der neu gepflanzten Bäume, zusätzliches Kohlendioxid zu binden. „Die Rechenmethode unterschlägt zum Beispiel, dass auch Weideland oder Ackerflächen große Mengen CO2 enthalten", sagt der Bonner Wissenschaftler. Die berechneten gut 200 Gigatonnen Klimagas, die sich durch Wiederaufforstung aus der Atmosphäre entfernen ließen, hält er daher für erheblich zu hoch gegriffen. „20 bis 30 Gigatonnen halte ich für realistischer."
Dabei begrüßt er grundsätzlich die Idee, Flächen zu renaturieren, wo immer es möglich ist – schon weil die Ökosysteme davon enorm profitierten. Schnelle Brems-Effekte für die globale Erwärmung seien davon aber nicht zu erwarten. Denn es dauert mehrere Jahrzehnte, bis ein Wald herangewachsen ist. Abgeholzte Regenwaldgebiete lassen sich manchmal gar nicht wiederherstellen: Zu groß sind die Auswirkungen der Entwaldung auf das lokale Klima, zu nährstoffarm die dortigen Standorte.
Dass Wiederaufforstung der Atmosphäre Kohlendioxid entzieht, ist allerdings unumstritten. Dabei handelt es sich aber um einen Einmal-Effekt – sobald die letzte Fläche wieder dicht bewaldet ist, ist es damit vorbei. Lüdeling: „Die Wiederaufforstung kauft uns Zeit, die wir bitter benötigen. Sie kann aber nur ein Baustein in einer umfassenden Handlungsstrategie zur Vermeidung des Klimawandels sein."
Kontakt: Prof. Dr. Eike Luedeling, Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) | luedeling@uni-bonn.de | www.uni-bonn.de
Umwelt | Klima, 17.10.2019
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