Der Mittelstand, ein unterschätzter Riese der Nachhaltigkeit
Wie können nachhaltige Mittelständler und Investoren zueinander finden?
Karsten Kührlings, Leiter Investmentfonds & Research, GLS Bank, und Prof. Dr. Maximilian Gege, Gründer und Vorsitzender B.A.U.M. e.V., erklären, warum und wie Investoren gezielt den Mittelstand fördern können.
In der aktuellen Sustainable-Finance-Debatte nimmt der Mittelstand nur eine Nebenrolle ein. Bei der Frage, welche Unternehmen sie auf Nachhaltigkeit prüfen, orientieren sich die meisten Nachhaltigkeitsrating-Agenturen und Investoren an deren Marktkapitalisierung, Liquidität oder Zugehörigkeit zu gängigen Börsenindizes (MSCI World, etc.). Die Analyse von mittelständischen Unternehmen ist für viele Analysten aufwändig, da diese Unternehmen über weniger Ressourcen verfügen, um bestimmte Nachhaltigkeitskennzahlen zu erheben und zu kommunizieren. Häufig werden Mittelständler gar nicht geprüft oder ihre Bewertung fällt entsprechend schlecht aus, sodass sie durch die Prüfung fallen und als „nicht nachhaltig" eingestuft werden.
Dabei bildet der Mittelstand das Rückgrat der Wirtschaft vieler Länder, besonders in Deutschland. Er steht für inhabergeführte Unternehmen, langfristige Investitionen, hohe Steuerzahlungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Nicht selten kommen Innovationen und zukunftsweisende Trends von einem der vielen mittelständischen Unternehmen, die schnell und pragmatisch auf entsprechende Impulse aus den Märkten reagieren und mit kreativem Elan neuartige Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Auf diese Weise spielt der Mittelstand eine enorm wichtige Rolle als Wegbereiter für eine nachhaltigere Wirtschaftsweise.
Doch wie können Investoren mittelständische Unternehmen unterstützen und gleichzeitig vom nachhaltigen Wirtschaftswachstum im Mittelstand profitieren? Oder anders gefragt: Wie können nachhaltige Mittelständler und Investoren zueinander finden? Der Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e.V.) ist mit rund 500 Mitgliedsunternehmen die größte Umweltinitiative der Wirtschaft in Europa. Bewusst legt sie seit der Gründung im Jahre 1984 ihren Fokus auf den Mittelstand. Die gemeinnützige Organisation verfügt über eine umfangreiche und praxiserprobte Expertise, wie mittelständische Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit begleitet werden können.
Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK): Der Kompass auf dem Weg zu Nachhaltigkeit
Heute nehmen sehr viele mittelständische Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit wichtiger als noch vor wenigen Jahren. Um zu verstehen und zu bewerten, wie nachhaltig sie tatsächlich sind, orientieren sich viele am Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK). Dieses in der deutschen Wirtschaftswelt weit verbreitete Referenzwerk ist mehr als eine Transparenzinitiative. Der umfassende Kodex soll unterzeichnende Unternehmen dabei unterstützen, für sich eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und in die eigenen unternehmerischen Aktivitäten zu integrieren. Anhand von 20 klar strukturierten Kriterien kann sich jedes Unternehmen einen Überblick über alle wesentlichen sozialen und Umweltaspekte verschaffen: von Treibhausemissionen über Ressourcenverbrauch bis hin zu Arbeits- und Menschenrechten. Der DNK bietet zugleich einen guten Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Weiterer positiver Effekt: Regelmäßig zu berichten ermöglicht es Unternehmen, ihre Entwicklung im Zeitverlauf zu überwachen.
Genau an dieser Stelle setzt die Green Growth Futura (GGF) an, eine Ausgründung von Prof. Dr. Maximilian Gege, Gründer und Vorsitzender des B.A.U.M. e.V. Die Green Growth Futura hat eine Analyse- und Bewertungsmatrix für kleine und mittelständische Unternehmen entwickelt, die auf dem DNK basiert. Beim Nachhaltigkeitsresearch findet ein sich auf die 35-jährige Erfahrung von B.A.U.M. stützendes Bewertungsmodell Anwendung, wobei sowohl quantitative als auch qualitative Elemente bewertet werden. Zum einen sind dies die durch Kennzahlen belegbaren Nachweise aus Quellen wie dem Nachhaltigkeitsbericht, nicht finanzielle Geschäftsberichte oder die Unternehmenskommunikation auf Geschäftsfeldebene. Zum anderen werden auch bisher ausschließlich qualitativ erfassbare Informationen aus unternehmensexternen Quellen berücksichtigt.
Das GGF-Bewertungsmodell: Ein ganzheitlicher Blick auf das Warum, Wie und Was
Zu Beginn der Analyse stellen die Analyst*innen der Green Growth Futura zunächst die Strategie eines Unternehmens in den Fokus ihres Bewertungsmodells. Warum setzt sich ein Unternehmen überhaupt mit Nachhaltigkeit auseinander? Es stellt sich also die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Unternehmens. Konkret wird untersucht, ob es eine Nachhaltigkeitsstrategie gibt und diese ein Bestandteil der unternehmerischen Aktivitäten ist. Verfolgt ein Unternehmen dafür langfristige Ziele? Berücksichtigt es dabei die wesentlichen Chancen und Risiken, die eine nachhaltige Entwicklung fördern bzw. behindern? Ebenso wichtig ist, dass ein Unternehmen Umwelt- und Sozialaspekte der gesamten Wertschöpfungskette im Blick hat.
Die ambitionierteste Strategie nützt jedoch nichts, wenn sie nicht im Unaternehmen gelebt wird. Deswegen schauen sich die Analyst*innen der Green Growth Futura sehr genau an, wie die einzelnen Ziele im Prozessmanagement umgesetzt werden. Ist das Thema Nachhaltigkeit der oberen Leitungsebene zugeordnet und wissen Mitarbeiter und Öffentlichkeit, wer die Verantwortung dafür trägt? Existieren Regeln und Prozesse, wie genau die Nachhaltigkeitsstrategie im Tagesgeschäft integriert wird? Hier lohnt sich ein Blick darauf, ob Managementsysteme oder Leistungsindikatoren vorhanden sind und auch kommuniziert werden. Testate von unabhängigen Prüfern sind dabei willkommene und aussagefähige Quellen.
Im dritten Schritt beschäftigen sich die Analysten damit, welche Maßnahmen, also was vom Unternehmen im Sozial- und Umweltbereich geleistet wird und in den kommenden Jahren plant. Auf der Umweltseite liegt der Schwerpunkt auf der Inanspruchnahme von Ressourcen, dem Ressourcenmanagement sowie dem Verbrauch von Treibhausgasemissionen. Hat das Unternehmen beispielsweise die Auswirkungen entlang des gesamten Produktlebenswegs (Lieferkette) im Blick? Sind Maßnahmen und Ziele in den letzten fünf Jahren umgesetzt worden, um die Energieeffizienz zu verbessern? Oder zur Reduzierung der Treibhausgase?
Auf der Sozialseite interessiert die Analyst*innen der Green Growth Futura, was ein Unternehmen in den Bereichen Arbeitnehmerrechten, Chancengerechtigkeit, Qualifizierung, Menschenrechte oder Gemeinwesen unternimmt. Engagiert sich das Unternehmen über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus, um Mitarbeiter einzubinden und zu beteiligen? Verfolgt das Unternehmen Ziele, um die Integration von Migranten und Menschen mit Behinderung, angemessene Bezahlung sowie Vereinbarung von Familie und Beruf zu fördern? Ebenfalls erfassen die Analyst*innen politische Einflussnahme, Korruption, Skandale oder andere Kontroversen.
Alle Ergebnisse werden in einem Unternehmensprofil zusammengefasst. Eine SWOT-Analyse hebt darin die Stärken und Schwächen eines Unternehmens hervor. Auch geben die Profile einen Aufschluss darüber, in welchen positiven, zukunftsweisenden Branchen aktiv sind und wie sie zur Erreichung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (UN) beitragen.
Der kritische Blick von Außen: Der Nachhaltigkeitsbeirat
Ebenso wichtig wie die umfangreiche Analyse eines Unternehmens ist die kritische Auseinandersetzung zwischen Expert*innen zu einem Unternehmen. Nur wenn unterschiedliche Sichtweisen zu einem Unternehmen ausgetauscht werden, ergibt sich eine sehr gute Entscheidungsgrundlage, ob in einen Titel investiert werden sollte oder nicht. Aus diesem Grunde wurde ein Nachhaltigkeitsbeirat ins Leben gerufen, der aus ausgewiesenen Branchenkennern besteht, die sich seit geraumer Zeit mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Darunter finden sich Persönlichkeiten wie Prof. Dr. Ernst Ulrich Weizsäcker, Ko-Präsident des Club of Rome, Prof. Dr. Claudia Kemfert, Energieökonomin, Monika Griefahn, ehemals Umweltministerin von Niedersachsen, Prof. Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Volker Weber, Vorsitzender des Vorstands des Forums Nachhaltige Geldanlagen, sowie Prof. Dr. Timo Busch, Professor für Management & Sustainability an der Universität Hamburg. Auf Grundlage der umfangreich recherchierten Unternehmensprofile debattieren sie in mehrfach im Jahr stattfindenden Beiratssitzungen die Pros und Contras einer Investition. Nur der Nachhaltigkeitsbeirat entscheidet durch Abstimmung über die schlussendliche Aufnahme eines Unternehmens in das Anlageuniversum des B.A.U.M. Fair Future Fonds.
Fazit
Der Mittelstand spielt in der Nachhaltigkeitsdiskussion am Kapitalmarkt eine untergeordnete Rolle. Dabei liegt hier ein enormes Potenzial, die Wirtschaft nachhaltiger aufzustellen. Investoren können durch gezielte Investitionen einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Bereits heute gibt es wirkungsvolle Instrumente wie den Deutschen Nachhaltigkeitskodex, um den Beitrag mittelständischer Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung zu erfassen. Der Green Growth Futura ist es dank der langjährigen Expertise des B.A.U.M. e.V. sowie der GLS Bank gelungen, mit ihrem Bewertungsmodell diesen weitverbreiteten DNK-Ansatz auf Unternehmen am Kapitalmarkt anzuwenden.
Karsten Kührlings
Karsten Kührlings hat in den vergangenen fünf Jahren das Investmentfondsgeschäft der GLS Bank aufgebaut. Der gelernte Diplom-Kaufmann (FH) ist seit 2013 bei der GLS Bank tätig. Zuvor hat er bei der Sparkasse Mülheim das Wertpapiergeschäft geleitet. Er sitzt in mehreren Gremien (Anlageausschüssen) und ist Vorsitzender des Verwaltungsrates des GLS AI – Mikrofinanzfonds. Herrn Kührlings finden Sie auf Xing und LinkedIn.
Prof. Dr. Gege
Prof. Dr. Maximilian Gege ist Gründungsmitglied und Vorsitzender von B.A.U.M. e.V, sowie Gründer der Green Growth Futura (GGF) und Initiator des B.A.U.M. Fair Future Fonds. Er bekleidet zahlreiche Funktionen in Beiräten und Jurys. Professor Gege und B.A.U.M. erhielten über 20 nationale und internationale Auszeichnungen (Auszeichnungen Prof. Dr. Maximilian Gege/B.A.U.M.). Seit 2001 ist er Honorarprofessor der Leuphana Universität Lüneburg.
Über die GLS Bank
Bei der GLS Bank ist Geld für die Menschen da. Die Genossenschaftsbank mit Sitz in Bochum finanziert und investiert nur in sozial-ökologische Unternehmen. Ihre Geschäfte macht sie umfassend transparent. Im Investmentfondsgeschäft bietet sie drei eigene Fonds im Gesamtvolumen von mehr als 400 Mio. Euro sowie zwei Partnerfonds (B.A.U.M. Fair Future Fonds und FairWorldFonds) an. (Stand 31.07.2019)
Über die Green Growth Futura GmbH
Die Green Growth Futura GmbH (GGF) wurde von Prof. Dr. Maximilian Gege, dem Vorsitzenden des B.A.U.M. e.V., gegründet. Vor diesem Hintergrund kooperiert die Gesellschaft auch eng mit dem B.A.U.M. e.V. und weiteren Partnern des B.A.U.M. Unternehmensnetzwerkes. Ziel und Zweck der Gesellschaft ist die Beratung des B.A.U.M. Fair Future Fonds im Nachhaltigkeitsresearch und die sozial-ökologische Analyse von Unternehmen auf Grundlage von eigenen Research- und Analysetätigkeiten und basierend auf ethisch, ökologischen und nachhaltigen Vorgaben. Darüber hinaus überprüft die Green Growth Futura GmbH (GGF) als Berater Portfolios und unterstützt ihre Kunden im Bereich der nachhaltigen Anlageentscheidungen.
Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e.V.)
Unter dem Kürzel B.A.U.M. verbindet der Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management e.V. seit 1984 erfolgreich und zukunftsorientiert ökonomische, ökologische und soziale Fragen, also die Prinzipien der Nachhaltigkeit, miteinander. Heute ist B.A.U.M. mit weit über 500 Mitgliedern das größte Unternehmensnetzwerk für nachhaltiges Wirtschaften in Europa. Neben vielen bekannten Unternehmen sind auch Verbände und Institutionen Fördermitglied.
Wirtschaft | CSR & Strategie, 06.12.2019
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