Betrieblicher Gesundheitsschutz noch oft unterbelichtet
Transparenz für Verbraucher notwendig
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Die Förderung der Gesundheit von Mitarbeitern in Betrieben ist noch immer ein Stiefkind in der Nachhaltigkeitsdiskussion. Eine neue Studie im Rahmen des Forschungs-Projekts GESIOP zeigt nun die Defizite, weist zugleich Wege zur Verbesserung und beantwortet die Frage, ob ein Label für mehr Informationen sorgt.
Der Check brachte ein eher frustrierendes Ergebnis.Wissenschaftler der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) prüften gemeinsam mit der VERBRAUCHER INITIATIVE e. V. (Bundesverband), wie gut Produktsiegel potenzielle Käufer darüber aufklären, ob und wie sich die Hersteller – neben der Einhaltung etwa von Bio-Standards, Umwelt- und Klimaschutzaktivitäten oder fairen Handelsbeziehungen - auch um die Gesundheit ihrer Beschäftigten und jener bei Partnerunternehmen in der Lieferkette kümmern. CAU-Wirtschaftsphilosoph Sebastian Müller zieht nach drei Jahren Forschung die Bilanz: „Bezogen auf das unternehmerische Gesundheitsmanagement ist ein solcher Dialog nicht vorhanden."
Dabei sei, begründet er den Hintergrund seiner Forschung, eine transparente, offene Kommunikation gesundheitsrelevanter Unternehmensaktivitäten wichtig und im Sinne der Unternehmen von Vorteil. Sie trage zur „Optimierung der Mitarbeitergesundheit, verbesserten Kooperationsbeziehungen und einem möglichen Imagegewinn" der Betriebe und ihrer Produkte bei. Gutes „Betriebliches Gesundheitsmanagement" (BGM) muss daher mehr sein, als lediglich die ökonomisch für Unternehmen selbstverständlich relevanten Zahlen der Krankheits- oder Unfallstatistik auszuwerten. Richtig verstandene und umgesetzte Gesundheitsförderung bringe Unternehmen nachweisbare – durchaus auch wirtschaftliche – Effekte, erklärt der Forscher. Achte die Unternehmensleitung darauf, dass die Mitarbeiter physisch und psychisch gesund bleiben, mindere das längst nicht nur die Fehltage am Arbeitsplatz.
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz bringt vielfach Vorteile
Es bringe, stützt sich Müller auf mehrere wissenschaftliche Untersuchungen, wertvolle Vorteile:
Verbraucher erhalten damit beim Einkauf zusätzliche Informationen, um sich bewusst für Produkte zu entscheiden, bei deren Herstellung die Gesundheit der Menschen, wertgeschätzt wird.
Unternehmen verbessern die Bindung zwischen Beschäftigten und Betrieb. Sie senden – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – an potenzielle Bewerber positive Signale und kommunizieren ein zusätzliches Qualitätsmerkmal.
Geschäftspartnern sichert die Kooperation der Gesundheitsförderung die Stabilität ihrer Arbeitsbeziehung. Dies wirke sich auf die Qualität der Produkte aus und werde vom gemeinsamen Endkunden honoriert.
Vor diesem Hintergrund beschreibt das Ergebnis der Kieler Studie eine – zumindest zurzeit noch – verpasste Gelegenheit, Gesundheitsförderung in Betrieben zu einzuführen, selbst wenn dieses dann darüber informiere und damit Verbrauchern ein Unterscheidungskriterium für ihre Wahl bestimmter Waren signalisiere. Mit Blick auf den mit vielen verschiedenen Labeln schon ziemlich übersättigten Markt, würden Kunden und Kooperationspartner von Unternehmen damit eher verwirrt. Auch das nämlich erkannte der Kieler Wissenschaftler bei seinen Befragungen: Viele Verbraucher assoziieren etwa bei Bio-Labeln oder Siegeln des fairen Handels, dass diese Zeichen auch die Gesundheitsförderung von Beschäftigten automatisch abbilden und dieses Kriterium quasi bereits inkludieren. Das jedoch, ergab sein Abgleich mit der Realität, ist bei genauerer Betrachtung ein Trugschluss oder stimme lediglich partiell.
Gesundheits-Label würde Verbraucher eher verwirren
Sein Ansatz ist anders: Er vergleicht in seiner Arbeit die inzwischen am Markt vielfältig vorhandenen und um die Konsumentengunst konkurrierenden Label mit dem von seinen Kolleginnen und -kollegen an der Universität Hamburg sowie der Technischen Universität München seit drei Jahren im noch Forschungsprojekt „Gesundheitsmanagement aus interorganisationaler Perspektive" (GESIOP) erarbeiteten „GESIOP-Tool für gesunde Arbeit". Damit schufen die Fachleute einen „Gold-Standard" zur Beschreibung gesundheitsförderlicher Unternehmensstrukturen. Das inzwischen frei im Internet verfügbare Tool ermöglicht es jedem Unternehmen zum einen eine selbstständige Bewertung der eigenen betrieblichen Gesundheitsförderung anhand eines ausgeklügelten Fragebogens selbst vorzunehmen.
Das dazu gehörende und ebenfalls im Netz frei zugängliche Handbuch gibt Tipps zur Verbesserung der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Wie wichtig das Thema ist, hatten die Teilnehmer am GESIOP-Kongress in Berlin unterstrichen. Sich um die Gesundheit der Mitarbeiter zu kümmern, die immer häufiger über Stress bis hin zum Burnout klagen, bezeichnete der Arzt Prof. Dietrich Grönemeyer als „Zeichen der Wertschätzung für die Menschen mit denen wir arbeiten". Als spiritus rector des Forschungsprojekts betonte die Hamburger Arbeitspsychologin Prof. Eva Bamberg zudem gerade den Wert der Kooperationen zur Gesundheitsförderung: zwischen Unternehmen und Beschäftigten ebenso wie zwischen Produzenten und Verbrauchern und auch zwischen den Beteiligten in einer Herstellungs- und Lieferkette.
CAU-Forscher Müller untersuchte deshalb, in wieweit am deutschen Markt etablierte Label oder Awards die Kriterien des GESIOP-Tools mit abbilden. Seine Überlegung: „Sollten sich die Kriterien eines bestehenden Siegels als hinreichend anschlussfähig erweisen, ist dessen Weiterentwicklung um die GESIOP-Kriterien wünschenswert."
Bessere Informationen für die bewusste Produktwahl
Mit diesem Ansatz erzielt er einen doppelten Erfolg: Das schafft mehr Aufklärung über ein zurzeit noch selten bewusst verfolgtes Thema, ohne dabei jedoch die Verbraucher am Markt mit zusätzlichen Kennzeichnungen zu verwirren. Zu viele Label – das von der VERBRAUCHER INITIATIVE aufgebaute Portal „Label-Online.de" etwa verzeichnet und bewertet inzwischen rund 1.000 solcher an Kunden gerichtete Siegel – bewirkten eher das Gegenteil ihrer eigentlichen Intention: Es erzeugt neue Fragen statt Antworten zu geben.
Die Reaktion von Verbrauchern auf einen unübersichtlichen und komplizierten Informationsmarkt sei, stellt Wissenschaftler Müller fest, „allen Siegeln denselben Wert zuzuschreiben oder sie als so genanntes Greenwashing abzulehnen".
Noch läuft die Auswertung der gesammelten Daten. Erste Zwischenergebnisse deuten an, dass die allermeisten Label über ein vorhandenes BGM in den Betrieben nichts oder nur wenig aussagen. Beim Abgleich der Label mit dem GESIOP-Tool fand Müller lediglich einige mit Anpassungspotenzial. Das dickste Manko dabei ist, dass alle etablierten Siegel meist keinerlei Hinweise zu Kooperationen in der Gesundheitsförderung treffen. Ein Über-den-Tellerrand-Blicken scheint in der Wirtschaft (noch) eher nicht Usus zu sein. Unternehmen kümmern sich nicht oder selten darum, dass auch die Mitarbeiter ihrer Zulieferer gesunde Arbeitsbedingungen vorfinden.
Dennoch macht Sebastian Müller Mut, dass er während der Arbeit an der Studie zum zurzeit eher stiefmütterlich behandelten Thema BGM in der Praxis dann doch auch auf Vorzeige-Beispiele in Unternehmen gestoßen ist. Sie reichen von vertraglichen Vereinbarungen mit Partnerfirmen zur Zusammenarbeit bei der Gesundheitsförderung, bis zur Integration der Mitarbeiter von Zuliefer- oder Leiharbeiterfirmen in bestehende Gesundheitsprogramme. Das lässt die Experten hoffen, dass BGM einen höheren Stellenwert in Unternehmen gewinnt.
Weitere Informationen zum Thema:
Gerd Pfitzenmaier, Nachhaltigkeits-Journalist seit über 30 Jahren (u. a. NATUR, natur&kosmos, globalmagazin), Verbraucherschützer, Buchautor, hat für die VERBRAUCHER INITIATIVE e. V. u. a. die Öffentlichkeitsarbeit des Forschungsprojekts GESIOP betreut.
Kontakt: Gerd Pfitzenmaier, Die VERBRAUCHER INITIATIVE e.V. (Bundesverband)
Wirtschaft | Führung & Personal, 21.01.2020
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