Wer wird Klassenbester?

Microsoft will ein Ausrufezeichen im globalen Wettbewerb der Unternehmen um Klimaneutralität setzen

Nicht nur die laufenden Emissionen, sondern alle seit Gründung der Firma sollen als Umweltbelastung entfernt werden. Das ist mal eine Ansage…

Das Unternehmen Microsoft will bis 2030 negative CO2-Emissionen erreichen. © efes, PixabayDas Unternehmen Microsoft will bis 2030 negative CO2-Emissionen erreichen. © efes, Pixabay
Die internationale Nachhaltigkeitsdiskussion hat den Klimaschutz seit geraumer Zeit zum Thema Nr. 1 deklariert. Jahrelang haben IPCC-Berichte zwar zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und des Unternehmenssektors dem Klimaschutz gegenüber geführt. Aber erst seitdem „Fridays for Future" und seine vielen BündnispartnerInnen auf der internationalen Bühne aufgetreten sind, hat das Thema richtig Fahrt aufgenommen.
 
Keine neuen Fakten zur globalen Erwärmung haben so stark gewirkt wie die Wahrnehmung von fff als ernstzunehmendem „political change agent", als Agendasetter im Prozess des Klimawandels und der dabei fundamental wichtigen Rolle der Unternehmen. Bisher ließ es sich komfortabel hinter dem Argument einrichten, erst einmal müsse die Politik die Rahmenbedingungen definieren, bevor Unternehmen proaktiv und über das Maß der gesetzlichen Anforderungen hinaus in der Vermeidung und Reduzierung ihrer Treibhausgas-Emissionen tätig werden müssen.
 
Genug ist nicht genug
Hinter der vom Greenhouse Gas Protocol abgeleiteten und international generell akzeptierten Vorgehensweise: vermeiden – reduzieren – kompensieren, versammeln sich ein Großteil der Unternehmen, die Klimaschutzprogramme veröffentlichen. Dabei ist Klimaneutralität immer dann erreicht, wenn am Ende des Prozesses eine ausgeglichene Klimabilanz ausgewiesen wird – unabhängig davon, wie hoch der jeweilige Anteil am Vermeiden, am Reduzieren oder Kompensieren ist. Auch eine hundertprozentige Kompensationsleistung der ermittelten Treibhausgas-Emissionen würde zu „Klimaneutralität" des Unternehmens führen, ohne dass irgendein Engagement zur Vermeidung oder Reduzierung nachzuweisen wäre. Greenwashing also, das Greta Thunberg Anfang Januar in einem Tweet als „Kompensations-Bluff"  anprangert. Die CO2-Ausgleichswirtschaft verursache „mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Schaden als Nutzen". Eine Position übrigens, die vom größten deutschen Kompensationsanbieter „atmosfair" geteilt wird. Umgekehrt gilt aber auch: Je größer der Anteil an vermiedenen oder reduzierten Emissionen an einer Treibhausgas-Bilanz ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine seriöse, wirklich an den Ursachen der Emissionen ansetzende Klimastrategie des jeweiligen Unternehmens handelt.

Was aber, wenn ein Unternehmen als Ziel nicht nur Klimaneutralität deklariert, sondern sogar „CO2-negativ" sein will? Bisher war in der Diskussion das anspruchsvollere Ziel nach „Klimaneutralität" noch das der „Netto-Null-Emission", also der unter anderem auch im „Green Deal" der EU formulierte Anspruch, Treibhausgas-Emissionen auf null herunterzufahren. Keine Emissionen mehr aus der Energieerzeugung, keine aus der Landwirtschaft, dem Verkehr oder Gebäuden, die nicht vollumfänglich durch natürliche Treibhaussenken (Wälder, Moore etc.) aufgenommen werden können. Hinter den Kulissen und durchaus auch auf offener Bühne werden Unternehmen im Klimaschutz immer aktiver und treten mit teilweise höchst ambitionierten Klimaprogrammen an die Öffentlichkeit und in den Wettstreit, die Besten zu sein.
 
Besser als alle anderen
Brad Smith © MicrosoftBrad Smith © Microsoft
Bisheriger Höhepunkt ist der Mitte Januar von Brad Smith, dem Präsidenten von Microsoft, vorgestellte Klimaplan, mit dem das Unternehmen anscheinend weit über das hinausgehen will, was bisher State of the Art in der Treibhausgas-Reduzierung von Unternehmen war.

„Klimaneutralität ist für uns nicht genug," teilte Smith in einer der für Microsoft typischen Stageshows  den erstaunten MitarbeiterInnen mit . Bis zum Jahr 2030 will Microsoft mehr Treibhausgase aus der Atmosphäre holen als es emittiert und bis 2050 sogar alle Emissionen, die es direkt und indirekt seit seiner Gründung 1975 erzeugt hat.

Interessant wird diese Aussage dann insbesondere, wenn man sich die Gesamt-Emissionen von Microsoft in Höhe von 16 Mio. Tonnen Co2-Äquivalenten (CO2eq)  etwas näher anschaut. Nur ca. 100.000 Tonnen CO2eq  sind direkte Emissionen (Scope 1), 4 Mio Tonnen sind indirekte Emissionen (Scope 2), aber 12 Mio Tonnen oder ¾ aller Emissionen kommen aus der vor- und nachgelagerten Lieferkette (Scope 3), also von allen Zulieferungen bis hin zu den von den Kunden, die Microsoft-Produkte verwenden, generierten Emissionen, besonders durch Stromverbrauch.

Hier wird die Ankündigung wirklich spektakulär, denn in einem Dreischritt will Microsoft alle 3 Emissionskategorien zunächst bis 2025 klimaneutral und bis 2030 in einen „Netto Negativ"-Zustand gebracht haben, das heißt, es werden ab 2030 jährlich der Atmosphäre mehr CO2eq entnommen, als emittiert werden. Bis 2050 soll dieser Prozess darüber hinaus alle jemals emittierten CO2eq bis in das Gründungsjahr 1975 zurück in ein Netto Negativ gewandelt haben. Also auch alle Emissionen, die wir als Kunden von MS-Produkten weltweit seit 1975 generiert haben. „Climate Clarity", Klima-Wahrheit, nennt MS diesen Plan. Es ist ein großer Wurf und er setzt einen globalen Benchmark. Gestern noch als ambitioniert wahrgenommene Klimaprogramme internationaler Großkonzerne wirken, gemessen am neuen MS-Standard,  jetzt äußerst bescheiden.
 
Wenn Facebook seine Emissionen in diesem Jahr um 75 Prozent reduzieren will und komplett auf Ökostrom umsteigt; wenn DHL bis 2025 seine CO2-Effizienz um 50 Prozent verbessern will und 70 seiner Kurzstreckenlieferungen über Fahrräder oder Elektrofahrzeuge abdecken will, ist dies im Vergleich zu dem neuen MS-Standard überaus bescheiden – um nicht zu sagen: puppenstubenhaft klein. Natürlich muss auch die problematische Seite des Microsoft Vorstoßes betrachtet werden. Microsoft gesteht ein, dass dieser Plan nicht nur mit gigantischen Neu- und Wiederaufforstungsprogrammen, Kohlenstoffbindung in Wäldern und Mooren zu erreichen ist, sondern auch (und insbesondere?) durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung in Böden sowie direkte CO2-Gewinnung aus der Luft. Viele dieser Verfahren bergen enorme Umweltrisiken in sich und sind noch nicht hinreichend erforscht. Aber selbst die vorhandenen Techniklösungen würden nicht annähernd ausreichen. Microsoft kündigt im Rahmen seines Klimaplans einen Investitionsfond zur Erforschung neuer, unproblematischer Technologien zur CO2-Neutralisierung an und stattet ihn für die nächsten 4 Jahre mit 1 Mrd. US-Dollar aus. In der Rezeption des Microsoft-Plans durch deutsche Medien spürt man sehr deutlich den Gegensatz des genuin US-amerikanischen Technikoptimismus gegenüber unserer weit verbreiteten Technikskepsis. Eine offene und spannende Situation allemal.
 
„Rund" wird der Microsoft-Klimaplan aber erst durch das angekündigte und versprochene Konzept einer breiten und ernsthaften Beteiligung der Microsoft-Mitarbeitenden und Microsoft-Kunden weltweit. Das Unternehmen geht mit einem weitreichenden Beteiligungsangebot auf seine Belegschaft zu und fordert sie auf, sich mit Ideen, Anregungen, aber auch Kritik in den begonnenen Prozess einzubringen. Eine bedeutende politische Dimension hat der Klimaplan von Microsoft ebenfalls. Man kann den Plan als Fehdehandschuh begreifen, den Microsoft der Trump-Administration in den Ring wirft. Nach dem Motto: Ihr könnt beschließen, was ihr wollt; ihr könnt den Klimawandel leugnen, so lange ihr wollt.
 
Wir lassen uns als Unternehmen nicht davon abbringen, das aus unserer Sicht Richtige und Wichtige zu tun. Zum Wohle und zur Zukunftssicherung unseres Unternehmens.
 
Bernd Schleich ist Mitglied des Gesamtvorstandes des Bundesdeutschen Arbeitskreises für umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) e. V..

Umwelt | Klima, 10.02.2020

     
        
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