Trotz Klimakrise: Bankenfinanzierung für fossile Energieträger wächst weiter
2,7 Billionen US-Dollar für fossile Industrien seit Pariser Klimaabkommen
Während die Klimawissenschaft einen raschen Abzug von Geldern aus fossilen Energieträgern anmahnt, pumpen weltweit führende Banken jährlich steigende Summen in die klimaschädlichen Industrien. Insgesamt 2,7 Billionen US-Dollar haben sie 2.100 führenden Kohle-, Öl- und Gas-Unternehmen in den vier Jahren nach dem Pariser Klimaschutzabkommen zur Verfügung gestellt. Das ist das Ergebnis der Studie „Banking on Climate Change 2020", der diesjährigen Ausgabe der weltweit umfangreichsten Analyse zur Finanzierung fossiler Energieträger durch Banken.
Herausgeber der Studie sind die US-NGOs Rainforest Action Network, Indigenous Environmental Network, Oil Change International und Sierra Club sowie BankTrack (Niederlande) und Reclaim Finance (Frankreich). urgewald hat die Recherche durch seine globale Kohledatenbank Global Coal Exit List maßgeblich unterstützt.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie schreiben die Autor*innen:
„Während wir dies schreiben, steht die dringende Notwendigkeit auf die Pandemie und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen zu reagieren zu Recht im Vordergrund, und das möglicherweise noch für einige Zeit. Der Klimawandel bleibt jedoch eine existenzielle Bedrohung, die ebenso wie das Coronavirus ein beispielloses globales Handeln in Solidarität mit den Schwächsten erfordert. Wir glauben, dass die Daten und Analysen in diesem Bericht nützlich sein werden, um dieser Bedrohung mit der Ernsthaftigkeit zu begegnen, die sie verdient."
Die Studien-Autor*innen haben die Kreditsummen und Investment-Dienstleistungen von 35 global führenden privatwirtschaftlichen Banken aus Kanada, China, Europa, Japan und den USA recherchiert. Darüber hinaus haben sie die Klimaschutzrichtlinien der Banken analysiert. In Deutschland wurden die Deutsche Bank und, erstmals in der Analyse, die Commerzbank untersucht.
Alison Kirsch, Expertin für Klima- und Energiethemen bei Rainforest Action Network, kommentiert: „Unsere Studie zeichnet ein zutiefst beunruhigendes Bild. Sie zeigt, wie stark uns Finanzinstitute in Richtung der Klimakatastrophe treiben. Die Banken scheitern kläglich darin, auf die Dringlichkeit der Klimakrise zu reagieren. Da die Zahl der Todesopfer und die Zerstörung durch beispiellose Überschwemmungen, Dürren, Brände und Stürme wächst, ist es empörend, dass die Banken immer noch Unternehmen finanziell unterstützen, die CO2-Emissionen besonders stark erhöhen wollen."
Mit Blick auf Europa ergänzt Katrin Ganswindt, Energie-Campaignerin bei urgewald: „Wollen wir das 1,5-Grad-Ziel von Paris noch erreichen, müssen wir in Europa bis 2030 aus Kohle aussteigen. Damit das gelingt, müssen nicht nur Stromkonzerne, sondern auch die Banken in den nächsten 10 Jahren ihre Kohlegeschäfte beenden. Nur das ist glaubwürdiger Klimaschutz. Die aktuellen Zahlen zeigen, selbst die Vorreiter in Europa sind noch nicht auf Kurs."
Wichtige Ergebnisse international:
Der Trend der langsam zurückgehenden Finanzierung für Kohle wird durch ein Wachstum der Finanzierung für die Öl- und Gasindustrie leider mehr als ausgeglichen. Das erklärt das jährliche Wachstum der Beträge:
- 2016: 640 Mrd. US-Dollar
- 2017: 674 Mrd. US-Dollar
- 2018: 700 Mrd. US-Dollar
- 2019: 736 Mrd. US-Dollar
Seit dem Klimaabkommen von Paris haben die untersuchten Banken 975 Milliarden US-Dollar an 100 Unternehmen vergeben, die ihre Geschäfte mit fossilen Energieträgern besonders aggressiv expandieren wollen – womit sie direkt das Ziel der Weltgemeinschaft torpedieren, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die für diese Firmen bereitgestellten Gelder haben zudem zwischen 2018 und 2019 um 40 Prozent zugenommen.
Die US-Bank JPMorgan Chase ist abermals und mit großem Abstand der weltweit größte Geldgeber für fossile Energieträger. Insgesamt hat die Bank im Untersuchungszeitrum 269 Milliarden US-Dollar in die fossilen Sektoren gepumpt und ihre Finanzierung für die expandierenden fossilen Unternehmen zwischen 2018 und 2019 um mehr als 15 Prozent erhöht. Auf JPMorgan Chase folgen US-Banken Wells Fargo, Citi und Bank of America als nächstgrößte Geldgeber. Der wichtigste europäische Geldgeber für den gesamten Untersuchungszeitraum ist Barclays aus Großbritannien, während BNP Paribas aus Frankreich – entgegen der eigenen Klimaschutzversprechen – im letzten Untersuchungsjahr 2019 die meisten Gelder für die fossilen Sektoren vergeben hat.
Was hoffen lässt: Die Finanzindustrie hat zuletzt immer stärker auf öffentlichen Druck reagiert und neue Einschränkungen für fossile Geschäfte eingeführt, vor allem für Kohlefirmen und ihre Projekte. Es gibt einen klaren Trend unter den Banken erstmals eingeführte Klimaschutzrichtlinien im Laufe der Zeit zu verschärfen. Oft beginnen die Banken mit der Einschränkung ihrer Finanzierung im Kohlebereich, um später auch Einschränkungen für Öl und Gas einzuführen.
- 26 der Banken haben ihre Kohlefinanzierung zum Teil reduziert.
- 16 der Banken haben ihre Öl- und Gasfinanzierung zum Teil reduziert.
Allerdings: Die Tatsache, dass die 35 untersuchten Banken zuletzt erneut mehr Geld für die fossilen Industrien insgesamt bereitgestellt haben, zeigt die großen Lücken in ihren bisherigen Richtlinien:
- Keine der Banken hat ihr Geschäft bisher auf das 1,5-Grad-Ziel von Paris ausgerichtet – das gilt auch für diejenigen mit vergleichsweise starken Klimaschutzrichtlinien wie etwa Crédit Agricole aus Frankreich als bestbenotete Bank.
- Auch die neuen Richtlinien der US-Banken Goldman Sachs und JPMorgan Chase von Dezember 2019 beziehungsweise Februar 2020 sind lediglich kleine Fortschritte und haben massive Lücken, vor allem, da sie nur die Finanzierung für Kohleprojekte und einige Kohlebergbaufirmen reduzieren.
Die neue Richtlinie der Royal Bank of Scotland (RBS) vom Februar dieses Jahres hat das Potenzial zum neuen Goldstandard der Klimaschutzrichtlinien im Finanzsystem zu werden. RBS kündigte an, die Klimaauswirkungen ihrer Finanzierungen bis 2030 mindestens zu halbieren und die Finanzierung für große Öl- und Gasunternehmen unter bestimmten Umständen zu beenden. Entscheidend wird sein, ob RBS auch eine geplante Expansion fossiler Geschäfte bei ihren Kunden mit dem Abzug von Geldern sanktioniert.
Ergebnisse für die Deutsche Bank:
Die Deutsche Bank hat ihre fossile Finanzierung in den vergangenen vier Jahren permanent reduziert und fast halbiert, von 21,8 Mrd. US-Dollar im Jahr 2016 auf 11,9 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019. Unter anderem in den Bereichen LNG und Kohlekraftwerksbetreiber hat die Deutsche Bank ihre Gelder deutlich zurückgefahren. Mit einer Gesamtsumme von 68,9 Mrd. US-Dollar über die letzten vier Jahre liegt sie im internationalen Vergleich auf Rang 19 der größten fossilen Geldgeber.
Sie gehört allerdings weiter zu den führenden Geldgebern für Öl- und Gas-Förderung in der Arktis – einem besonders umweltschädlichen Geschäft der fossilen Industrien. Zwischen 2018 und 2019 stieg ihre Geldvergabe für Unternehmen in diesem Feld sogar deutlich an auf 239 Mio. US-Dollar in 2019. Nach JPMorgan Chase und Citi liegt sie mit insgesamt 1,4 Mrd. US-Dollar auf Rang drei der wichtigsten Banken für diese zerstörerischen Geschäfte. Auch im Bereich Kohle-Bergbau gehört die Deutsche Bank mit insgesamt 1,7 Mrd. US-Dollar nach wie vor zu den führenden Geldgebern weltweit und liegt auf Rang sieben. Bei der Finanzierung für die Bereiche Fracking (6,7 Mrd.) sowie Offshore-Öl- und Gas (5,3 Mrd.) liegt sie international im Mittelfeld auf Rang 14 bzw. 15.
Die Deutsche Bank finanziert außerdem weiterhin, wenn auch mit zuletzt deutlich gesunkenen Summen, Unternehmen, die fossile Projekte aggressiv expandieren wollen, allein mit 3,3 Mrd. US-Dollar in 2019.
Insgesamt erreicht die Bank nur 13 von 200 möglichen Punkten für ihre Klimaschutzrichtlinien. Zum Vergleich: Die französische Konkurrentin Crédit Agricole erhält 82 Punkte.
Katrin Ganswindt von urgewald kommentiert: „Es ist erfreulich, dass die Deutsche Bank ihr Geschäfte mit der fossilen Energiewirtschaft verringert hat. Sie bleibt aber fünftgrößte fossile Bank in Europa. Noch immer schließt sie im Kohlebereich nur die Finanzierung konkreter Projekte aus, nicht aber die Finanzierung der verantwortlichen Unternehmen. So finden sich selbst umstrittene Kohleriesen wie die indische Adani-Gruppe, der Skandalkunde von Siemens, unter den Kunden der Deutschen Bank."
Ergebnisse für die Commerzbank:
Die Commerzbank vergibt unter den 35 untersuchten Banken am wenigsten fossile Gelder, hat ihre Finanzierung im Untersuchungszeitraum jedoch mehr als verdreifacht, von 1,1 Mrd. US-Dollar im Jahr 2016 auf 3,8 Mrd. im Jahr 2019.
Ihre Finanzierung für stark expandierende fossile Unternehmen hat die Commerzbank, wenn auch auf niedrigem Niveau, Jahr für Jahr deutlich erhöht, von 300 Mio. US-Dollar in 2016 auf 1,4 Mrd. US-Dollar in 2019. Ähnlich sieht das Bild aus bei ihrem Engagement für Unternehmen, die Öl- und Gasförderung in der Arktis betreiben sowie für die Fracking-Industrie. Hier unterstützte sie 2019 mit 347 Mio. (Öl/Gas Arktis) bzw. 375 Mio. US-Dollar (Fracking). Bei der Finanzierung von Kohle-Bergbau liegt sie international auf Rang 12 mit insgesamt 713 Mio. US-Dollar.
Für ihre Klimaschutzrichtlinien erhält die Commerzbank 26,5 von 200 Punkten und gehört damit zu den zehn bestbewerteten Banken – von denen alle aber weiterhin viel Luft nach oben haben.
Ganswindt sagt: „Die Commerzbank hat einen soliden Start mit ihrer Kohlerichtlinie von 2016 hingelegt. Für deutsche Firmen gilt ein Schwellenwert von 30% Kohle bei der Stromproduktion. Für Bestandskunden, wie Deutschlands wichtigste Kohlefirmen RWE und Uniper, gibt es aber eine Übergangsfrist bis 2021. Einen Fahrplan, wie sie den Kohleanteil bis 2030 gegen Null sinken lässt, fehlt der Commerzbank bisher. Deutsche und Commerzbank haben neben der Credit Suisse die schlechtesten Kohlerichtlinien aller europäischen Großbanken. Mehr Ernsthaftigkeit beim Kampf gegen die Klimakrise wäre gerade bei den deutschen Banken dringend nötig."
Die Studie finden Sie auf der Website.
Lifestyle | Geld & Investment, 18.03.2020
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