Auf dem Weg vom Flickenteppich zu größeren zusammenhängenden Räumen
SAN arbeitet an einer global einsetzbaren Blaupause für nachhaltige Landschaften
Das Sustainable Agriculture Network (SAN – Netzwerk für Nachhaltige Landwirtschaft) mit operativem Sitz in San José, Costa Rica, arbeitet derzeit an der Entwicklung einer Blaupause für nachhaltig bewirtschaftete Landschaften.
Finanziert wird das Vorhaben vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Unterstützer ist der ISEAL Innovationsfonds. Ziel ist es, eine allgemein gültige konzeptionelle Mustervorlage zu erschaffen, die von lokalen Regierungen, örtlichen Verwaltungen und Gemeinden sowie Betrieben und Organisationen aller Art auf eine Vielzahl unterschiedlicher landschaftlicher Räume weltweit angewendet werden kann. Dabei soll nachhaltige Entwicklung nicht mehr auf einen Flickenteppich einzelner, punktuell relevanter Farmen, Erzeugergemeinschaften oder Plantagen fokussiert werden, sondern vom Start weg auf einen definierten landwirtschaftlichen Raum gewisser Größe. Alle wirtschaftlichen Aktivitäten in solch einem Raum sollen erfasst, Herausforderungen für nachhaltige Entwicklung benannt und die vor Ort wirkenden Parteien gehört werden. Die Kernidee ist, dass die örtlich handelnden Akteure gemeinsam Lösungen entwerfen und in gemeinschaftlicher Verantwortung umsetzen. Die Blaupause wird eine Toolbox einschließen, die auf mehreren Ebenen Prozessbeschreibungen, Verfahrensanweisungen und Handlungsempfehlungen ebenso bereithält wie Formulare, Checklisten, Zusammenstellungen von Indikatoren und zahlreiche technische Hilfsmittel.
Von unten nach oben: Gemeinden und Bauern vor Ort entscheiden
Das SAN und sein Netzwerkmitglied Fundación Natura, Bogotá (Kolumbien), haben sich daher mit weiteren Partnern zusammengetan: dem Bananenerzeugerverband Kolumbiens AUGURA und dem deutschen eco.business Fund, der von der Investment Management-Gesellschaft „Finance in Motion", Frankfurt am Main, beraten wird. Als Pilotregion wählten die SAN-Experten den Verwaltungsbezirk der Gemeinde Zona Bananera in der Provinz Magdalena, Kolumbien. Das rund 45.000 Hektar große Gebiet liegt im Norden zwischen den höchsten Bergen des Landes (dem Nationalpark „Sierra Nevada de Santa Marta") und einem besonders schützenswerten Schwemm- und Feuchtgebiet an der Karibikküste. Es zeichnet sich aus durch hohe Artenvielfalt und ist vor allem geprägt von landwirtschaftlicher Tätigkeit und eher kleinbäuerlichen Strukturen. Hauptsächlich werden Bananen und Ölpalmen sowie Reis angebaut. Rinderhaltung ist ein weiterer Schwerpunkt. Die Initiative ist daher sektorübergreifend angelegt. Als besondere Herausforderung gelten der fortschreitende Klimawandel mit extremen Wetterphänomenen, große Sorgen um den Erhalt der Wasserressourcen und die Ausbreitung von Schädlingsbefall und Erkrankungen wie TR4 im Bananenanbau.
Derzeit laufen Stakeholder-Konsultationen vor Ort und international, in die sowohl Akteure aus dem Agrarsektor wie aus landwirtschaftsfernen Bereichen eingebunden sind. Zentral ist, dass die Mustervorlage nicht vor Entwicklungsexperten im reichen Norden vorgegeben wird, sondern dass sich die von der Blaupause profitierenden Gemeinden und Akteure im Süden über Struktur und Inhalt, Prozesse und Werkzeuge verständigen – ein sogenannter Bottom-up-Prozess also.
Test- und Analyseverfahren sowie Satellitenbilder für mehr Gewissheit
Darüber hinaus wird die Mustervorlage auch im Rahmen von Feldtests auf ihre Praktikabilität überprüft werden. Mehr als 150 Indikatoren haben die SAN-Autoren für die Blaupause im Dialog mit den kolumbianischen Stakeholdern als grundsätzlich relevant identifiziert. Nun geht es darum, das Konzept auf einen realistischen Umsetzungskatalog mit überprüfbaren Kennziffern und -fakten zu verschlanken und mit den Bedürfnissen von Einwohnern vor Ort und internationalen Abnehmern in Einklang zu bringen. Um den Erfolg nachhaltigerer Landwirtschaftspraktiken im Verbund mit Naturerhalt- und Naturschutzmaßnahmen belegen sowie den jeweiligen Zustand der Landschaft realistisch beschreiben zu können, findet ein strukturierter sozialer Dialog mit Erzeugern und anderen lokalen Einwohnergruppen statt. Agrar- und Umweltschutzexperten besuchen überdies eine repräsentative Stichprobe von Farmen, um sich jeweils ein Überblick über den Status quo der Aktivitäten zu verschaffen. Die dort gesammelten Erkenntnisse werden mit Analysen und Interpretationen von Satellitenbildern kombiniert, so dass die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht wird. Als Teil der Initiative wird auch die Qualität von kostenfreien Google-Aufnahmen im Vergleich mit kostenpflichten Airbus-Aufnahmen überprüft und beurteilt. Wo reichen zur finanziellen Entlastung der Gemeinden vor Ort kostenfreie Satellitenaufnahmen aus? Für welche Fragestellungen müssen qualitativ höherwertige, aber kostenintensive Satellitenaufnahmen anderer Anbieter herangezogen werden?
Die Blaupause soll letztlich auf andere Räume und gemischte Kultur- und Naturlandschaften rund um den Globus anwendbar sein und langfristige Verbesserungen der Nachhaltigkeit in größeren zusammenhängenden Landschaftsräumen einer Region vorantreiben. Sie wird die
bestehenden Ansätze von Standardsystemen ergänzen, Risikoinstrumente für den Finanzsektor und Agrar-Unternehmen sowie Regierungen bereitstellen und die von den lokalen Interessengruppen vereinbarten vorrangigen Nachhaltigkeitsthemen und -ergebnisse widerspiegeln. Das Endprodukt soll zu einem führenden Mess- und Überwachungsmodell für die Nachhaltigkeit von Landschaften werden. Es wird verschiedene Ebenen und Stränge von Informationsströmen zuverlässig integrieren, einschließlich standard- und standortspezifischer Hot-Spots-Themen, die für die Nutzung und Anpassung an andere Landschaften und Landnutzungen eingebracht werden können. Zusätzliche Instrumente sollen den Nutzern helfen, Lücken und Risiken auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu erkennen und tatsächliche Bedarfe von Produzenten und Landnutzern zu bedienen, um letztlich nachhaltigere Landschaftsräume zu gestalten.
Mehr Solidarität mit Kleinerzeugern
Es sind vor allem Kleinbauern und ihre Familien, die im ländlichen Raum der Tropen und Subtropen Lebensmittel erzeugen und Dienste erbringen, die für das Erfüllen der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Weltgemeinschaft unverzichtbar sind. Aber die kleinbäuerlichen Strukturen leiden unter einer Vielzahl von Problemen, darunter der negativen demographischen Entwicklung (die Landbevölkerung überaltert) und der Migration (vor allem junge Menschen zieht es in die Städte). Kleinbauern sind dem fortschreitenden Klimawandel fast immer schutzlos ausgeliefert. Sie treffen zudem auf hoch volatile, Börsen gesteuerte Märkte bei steigenden Kosten für Hilfsmittel aller Art. Um überfordernd hohe Kosten zu senken, greifen Bauern häufig zu weniger verantwortungsvollen landwirtschaftlichen Praktiken, auch um zumindest kurzfristig die Ernteerträge zu steigern und so ihr Einkommen wenigstens stabil zu halten. Auch versuchen Farmer unter dem Druck der globalisierten Märkte, von denen auch sie als Landwirte immer öfter abhängig sind, auf fruchtbarere Flächen auszuweichen oder ihre Nutzfläche deutlich zu erweitern. Dabei machen sie vor schützenswerten Ökosystemen nicht halt und treiben die Entwaldung von Primär- und ebenso wertvollen Sekundärwäldern voran. Das erzeugt einen Teufelskreis: Die Abholzung geht einher mit einem zunehmenden Ausstoß an Treibhausgasen, der wiederum den Klimawandel beschleunigt.
Nicht nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken im ruralen Raum der Tropen und Subtropen schaden nicht nur den Flächen an sich und sind Beschleuniger der Vernichtung von Naturraum, sondern sie schaden den ökonomischen und sozialen Systemen der ländlichen Gemeinden insgesamt und schwächen so die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit aller Familien vor Ort. „Das SAN hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, notwendiges Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit und für den Schutz von Ökosystemen sowie den Erhalt der Artenvielfalt vor allem auf Kleinerzeuger-Strukturen zu konzentrieren", sagt Oliver Bach, Technical Manager beim SAN in Costa Rica. „Verbraucher in Europa müssen endlich anerkennen, dass sie Bananen oder Ananas nicht mehr für aller-niedrigste Centbeträge kaufen sollten. Tropische Waren sind aufwändig zu erzeugen und haben lange Transportwege zurückzulegen. Die scheinbar bodenlosen Preisschlachten müssen endlich ein Ende haben – selbst in so dramatischen Krisenzeiten wie jetzt", so der aus Deutschland stammende Spezialist für tropische Landwirtschaft.
Über das SAN
Das SAN (Sustainable Agriculture Network) ist ein globales Netzwerk aus regional und international tätigen NGOs. Unsere Vision ist eine Welt, in der Landwirtschaft zum Erhalt der Artenvielfalt und zu nachhaltigen Lebensbedingungen beiträgt. Wir unterstützen Erzeuger im Ursprung und Unternehmen entlang der Lieferkette dabei, ihre jeweiligen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und zwar so praxisnah, effizient und effektiv wie möglich. Die profunden Kenntnisse und die feste Verankerung unserer Mitgliederorganisationen im jeweiligen Land ermöglichen es uns, lokale adäquate Lösungsansätze zu konzipieren und umzusetzen. Dabei konzentrieren wir uns auf Lösungen abseits der Zertifizierung.
Mehr Informationen unter www.sustainableagriculture.eco.
Kontakt: Sustainable Agriculture Network (SAN) | SAN@relations.de
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