Hilfe gegen den Virus – Hilfe gegen das Fieber
Unternehmen, die jetzt Geld bekommen, sollten sich einem Kodex zur Rettung des Planeten und zu einem neuen, verantwortungsbewussten Wirtschaften verpflichten.
„Was passiert jetzt mit uns Schauspielern, Musikern, Künstlern und Freiberuflern?", fragte meine Frau im März. „Kommt in dieser Krise auch mal die Hilfe bei uns an? Viele von uns befinden sich ohnehin häufig in unsicherer und manchmal prekärer Lage. Wir freien Künstler bangen von Auftritt zu Auftritt. Und neben uns sind es freie Theater, Musikbühnen, Konzertveranstalter, Agenturen, die sich von Auftrag zu Auftrag hangeln. Von ihnen werden einige in Schieflage kommen, Pleite gehen, schließen. Was tun?"
Meine Antwort: Solidargemeinschaften bilden. Ein neuer Zusammenhalt zwischen Künstler und Publikum, zwischen Kunde und Freiberufler. Eine neue Wertschätzung und Solidarität in unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Doch nicht als Worthülse, sondern in konkreter Umsetzung.
Neue Kanäle graben
Auf alle Fälle dürfen die Hilfsmaßnahmen nicht wieder im üblichen Modus ausgeschüttet werden, so wie damals die Abwrackprämie für Autos, die in jeder Beziehung das falsche Signal gesetzt hat. Denn in der Krise hat der Staat gezahlt - nur kurz danach schoben die Aktionäre der Autoindustrie wieder fette Prämien ein. Der Innovationseffekt: gleich null. Der Lerneffekt: gleich null. Statt Innovationsgeist und der Entwicklung neuer Konzepte – etwa der E-Mobilität, wurde Besitzstand gewahrt und Geld umverteilt – zu Lasten der Gemeinschaft.
Und als die Gewinne wieder sprudelten, forderte die Industrie trotzdem Subventionen, um zum Beispiel den „schweren Umstieg" auf den E-Antrieb zu schultern. Ähnlich war es bei der Bankenrettung: Missmanagement und Verluste sozialisieren - Gewinne einstreichen. Wem ist dies zu verdanken: einem verfilzten Geflecht an Lobbymachenschaften, die nicht nur die beiden genannten Branchen in fast perfider Weise aufgebaut haben und die dem Mittelstand, nachhaltig agierenden Unternehmen oder den Freiberuflern einfach fehlt. Sie sind ja nicht systemrelevant. Oder doch?
Jetzt NEUE Wege gehen
Bieten Klimawandel und die Corona-Krise endlich eine Möglichkeit, unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in eine nachhaltige Richtung zu beeinflussen? Mit den von der Regierung versprochenen Unterstützungsgeldern für in Schwierigkeiten geratene Unternehmen und Branchen könnten doch sinnvolle Regeln bzw. Bedingungen sowie die Förderung neuer Ansätze verknüpft werden? Vielleicht ist Corona ein Weckruf, der viele Menschen und auch wichtige Entscheider wachrüttelt und zum Nachdenken bringt und ihnen klar macht, dass systemische Veränderungen in Richtung Verantwortung und Erreichung der SDG nötig sind. Aus diesem seltsamen Chaos, das so eine enorme Unberechenbarkeit und Verunsicherung auslöst, könnte sich eine bessere Welt entwickeln, wenn die Ansätze, die wir und andere Changemaker schon ausgearbeitet haben, in Politik und Wirtschaft endlich zum Einsatz kommen.
Wirklich mutiges Leadership
Ja es könnte funktionieren. Aber nur wenn diejenigen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, jetzt ihre Stimme erheben und mutig vorangehen. Ihre Lösungsvorschläge so schnell wie möglich unterbreiten und sich politisch dafür einsetzen. Die Lösungen sind da, von Bio-Landwirtschaft bis hin zu regenerativen Energien. Von Shared Mobility bis zu regionalen Wirtschaftskreisläufen. In jeder Branche gibt es Vorbilder und Pioniere, die bereits neue Lösungen geschaffen haben. Sie müssen jetzt bevorzugt werden, sonst geht es nach einer überstürzten Rettungsaktion wieder zum business as usual. Es gibt nicht nur die neuen Verfahren und Produkte, sondern auch alte bewährte und neue Modelle eines verantwortungsbewussten WIrtschaftens. Das sind die B-Corporations und die Unternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie, das sind die GREEN BRANDS und die Mitglieder von B.A.U.M. oder UnternehmensGrün. Das sind die Firmen, die sich dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex oder anderen Zertifizierungen stellen und die konsequent an ihrer Klimaneutralität über alle Stufen arbeiten. Das sind junge Sozialunternehmen, die Sinn vor Profit stellen und ein neues Wirtschaften bereits vormachen. Das sind die Millionen von Unternehmerinnen, die Friedensnobelpreisträger Prof. Muhammad Yunus durch Mikrokredite aus der Armutsfalle befreit hat. Ja, es gibt sie, die Pioniere, und diese verdienen nun mehr denn je eine besondere Wertschätzung, einen besonderen Bonus. Unser neues Magazin präsentiert sie, die Pioniere und die Lösungen.
Unternehmen, die jetzt Geld bekommen, sollten sich einem Kodex zur Rettung des Planeten und zu einem neuen, verantwortungsbewussten Wirtschaften verpflichten. Das wäre ein erster Schritt zu mehr Bewusstsein in der Wirtschaft. Sind Sie bereit?
Die Erde hat Fieber
Wie könnte das gehen? Zum Beispiel durch Vereine, aber auch durch die gute, alte und neu entdeckte Genossenschaft, durch Social Business und Gemeinwohl-Ökonomie. Das bringt neue Konstellationen, neue Verbundenheit, neues Engagement. Warum sollte eine freie Bühne nicht zu einer Genossenschaft werden? Warum sollte ein Unternehmen nicht einer Gemeinschaft von Menschen gehören und zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen?
Die hoffentlich kurzzeitigen Fieberschübe der Corona-Krise werden überlagert von einem Dauerfieber, das langsam aber merklich zunimmt. Der Klimawandel. Eckart v. Hirschhausen beschreibt es drastisch. Unsere Normaltemperatur liegt bei 37 Grad. Ab 39 Grad haben wir schweres Fieber. Ab 40 wird es eng. Wann reagieren wir endlich so beherzt und konsequent auf das Fieber der Erde, dass wir den Temperaturanstieg auf 2 Grad begrenzen können? Mit business as usual werden wir es auf alle Fälle nicht mehr schaffen. Wir haben zwar das Paris-Ziel und die Sustainable Development Goals (SDG), aber zu deren Umsetzung wird nach wie vor zu viel diskutiert und zu wenig realisiert. Die Ziellatte wird von allen fröhlich gerissen…
Wo bleibt die Bettruhe einer überhitzen Raubtierökonomie, wo bleiben die Wadenwickel einer fürsorglichen Bevölkerung? Wo bleiben die entscheidenden Eingriffe zur Beseitigung der Entzündungsherde, wie etwa unseres Geld- und Finanzsystems?
Eckart von Hirschhausen wird uns hier noch weitere Analogien aus der Medizin liefern, um unseren Zustand und mögliche Heilungsansätze zu erkennen.
Er und die Scientists for Future mobilisieren all ihre Expertise, ihre Forschungen und Erkenntnisse, um dabei zu helfen, neue Lösungen schneller zu präsentieren. Wir helfen dabei, diese Möglichkeiten bekannt zu machen und präsentieren sie ab jetzt in unserem Magazin.
Haben auch Sie Lösungen, Produkte, Verfahren oder ein Start-up, das sich der Lösung gesellschaftlicher Probleme widmet? Dann helfen wir gerne, dieses in Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft bekannt zu machen.
Anregungen, Fragen, Vorschläge bitte an Fritz Lietsch, Chefredaktion forum Nachhaltig Wirtschaften
Bitte rufen Sie mich bei Fragen gerne an: 0171 2118884 | f.lietsch@forum-csr.net
Wirtschaft | Verantwortung jetzt!, 15.04.2020
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