Star Trek und was wir dringend aus der Corona-Krise lernen sollten
Diese wesentlichen Punkte werden in der "Welt danach" relevant sein!
In diesem Artikel werden die wichtigsten Einflussfaktoren der Corona-Krise, alternative Handlungsoptionen und neue Lösungsansätze thematisiert. Und: Wo schließt sich der Kreis zu Star Trek in diesem Zusammenhang? In 15 Minuten Lesezeit erhalten Sie Gedankenimpulse zur langfristigen Zukunft, abseits des üblichen Management-Blablas.
Viele Autoren haben in den vergangenen Tagen Szenarien verfasst, die ein Bild davon zeichnen, wie unsere Welt aussehen wird, wenn diese große Krise einmal vorbei ist. Manche sind optimistisch und manche zeichnen ein düsteres Bild. Wahrsagerei ist ein unseriöses Geschäft und nur was für „Freunde des kollektiven Beschissenwerdens" (Oliver Kalkofe). Daher möchte ich mich daran nicht beteiligen.
Es ist aber sinnvoll zu verstehen, was aktuell mit uns und unserer weltweiten Gesellschaft passiert und welche schon länger bestehenden Schwächen sichtbar werden.
Wir sprechen oft von „Corona-Krise", jedoch greift dieser Begriff zu kurz. Bestenfalls umfasst dieser den Auslöser, nicht aber die eigentlichen Strukturen dessen, was aktuell passiert und welcher Wandel damit verbunden sein könnte. Ereignisse, die tief in eine Gesellschaft eingreifen, hinterlassen immer Spuren und gewisse Dinge werden nach Bewältigung dieser Krisensituation andere sein. Mit dem jetzigen Fall haben wir ein paar Besonderheiten, die in der Vergangenheit zwar auch vorkamen, aber nicht so offensichtlich waren:
- Es ist global. Wir sprechen hier nicht von einem Ereignis innerhalb eines Landes, einer Union von Staaten oder einem Kontinent. Die Veränderungen treffen alle weltweit.
- Es ist ein natürliches Ereignis. Einige Politiker im Amt, wie etwa Emmanuel Macron oder Donald Trump, bemühen zwar die Analogie zu einem Kriegszustand. Diese ist jedoch völlig deplatziert, denn ein Krieg wird stets von Menschen angezettelt, ein Virus ist dagegen ein normaler Bestandteil des natürlichen Ökosystems.
- Die Ursache ist unsichtbar. Diese Tatsache führt bei einigen Menschen zu großen Ängsten, weil man das Gefühl bekommt, nirgends mehr sicher zu sein. Bei anderen löst es Ignoranz aus. Die auferlegten Maßnahmen, zu Hause zu bleiben und eine „soziale Distanz" (besser wäre der Begriff "räumliche Distanz") zu wahren, wird von vielen nicht ernst genommen oder gar verächtlich gemacht. Beide Verhaltensmuster sind gefährlich.
- Es gibt keine Schuldigen. Besonders Populisten und Rechtsextremisten versuchen immer, anderen für etwas was es gibt (oder auch nicht gibt), die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das ist völliger Schwachsinn und löst bekanntlich kein einziges Problem. Viren haben keine Staatsangehörigkeit und auch keinen Reisepass. Sie scheren sich nicht um Landesgrenzen, Kultur, Identität oder Herkunft eines Menschen. Alle sind gleichermaßen betroffen.
Neue Herausforderungen
Diese Rahmenbedingungen stellen ganz neue Herausforderungen an die weltweite Gesellschaft und die bisher bekannten Ansätze wie zum Beispiel Protektionismus, Strafzölle, monetäre Anreize, werden nicht funktionieren. Manche davon können in einer akuten Situation als Sofortmaßnahme sinnvoll sein, das Problem und die daraus resultierenden Konsequenzen lösen werden sie allerdings nicht.
Ich möchte die aus meiner Sicht wesentlichen Punkte skizzieren, die in der „Welt danach" relevant sind. Diese Aspekte beinhalten große Verbesserungsfelder, damit aus dieser Krise eine bessere Welt hervorgeht. Eine Welt, die in Zukunft mit Krisen, welcher Art auch immer, besser umgehen kann.
Egoismus
Menschen neigen dazu, primär an sich selbst zu denken. Dies ist in einem gewissen Rahmen auch normal, sichert es doch unser Überleben und ist Teil der normalen Instinkte eines jeden Säugetieres. Aber dennoch müssen wir das „Ich" weiter zurückstellen (nicht eliminieren!). Das gilt sowohl für den Egoismus des Individuums als auch einer Gesellschaft in Form eines Nationalstaats. Handeln Menschen primär oder gar ausschließlich in ihrem eigenen Sinne und ignorieren dabei die Belange anderer, mögen sie kurzzeitig einen Vorteil erleben, mittel- bis langfristig wird es ihnen jedoch wieder schaden.
- Wenn Leute trotz einer pandemischen Bedrohung nicht zu Hause bleiben oder gar auf Partys gehen, begünstigen sie die Verbreitung des Erregers, der vielleicht nicht die betreffenden Personen, wohl aber für ältere und geschwächte Menschen gefährlich ist.
- Rast jemand über die Autobahn, weil dieser das fälschlicherweise für Freiheit hält, belastet er die Umwelt in erhöhtem Maß und gefährdet andere.
- Freuen sich wirtschaftsliberale Kleingeister über das Abschmelzen der Polkappen, weil damit Handelswege erleichtert werden, ignorieren sie, dass dies den Lebensraum anderer Menschen auf dem Planeten vernichtet und die ökologischen und damit gesellschaftlichen Konsequenzen auch letztlich sie persönlich treffen werden.
- Versucht ein Donald Trump einen möglichen Impfstoff aus Deutschland mit viel Geld in die USA zu holen, um diesen exklusiv dort zu vertreiben und einzusetzen, mag damit sein krankes Ego glänzen, das Problem bliebe aber außerhalb der USA bestehen und wird damit auch in den USA wieder auftreten.
Gerade bei globalen Krisen ist das schwächste Glied einer Gemeinschaft ausschlaggebend für den weltweiten Erfolg bei der Bewältigung der Krise. Der Microsoft-Gründer Bill Gates hat schon 2015 eine weltweite Pandemie als eine der größten Gefahren für die Spezies Mensch bezeichnet und dabei insbesondere auf die Verwundbarkeit der ganzen Weltbevölkerung in Abhängigkeit des Gesundheitssystems des schwächsten Landes hingewiesen. Gehört wurden diese Warnungen leider nicht – bis heute.
Der primäre Fokus auf das eigene „Ich", egal ob persönlich oder nationalistisch getrieben, hat ein sehr kurzfristiges Handeln als Folge und führt unweigerlich zu Konflikten und erzeugt damit letztlich mehr Probleme.
Wer die eigenen Interessen wirklich wahren möchte, muss diese unweigerlich in die Interessen anderer einbetten.
Globales Denken und Handeln
Die Wirtschaft merkt aktuell, wie sehr sie von international verwobenen Kunden-Lieferanten-Beziehungen abhängt. Menschen sind weltweit mobil, wir wissen viel voneinander und wir können in vielfältiger Art und Weise von einer globalisierten Welt profitieren. Und damit agieren wir alle in unserem Alltag global. Die sozialen Netzwerke, Angebote für Waren und Dienstleistungen, Nachrichten und vieles mehr interagieren weltweit. In der Welt von heute haben nationale Strukturen ihre Bedeutung in weiten Teilen verloren und sind bestenfalls ein Relikt der Vergangenheit und Anker für Menschen mit Angst vor Veränderungen. Diese Erkenntnis mag ein Albtraum für Nationalisten sein, jedoch wäre es fahrlässig, von etwas anderem auszugehen. Diejenigen, die in der aktuellen Krise ihr Heil in der Abschottung suchen, werden damit scheitern. Globale Krisen kennen keine Grenzen und halten sich nicht an diese.
Diejenigen, die schon immer in der Globalisierung eine Bedrohung gesehen haben, mögen sich vielleicht derzeit bestätigt fühlen. Doch das ist aufgrund der genannten Ursachen ein gefährlicher Trugschluss. Globalisierung ist in vielen Punkten richtig und gut für die weltweite Gesellschaft, und zwar unter folgenden Voraussetzungen:
- Weltweit voneinander in multikulturellen Gesellschaften zu lernen, denn Monokulturen entwickeln sich nicht weiter, im Gegenteil.
- Globale Probleme werden global gelöst.
- Kaskadierte Versorgungs- und Lieferketten beginnend von lokalen Kunden-Lieferanten-Verhältnissen für die Mehrheit der Bedürfnisse und weiter gehend zu globalen Kunden-Lieferanten-Verhältnissen im Fall von exotischen und speziellen Produkten und Dienstleistungen.
- Eine innere Haltung gemäß der Devise "Global denken, lokal handeln".
Globalisierung ist hingegen nicht gut, wenn Dinge passieren, die in der Vergangenheit bis jetzt oft vorkamen und damit viele soziale Verwerfungen erzeugt haben:
- Kostengetriebene Verlagerung in sogenannte Niedriglohnstandorte um Profit zu maximieren.
- Ausbeutung anderer Länder auf Basis der dort häufig laxeren Arbeitsbedingungen.
- Missachtung von Umweltstandards durch Verlagerung von Wertschöpfung in Entwicklungsländer mit niedrigeren Umweltstandards und daraus resultierende Zerstörung des dortigen Lebensraums.
- Subventionen und Strafzölle zur Profilierung eigener Waren und Dienstleistungen, welche wiederum andere lokale Binnenmärkte schwächen. Dies passiert häufig in afrikanischen Entwicklungsländern.
Die aktuelle Krise zeigt uns, wie volatil wir aufgrund unserer global aufgestellten Strukturen sind. Diese Strukturen müssen neu gedacht werden. Es bedarf für eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen mit Local-For-Local Strategien eingebettet in einem globalen Netzwerk.
Die Local-For-Local Ausrichtung hätte nicht nur positive Folgen für die lokale Wirtschaft, sondern würde durch weniger Transport- und Reiseaufwand auch die Ökobilanz erheblich verbessern.
Einige werden jetzt annehmen, dass die Produkte und Dienstleistungen dann teurer würden. Dies muss aber bezweifelt werden, weil die wahren Kosten dieses kurzfristig kostengetriebenen Handelns nicht kalkulierbar sind. Der wahre Aufwand, den man nicht erfassen kann, weil dieser in Form einer „versteckten Fabrik" erfolgt (z.B. Feuerlöschmaßnahmen durch Unsicherheiten in den Lieferketten) bleibt im Dunklen. Und sollte etwas tatsächlich teurer werden, muss nicht automatisch der Preis steigen, der Gewinn kann auch mal kleiner ausfallen. Unternehmen müssen sicher profitabel sein, aber sie müssen nicht gierig sein. Dieses Umdenken hat massive Veränderungen des politischen und wirtschaftlichen Systems zur Folge.
Sinn und Zweck der Wirtschaft
Die Wirtschaft erscheint häufig als ein Selbstzweck zur Vermehrung von Kapital für einige ganz wenige wenige auf Kosten vieler. Insbesondere der Finanzsektor ist in den vergangenen Jahren hier sehr negativ aufgefallen. Dieser Aspekt wird immer dann besonders problematisch, wenn die Vermehrung von Kapital sowohl das einzige Mittel als auch der einzige Geschäftszweck einer Organisation ist. Worin liegt dann die Existenzberechtigung eines solchen Unternehmens?
Die Wirtschaft bildet seit jeher die Grundlage dafür, dass wir in einem gewissen Wohlstand leben können. Dieser Wohlstand kommt aber nur bei ganz wenigen auf der Welt an. Der Reichtum einiger weniger fußt auf der Armut von sehr vielen. Auch die Klimakatastrophe, bei der viele in unserer von Überfluss geprägten Gesellschaft glauben, sie hätten dafür keinerlei Verantwortung, wird häufig von denen ausgebadet, die diese am wenigsten verursachen.
Wir müssen uns mehr bewusst machen, welchen Sinn und Zweck die Wirtschaft und die darin agierenden Unternehmen im Kontext einer besseren Gesellschaft haben müssen.
Es wäre vorstellbar, dass jedes Unternehmen in einem jährlichen Bericht nach zuvor festgelegten Kriterien darlegen muss, welches sein gesellschaftlicher Mehrwert, abseits der üblichen leeren CSR-Worthülsen, ist. Die Unternehmen, die diesen nicht darstellen können, müssen dann als "nicht zur Gesellschaft beitragend" dargestellt werden, damit potentielle Kunden wissen, mit welcher Art von Unternehmen sie es zu tun haben. Sozial verantwortliche Ökonomie muss sich lohnen, sozial schädliche muss unattraktiv werden. Hierfür bedarf es wieder globaler Maßstäbe und eine ökologische Verantwortung muss im Kontext sozialer Verantwortung stärker hervortreten.
Marktwirtschaft
Als 1990 der Ostblock zusammenbrach, hat man geglaubt, der Kapitalismus hat über den Sozialismus gesiegt, denn der Sozialismus funktioniert nicht. In der Tat ist der Sozialismus gescheitert. Dass der Kapitalismus dagegen funktioniert, ist ein Trugschluss und auch das wird in der aktuellen Krisensituation erneut sichtbar.
Viele propagieren den sogenannten freien Markt und gehen fatalerweise noch immer davon aus, dass der Markt über Angebot und Nachfrage alles regle. Dies war noch nie der Fall, denn der freie Markt ist nichts anderes als eine Art der Anarchie. Der Stärkere gewinnt, alle anderen haben das Nachsehen. Die aktuelle Krisensituation zeigt das deutlich, wenn es um den Bedarf von Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel geht. Diese Produkte sind für viele Menschen, besonders Betroffene und medizinisches Personal, sehr wichtig und entscheiden zum Teil über Leben und Tod. Einige versuchen nun mit solchen Produkten einen Reibach zu machen und bieten sie zu Wucherpreisen an. Sie versuchen auf skrupellose Art und Weise ihre Gier zu befriedigen, indem sie das Leid anderer ausnutzen. So etwas kommt raus, wenn der Markt alles selber regelt.
Es gab mal den Begriff der „sozialen Marktwirtschaft". Dies wäre ein möglicher Ansatz und vielleicht hat dieser in Mitteleuropa auch eine Weile existiert. Spätestens aber seit den 1990er Jahren ist es nicht mehr als eine leere Phrase. Der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister spricht im Kontext unseres heutigen Wirtschaftssystems treffend von "Finanzkapitalismus": Es wird alles legitimiert, was zur Befriedigung von Effizienz- und Profitgier nützlich ist. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Dies ist nicht nur in der Vertrauenskrise (a.k.a Finanzkrise) 2008 im Bankensektor sichtbar geworden, sondern passiert in vielen anderen Branchen. So machen die Hersteller von alkoholischen Getränken jedes Jahr große Gewinne, die Folgen von Alkoholismus hingegen trägt die Gesellschaft. Ähnlich ist es bei Tabakwaren, dem Glücksspiel und Teilen der Automobilindustrie.
Man muss die Frage stellen, ob es möglich sein darf, mit allem in jeder Art und Weise Gewinne zu machen. Zum Beispiel darf dies in Bereichen, die für die Abdeckung von Grundbedürfnissen notwendig sind, nicht möglich sein. Grundbedürfnisse sind die Bereiche, die für das Leben grundlegend notwendig sind, wie zum Beispiel Gesundheit, Wohnen sowie wesentliche Infrastruktur. Warum muss ein Krankenhaus Profit erwirtschaften? Selbstverständlich muss auch ein Gesundheitsbetrieb kostendeckend sein, was Rücklagen für Investitionen inkludiert, aber Gewinn machen darf dieser nicht. Wenn ein Überschuss vorhanden ist, muss dieser sinnvoll im Sinne der langfristigen Erfüllung der Grundbedürfnisse reinvestiert werden.
Die Gier nach Profit und Effizienz kann besonders im Gesundheitswesen tödlich sein. In Deutschland sind 80 % der Intensivbetten auch außerhalb einer Pandemie deshalb belegt, weil gerne viele Operationen durchgeführt werden. Viele davon sind nicht notwendig, jedoch machen Krankenhäuser damit am meisten Umsatz. Damit stehen diese Intensivkapazitäten in Krisenzeiten, wie jetzt, nicht zur Verfügung. Es ist auch völlig abstrus, wenn ein Krankenhauskonzern Renditeerwartungen von 15 % oder mehr ausruft. Dabei handelt es sich um Gier, die auf Kosten Schwacher und Kranker geht, und damit asozial ist.
Es muss wieder eine echte „soziale Marktwirtschaft" geben. Das beinhaltet im wesentlichen drei Aspekte:
- Es ist in Bereichen der Grundbedürfnisse einer Gesellschaft nicht möglich, Profite zu erwirtschaften. Solche Einrichtungen sind im Besitz der öffentlichen Hand und müssen dabei natürlich kostendeckend sein.
- Unternehmen können und sollen im Rahmen von Leitplanken Gewinne erwirtschaften. Deren Geschäftsmodelle müssen aber so gelenkt werden, dass sie alle Folgen ihres Handelns auch bezahlen. Dies muss Schäden an der Bevölkerung, der Umwelt und damit der Gesellschaft als Ganzes einschließen.
- Es braucht ein inhärentes Wirtschaftssystem. Das bedeutet, dass es eine weltweite Volkswirtschaft gibt, die über eingebaute Sicherheitsmechanismen verfügt, welche Kapitalexzesse unmöglich machen. Dies erfolgt über ein internes Kräftegleichgewicht zwischen Profit und Verantwortung. Ein solches inhärentes Wirtschaftssystem muss jedoch noch entwickelt werden und ich bin mir sicher, dass dies möglich ist. Ansätze dazu existieren bereits, brechen aber mit den bisher gängigen Paradigmen der Wirtschaftslehren.
Auch wenn es einige Leserinnen und Leser vielleicht glauben, dies hat nichts mit Sozialismus nichts zu tun.
Es ist eine Marktwirtschaft, die Grenzen zieht, innerhalb derer sich alle in ihrem Handeln frei bewegen können. Diese Grenzen sind notwendig, damit der gesellschaftliche Frieden gewahrt bleibt und alle Menschen weltweit die gleichen grundlegenden Chancen haben und die Einen nicht gegen die Anderen ausgespielt werden.
Grenzen und Spielregeln sind essentiell für Freiheit und Handlungsspielräume. Diese zu beseitigen erzeugt das Gegenteil. Dazu wird es nötig sein, auch Verbote und Anreizsysteme zu installieren, denn wir sollten mittlerweile gelernt haben, dass weite Teile der Menschheit nicht in der Lage sind, eigenverantwortlich und vernünftig zu handeln. Und diejenigen, die Verbote und Regeln ständig mit Diktatur gleichsetzen, haben nicht verstanden, dass das Eine mit dem anderen nichts zu tun hat und argumentieren rein opportunistisch, weil ihnen etwaige Verbote gerade nicht gefallen.
Auch in einem demokratisch-pluralistischen System hat es immer Verbote gegeben. In einer Diktatur kommen diese durch eine absolutistische und autoritäre Gewalt zustande, in einer Demokratie im Rahmen eines pluralistischen Diskurses. Dies mag unter Umständen länger dauern, sorgt aber dafür, dass mehr Menschen mitgenommen werden, was wiederum zu mehr Akzeptanz führt. Man muss dabei aber bedenken, dass Demokratie und Pluralismus keineswegs bedeutet, dass man immer bekommt, was man will.
Rollen und Bedeutungen von Nationalstaaten
Wie bereits angedeutet, sind Nationalstaaten zunehmend ein Relikt der Vergangenheit und nicht viel mehr als eine administrative Struktur. Manche sehen in einem Staat zwar etwas identitätsstiftendes und besonders in Deutschland kommt immer wieder diese lästige und sinnbefreite Diskussion über eine „Leitkultur" auf. Was ist die gemeinsame Leitkultur für einen Bayern und jemanden aus Hamburg? Das, was Menschen, die es benötigen, eine Identität gibt, ist aber genaugenommen immer etwas sehr Regionales. Außerdem ergibt Nationalstolz gar keinen Sinn, denn wie soll man auf etwas stolz sein, wofür man nichts geleistet hat.
Wir müssen endlich lernen, dass wir als einzelner Staat nicht viel bewegen können. Ein einzelnes Land mag an bestimmten Punkten eine Vorbildfunktion erlangen und damit eine Art von „Pilotbereich" sein für einen noch nicht durchgeführten Ansatz. Wenn es sich bewährt hat, müssen andere folgen.
Wir müssen diesen Planeten als ein Gesamtsystem verstehen, in dem wir alle voneinander abhängen und einander brauchen.
Damit dieses Gesamtsystem auch handhabbar bleibt, bedarf es entsprechender administrativer Unterstrukturen, die wieder unterschiedliche Ausprägungen haben können. Diese Unterstrukturen setzen dann die global koordinierten Maßnahmen in einem gewissen Rahmen lokal individualisiert um. Und wir müssen die Einhaltung der Maßnahmen sicherstellen, das führt zum nächsten Punkt.
Lösungsansätze
Es muss darum gehen, eine globale Instanz zu etablieren, die
- globale Grundstandards definiert, die für gesellschaftliche Grundstrukturen und Wirtschaftsunternehmen sowie Behörden anzusetzen sind,
- eine Wächterfunktion hat und globale Standards kontrolliert und einfordert,
- gleiche Maßstäbe für alle Länder ansetzt, damit es keine Bevorzugung gibt,
- nach demokratischen Grundprinzipen organisiert ist, so dass alle Regionen der Welt (nicht notwendigerweise Länder) mitwirken können.
Diese globale Instanz existiert heute bereits und hört auf den Namen „Vereinte Nationen" (UN). Sie braucht aber mehr Durchgriffsrechte und muss mehr sein als ein loser Zusammenschluss von Nationalstaaten, die die UN nur dann gut finden, wenn sie ihrem Egoismus nutzt.
Seit 1. Januar 2016 gibt es eine „Sustainable Policy Guideline" (SPG), die bis 2030 gilt, und von allen UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde. Diese Leitlinie beinhaltet verschiedene Aspekte zum verantwortungsvollen Verhalten im Bereich Ökonomie, Soziales und Umwelt. Dabei sind 17 Oberziele („SDG = Sustainable Development Goals") formuliert, welche in 169 Unterziele unterteilt sind. Dieses Dokument kann man sicher auch als eine Art „Charta der Verantwortung" bezeichnen.
Der Vorteil im Kontext der „Sustainable Policy Guideline" ist die vorhandene Akzeptanz, da diese Leitlinie von allen UN-Mitgliedsländern bereits ratifiziert wurde. Leider ist die SPG nicht rechtlich verbindlich.
Es gibt auch bereits erste Handlunganweisungen für private Bereiche (z.B. für Private Equity Funds), hier steht man allerdings noch ziemlich am Anfang. Die UNO bewirbt die Ziele offensiv und stärkt die Kommunikation. Die Ziele sollen in die nationalen Vorgaben eingearbeitet und umgesetzt werden. Zudem wurde ein Mechanismus erarbeitetet, wie die Ziele nachverfolgt und deren Erreichung kommuniziert werden sollen. Leider zeigt sich aber, dass die Annäherung an die Zielsetzung noch mangelhaft ist.
Hier sind wir wieder bei dem Problem, dass ohne klare Regeln, die bei Nichtbeachtung auch negative Konsequenzen nach sich ziehen, nichts oder nur zu wenig passiert. Wir müssen uns als Gesellschaft leider eingestehen, dass die Menschheit von sich heraus nur selten in der Lage ist, vernünftig, langfristig sowie anständig zu handeln. Daher sind folgende weitere Schritte eine Möglichkeit, die „Sustainable Policy Guideline" lebendig zu machen:
- Die SPG gibt mehr als eine Leitrichtung vor, sondern thematisiert öffentlich nicht nur positive viel mehr auch negative Beispiele im Kontext dieser Charta. Damit bekäme man eine Indikatorfunktion ähnlich einem Label über den Energiebedarf bei Elektrogeräten oder dem Zuckeranteil in Nahrungsmitteln. Unternehmen, Institutionen, Regionen oder auch Länder hätten die Möglichkeit, mit diesen Indikator-Siegeln zu „werben".
- Staaten, Staatengemeinschaften oder Regionen sowie Unternehmen werden nach einem zuvor beschriebenen Standard in Bezug auf ihren Reifegrad bei der Einhaltung der SPG evaluiert. Diese Bewertung kann dann als Verbesserungsinstrument zur Identifikation von Verbesserungspotentialen verwendet werden. Auch das Ablehnen einer Reifegradbewertung wäre dabei eine klare Botschaft. Ausgehend von dem Reifegrad werden Beiträge an die UN skaliert. Vorbildliches Verhalten in Bezug auf die SPG wird belohnt, negatives Handeln hat Nachteile zur Folge.
- Die SPG muss für alle Länder und für alle Unternehmen nicht nur optional sondern verpflichtend sein. Länder und Unternehmen müssen jährlich ausweisen, was sie konkret zur Erreichung der Ziele beigetragen haben. Die Basis ist das zuvor erwähnte standardisierten Bewertungsverfahrens der UN.
- Die SPG gilt nach derzeitigem Stand bis 2030. Die Zielsetzung muss darüber hinaus weiter gültig sein und darf nie enden. Selbstverständlich unterliegt auch die SPG einem Veränderungsprozess und muss ständig hinterfragt und bei Bedarf angepasst werden.
Sicher mögen das große Forderungen sein, aber vielleicht ist diese Krise ein guter Auslöser für ein konsequenteres Handeln, das bisher noch nicht hinreichend ausgeprägt ist. Das Gute ist, dass es Inhalte und Instrumente bereits gibt, nur müssen diese mit allen Konsequenzen auch eingefordert und umgesetzt werden. Solltet der Ansatz, ein derartiges Vorhaben gleich weltweit umzusetzen, zu groß gedacht sein, hält uns niemand davon ab, dies für Europa zunächst in einem kleinen Rahmen zu tun. Aber auch dafür müssten die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten, und da nehme ich keinen aus, von ihrem Ego-Trip runterkommen. Wir haben die Einhaltung der SDGs in unserem Unternehmen bereits evaluiert und gehen mit gutem Beispiel voran.
Blick in die Zukunft
Und nun folgt zum Abschluss noch die oben angekündigte Brücke zu Star Trek. Als Gene Roddenberry in den 1960er Jahren Star Trek erfand, hatte er nicht einfach nur die Idee einer spannenden Science Fiction Geschichte. Er hatte die Vision einer besseren Welt, in der es keine Gier, kein Streben nach Profitmaximierung, keine Ungleichheiten und keine Umweltzerstörung mehr gibt. Er postulierte, dass dies möglich sein werde, sobald die ganze Menschheit einer globalen, in diesem Fall extraterrestrischen, Bedrohung entgegenstünde. Nun haben wir eine globale Bedrohung, auch wenn diese nicht extraterrestrisch ist, sondern absolut irdisch. Die Auswirkungen können aber die gleichen sein und vielleicht ist das eine Gelegenheit, die Menschheit, die Wirtschaft, ganze Gesellschaften sowie die globale Gesellschaft und damit unser aller Verhalten neu zu denken.
Übrigens ist diese Corona-Krise nicht die erste wirklich ernste und globale Gefahr, es gibt eine weitere und die kennen wir spätestens seit den 1970er Jahren:
Es ist die anthropogene Klimakatastrophe. Diese wird nach wie vor von der Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten nicht als solche gesehen, das Corona-Virus dagegen schon.
Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank, dass Sie es bis zum Ende des Beitrags geschafft haben! Fragen, Kommentare, Kritik? Nur her damit! Wenn Ihnen der Beitrag gefällt, freuen wir uns, wenn Sie diesen weiterverteilen und so eine nachhaltige Zukunft gemeinsam mitgestalten! #RestartThinking
Dr. Mario Buchinger ist Ökonomie-Physiker, Querdenker, Musiker und Autor. Der Spezialist für Veränderungsfähigkeit ist ausgebildeter Lean-Manufacturing-Consultant und war bei Daimler und Bosch als Führungskraft tätig. Dort begleitete der Kaizen- und Lean-Trainer die Organisationen zu einer kontinuierlichen Verbesserungskultur in verschiedensten Bereichen über alle Führungsebenen hinweg. 2014 gründete Buchinger sein eigenes Unternehmen. Er legt viel Wert auf eine menschliche und nachhaltige Wirtschaft, die neben Profit auch die gesellschaftliche Verantwortung nie aus den Augen verliert.
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