Mobile Zahlungssysteme, Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Blockchain - wir erleben eine technologische Revolution, die eine ganze Reihe von Branchen auf den Kopf stellt. Diese neuen Technologien werden vor allem durch Daten angetrieben. Denn Daten erlauben es uns, sofern standesgemäß erhoben und intelligent ausgewertet, effizientere Entscheidungen zu treffen und mehr Transparenz zu schaffen. Genau deswegen birgt Datentechnologie ein großes Potenzial für Retail-Unternehmen, ihre gesamte Lieferketten – von Erzeuger*Innen bis hin zu Konsument*Innen – nachhaltiger zu gestalten.
Die globale Nachfrage nach Lebensmitteln wächst, während gleichzeitig die landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion weltweit durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die Auswirkungen des Klimawandels unter hohem Druck steht. Laut FAO und Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft müsste die Agrarproduktion bis 2050 um rund zwei Drittel gesteigert werden. Dazu ist es jedoch notwendig, dass insbesondere Wasser, fruchtbare Böden und die Artenvielfalt intelligenter – vor allem effektiver – genutzt und erhalten werden. Wollen wir also die wachsende Weltbevölkerung weiterhin ernähren, müssen wir zu umweltverträglicheren und sozial verantwortlichen Anbaumethoden übergehen. Gleichzeitig müssen Erzeuger*Innen, meist Farmer*Innen, in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dass Lebensmittel fair produziert werden, finden 88 Prozent der Befragten in Deutschland laut aktuellem Ökobarometer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wichtig.
Datenbasierte Landwirtschaft
Technologie ist ein essenzieller Faktor, um Anbaumethoden und damit Lieferketten bereits am Ursprungsort nachhaltiger zu gestalten. So gibt es zunehmend sogenannte technologiegestützte Präzisionsfarmen. Hierbei entlasten Sensoren, Roboter und IoT-betriebene Geräte, die drahtlos an ein Netzwerk angeschlossen werden und Daten übertragen können, Farmer*Innen bei vielen alltäglichen Aufgaben. Doch trotz dieses Potenzials, die Landwirtschaft durch Technologie radikal zu verbessern, sind diese den meisten Produzent*Innen gar nicht zugänglich. Vor allem nicht den über 500 Millionen Kleinfarmer*Innen, die 75 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschaften. Dies ist einer der Gründe, warum die Rainforest Alliance zusammen mit der Grameen Foundation die mobile App
FarmGrow entwickelt hat. Sie ist als langfristiger persönlicher Coach für Kleinfarmer*Innen vor allem beim Kakaoanbau gedacht – und liefert ihnen Informationen und Empfehlungen, wie sie nachhaltigere Anbaumethoden umsetzen können. Gleichzeitig soll die Anwendung dabei unterstützen, die Produktivität auf bestehenden Kakaoanbaugebieten zu steigern. Dazu wird ein maßgeschneiderter 7-Jahres-Geschäftsplan erstellt, der auf individuellen Farmdaten und dem agronomischen Status jeder Kakaoparzelle basiert. In Indonesien gestartet, ist die App nun auch in Ghana und der Elfenbeinküste verfügbar.
„Unser Ziel ist es, Produzent*Innen, Marken und Verbraucher*Innen dabei zu unterstützen, verantwortungsvoller zu handeln und nachhaltigere Kaufentscheidungen zu treffen - auf der Grundlage transparenterer und vertrauenswürdigerer Daten. Nur wenn alle Akteure neue Technologien nutzen, um Lieferketten nachhaltiger zu gestalten, können wir dringend notwendige Verbesserungen in der Lebensmittelversorgungsketten vorantreiben."
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Qualitätsgesicherte und datengestützte Kontrollen
Ein wichtiger Teil von verantwortungsvolleren Lieferketten ist auch die Zertifizierung von Rohstoffen, die nach nachhaltigeren Kriterien angebaut worden sind. Um zu überprüfen, ob Erzeuger*Innen und Farmen bestimmte Regeln und (Nachhaltigkeits-)Standards einhalten, finden Audits vor Ort statt. Technologische Innovationen unterstützen auch hierbei. Konventionelle Audits beruhen darauf, Farmen manuell zu kontrollieren, ohne dass Auditor*Innen klare Informationen darüber haben, welche Gebiete in der Umgebung einer Farm früher bewaldet waren. Daher ist es beispielsweise schwierig zu erkennen, ob illegale Waldrodungen durchgeführt wurden, um eine Ackerfläche zu erweitern. Doch GPS-Karten der Farmstandorte kombiniert mit Satellitenbildern und Karten von Schutzgebieten helfen nun dabei, mögliche Abholzung zu erkennen. So können auch bereits im Vorfeld stark gefährdete Gebiete lokalisiert werden, bevor illegale Abholzung passiert. Hierbei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, etwa ob sich Farmen zu nah an der Grenze eines Nationalparks befinden oder Nutzpflanzen zu dicht an Gewässern angepflanzt wurden. Die Analyse der lokalen Situation auf der Grundlage solcher Daten ermöglicht dann wiederum eine gezieltere Beratung oder Schulung von Farmer*Innen und Auditor*Innen vor Ort.
Blockchain für mehr Vertrauen und Transparenz
Als weitere Beteiligte an der Lieferkette stehen Unternehmen seitens Regierungen, Verbraucher*Innen und NGOs zunehmend unter Druck, Transparenz in ihren Lieferketten zu schaffen. Um also die Rückverfolgbarkeit in der Nahrungs- und Lebensmittelkette transparenter zu gestalten, kann der Einsatz der Blockchain-Technologie sinnvoll sein. So lässt sich beispielsweise verfolgen, woher jede Zutat oder jeder Rohstoff stammt, welche Strecke dieser zurückgelegt hat und wie viel Kohlenstoff emittiert wurde, bevor das Produkt auf unserem Teller landet. Die Blockchain-Technologie ist vor allem durch Krypto-Währungen bekannt geworden. Als eine Art fälschungssicheres öffentliches Buchhaltungssystem zeichnet es permanent Transaktionen auf, die im Nachgang nicht verändert werden können. Diese Transaktionen können sich ebenso auf Stationen einer Lieferkette beziehen. Gleichzeitig kann die Technologie Einblicke in die Effizienz einer Lieferkette und Fortschritte in der Nachhaltigkeit bereitstellen. IBM Food Trust zum Beispiel ist ein Blockchain-basiertes Programm, um Lebensmittel in wenigen Sekunden bis zum Ursprung zurückzuverfolgen. So verlangen Lebensmittelriesen wie Carrefour und Walmart von ihren Lieferanten Informationen und Einblicke in den Weg, den ein Produkt innerhalb der Lieferkette nimmt.
Erzeuger*Innen und Konsument*Innen vernetzen
Schließlich verändert Technologie auch die Art und Weise, wie Verbraucher*Innen mit den von ihnen gekauften Waren und Herstellern interagieren. Über QR-Barcodes auf Verpackungen und per Smartphone können Konsument*Innen Informationen über die Herkunft der Inhaltsstoffe oder über deren Entstehungsweg abrufen. Ein Beispiel hierfür ist die Initiative „Circular Supply Chain" der Unternehmensberatung Accenture. Sie ermöglicht es Verbraucher*Innen per Fingertipp Produzent*Innen für verantwortungsvolle und nachhaltigere Prozesse mit einer Bezahlung zu belohnen. Diese Belohnung kommt so den Produzenten oder Farmer*Innen zugute, die direkt am Anfang einer Lieferkette stehen. Auch die niederländische Supermarktkette Albert Heijn setzt auf ein gleichartiges Instrument. So können Verbraucher*Innen mittels QR-Codes eine Karte erstellen, wie ihr Orangensaft in die Regale gelangt. Zudem können sie sämtliche Stationen in der Lieferkette nachverfolgen und sehen, wie viel Prozent ihres Saftes von den 29 zertifizierten Orangenhainen stammen. Als Zeichen der Wertschätzung können die Supermarktbesucher*Innen anschließend ein Selfie an die Farmer*Innen zurückschicken.
Technologien wie Künstliche Intelligenz, 5G, erweiterte und virtuelle Realität werden die Lieferketten auch in den kommenden Jahren verändern. Es ist jedoch unsere gemeinsame Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Technologien auch eine verantwortungsvolle Landwirtschaft vorantreiben. Ziel sollte es sein, sowohl für Produzent*Innen als auch für Verbraucher*Innen einen Mehrwert zu schaffen – und zu umwelt- und sozialverträglichen Prozessen in Lieferketten weltweit beizutragen.
Als Innovation Director treibt Karen Reijnen zusammen mit ihrem Team Innovationen bei der Rainforest Alliance voran. In den vergangenen zwölf Jahren hat sie unter anderem für Nachhaltigkeitsprogramme in Afrika und Asien gearbeitet. Sie ist fest davon überzeugt, dass Innovation der Schlüssel zu einer nachhaltigeren und gerechteren landwirtschaftlichen Produktion ist.