Mit einem Wumms zurück in die Zukunft?
Konjunkturprogramm geht in die richtige Richtung, zum Stopp des Artensterbens und der Klimakrise muss aber nachgesteuert werden.
Die Beschlüsse des Koalitionsgipfels für ein Konjunkturprogramm sind eine positive Überraschung. Sowohl Zielrichtung als auch finanzielle Ausgestaltung bieten die Chance, mit der Bekämpfung der akuten Wirtschaftskrise gleichzeitig auch die Klimakrise einzudämmen. „Die Konjunkturmaßnahmen sind zwar kein ausreichender Beitrag Deutschlands, um die Klimakrise und das Artensterben zu stoppen, aber sie sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Überwindung der schwersten ökonomischen Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte bietet die Chance für einen naturverträglichen Wiederaufbau der Wirtschaft innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen", so Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR). Mit den Ergebnissen des Verhandlungsmarathons hat die Koalition auch dem Wunsch der Steuerzahler entsprochen, die sich in weiten Teilen für ein zukunftsgerichtetes Konjunkturprogramm aussprechen. So sind die Maßnahmen zur Förderung der energetischen Sanierung von Gebäuden, der Elektromobilität und des Ausbaus der Wasserstoffgewinnung echte Zukunftsinvestitionen.
„Das Ergebnis ist in gewisser Hinsicht historisch. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik konnte sich mit der Absage an eine Kaufprämie für Verbrennungsmotoren nicht die rückwärtsgewandte Autolobby durchsetzen. Der Aufbruch in einen zukunftsfähigen, nachhaltigen Wohlstand wird damit deutlich erleichtert. Wichtig ist nun, durchzusetzen, dass tatsächlich nur zukunftsfähige Mobilität gefördert wird und nicht durch die Hintertür scheinhybriden Verbrennern ein Schlupfloch gewährt wird", so Niebert weiter.
Mit rund 30 Mrd. Euro fließt fast ein Viertel der nun beschlossenen Investitionsmittel in den Klimaschutz. Wenn sie richtig angegangen und zügig konkretisiert werden, zahlen weite Teile der beschlossenen Maßnahmen tatsächlich auf die Zukunft Deutschlands ein. Dazu gehört die Erhöhung der Mittel für die energetische Sanierung von Gebäuden ebenso wie die Unterstützung emissionsintensiver Industrien bei einer Transformation hin zu einer CO2-neutralen Produktion.
Auch der Einstieg in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist sinnvoll und notwendig. Wichtig wird hierbei die Umsetzung: Nur Wasserstoff, der aus Erneuerbaren Energien gewonnen wird, ist wirklich zukunftsfähig. Derzeit bleibt unklar, wie die dafür notwendigen Mengen an erneuerbarer Energie gewonnen werden sollen, wenn zugleich der Ausbau von Windenergie an Land weiter behindert wird. Die reine Fokussierung auf Offshore-Wind wird den enormen Bedarf der Zukunft nicht decken können. Insbesondere die Wasserstoffstrategie ruft nach einer Verknüpfung mit dem European Green Deal für eine echte Europäische Energiewende.
Der Rettungsschirm für die Kommunen, die durch wegbrechende Gewerbesteuern nicht einmal ihre Pflichtaufgaben stemmen können, kann zu einem Aufbruch für den kommunalen Klimaschutz werden. Die Absenkung des kommunalen Eigenanteils bei Förderprogrammen ist ein wichtiger Hebel, um nachhaltige Investitionen vor Ort anzureizen. Die beschlossene Unterstützung insbesondere des unverschuldet in die Krise gerutschten kommunalen ÖPNV ist sehr zu begrüßen. In den Städten wird der Klimaschutz entschieden: Hier entstehen die meisten Treibhausgasemissionen, und hier liegen zugleich die größten Potenziale für Einsparungen und einen ambitionierten Klimaschutz. Die nun bewilligten Mittel für Investitionen müssen genutzt werden, die Kommunen zum Motor des öffentlichen Klimaschutzes zu machen.
Kritisch bleibt hingegen die pauschale Absenkung der Mehrwertsteuersätze. Ob die Senkung tatsächlich bei den Endverbrauchern ankommt und zu einer Ankurbelung insbesondere der lokalen Wirtschaft führt, ist sehr zweifelhaft. Um hier nicht Fehlanreize zu setzen, muss eine solche Maßnahme mit einer deutlichen Anhebung der CO2-Bepreisung verzahnt werden. Hier wird die Koalition in den nächsten Monaten noch einmal nachlegen müssen.
Auch ist die Finanzierung der Maßnahmen noch unklar. Niebert: „Mit der Umwidmung der 57 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen, die derzeit jährlich ausgeschüttet werden, könnte der Bundesfinanzminister eine doppelte Dividende erreichen. So könnten nicht nur die 130 Milliarden Euro gegenfinanziert werden. Vielmehr würde er dadurch auch verhindern, dass jeder Euro, der in die Zukunft investiert wird, gegen einen Euro für die Vergangenheit ankämpfen muss."
Die beschlossenen Maßnahmen für Beschäftigte, wie die Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge und die Ankündigung der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, sind richtige Entscheidung, ebenso wie die Unterstützung von Familien. Denn für uns ist klar: So wenig wie die planetaren Belastungsgrenzen verhandelbar sind, so wenig sind es die sozialen Belastungsgrenzen. Niebert: „Mit dem Programm zeigt die Koalition, dass sie bereit ist, sich auf den Weg in die Zukunft zu machen. Mit einem Programm, dass sowohl die Einhaltung der planetaren Belastungsgrenzen als auch die sozialen Belastungsgrenzen zum Ziel hat, kann nicht nur die Wirtschaftskrise gebremst, sondern auch der Zusammenhalt gestärkt werden. Wichtig ist nun, dass nicht verwässert, sondern schleunigst umgesetzt wird. Wir erwarten, dass die ersten Maßnahmen noch vor der Sommerpause wirksam werden."
Umwelt | Klima, 05.06.2020
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